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Ist das eine Strategie?

Die Bundesregierung hat ihre "Nationale Weiterbildungsstrategie" vorgelegt. Doch verdient sie diesen Titel wirklich? Ein Gastbeitrag von Bernd Käpplinger.

Bernd Käpplinger ist Professor für Weiterbildung an der Universität Gießen und Vorsitzender der Sektion Erwachsenenbildung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Foto: A. Schaal.

NACH RUND ACHT MONATEN ist sie nun veröffentlicht: die "Nationale Weiterbildungsstrategie". Ministerien loben sich damit, dass dies erstmals eine nationale Strategie für diesen Bereich sei. Man mag darüber diskutieren, ob dem anhand von „Konzertierter Aktion Weiterbildung“ und ähnlichen Initiativen in der Vergangenheit tatsächlich so ist. Das Hamsterrad der Beschleunigung dreht sich und das Gestern ist auch in Ministerien schnell vergessen.

 

Aber ist das wirklich eine Strategie, die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gestern vorgelegt haben? Der erste Eindruck ist eher, dass man in einem Konvolut liest. Es wirkt so, als habe man bestehende Aktivitäten mit länger geplanten Initiativen verbunden und auf die Schnelle mit der Überschrift "Strategie" etikettiert. 

 

"It's not the economy, stupid!"

 

Allerdings würde Konvolut meinen, dass so ziemlich alles zusammengefasst wurde. Dem ist nicht so. Es fällt auf, dass die nicht-berufliche, allgemeine Erwachsenen- und Weiterbildung in der "Nationalen Weiterbildungsstrategie" komplett ausgeblendet wurde. In den 1990er Jahren wurden Wahlkämpfe mit dem Slogan "It’s the economy, stupid!" gewonnen. Man ist mit Blick auf die Gegenwart versucht, den selbsterklärten Weiterbildungsstrategen zuzurufen: "It’s not the economy, stupid!"

 

Nur mit Ökonomie verliert man heute Wahlen, und das ist auch gut so. Wo kommt Bildung gegen politischen Extremismus vor? Ökologische Nachhaltigkeit? Gesundheitsbildung in einer immer stressigeren Welt? Medienbildung über digitale Anpassung hinaus? Intergeneratives Lernen? (Inter-)Kulturelle Bildung? Ist es zeitgemäß, Weiterbildung so eng zu denken und vor allem fördern zu wollen?

 

Man kann noch verstehen, dass ein Arbeitsministerium und Sozialpartner solche Fragen nicht unbedingt im Blick haben, aber dass ein Bildungsministerium Bildung derart begreift und auch Gewerkschaften Weiterbildung nicht mehr so breit denken? 

 

Sonntagsreden ohne Resonanz

 

Sonntagsreden zum 100-jährigen Jubiläum der Volkshochschulen wie neulich in der Paulskirche, zu Ganzheitlichkeit oder zum Erhalt der Demokratie haben in der "Nationalen Weiterbildungsstrategie" offensichtlich keine Resonanz erzeugt. Was dazu führt, dass die Strategie mit ihrer Weiterbildungsmonokultur und ihrem bildungsfernen Ökonomismus schon bei ihrem Erscheinen altmodisch wirkt.

 

Die allgemeine Weiterbildung und die Volkshochschulen gehören zu den klaren Verlierern einer Strategie, die mehr unsichtbar macht als sichtbar. Auch Forschungsbedarf wird anscheinend relativ wenig beim Thema Weiterbildungskultur gesehen. Die beiden beteiligten Ministerien zitieren und berücksichtigen primär die ihnen nahestehenden Forschungsinstitute BIBB und IAB.

 

Die Gewinner scheinen zumeist diejenigen zu sein, die bei den Sitzungen zur Vorbereitung der Strategie mit am Tisch gesessen haben – inklusive den ihnen Nahestehenden. So sollen die Kammern indirekt ihre Meisterkurse kofinanziert bekommen. Die Gewerkschaften erhalten der Strategie zufolge Beratungs- und Mentorenmaßnahmen in Betrieben (weiter-)gefördert. Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist sehr präsent im Papier.

 

Ein Schleier allgemeiner Begrifflichkeiten

 

Was die Bürgerinnen und Bürger sich wünschen, interessiert offenbar weniger. Wer in den vergangenen Dekaden arbeitslos war, wird sich begrenzt freuen, nun ausgerechnet in der BA zu Berufen im digitalen Wandel beraten zu werden. Die CDU-Initiative MILLA wird zur Plattformidee reduziert. Andere Akteure und das Personal der Weiterbildung bleiben hinter einem Schleier allgemeiner Begrifflichkeiten ungenannt und ebenfalls verborgen. So schafft man nicht mehr Transparenz, so entsteht keine Strategie, sondern man versorgt vorrangig einen kleinen Kreis einflussreicher Stakeholder.  

 

Wie geht es weiter? Was ist trotz der Kritik positiv? Konvolute können auch gut sein, wenn sie Dinge zusammenbringen. Es wäre womöglich sogar naiv, in einer komplexen Welt die große Strategie zu erwarten. Masterpläne mögen in Planwirtschaft funktionieren, aber kaum in der hochdynamischen Welt mit ihren Disruptionen und Transformationen, die viele Prognosen von heute zum Altpapier von morgen werden lassen.

 

Vielleicht wird mit der "Nationalen Strategie" ein Prozess der besseren Kooperation begonnen? Vielleicht zeigt sich gerade das Bildungsministerium bereit, auch die nicht-berufliche Weiterbildung mitzudenken und zu fördern? Und dies in Abstimmung mit den Bundesländern? 

 

Es kommt Arbeit auf uns zu

 

Es sollen ein "Gremium" und "Themenlabore" geben. Wird hier nun endlich breiter beteiligt, oder reproduziert sich der bisher eher enge Kreis von Sozialpartnern und Ministerien dort erneut? Lässt sich inhaltsstärker an die eher nebulösen Sätze der Strategie anknüpfen, etwa an diesen: "Darüber hinaus kann die Nationale Weiterbildungsstrategie für andere Regelungsbereiche, z. B. Gesetzgebungsverfahren, Impulse geben, ohne deren Ergebnissen vorzugreifen?"

 

Die OECD soll laut Strategie ein Länderbericht zu beruflicher Weiterbildung erstellen. Wo wird ein Länderbericht zur nicht-beruflichen Weiterbildung entstehen? Kann man ein zeitgemäß breites Bildungsverständnis und die Förderung für Bürgerinnen und Bürger erwarten, die nicht nur als Beschäftigte interessieren sollten? 

 

Es kommt Arbeit auf uns zu. Es gilt jetzt, nicht nur berechtigte Kritik zu üben. Es geht darum, die Bedürfnisse der Menschen und der Weiterbildungslandschaft in ihrer Vielfalt öffentlich sichtbarer zu machen. Vielleicht ist die "Nationale Weiterbildungsstrategie" dann doch ein Meilenstein zu mehr wirklicher Beteiligung und einer Weiterbildungspolitik, die mehr ist als die Förderung einer Monokultur und von Partikularinteressen?

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Kommentare: 6
  • #1

    Rainer Thiel (Donnerstag, 13 Juni 2019 15:10)

    Lieber Herr Käpplinger,
    es ist in Wirklichkeit noch viel schlimmer: In der BA wird mit viel Tamtam die Lebensbegleitende Berufsberatung eingeführt, die BerufsberaterInnen erhalten mehr Qualifizierung, und alles wird durcheinandergewirbelt. Gleichzeitig erfahren wir, dass künftig alle Berufsberater alles beraten können sollen, also derselbe Berater den Hauptschüler und den Gymnasiasten und den Studierenden, das heißt die Beratungsqualität soll gesteigert(!) werden, indem die Beratungskräfte flexibel alle Zielgruppen beraten. Sie müssen also alle Bildungswege im Kopf haben und zielgruppenangemessen berücksichtigen, und das in der von Ihnen völlig richtig als "hochdynamische Welt mit ihren Disruptionen und Transformationen".
    Mit anderen Worten: Nicht einmal das von Ihnen so wahrgenommene Kerngebiet der NWS, die Vorbereitung bzw. Weiterbildung für den Arbeitsmarkt der Zukunft, wird durchdacht und qualifiziert angegangen. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn die von Ihnen zu Recht angemahnten Bereichen der staatsbürgerlichen Bildung erst recht nicht berücksichtigt werden. So fährt man das Ganze vor die Wand.
    Ich bekomme den Eindruck, dass hier etwas noch schnell, schnell auf den Markt geworfen wurde, bevor die kleine GroKo atomisiert wird.

  • #2

    Udo Michallik (Donnerstag, 13 Juni 2019 15:26)

    „Die OECD soll laut Strategie ein Länderbericht zu beruflicher Weiterbildung erstellen.“ - Wo nimmt die OECD insbesondere im Bereich der beruflichen Bildung/ Weiterbildung die Kompetenz für einen Länderbericht Deutschland her, nachdem es gerade die OECD war, die über Jahrzehnte mit der besonderen Form der beruflichen Bildung im deutschsprachigen Raum gefremdelt und Deutschland in die heute viel kritisierte Entwicklung der Akademisierung getrieben hat?

  • #3

    Ekkehard Nuissl (Donnerstag, 13 Juni 2019 15:39)

    Lieber Herr Käpplinger,
    von Strategien kann man im Bildungsbereich, insbesondere in der Weiterbildung, schon seit langem nicht mehr sprechen. Der Begriff wird hier einmal mehr korrumpiert. Und leider steht die Bundesregierung mit ihrer Einäugigkeit beim Blick auf eine nur berufliche Weiterbildung in Europa nicht allein, die Dokumente der EU wurden im letzten Jahrzehnt immer einseitiger und dürftiger. Was hier bedenklich stimmt ist nicht nur das Fehlen von Ziel und Konzept, sondern auch die Ignoranz gegenüber dem Kenntnisstand zur Weiterbildung. Offenbar wurde keine Zeit verschwendet, einmal einen Blick zu werfen in Expertisen, Analysen, Konzepte, "Strategien" (etwa KMK oder die von Ihnen genannten Gremien), die politischen Sachverstand und wissenschaftliches Wissen über die Jahre aufgebaut haben. Oder Fachleute zur Beratung hinzuzuziehen. Eine "evidence based" Politik sieht anders aus. Leider setzt sich hier fort, was gerade diese Regierung in den letzten Jahren "auszeichnet".

  • #4

    Bernd Käpplinger (Freitag, 14 Juni 2019 09:06)

    Hallo!
    Ich bin separat mehrfach angemailt worden, was ich mit der "Konzertierten Aktion Weiterbildung" meine. Hier nur ein Hinweis wie das Thema Weiterbildung zum Beispiel 1987 einmal strategisch diskutiert und angegangen wurde:
    https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/konzertierte-aktion-weiterbildung-ansprache-von-bundesminister-moellemann-808810

    Mit besten Grüßen

    Bernd Käpplinger

  • #5

    Andreas Ogrinz, BAVC (Freitag, 14 Juni 2019 19:09)

    Lieber Herr Professor Käpplinger,
    gut, dass Sie auf in der Tat kritische Punkte in der Nationalen Weiterbildungsstrategie hinweisen; insbesondere teile ich Ihr Unbehagen an einem enggeführten Bildungsbegriff. Gar nicht gut finde ich aber Ihren fast schon in Richtung eines Politik-Bashings gehenden Ton. Als Verteter der wissenschaftlichen Zunft hätte ich mir ein wenig mehr Verständnis für das Wesen politischer Aushandlungsprozesse gewünscht. Ich selbst war an dem Entstehungsprozess der Nationalen Weiterbildungsstrategie beteiligt: Hier wurde, das kann ich bezeugen, in einer hochheterogenen Gruppe um ein hochrelevantes Thema gerungen, und zwar sehr ernsthaft. Natürlich kann man darüber streiten, ob hier eine "Strategie" im strengen Sinne des Wortes vorliegt. Aber mit diskreditierenden Begriffen wie "Konvolut" tragen Sie leider zu einer bereits verbreiteten Verdrossenheit gegenüber Politik und politischen Eliten bei, anstatt für Verständnis für komplizierter politische Zusammenhänge zu werben und vor allem: zu würdigen, dass die Bundesregierung das für die Bewältigung der digitalen Transformation so wichtige Thema Weiterbildung nach vorne treibt. Das ist doch viel besser als nix!

  • #6

    Bernd Käpplinger (Freitag, 14 Juni 2019 20:08)

    Sehr geehrter Herr Ogrinz,

    viele Dank für Ihren Kommentar. Ich kann Ihnen absolut darin zustimmen, dass - wie auf dem Deckblatt des Strategiepapiers im Übrigen transparent für alle ersichtlich - vor allem die Arbeitgeberverbände, Kammern, Gewerkschaften, BA und Ministerien hochheterogen und äußerst zahlreich vertreten waren.
    Gerade weil ich wie auch Sie einer Politikverdrossenheit entgegenwirken möchte, würde ich mir jedoch für die nächste Phase der Arbeit und Umsetzung eine breitere, ernst gemeinte Beteiligung auch der Praxis (z.B. Verbände der Erwachsen-/Weiterbildung sowie Berufsverbände der Beratung) wünschen.
    Mir geht es gerade am Ende meines Kurzbeitrags nachdrücklich um die nächsten Schritte, wo man sicherlich breiter beteiligen wird, um die verschiedenen anstehenden Transformationen zu bewältigen.

    Mit besten Grüßen
    Bernd Käpplinger