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"Sehr gute Idee, let's do this!"

Wie aus einem verrückten Einfall am Reformationstag ein Twitter-Sturm gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wurde. Ein Interview mit dem Hamburger Wissenschaftler Sebastian Kubon.

Sebastian Kubon ist promovierter Mediävist und beschäftigt sich zurzeit vorwiegend mit Public History. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg und gerade in Elternzeit. Foto: privat.


Herr Kubon, am Samstag haben Sie einen Spontan-Aufruf auf Twitter gestartet: "95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertrags-gesetz". Innerhalb weniger Stunden kamen tausende von Reaktionen aus der Wissenschaftscommunity zusammen. Hat Sie der Rummel überrascht?

 

Ja, total! Das kam alles nur daher, dass eine Kollegin von mir, die ich nur unter ihrem Twitternamen "wimipolis" kenne, getwittert hat, sie werde an Halloween als Wissenschaftszeitvertragsgesetz gehen. Woraufhin ich ihr antwortete, ich würde eher den Reformationstag feiern, und da müssten wir eigentlich 95 Thesen gegen das Gesetz 


an die Uni-Türen nageln.  Was wiederum eine andere Kollegin, Amrei Bahr, zum Anlass nahm, um zu schreiben: "Sehr gute Idee, let's do this! (Also: Ernsthaft!)" Anstatt die Thesen an die Uni-Türen zu nageln, schlug sie allerdings vor, wir sollten sie lieber unter dem Hashtag "#95vsWissZeitVG" sammeln. Und Fahrt nahm das Ganze auf, weil eine dritte Kollegin, Kristin Eichhorn, die eine besondere wissenschaftspolitische Expertise besitzt, gleich die ersten Thesen rausgehauen hat.  

 

Da scheinen Sie echt einen Nerv getroffen zu haben.

 

Ich habe noch nie so viele Twitter-Benachrichtungen bekommen wie an dem Tag. Wir haben es zwischenzeitlich sogar unter die deutschen Top-Hashtags geschafft. Offenbar gab es eine Menge Leute, die am Samstag zu Hause saßen, vielleicht über der Bewerbung für eine neue Kurzzeitstelle oder über einem Drittmittelantrag, und das Gefühl hatten, sie hätten zu dem Thema auch etwas beizutragen.

 

Sind Sie persönlich vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz betroffen?

 

Ich sitze auf einer befristeten Uni-Stelle, ja, und irgendwann ist die Zeit dann auch bei mir rum – es sei denn es ergibt sich auf wundersame Weise irgendeine Dauerperspektive. Wie viele von den zwölf Jahren, die mir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zugesteht, ich noch habe, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Wir haben gerade unser zweites Kind bekommen, dafür verlängert sich die Zeit ja etwas. Ich habe längst den Überblick verloren, auch über die gefühlt 37 Arbeitsverträge, die ich bislang unterschrieben habe. Manche davon liefen über zwei Jahre, andere nur über einen Monat. 

 

Welche der Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die am Samstag zusammenkamen, fanden Sie besonders treffend?

 

Ich bin ja kein Experte für Wissenschaftspolitik oder für das Gesetz, aber was mir aufgefallen ist: Bei vielen Thesen ging es gar nicht nur um das Gesetz an sich, sondern um die Arbeitsbedingungen, die an den Universitäten insgesamt herrschen, die massive Unterfinanzierung – und für die das Gesetz ein Symbol ist. Ein Symbol für das McKinsey-Prinzip des "Up or Out": Wenn Sie es nicht innerhalb von zwölf Jahren geschafft haben, dann erhalten Sie faktisch ein Berufsverbot als Wissenschaftler. Sie wollten aber ein paar Thesen hören, die mir gut gefallen haben.

 

Gern.

 

Zum Beispiel der enorme Verwaltungsaufwand: Man schreibt eigentlich ständig nur irgendwelche Bewerbungen oder Anträge und sondiert die Aussichten auf einen Anschlussvertrag. Da wird die konkrete Forschung schnell zur Nebensache. Oder nehmen Sie den Konkurrenzneid, der durch diesen Befristungswahnsinn gefördert wird: Es geht kaum noch um kollaboratives Arbeiten in interdisziplinären Strukturen, sondern jeder kämpft für sich. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verhindert langfristige, kreative, innovative, experimentelle, fehlertolerante – jetzt gehen mir die Adjektive aus – Forschungsansätze. Was bleibt, sind ad-hoc-Forschungsprojekte ohne in die Zukunft gerichtete Anschlussperspektiven. Und das Engagement für gute Hochschullehre, für das Wohl der Studierenden? Bleibt auch auf der Strecke, lohnt sich nicht, weil man sich auf sein Qualifikationsziele konzentrieren muss, auf die Doktorarbeit, die Habilitationsschrift. 

 

Gab es denn auch irgendwelche Thesen pro Wissenschaftszeitvertragsgesetz? 

 

Also ich habe keine gesehen unter unserem Hashtag. Vielleicht hat sich auch nur kein Unterstützer des Gesetzes getraut, sich zu outen. Es gab ein paar Leute, die haben geschrieben: Wir müssten uns schon insoweit ehrlich machen, dass nicht jeder für alle Zeiten an der Uni bleiben könne und dass es deshalb eine Art von Regulierung geben müsse. Aber dann kam immer sofort: Aber doch bitte nicht so. Natürlich könnte man jetzt auch argumentieren, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz der Wissenschaft dabei hilft, sich immer wieder neu zu erfinden, indem immer neue Leute eine Chance erhalten. Aber da würde ich sofort gegenhalten und sagen: Doch nicht zu so massiven gesellschaftlichen und individuellen Kosten. Die Leute bauen sich Expertise auf, und wenn sie da ist, sollen sie sich umorientieren. In der Public History bei uns in Hamburg haben wir zum Beispiel ein tolles Game Lab herumstehen, richtig teuer und mit allem Schnickschnack, das verstaubt jetzt, weil der tolle Kollege, der damit arbeitete, an eine andere Universität gegangen ist, die eine längere Perspektive bot. Es ist ja nicht so, dass man innerhalb dieser zwölf Jahre in Ruhe und auf lange Sicht forschen könnte, sondern auch hier erlauben die Verträge nur kleinteiliges Forschen. Das ist die vielleicht größte Paradoxie unseres Wissenschaftssystems, das ständig Kosten sparen will: Am Ende wird es durch widersinnige Regeln wie die des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eine richtig teure Veranstaltung. 

 

Ich merke schon, mit den Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz könnten Sie ewig weitermachen. 

 

Dank der Twitter-Aktion ist der Fundus jetzt riesig, in der Tat. Eine wichtige These will ich noch nennen: Das Gesetz verhindert Diversität, weil man sich als junge Wissenschaftler diese prekären Arbeitsbedingungen, die Unsicherheit und den Mangel an beruflicher Planbarkeit erstmal leisten können muss. Wir haben es hier nicht mit einer Bestenauslese zu tun – übrigens eines der Argumente, das immer wieder für das Gesetz angeführt wird – sondern mit einem Wettbewerb, bei dem diejenigen die größten Chancen haben, die am meisten Unterstützung aus der Familie oder anderswoher organisieren können. Nichts gegen jene, die es auf eine Professur geschafft haben, das sind durchaus respektable und gute Leute, aber die Behauptung, es seien immer auch die besten, halte ich für reichlich gewagt.

 

Kannten Sie die meisten Leute, die da unter dem Hashtag "#95vsWissZeitVG" getwittert haben?

 

Nein, dazu waren es viel zu viele. Auch mit Amrei Bahr und Kristin Eichhorn, mit denen alles losging, war ich bislang nur über Twitter verbunden. Vielleicht treffen wir uns jetzt mal persönlich.

 

Um darüber zu beratschlagen, wie es jetzt weitergeht?

 

Die Frage, wie es jetzt weitergeht, haben wir uns auf jeden Fall schon gestellt, ja. Im vergangenen Jahr gab es die Hashtags "#FrististFrust" oder "Unbezahlt", die eine Zeitlange eine große Welle bei Twitter machten – und dann doch ohne konkrete Folgen blieben. Dass unsere "#95vsWissZeitVG" so abgehoben hat, beweist erneut, dass es da draußen bei Twitter und anderswo eine Community gibt, die Ähnliches denkt und will. Aber wie schafft man gemeinsam den nächsten Schritt? Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und ich wollen jetzt jedenfalls die Tweets zu einer mindestens 95 Thesen langen Liste zusammenfassen. Und dann gucken wir mal, ob eine Petition daraus entsteht. Vielleicht schicken wir die Thesen auch an unsere Bundestagsabgeordneten? Ich bin ja eher ein optimistischer Typ und glaube daran, dass ich unser Wissenschaftssystem irgendwann zum Besseren wandeln lässt, aber ob ich das noch mitkriege als aktiver Teilnehmer dieses Systems, das weiß ich nicht. 

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Kommentare: 7
  • #1

    mk (Freitag, 06 November 2020 16:29)

    Nur kurz als provokante Aussagen: Die Wissenschaftler_innen müssen viel mehr mit den Füßen abstimmen. Es ist niemand gezwungen in der Wissenschaft zu arbeiten. Auch ohne Doktortitel kann man
    glücklich werden.

    Nur der Doktortitel ist leider in einigen Fächern der inoffizielle erste berufsbefähigende Abschluss und hilft halt in einigen Bereichen dann richtig Geld zu verdienen.

    Meine These: Der Druck auf Kanzler_innen muss erhöht werden, um längerfristige Perspektiven zu bieten. Keine Hochschule ist gezwungen jemanden nach 6/12 Jahren wegzuschicken. Sie können die Person
    entfristen - auch ohne Professur. Das ist möglich! Es wird nur viel zu selten gemacht.

    Das Wissenscahftszeitvertragsgesetz ist von der Anlage her ja genau dafür eingetreten, klare Grenzen zu setzen, um die Unsicherheiten zu begrenzen, aber die Praktiken (und sowohl von seiten der
    Leitungen, Professor_innen und Wissenschaftler_innen) hat es anders gezeigt und das ist in die Modifizierungen des Gesetzes eingeflossen und plötzlich sind die ganz langen Befristungsstrecken wieder
    möglich.

  • #2

    Klaus Diepold (Freitag, 06 November 2020 16:32)

    ich habe heute mal einige Zeit die Twitterbeiträge zu diesem Hashtag gelesen. Dabei bin ich immer mal wieder erschrocken, was offenbar alles so ausserhalb des für mich sichtbaren Bereichs passiert,
    was ich nicht nachvollziehen kann.

    Ich bin nicht durchweg davon überzeugt, dass alles beschriebenen Effekte aus dem WissZeitVG resultieren. Manche Missstände sind sicher auch anderen Phänomenen in der akademischen Welt zuzuschreiben
    und würden durch eine Änderung des WissZeitVG nicht aufgelöst.

    Die zeitliche Begrenzung von Qualifikationsphasen (Promotion) geht doch parallel mit der faktischen Begrenzung der Studiendauer (BSc+MSc). Das kann ich eigentlich als Befristungsgrund nachvollziehen.
    In anderen Ländern werden Doktorand*Innen gar nicht angestellt, sondern sind "Studierende".

    Auf der Ebene der Doktorand*Innen ärgert mich viel mehr das Phänomen der Vollbeschäftigung bei Teilzeitbezahlung, das in vielen Disziplinen (Sozialwissenschaften, Physik, Gesellschaftswissenschaften,
    etc.) von den Fachgesellschaften (auch in der DFG) argumentativ verteidigt wird.

  • #3

    JPT (Freitag, 06 November 2020 16:34)

    @#1
    Die Aussage ist so provokant nicht, bloß: Das Abstimmen mit den Füßen findet längst statt, und es stärkt eigentlich eher die momentanen Strukturen. Es findet ja durchaus häufig statt, dass Personen
    die Wissenschaft verlassen (aus Frustration oder weil außerhalb des Uni-Systems bessere Bedingungen geboten werden). Das Resultat ist, dass die Unis die Stelle nachbesetzen können mit jemandem,
    der*die normalerweise neu anfängt und daher eine geringere Erfahrungsstufe hat, also weniger Geld kostet.
    Das heißt, für jede Person, die frustriert oder aus Protest aussteigt, spart die Uni Geld.

  • #4

    McFischer (Freitag, 06 November 2020 16:37)

    @'1/mk: Genau das passiert doch - die Leute verlassen die Unis dann, wenn sie gut und langjährig qualifiziert sind. Das Verrückte: Das passt genau in die Logik des Befristungsgesetzes und der
    Uni-Kultur in vielen Fächern (lieber drei günstige DoktorandInnen als einen teure Mitarbeiter/in). Das noch Verrücktere: damit gehen immer genau die Leute, die Forschung und Lehre schon können, die
    den - notwendigen - langen Weg von Studium, Qualifikation, Ausland etc. gegangen sind.
    Welche Firma, welche Organisation geht so mit den Mitarbeitern/innen um, wirft immer gerade diejenigen raus, die am besten qualifiziert sind?

    Zur Sprachwahl: "mit den Füßen abstimmen" bedeutet ja eigentlich, dass ich freiwillig 'gehe' und damit meinen Unmut mit einer Situation ausdrücke (Vortrag, Konzert...). Das Verlassen der
    Uni-Strukturen passiert ja genau nicht aus diesen Beweggründen - man will ja bleiben, darf aber nicht.

  • #5

    René Krempkow (Freitag, 06 November 2020 16:40)

    @jpt: Ja, dem kann ich nur zustimmen: Das Abstimmen mit den Füßen findet längst statt (siehe z.B. Blogbeitrag zur PE-Stifterverbandsstudie in
    https://scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/ueber-zitronenfalter-und-nachwuchswissenschaftler/). Demnach sind die Hauptgründe, warum immer mehr Nachwuchswissenschaftler der Wissenschaft den
    Rücken kehren, in der Tat unbefristete Verträge, interessante Aufgaben und bessere Bezahlung. Und ja, das spart Geld.
    Leider ist mir bislang niemand bekannt die/der erfasst, was dies an anderer Stelle für Kosten verursacht (materiell und qualitativ).

    @mk: Ja, sie können Personen entfristen - auch ohne Professur. Dies geschieht in den Bundesländern übrigens z.T. auch, wenngleich in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Zwischen den deutschen
    Bundesländern betragen die Differenzen der Befristungsanteile bei wiss. MA bis zu elf Prozentpunkte (s. auch Gassmann 2020), also mehr als die Differenz zum Anteil vor Änderung des WissZeitVG 2007.
    Dies zeigt, dass auch innerhalb Deutschlands unter denselben rechtlichen Bedingungen und bei ähnlichen Drittmittelfinanzierungen deutlich unterschiedliche Befristungsanteile existieren.

    Entfristungen sind auch aus befristeten Mitteln planbar: Oft wird betont, dass eine Verringerung des Anteils befristeter Stellen aus Drittmittel- und Projektfinanzierung nicht möglich sei. Dagegen
    hat z.B. Stricker (2018) die Gestaltungsspielräume als Dekan hervorgehoben, er in den vergangenen Jahren intensiv genutzt hat. Durch Kenntnis und Berücksichtigung der Altersstruktur des gegebenen
    Personals und professionelles Personalmanagement(!) war es möglich, acht unbefristete Stellen aus Hochschulpakt- und Landesmitteln zu schaffen. Die neue personelle Situation habe auch der Forschung
    am Fachbereich wichtige Impulse gegeben. Dies zeigt, dass hier erhebliche Gestaltungsspielräume bestehen, die bisher oft noch ungenutzt blieben (vgl. auch Wisenschaftsrat 2014, S. 56).

    Weitere Gestaltungsmöglichkeiten hierzu finden sich auch in: www.researchgate.net/publication/343500765.

  • #6

    Andreas H. Anders (Freitag, 06 November 2020 16:42)

    In der Informatik gibt es deutlich weniger Probleme. Wissenschaftliche Mitarbeiter sind dort zwar auch befristet, aber ein Übergang in den regulären Arbeitsmarkt ist auch mit 40 Jahren problemlos
    möglich. Zudem gibt es auch in der Industrie interessante Jobs in der Forschung.
    Das gilt auch für andere Disziplinen. Es scheint so, als dass die oben genannten Probleme vor allem Geisteswissenschaftler betreffen, die sich auf dem Arbeitsmarkt eh schwieriger tun als Ingenieure.

  • #7

    McFischer (Dienstag, 10 November 2020 12:33)

    @#6/Anders: Das mag in der Informatik sicherlich so sein. Die gleiche Frage stellt sich aber auch hier: ist es gut und sinnvoll für Lehre und Forschung in der Informatik, wenn gut qualifizierte MitarbeiterInnen gehen?