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Treuer Senat

Das Aufsichtsgremium der Fraunhofer-Gesellschaft stuft die Vorwürfe gegen Präsident Neugebauer in einem bemerkenswerten Beschluss als "durchweg haltlos" ein. Was bedeutet das?

Grafik: Mohamed Hassan / Pixabay.

DIE RÜCKENDECKUNG ist umfassend. Nach den schweren Compliance-Vorwürfen gegen den Fraunhofer-Präsidenten hat sich der Senat der Forschungsorganisation geschlossen hinter Reimund Neugebauer gestellt. Darüber informierte der Senatsvorsitzende, Heinz Jörg Fuhrmann, direkt im Anschluss an die Sitzung in einem Schreiben, das zunächst nur an die Führungsetagen in den Fraunhofer-Instituten ging, später dann weit verbreitet wurde.

 

Auch der Hochschulrat der TU Chemnitz, dessen Vorsitzender Neugebauer ist, ging in den vergangenen Tagen in die Offensive. Neugebauer war im Zusammenhang mit dem Auswahlverfahren zur Wahl des Rektors persönliche Befangenheit vorgeworfen worden. Die Vorwürfe seien unbegründet, steht in einer am 2. November veröffentlichten Pressemitteilung. Der Hochschulrat habe "ohne Gegenstimme festgestellt, "dass Herr Prof. Neugebauer nicht befangen war und als Unbefangener am weiteren Rektorwahlverfahren teilnehmen kann".

 

Der Senatsvorsitzende spricht von
"Vorwürfen und Unterstellungen"

 

Zuerst zum Senatsbeschluss der Fraunhofer-Gesellschaft, der bereits am 21. Oktober gefasst wurde. Im Schreiben des Senatsvorsitzenden Fuhrmann heißt es dazu: Die anwesenden Mitglieder des Senats aus der Wirtschaft, den Bundesministerien, der Länder, der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens sowie des Wissenschaftlich-Technischen Rates der Fraunhofer-Gesellschaft hätten sich "mit vereinzelten, über Medien, parlamentarische Anfragen und soziale Netzwerke verbreiteten Unterstellungen und Vorwürfen Dritter in Bezug auf Leitungsgremien der Fraunhofer-Gesellschaft" befasst. Das Gremium habe diese "geschlossen und auf Basis einer unabhängigen Prüfung als durchweg haltlos" eingestuft. Und Fuhrmann fügt hinzu: "Die weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Vorstand steht unverändert auf festem Fundament."

 

Das Schreiben Fuhrmanns, der bis Juli 2021 Vorstandschef der Salzgitter AG war, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

 

Erstens: dass der Vorsitzende des zentralen Fraunhofer-Aufsichtsgremiums die Vorwürfe als "vereinzelt" und als "Unterstellungen" bezeichnet. Womit er den FDP-Bundestagsabgeordneten Thomas Sattelberger, der nach zahlreichen Berichten von Whistleblowern mehrere kritische Anfragen an die Bundesregierung gerichtet hatte, faktisch als einen Verbreiter von Desinformation darstellt, und dazu Medien wie die Wirtschaftswoche oder auch diesen Blog. Obgleich Fraunhofer bislang gegen keinen der seit Monaten vorgebrachten Vorwürfe gerichtlich vorgegangen ist. Von der Forschungsgesellschaft heißt es allerdings, das presserechtliche Verfahren sei eingeleitet und werde "in Kürze zu Ergebnissen führen".

 

Zweitens: dass nach Darstellung Fuhrmanns sämtliche anwesenden der insgesamt rund 30 Senatsmitglieder mit der Formulierung einverstanden waren, dass alle Vorwürfe "durchweg haltlos" seien. Unter den Anwesenden befand sich auch ein ranghoher Beamter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), wie dieses bestätigte. Schon bislang war das BMBF vor allem dadurch aufgefallen, dass es sich in der Beantwortung kritischer Fragen zu Fraunhofer vor allem auf dessen Rückmeldung verlassen und diese weitergegeben hatte – oft verbunden mit der Einschätzung, es handle sich um Sachverhalte im "unternehmerischen und organisationsinternen Verantwortungsbereich" von Fraunhofer. 

 

Die angeführte "unabhängige Prüfung" der Vorwürfe
verantwortete die interne Revision

 

Als Grundlage der "Haltlos"-Einschätzung wird im Schreiben des Senatsvorsitzenden eine "unabhängige Prüfung" genannt, obwohl es sich tatsächlich um die Überprüfung durch die interne Revision gehandelt und diese nur wenige Wochen in Anspruch genommen hat.

 

Fraunhofer betonte am Montag auf Anfrage, dass die Innenrevision unabhängig nach internationalen Standards prüfe und dass der "ausführliche Prüfungsbericht intensiv durch die externen Senatsmitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft bewertet" worden sei.

 

Laut Fraunhofer-Kommunikation ist die Innenrevision eine "dem Gesamtvorstand zugeordnete unabhängig agierende Stabstelle, die disziplinarisch an den Vorstand Finanzen und Digitalisierung angegliedert ist". Dieser wird auch "Chief Compliance Officer" genannt und ist derzeit noch Andreas Meurer. Doch hat Meurer laut interner, im August versandter Mitteilung der Fraunhofer-Gesellschaft "aus persönlichen, privaten" Gründen um die Beendigung seines Mandates zum 30. April 2022 gebeten.

 

Was die Fraunhofer-Kommunikation am Montag auf Anfrage nicht sagte: dass die Innenrevision schon ab Januar 2022 direkt beim Präsidenten (also Neugebauer) verortet sein soll und nicht mehr beim Vorstand Finanzen und Digitalisierung – im Rahmen einer größeren Umstrukturierung der Vorstandsressorts und um das Thema "an höchster Stelle" aufzuhängen, wie den Institutsdirektoren mitgeteilt wurde.  

 

Außer Meuer hatten in den vergangenen Jahren und vor allem in den vergangenen Monaten zahlreiche weitere Führungskräfte im Umfeld Neugebauers die Forschungsorganisation verlassen oder ihren Abschied angekündigt, unter anderem der erst zum Oktober 2019 berufene Vorstand für Technologiemarketing und Geschäftsmodell, Ralf B. Wehrspohn, und der Kommunikationschef Janis Eitner.

 

Eine externe Überprüfung etwa durch ein unabhängiges Wirtschaftsprüfungsunternehmen hat offenbar bislang nicht stattgefunden, obwohl der Fraunhofer-Chef selbst von den Vorwürfen betroffen ist. Auch bleibt nach außen unklar, welche Vorgänge und Ausgabenentscheidungen genau wie umfassend und über welche Zeiträume hinweg von den Fraunhofer-Mitarbeitern überprüft wurden. 

 

Die Fraunhofer-Kommunikation teilt hierzu lediglich mit, "sämtliche Details" der Prüfung seien dem Senat offengelegt worden, was die Basis für seine Einschätzung gewesen sei.

 

Anfang Oktober hatte die Forschungsgesellschaft bestätigt, dass Neugebauer Reisekosten in vierstelliger Höhe nachgezahlt habe. Derweil beschäftigt sich offenbar auch der Bundesrechnungshof mit Fraunhofer und den erhobenen Vorwürfen, angestoßen durch FDP-Mann Sattelberger. Ob 2022 eine Prüfung eingeleitet wird, steht noch nicht fest.

 

Am 25. Oktober, vier Tage nach der entlastenden Senatssitzung, soll Neugebauer selbst Sitzungsteilnehmern zufolge vor Institutsdirektoren gesagt haben, er sei Gegenstand von Intrigen einzelner Medienvertreter und Bundestagsabgeordneter. 

 

Fraunhofer bestätigt diese Aussage Neugebauers nicht und teilt mit, meine Anfrage beziehe sich offenbar auf  einen internen und nicht öffentlichkeitsbezogenen Austausch, "der nicht zitatfähig ist". 

 

FDP-Politiker: "Fraunhofer muss lernen,
dass es nicht der Papst ist"

 

Derweil reagierte Sattelberger irritiert auf die im Fuhrmann-Schreiben enthaltene Medien- und Parlamentarierschelte. "Es zeugt von mangelndem Respekt und von ungebührlichem Stil eines Fraunhofer-Senatsvorsitzenden gegenüber dem Parlament, wenn er diese wichtige Arbeit in Zusammenhang mit angeblichen Unterstellungen bringt", sagte Sattelberger. "Auch Fraunhofer muss lernen, dass es nicht der Papst ist." Ein Abgeordneter sei immer auch Ombudsmann für Integrität in dem Feld seiner parlamentarischen Zuständigkeit. Anfragen an die Bundesregierung seien dabei eine wichtige Hilfe.

 

Das BMBF dagegen teilte auf Anfrage lediglich mit, es habe "den von Ihnen zitierten Aussagen des Senatsvorsitzenden nichts hinzuzufügen."  Und auf die Frage, ob die Ergebnisse einer Prüfung durch die interne Revision tatsächlich als "unabhängig" zu bezeichnen seien, lautet die Antwort aus dem Ministerium: "Der FhG e.V. (Trägerverein der Fraunhofer-Gesellschaft, JMW) verfügt über ein unter Mitwirkung des Senats errichtetes Compliance Management System und eine Innenrevision. Die Beratungen des Senats unterliegen der Vertraulichkeit."

 

"Dunkle Schatten" auf der von Neugebauer
begleiteten Rektorensuche in Chemnitz?

 

Bemerkenswert ist auch die Pressemitteilung des Hochschulrats der TU Chemnitz, derzufolge das Gremium die gegenüber Neugebauer "erhobene Behauptung der Befangenheit" zurückgewiesen habe. Die Pressemitteilung stammt nämlich nicht von der Hochschule selbst, sondern von "Sieber Senior Advisors", einer nach Selbstbeschreibung "auf Rechtsstreitigkeiten spezialisierte Kommunikationsberatung". Offenbar ist der Konflikt an der TU Chemnitz so tiefgreifend, dass der Hochschulrat der Pressestelle der Universität die Veröffentlichung und die Pressearbeit nicht mehr überlassen wollte.  Auffällig ist auch, dass die Pressemitteilung zwar vom 2. November stammt, der darin zitierte Entlastungsbeschuss des Hochschulrats aber bereits am 1. Oktober erfolgte – und auch bereits seit längerem auf der Website der Hochschule steht. 

 

Warum er jetzt wieder hervorgeholt wurde? Vermutlich weil zuletzt auch die FAZ über die Auseinandersetzungen berichtet hatte. Und weil der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), Bernhard Kempen, Neugebauer am 29. Oktober aufgefordert hatte, sein Amt als Hochschulratsvorsitzender wegen der "schwerwiegenden Befangenheitsvorwürfe" ruhen zu lassen. Kempen sprach von einem "dunklen Schatten auf das Auswahlverfahren an der TU Chemnitz". Dass der Hochschulrat einen Amtsinhaber von der Wiederwahl ausschließe, sei ein "erklärungsbedürftiger Vorgang". Um weiteren Schaden von der TU Chemnitz abzuwenden, sollte Neugebauer sein Amt als Hochschulratsvorsitzender ruhen lassen, so Kempen, "bis die im Raum stehenden Befangenheitsvorwürfe vollständig geklärt und ausgeräumt worden sind".

 

Im Ende Juni beschlossenen Kandidatenvorschlag des Hochschulrats war der Amtsinhaber Gerd Strohmeier nicht aufgetaucht, zugleich war an der TU von schon länger bestehenden tiefgreifenden Konflikten zwischen Strohmeier und Neugebauer die Rede. Die Frage einer möglichen Befangenheit Neugebauers hatte dann vor allem das externe Gutachten eines Verwaltungsrechtlers thematisiert, das der TU-Senat in Auftrag gegeben hatte. 

 

Wie es in Chemnitz jetzt weitergeht? Theoretisch könnte sich der Hochschulrat über den Senat hinwegsetzen und die Kandidatenliste ohne Amtsinhaber belassen. Gewählt würde dann im Erweiterten Senat.

 

Der Hochschulrat der TU Chemnitz umfasst normalerweise sieben Mitglieder, davon fünf externe. Ein Mitglied jedoch, der Leiter des Siemens-Werkes für Kombinationstechnik in Chemnitz, Nils Kroemer hatte das Gremium zuletzt verlassen. Der Freien Presse teilt er mit, dass der Austritt im Zusammenhang mit dem Rektor­wahlverfahren stehe, wollte aber keine Details nennen.



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Kommentare: 6
  • #1

    Annika Schönfels (Mittwoch, 10 November 2021 09:44)

    Wenn an der Spitze einer solch renommierten Einrichtung
    eine Leitungskultur zelebriert wird, die jeder Transparenz
    widerspricht, dann ist dringend Erneuerung erforderlich,
    Dies beginnt beim BMBF, das hier keineswegs vorbildlich
    ist. Man kann nur hoffen, daß mit der Regierungsbildung
    auf diesem Gebiet wirklicher Sachverstand einzieht und
    Mauschelei eliminiert wird.

  • #2

    MüderProf (Donnerstag, 11 November 2021 12:49)

    Ich stimme Annika Schönfels uneingeschränkt zu und füge hinzu, dass auch eine Kanzlerin, die an allen Gremien vorbei einen Headhunter mit der Suche eines neuen Präsidenten beauftragt, oder ein Max Planck-Direktorium, das eine weitere Institutsdirektorin ohne transparentes Verfahren von ihren Verpflichtungen entbindet (https://www.science.org/content/article/max-planck-institute-demotes-noted-archaeologist), kein Ausweis für ein tiefgreifendes Compliance-Verständnis in der Wissenschaft sind. Hier wünsche ich mir mehr Berichterstattung mit dem Ziel, die Leitungskultur in der Wissenschaft grundlegend zu professionalisieren.

  • #3

    Laubeiter (Donnerstag, 11 November 2021 14:48)

    Ich denke, es ist vom BMBF gewollt, dass MPG und FHG von ihm Steuergeld bekommen, mit dem beide anders schalten und walten können als das BMBF oder andere Behörden. Wenn der Senatsvorsitzende der FHG davon spricht, dass die Art und Weise, die die FHG das ihr übergende Steuergeld ausgibt, vertraulich sei, weil es in den "unternehmerischen und organisationsinternen Verantwortungsbereich" von Fraunhofer falle, dann frage ich mich, welche Bereich des Handelns der FHG dann nach Ansicht des Senatsvorsitzenden nicht mehr in den unternehmerischen und "organisationsinternen Verantwortungsbereich" fällt, sondern in den Verantwortungsbereich des BMBF.

  • #4

    Fricke (Donnerstag, 11 November 2021 15:01)

    Verteilung Frauen/Männer in FHG Gremien: Senat 9 Frauen/23 Männer, Präsidium 0 Frauen, 9 Männer, Vorstand 0 Frauen/3 Männer.
    Entlastung des männlichen Vorstands erfolgt.
    Und die MPG? Sie hat in den letzten fünf Jahren zwei Direktorinnen von Abteilungen ihrer Institute von ihren Aufgaben als Direktorinnen entbunden. Weiss jemand, wann hat die MPG jemals einen Direktor einer Abteilung von seinen Aufgaben entbunden hat?
    Bei der FHG scheinen mir Männer in der Übermacht. Die MPG strebt Geschlechterparität bei den Berufungen von Direktorinnen und Direktoren an. Dann werden zwei entbunden.

  • #5

    Vogelfrei (Freitag, 12 November 2021 12:00)

    Offenbar ist die Macht und die Banden des Fraunhofer Präsidenten weiter zu stark, um einen geordneten Rückzug zu erreichen. Genau das muss aber passieren um weiteren Schaden von der Fraunhofer Gesellschaft und dem deutschen Wissenschaftssystem zu begrenzen. Mit jedem Tag länger im Amt wächst der Imageverlust von Fraunhofer in der deutschen Wirtschaft stark.

  • #6

    Dieter S. (Montag, 15 November 2021 09:29)

    Prof R. Neugebauer hat in seiner bisherigen Amtszeit die Fraunhofer Gesellschaft eindrucksvoll weiterentwickelt, wie kaum ein Präsident zuvor. Das ist durchaus anzuerkennen. Sicherlich begünstigt worden durch seine tiefen politischen Verflechtungen und Netzwerke, die ihn wohl immer vom Boden abgehoben und von der Realität entfernt haben. Viele erleben ihn nur noch als extrem machtbesessen. Traurig, aber leider wahr. Auch jetzt von „Verleumdungen und Hexenjagd“ gegen ihn zu sprechen, entspricht u.a. der Wortwahl eines höchst umstrittenen ehemaligen US Präsidenten. Gestützt durch den Senat, den Herr Neugebauer weiter treu an seiner Seite hat! Mitläufer, die sich scheinbar blind vor der Wahrheit verstecken? Da auch in der MPG von ähnlichen Strukturen berichtet wird, muss die neue Bundesregierung und das BMBF dringend handeln und aufräumen. Die demokratische Grundordnung muss in der deutschen Forschungslandschaft unbedingt wieder hergestellt werden.