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Geflüchtete an deutschen Schulen: Das kann nun wirklich keine Überforderung sein

Ludger Wößmann hatte es schon im vergangenen Herbst gesagt. Selbst bei einer Million Flüchtlinge käme rechnerisch auf jede zweite Klasse oder Kitagruppe nur ein zusätzliches Flüchtlingskind. "Das ist nun wirklich nicht unmöglich", sagte der Münchner Bildungsökonom mir im ZEIT-Interview. Damals verging kaum ein Tag, an dem Philologenverband, GEW oder Elternvertreter nicht vor dem Kollaps der Schulen angesichts der "Flüchtlingsströme" gewarnt hätten – und von der Politik eine deutliche Aufstockung der Schulbudgets forderten.

Jetzt liegen ein paar interessante Zahlen vor. Erstens: Laut Kultusministerkonferenz (KMK) sind 2014 und 2015 insgesamt 325.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche in deutschen Schulen gelandet. Zweitens: Die Zahl der Schüler in Deutschland insgesamt, berichtet das Statistische Bundesamt, ist trotzdem um gut 40.000 (0,4 Prozent) auf knapp 11 Millionen gesunken gesunken. Drittens ergibt sich aus den beiden ersten Punkten: Nicht einmal drei Prozent der Schüler in Deutschland sind Geflüchtete.

Warum viele Bundesländer trotzdem Nachtragshaushalte aufstellen mussten, um neue Lehrer finanzieren zu können? Weil die zuständigen Kultusminister bis vor kurzem glaubten, entgegen dem Rat vieler Bildungsexperten von der so genannten "demographischen Rendite" profitieren zu können. Sprich: Sie dachten, wenn die Bevölkerung hierzulande schrumpft, wenn es immer weniger Kinder und Jugendliche gibt, dann ziehen wir doch einfach einen Teil des Geldes aus den Schulen ab. Was schon vor der Ankunft der Geflüchteten Unsinn war, denn ein Mehr an Chancengerechtigkeit, an individueller Förderung und Inklusion unterschiedlichster Schülergruppen geht eben nur über neue Strukturen, neue Angebote und ja, einen besseren Betreuungsschlüssel.

Womit ich keineswegs behaupten möchte, dass kleine Klassen automatisch bessere Schülerleistungen produzieren, aber Schule besteht eben aus viel mehr als der klassischen Deutsch-, Mathe- oder Englischstunde. Wir brauchen mehr Sozialarbeiter, mehr Schulpsychologen, mehr Lehrerhelfer und – wo sinnvoll – mehr Unterricht durch Lehrerteams.

Was folgt denn nun aus den aktuellen Zahlen? Für mich wiederum dreierlei.

Erstens: Die Politik muss das tun, was sie auch ohne Geflüchtete hätte tun müssen, aber nicht getan hat. Wir brauchen mehr Lehrer mit der Qualifikation "Deutsch als Zweitsprache" bzw. "Deutsch als Fremdsprache". Inklusion muss überall zu einem verpflichtenden Teil des Studiums werden. Die Schulen müssen das Geld bekommen, um ein Betreuungsnetz um den klassischen Unterricht herum aufbauen zu können; besonders viele Ganztagsschulen sind da schon ein gutes Stück Weges gegangen. Und: Die Politik muss verstehen, dass es hier nicht um eine vorübergehende Kraftanstrengung für "die Flüchtlinge" geht. Es geht darum, endlich die Schule des 21. Jahrhunderts zu bauen.

Zweitens: Die Schulen sollen nicht so tun, als seien sie jetzt mit einem Mal völlig überfordert. Im Grunde hat sich gar nicht so viel geändert im Vergleich zu den Vorjahren. Die Geflüchteten sind in ihren Klassen eine kleine Minderheit, und alle Probleme, die sie haben, gab es bislang auch schon – wenn auch zahlenmäßig nicht ganz so massiv. Also: Anstatt erst darauf zu warten, dass die Politik liefert, sollten und müssen die Schulen jetzt in Vorleistung gehen. Und die meisten tun es ja auch längst.

Drittens: Auch wenn die Geflüchteten insgesamt untergehen in der immer noch großen Zahl der Schüler hierzulande, sie konzentrieren sich auf Schulen in bestimmen Stadtteilen, und noch dazu überdurchschnittlich auf bestimmte Schultypen. Meine Kollegin Lena Greiner schreibt dazu bei Spiegel Online: "Die Gymnasiasten in den gut situierten Stadtteilen bleiben zumeist unter sich, die Schulen in den Problemvierteln bekommen durch die neuen Schüler noch mehr Aufgaben zugeteilt, als sie ohnehin schon zu bewältigen haben." Womit wir wieder bei Ludger Wößmann angekommen wären. Wie sagte er doch im Interview mit mir: Die Politik müsse eine Ghettoisierung vermeiden und die Asylbewerber gleichmäßig auf die Kommunen verteilen.

Was sie möglicherweise mit dem gerade verkündeten Integrationsgesetz tun wird, soll es doch eine Wohnsitzvorschrift für anerkannte Flüchtlinge geben, solange sie auf Sozialleistungen angewiesen sind. Wenn die Verantwortlichen in Bund und Ländern jetzt noch im Fördern genauso konsequent wären wie im Fordern, dann kämen wir echt voran. Die gute Nachricht an die Finanzminister in den Ländern: Das Geld ist da, ihr müsst nicht immer nur auf den Bund warten. Ihr müsst den Schulen nur das wiedergeben, was Ihr Ihnen in den letzten zwei, drei Jahren weggenommen habt.

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