· 

Wer auf "die Zuwendungsgeber" schielt, wird "die Gesellschaft" nicht erreichen

Alle reden vom "March for Science", natürlich auch die Chefs der Wissenschaftsorganisationen. Doch die wichtigste Lektion müssen einige von ihnen noch lernen.

Screenshot von www.marchforscience.com
Screenshot von www.marchforscience.com

DIE WISSENSCHAFT MUSS sich stärker der Gesellschaft öffnen, tönt es in diesen Tagen allenthalben. Und es stimmt ja auch: Wenn die Gesellschaft zunehmend Misstrauen gegenüber der Wissenschaft empfindet, kann das nicht nur an der Gesellschaft liegen. Und die Hochschulrektoren und Präsidenten der großen Forschungsorganisation beeilen sich zu versichern: Haben wir doch längst kapiert. In Interviews rechnen sie dann vor, wie sich ihre Kommunikationsabteilungen vergrößert haben in den vergangenen Jahren, sie holen stolz die Hochglanzmagazine hervor und berichten beseelt von Science Slams und Bürgerworkshops. Das Problem, sagen die Chefs dann nicht mehr ganz so öffentlich, sei der immer noch beachtliche Anteil zumeist älterer Wissenschaftler, die sich einfach nicht aus ihrem Elfenbeinturm zerren ließen. 

 

Das Problem ist, dass die Rektoren und Präsidenten, die so argumentieren, komplett daneben liegen. Die Kommunikationsabteilungen sind enorm gewachsen, das stimmt. Doch ihr Potenzial, einen echten Ideenaustausch mit der Gesellschaft zu organisieren, bleibt größtenteils ungenutzt. Und das hat nichts mit den Kommunikationsabteilungen zu tun oder mit vermeintlich unkommunikativen Wissenschaftlern. Es liegt an den Chefs selbst. 

 

Um das zu verstehen, muss man sich die Finanzierungslogik unseres Wissenschaftssystems vor Augen halten. Griffig lässt es sich über vermeintlich zu hohe private Spenden und zu viele von Unternehmen bezahlte Forschungsprojekte diskutieren, die schnell als Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit interpretiert werden. Dabei gerät jedoch aus dem Blick, dass die Wissenschaftslenker die meiste Zeit auf eine andere Finanzquelle schielen: den Staat. In der Sprache öffentlich finanzierter Institutionen hat sich indes eine andere Bezeichnung eingebürgert. Der Staat, das sind "die Zuwendungsgeber". >>



>> Wobei man naturgemäß mehr an den monetären und weniger an den verbalen Zuwendungen interessiert ist. Und um sich erstere zu sichern, gilt für die Pressestellen und PR-Abteilungen der Wissenschaft ein gelegentlich unausgesprochenes, häufig aber sogar explizit formuliertes Grundgesetz: Die erste, die entscheidende Zielgruppe ihrer Arbeit ist nicht das, was so schwammig wie umfassend mit "allgemeiner Öffentlichkeit" umschrieben wird. Die erste Zielgruppe sind: die Zuwendungsgeber. In den Parlamenten. Vor allem aber in den Ministerien. Die gilt es zu überzeugen, dass das Steuergeld, das sie jedes Jahr überweisen, gut angelegtes Geld ist. Und zwar nicht irgendwo in der Wissenschaft. Sondern hier, in genau dieser und nur in dieser Wissenschaftseinrichtung. 

 

Erst wer sich diese Realität vor Augen hält, für den ergeben all die Artikel in den Wissenschaftsmagazinen und Jahresberichten dieser Universität und jenes Forschungsinstituts plötzlich einen Sinn, in denen komischerweise immer die Wissenschaftler aus dem eigenen Hause faszinierende Erkenntnisse erlangen. Der versteht, warum Pressestellen Mitteilungen versenden über irgendwelche komplizierten Fördermechanismen und deren wohltuende Wirkung, die kein Nicht-Experte "da draußen" auch nur in Ansätzen verstehen kann und die dementsprechend auch keine einzige Zeitung jemals aufnimmt. Und der wundert sich nicht mehr, warum es bei Youtube aufwändig gestaltete Werbespots von Wissenschaftsorganisationen gibt, deren Zuschauerzahl sich im dreistelligen Bereich bewegt.

 

Alles, damit die Chefs zu den Zuwendungsgebern gehen und sagen können: Guckt mal, was wir alles Tolles machen. Und das Ganze läuft dann als "Wissenstransfer" oder noch besser: als Öffnung der Wissenschaft hin zur Gesellschaft. Entsprechend können zum Beispiel die Chefs der fünf am Pakt für Forschung und Innovation beteiligten Wissenschaftsorganisationen (jede Jahr garantierte drei Prozent Budgetzuwachs) genau aufzählen, wie bravourös sie das Paktziel "Stärkung des Austauschs der Wissenschaft mit Wirtschaft und Gesellschaft" erfüllen. Sie schreiben es in ihre jährlichen Berichte zum Pakt-Fortschritt und schicken es an: die Zuwendungsgeber. Und kommunizieren derweil munter an der großen Mehrheit der Bürger vorbei. 

 

Strategisch ist das nachvollziehbar. Die erste Loyalität der Rektoren und Präsidenten muss gerade in Zeiten von Wissenschaftspakten und Exzellenzwettbewerben  der eigenen Institution gelten, erst die zweite gilt der Wissenschaft insgesamt. Ist damit eine ehrliche Öffnung hin zur Gesellschaft von vornherein ausgeschlossen?

 

Nicht unbedingt. Der wirklicher Austausch mit der Öffentlichkeit, der endgültige Auszug aus der großen Blase, beginnt, wenn zwei Grundregeln der Wissenschaft auch in ihrer Kommunikation beachtet werden. Erstens: Wissenschaft ist grenzenlos, das heißt: Sie macht auch an den Grenzen von Institutionen nicht Halt. Zweitens: Wissenschaft wird von Menschen gemacht. Sie ist dann faszinierend, wenn man von ihren Ideen und Entdeckungsgeschichten erzählt und nicht von Fördermechanismen und Strukturen, die sein müssen, die aber nur für Insider von Interesse sind. 

 

So egal es den meisten Wissenschaftlern ist und sein muss, in welcher Universität und Organisation sie forschen, solange sie forschen können, so egal ist es der Öffentlichkeit, welche Einrichtung hinter einem Forscher steht. Wer Begeisterung für Wissenschaft wecken möchte, muss also die Menschen, die forschen, mit denen ins Gespräch bringen, die sie finanzieren und im besten Fall von ihr profitieren. Nein, nicht mit den Zuwendungsgebern. Sondern mit den Bürgern. Und sie dann auch mitentscheiden lassen. Lektionen, die vor allem die Chefs an der Spitze der Organisationen lernen müssen. Um ihren Kommunikationsabteilungen dann die Freiheit zu lassen, die sie brauchen, um ihre Arbeit zu tun.

 

Möglicherweise ja mit einem überraschenden Ergebnis. Da auch die Politiker, die "Zuwendungsgeber", Menschen sind, werden auch sie sich von dieser anderen Form der Öffentlichkeitsarbeit viel stärker packen lassen als von einer mitunter mutlosen, phrasenhaften Eigen-PR. Was wiederum die Akzeptanz der Universitäten und Wissenschaftsorganisationen, also der Institutionen, in der Politik genau dadurch erhöht, dass sie das Anpreisen der eigenen Institution nein: nicht unterlassen. Aber auf ein Minimum beschränken.

 

Der March for Science diese Woche, zu dem selbstverständlich auch alle einflussreichen Rektoren und Präsidenten aufgerufen haben (bitte nicht verwechseln mit den Initiatoren!), ist ein hervorragender Anlass, die Wissenschaftslenker beim Wort zu nehmen: Steckt mehr Geld in institutionenübergreifende Aktionen! Ladet zu euren eigenen Veranstaltungen mehr Forscher anderer Organisationen ein! Lasst eure Forscher den Bürgern (wenn sie denn kommen) nicht so viele Vorträge halten, sondern setzt sie mit den Bürgern an einen Tisch. Habt nicht immer das letzte Wort, sondern lasst all das organisieren von euren Kommunikationsprofis, die sich, auch wenn ihr es manchmal kaum glaubt, besser mit dem Thema auskennen als ihr selbst. Das macht auch den Wissenschaftlern Spaß. Und der Rest ergibt sich dann von ganz allein. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 18
  • #1

    Markus Pössel (Dienstag, 18 April 2017 11:01)

    Hm. Die Ausführungen kann ich als sowohl in der Wissenschaft als auch in der Wissenschaftskommunikation tätiger Mensch nur bedingt teilen.

    Strategische Ausrichtung: Einerseits sicher auch Zuwendungsgeber; zumindest den Menschen nach, mit denen ich in der institutionellen Wissenschaftskommunikation gesprochen habe, ist eine recht verbreitete Haltung aber auch: Wir profitieren von dem allgemein noch recht wissenschaftsfreundlichen Klima in unserer Gesellschaft (bestimmte umstrittene Forschungsgebiete ausgenommen); das gilt es zu erhalten, und dafür ist direkte Kommunikation mit der, ja, allgemeinen Öffentlichkeit wichtig. Wenn man ehrlich ist: Diejenigen Referenten, denen man stolz eigene Videos etc. zeigen kann, sind nicht diejenigen, die später im großen Stil entscheiden, wie die Forschungsgelder z.B. zwischen Unis und den verschiedenen außeruniversitären Institutionen aufgeteilt werden. Und nein, jene Referenten sind auch nicht so dumm, dass sie nicht bei einem nur 141 Mal angeklickten, teuer produzierten Video die Augenbrauen lupfen würden.

    Zweitens fällt hier (wie leider so oft) weitgehend unter den Tisch, was an Wissenschaftskommunikation direkt von den Wissenschaftlern kommt, nicht von den Kommunikationsabteilungen. Da steht dann die Wissenschaft selbst im Vordergrund, siehe wie oben richtig bemerkt: den Wissenschaftlern ist in erster Linie wichtig, dass sie gute Gelegenheit zum forschen haben, erst in zweiter Linie in welcher Institution.

    Wissenschaftsmagazine der Institutionen, Unis etc.: Da geht es darum, die eigene Arbeit vorzustellen, richtig. Und das ist ein grundlegender Unterschied z.B. zum Wissenschaftsjournalismus. Ich glaube aber nicht, dass es viele Menschen gibt, für welche dieser Umstand vor Lektüre dieses Blogbeitrags keinen Sinn ergeben hat. Solche Magazine sind doch in der Regel recht offen damit, dass sie sagen: hier berichten wir über Forschung der MPG, der Helmholtzgesellschaft, Leibnizgemeinschaft usw.

    Interessant wäre mal zu sehen, welche Gattung das, was in der Forschung geschieht, realistischer abbildet – meine Vermutung: die Gesamtheit der institutionellen Magazine besser als die Massenmedien, die doch sehr darauf achten müssen, dass die Themen, über die berichtet sind, auch massentauglich sind. (In meinem Fach, der Astronomie, z.B. daran sichtbar, dass das Thema Exoplaneten absolut überrepräsentiert ist, andere für die Forschung wichtige Themen fast ganz fehlen.)

    Die Bürger "dann auch mitentscheiden lassen": Das ist gerade bei der Grundlagenforschung nicht so einfach. Bei der Auftragsforschung kann man sicher mitdiskutieren lassen: Welches Thema ist uns besonders wichtig? Energiewende? Gesundheit? Welche Themen im einzelnen? Und so weiter. Aber bei der Grundlagenforschung ist das (durchaus erfolgreiche) Rezept unserer Gesellschaft ja gerade, den Forschern nicht im Detail bei der Themenwahl hineinzureden, sondern Strukturen zu schaffen, in denen besonders vielversprechende Forscher gefördert werden und selbstgewählten Fragen nachgehen können. Da kann man sicher darüber reden, wie wir als Gesellschaft solche Strukturen gestalten und ob es da z.B. im Hinblick auf die Auswahl gerecht zu geht, bestimmte Gruppen unterrepräsentiert sind und so weiter.

    Aber mit "Bürger bei der Forschung mitreden lassen!" ist ja vermutlich, auch wenn es hier (und auch sonst recht oft) eher vage daherkommt, mehr gemeint. Da fände ich konkretere Vorstellungen für die Umsetzung interessant. Wie soll das im einzelnen funktionieren? Wie stellt man sicher, dass in Dialogformaten nicht immer der gleiche unrepräsentative Ausschnitt der Gesellschaft sitzt, während bestimmte Gruppen jedes Mal fehlen?

  • #2

    Franz Ossing (Dienstag, 18 April 2017 11:22)

    Klasse Kommentar. Zwei Präzisierungen wären m.E. sinnvoll: a) "Die Kommunikationsabteilungen sind enorm gewachsen, das stimmt." Das nehme ich auch an, würde das aber endlich gern mal quantifiziert sehen: was geht in Presseabteilung, was in Veranstaltungsmanagement, was in Marketing (wenn man das dazu rechnet)? b) Dass "die Öffentlichkeit" sich heute so stark bemerkbar machen kann (was ja begrüßenswert ist), liegt an den neuen, digitaltechnischen Möglichkeiten. Insofern schielt nicht nur die Institutsleitung, sondern auch die Politik nach diesem eigentlichen Zuwendungsgeber. Das ist die eigentliche Erfolgsgeschichte der Populisten.

  • #3

    Josef König (Dienstag, 18 April 2017 14:49)

    Lieber Jan-Martin,

    so sehr ich sonst Deine Ansichten schätze, bin in diesmal über Deinen Beitrag etwas verwundert. Das mag vielleicht daran liegen, dass Du in der Spitze von Helmholtz gearbeitet hast, während meine Erfahrungen aus der Leitung einer Kommunikationsabteilung einer Universität stammen - und ich glaube nicht, dass in den knapp vier Jahren, seitdem ich dort weg bin, sich so grundlegend alles verändert hat.

    Zunächst: Markus Possel stimme ich zu.

    Sodann: Das Gespräch mit dem "Zuwendungsgeber" führt nicht die Kommunikationsabteilung, sondern führen Rektoren/Kanzler und ähnliche Chargen oder die Wissenschaftler selbst und alle direkt (Neudeutsch: face to face!)- und sicher nicht mit irgendwelchen youtube-Videos oder Magazinen im Koffer. Es mag Kolleginnen und Kollegen geben, die vielleicht glauben, sie gestalteten die Wissenschaftspolitik ihrer Institution über die Kommunikation, dem ist aber meist nicht so ... und das ist bestimmt auch nicht der allgemeine Glaube in den Kommunikationsabteilungen, die allenfalls Unterstützer solcher Kommunikation sein können.

    Die vielen Magazine, Prospekte, Pressemitteilungen, Youtube-Videos, Twitter- und Facebookpostings, die organisierten Vorträge und Podiumsdiskussionen in den Innenstädten oder sonstigen für die Öffentlichkeit zugänglichen Orte dagegen, sind für die allgemeine Öffentlichkeit vorgesehen und auf sie gerichtet, manchmal mehr für Schüler, manchmal mehr für Senioren, für Journalisten oder schlicht für die Bürgerinnen und Bürger - und bestimmt nicht für die "Zuwendungsgeber", auch wenn sich manche darein verirren mögen und genauso herzlich willkommen sind.

    Schließlich zur Frage, inwieweit die Bürgerinnen und Bürger "mitentscheiden" sollen, was und wie geforscht wird. Da spricht nicht nur das Grundgesetz und die dort garantierte "Freiheit der Forschung" eine andere Sprache. Außerdem: Unsere parlamentarische Demokratie organisiert diesen Prozess anders, als dass hier Bürgerinnen und Bürger direkt mitentscheiden könnten darüber. Was heißt überhaupt dann "mitentscheiden"? Sollen sie plötzlich über "Zuwendungen" entscheiden, sollen sie allgemein abstimmen, ob z.B. ein S3-Labor gebaut und dort mit Viren experimentiert werden darf, ob weiterhin Milliarden ins Cern oder andere Großprojekte fließen sollen oder nicht, ob Tierversuche erlaubt werden sollen oder nicht? Da wären wir sehr bald auf dem Niveau von Pretzel und Co. Nein Danke!

    Es tut mir leid, Dir das hier schreiben zu müssen: Aber dieses ganze Gerede über "den Bürger über Forschung mitentscheiden lassen" ist für mich häufig leider nichts anderes als Populismus, nicht besser, als das, was an vielen politischen Orten derzeit abgesondert wird. Es gibt sicher Fälle, wo große Proteste etwas bewirken können, aber ich frage Dich: Wie sollen "Bürgerinnen und Bürger" darüber "mitentscheiden", ob z.B. weiter mit "CRISPR/CAS9" etc. geforscht werden darf oder nicht? Dabei will ich keineswegs civil science diskriminieren, bei der Bürgerinnen und Bürger Vögel beobachten und katalogisieren etc.

  • #4

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 18 April 2017 15:26)

    Lieber Josef, lieber Herr Pössel,

    schön, dass Du/dass Sie Schwung in die Debatte bringst/bringen. Besten Dank dafür! Ich freue mich auf weitere Beiträge und bleibe natürlich bei meiner Meinung. Dass es immer Ausnahmen gibt, ist ja klar, oder?

    Herzliche Grüße,
    Jan-Martin Wiarda

  • #5

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 18 April 2017 15:28)

    PS: Natürlich auch Dir herzlichen Dank, lieber Franz! Gerade für Deine angeregten Präzisierungen.

  • #6

    EDW (Dienstag, 18 April 2017 16:25)

    Lieber Herr Wiarda,
    vielen Dank für Ihren Eintrag.
    Sehen Sie jetzt hier die Sternstunde von dem was als Citizien Science bezeichnet wird? Wie "die Bürger" in die Forschungsförderlogik eingebunden werden (können), kann derzeit in den Niederlanden beobachtet werden. Ich frage mich in diesem Zusammenhang, ob eine solche Einbindung wirklich zweckdienlich ist oder einfach nur als neues Spielzeug der Wissenschaftspolitik fungiert. Durch Citizien Science verbessern sich ja nicht notwendigerweise die Rahmenbedingungen für Forscherinnen und Forscher. Bessere Rahmenbedingungen sind jedoch mE eines der notwendigsten Kriterien, um einen aktiven Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu ermöglichen.

    Viele Grüße, EDW

  • #7

    M.G. (Dienstag, 18 April 2017 16:26)

    Lieber Herr Wiarda,

    ''Ich ... bleibe natürlich bei meiner Meinung''.

    Warum denn das? Aus Trotz? Und wieso ist es 'natürlich', dass Sie bei Ihrer Meinung bleiben? Haben Sie Gegenargumente (die sie uns aber nicht mitteilen wollen)?

  • #8

    Th. Klein (Dienstag, 18 April 2017 17:56)

    Ich kann gut verstehen, wenn sich das Personal aus der Wissenschaftskommunikation von dem Beitrag getroffen fühlt. Doch es ist zugleich traurig, dass man sich so schnell auf Abwehr einstellt. Herr Wiarda schreibt, dass „Potenzial, einen echten Ideenaustausch mit der Gesellschaft zu organisieren, bleibt größtenteils ungenutzt.“ sowie „Menschen, die forschen, mit denen ins Gespräch bringen, die sie finanzieren und im besten Fall von ihr profitieren.“ Das ist doch grundsätzlich richtig und wird in der Tat vernachlässigt. Es gibt inzwischen genug Literatur aus der Innovationsforschung, die den Vorteil verdeutlicht, die Gesellschaft bspw. als spätere NutzerInnen, in den Innovationsprozess einzubinden (nicht Citizien Science!). Indem die Reaktionen und Meinungen der BürgerInnen berücksichtigt werden, entscheiden sie indirekt mit. Das ist nicht falsch, sondern dient dazu, dass Entwicklungen nicht isoliert entstehen und später zu Produkten führen, die keiner will oder nicht ihren Sinn und Zweck erfüllen.

  • #9

    Manfred Ronzheimer (Dienstag, 18 April 2017 20:14)

    Vor anderthalb Jahren, im Oktober 2015, gab es im Bundestag eine Anhörung zum Thema Wissenschaftskommunikation, an der auch JM Wiarda teilnahm. Er machte dort gute Vorschläge, speziell zur Verbesserung des Wisseschaftsjournalismus, der in seinem heutigen Text garnicht mehr vorkommt. Sie sind in meiner Zusammenfassung hier nachzulesen: http://www.innomonitor.de/index2.php?id=132&be=3863
    Das Traurige an dieser Reminiszenz - zu der auch der Auftrag des Koalitionsvertrages von 2013 gehört, man wolle "neue Formen der Wissenschaftskommunikation" entwickeln - ist, dass aus der Chance nichts gemacht wurde. Die Abgeordnete Daniela de Ridder ist später noch extra zu den Akademien gegangen, um sie inständig zu bitten, der Politik (und der Gesellschaft) bei der Entwicklung solcher Formate zu helfen - ich habe das in der taz beschrieben: http://www.taz.de/!5288535/ - aber die ausgestreckte Hand wurde nicht angefasst. Auch die Journalisten sind von ihrer Seite nicht aktiv geworden. Warum gibt es bis heute keine deutsche Ausgabe von "The Conversation"? Dieser ganze Bereich der Wissenschaftskommunikation ist in Deutschland wahnsinnig verkrustet und uninnovativ. Jetzt geht die Legislaturperiode zu Ende und eine große politische Chance, etwas Neues hinzustellen und zu erproben, ist nicht genutzt worden. Wobei die meisten - das kommt noch strafverschärfend hinzu - überhaupt nicht begriffen haben, dass sich eine Chance zur Veränderung bot. So bleibt es beim alten Stiefel, über den alle so gerne klagen.

  • #10

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 18 April 2017 20:31)

    Vielen Dank wiederum an alle für die engagierten Beiträge.

    Speziell in Richtung von M.G.: Vielleicht war das zu flapsig formuliert mit dem "Ich bleibe natürlich bei meiner Meinung". Was ich sagen wollte (und damit auch zum Stichwort Gegenargumente): Ich finde meine Argumente persönlich immer noch stichhaltig. Nur bin ich natürlich nicht der einzige mit guten Argumenten (wie die Diskussion zeigt). Weshalb ich mich sehr darüber freue!

  • #11

    Susann Morgner (Mittwoch, 19 April 2017 11:26)

    Ich als in der Wissenschaftkommunikatin (speziell Wissenschafts-PR) Tätige finde auch, dass das o. g. Potenzial noch nicht ausgeschöpft wird. Die Gründe dafür sind bekanntermaßen vielfältig. Und deshalb engagiere ich mich beim March for Science, in der Hoffnung, dass diese - sehr plakative - Form auch dafür als eine Art "Weckruf" betrachtet wird. In vielerlei Richtungen.Wir müssen reden - über wirklich relavante Fragen und mit allen, die dazu beizutragen haben.

  • #12

    Hermann Lamberty (Donnerstag, 20 April 2017 08:42)

    Lieber Herr Wiarda,

    Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass Wissenschaft Kommunikation viel stärker an Otto Normalverbraucher richten muss. Das geschieht aber meiner Ansicht nach zunehmend, zumindest in vielen Presse- und Kommunikationsabteilungen. Für die Presseaktivitäten unseres Hauses (NRW-Wissenschaftsministerium) habe ich z.B. die Devise ausgegeben, dass wir grundsätzlich zunächst an die allgemeine Öffentlichkeit adressieren (also allenfalls in zweiter Linie an Fachjournalisten, an Fachpublikum und erst ganz zuletzt an irgendwelche Kreise, für die ganz konkrete Förderprozedere und -strukturen relevant sind). Ich gehe davon aus, dass an anderen Stellen (wenn auch nicht an allen) ähnlich verfahren wird. Ich teile aber auch ausdrücklich die Einwände von Josef König: Wie soll der von Ihnen angesprochene Entscheidungsprozess mit Einbindung des Normalbürgers denn sinnvoll ablaufen...?

  • #13

    Eveline Lemke (Donnerstag, 20 April 2017 10:39)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,
    Ihr Beitrag ist bedenkenswert. Es ist gut, wenn Sie darauf Resonanz und Widerspruch erhalten, sonst kann sich nichts Neues herausbilden. Dieses Prinzip ist sowohl der Politik als auch der Wissenschaft eigen, das wissen Sie und Sie nutzen das. Aber Manfred Ronzheimer hat in seinem obigen Kommentar auch darauf hingewiesen, was bereits zur Modernisierung der Wissenschaftskommunikation versucht wurde und eben nicht auf Resonanz stieß. Ohne dies hier zu wiederholen, sondern das Argument aufnehmend: Deswegen ist doch der Reflex auf den March for Science so interessant: Bewegt sich die Wissenschaft aus Angst vor Despoten, die zunehmende Tendenz zum Nationalismus und Rückzug ins Separatistische weltweit? Wir wissen, dass Lernen immer eine emotionale Erfahrung braucht. Hoffen wir, dass der Schreck über die Einschränkung der Freiheit von Wissenschaft andernorts uns außer einem Flashlight auf der Straße eine wirklich nachhaltige Veränderung bringt. Es ist doch schön anzusehen, dass es offenbar Dinge gibt, welche die gesamte Wissenschaft bewegen und selbstverständlich muss es dabei um Selbstverständnisse wie die Wissenschaftsfreiheit gehen, sonst wäre so ein Schulterschluss nicht denkbar. Ansonsten sind Hochschulen, Wissenschaftseinrichtungen und Disziplinen ja auch Konkurrenten. Außerdem: Mittelgeber und Mittelverwender leben immer in einer Mangelverwaltung - egal um wie viel Geld es geht.

    Ein Ruf nach immer mehr (Geld, Forschungsmittel etc.) löst das oben beschriebene Problem nicht. Es ist eine Frage von Prioritäten und des Wohin. Es ist auch eine Frage, ob die Wissenschaft ihre eigene politische Wirksamkeit vergessen, sie ignorieren oder bewusst nicht ausspielen will... Es ist eine Frage, wer für was kämpft. Gibt es das GEMEINSAME in der Wissenschaft?

    Philosophisch betrachtet lässt sich ohnehin etwas anderes ausdrücken: Wer sich technologisch durchsetzt, ein Produkt auf die Straße bringt, der dominiert tatsächlich die Entwicklung - die Gesellschaft läuft dann nur noch hinterher. Das wollen Sie und das will ich nicht.

    Ein Ansatzpunkt ist deshalb die Technikfolgenabschätzung die gesellschaftlich und politisch viel zu unterbelichtet ist. Welche sozialen Auswirkungen hat z. B. die Digitalisierung. Eine Frage wäre z. B.: Was macht es mit unserer Gesellschaft? Dies ist die Stelle an der wissenschaftlich, gesellschaftsnah, kommunikationstechnisch und real eine Schnittstelle wäre, die es auszubilden gilt. Dass wir darüber reden müssen, zeigen viele wissenschaftliche und politische Podien. Aber die Struktur einer Verankerung eines effizienten Prozesses der Folgenabschätzung ist noch nicht erkennbar.

    Wer also ernsthaft in eine andere Art der Wissenschaftskommunikation kommen will, darf es nicht bei Marketingaktionen belassen. Das nimmt der Wissenschaft die Glaubwürdigkeit, da ergeht es ihr wie der Politik. Wer tatsächlich Veränderung will, muss dann auch an einen strukturelle anderen Prozess ran. Und wer das ernsthaft tun will, muss m. E. dafür sorgen, dass die einzelnen fachlichen Disziplinen nicht gegeneinander antreten, sondern der interdisziplinäre Diskurs gefördert wird. Wenn Wissenschaft sich schon einmal untereinander darüber aufklärt, was die jeweilige Disziplin da eigentlich gerade erforscht, entwickelt und letztendlich auf die Straße bringt, wo es die Gesellschaft verändert, wären wir mal einen Schritt weiter. An der KARLS machen wir genau das, auch wenn wir gewissermaßen ein Nischenphänomen sind. Aber das macht es für mich persönlich auch so spannend.

    Vielleicht haben Sie ja Lust, uns bei dieser Arbeit zu beobachten, zu begleiten und mit uns in den Diskurs zu kommen. Fühlen Sie sich eingeladen!
    Ihre Eveline Lemke

  • #14

    F .Ossing (Donnerstag, 20 April 2017 10:41)

    @ Lamberti und J.König: Die Fragestellung, wie man "die Bürger" einbindet, wird zu kurzsichtig beantwortet. Es handelt sich nicht um die Alternative, ob Ottilie Normalverbraucherin bei der Erforschung der Elemtarteilchenphysik oder "nur" bei Citizen Science eingebunden wird. Übersehen wird: "die Bürger" haben sich längst selbst eingebunden, indem sie wissenschaftsfeindliche Positionen auf dem Wahlzettel angekreuzt haben, in den USA, in der Türkei, in Ungarn... Hier liegt das Defizit sowohl der Wissenschaft als auch der Wissenschaftskommunikation. Der WissensTRANSFER aus der Forschung in die Gesellschaft hinein ist ja Normalzustand, aber die Bevölkerung (und auch beträchtliche Teile der Politik) wissen das gar nicht. Hier haben die Wissenschaftverwaltung und die WissenschaftsKOMMUNIKATION eine ziemliche Aufgabe. Die (nicht nur) politische Willensbildung läuft heute eben digital, das kann dann eben zu Überraschungen führen, nicht nur bei Wahlergebnissen. WissKomm 4.0 ist nötig, und wenn man schon so Eigenwerbung machen darf wie M. Ronzheimer oben, dann erlaube auch ich mir hier einen Link: Hüttl/Ossing über Wiss.Komm, -transfer und -journalismus: https://media.wix.com/ugd/7bac3c_f19510502a534013a04266fb630dc1ef.pdf

    Der beste Kommentar zur Bürgereinbindung in die Forschung ist der von Kant, der ja sowieso immer alles besser wusste:
    "Wissenschaft ist die einzige Pforte, die zur Weisheitslehre führt...: eine Wissenschaft, an deren subtiler Untersuchung das Publikum keinen Anteil, wohl aber an den Lehren zu nehmen hat, die ihm, nach einer solch Bearbeitung, allererst recht hell einleuchten können." (Kant, "Beschluss. Aus der Kritik der praktischen Vernunft").

  • #15

    Volker Meyer-Guckel (Donnerstag, 20 April 2017 11:47)

    Die gründliche Erforschung unserer Welt und die anschließende Einordnung der Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, ist die Aufgabe von Wissenschaft. So heißt es auf der Webseite des "March for Science", bei dem es darum geht, die Autorität der Wissenschaft in einer Welt von falschen Fakten und Erzählungen zu bewahren. Es ist nicht bekannt, ob die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert am March for Science teilnimmt. Fakt aber ist, dass Frau Kemfert in ihrem jüngsten Buch und einem Tagespiegel-Artikel drei Tage vor den Spaziergängen für die Wissenschaft sehr eindrucksvolle Einordnungen ihrer Erkenntnisse vornimmt, die in Sätzen münden wie: "Die erneuerbaren Energien und der Klimaschutz sorgen überall auf der Welt für Bildung und Wohlstand" oder: "Die Energiewende ist die wichtigste Antwort auf die in aller Welt schwelenden Konflikte, den Terror, die Angst und die Armut" (sic!). Das ist zu schön, um falsch zu sein. Und so ist ein der Wissenschaft zugeneigter Mensch ganz irritiert, wenn Tags darauf ein gut recherchiertes ZEIT-Dossier nachweist, dass die "Energiewende zur großen Umverteilung von unten nach oben" geraten ist.

    Merke: Wenn die Antwort der Wissenschaft auf ihre Skeptiker die Übernahme des Jargons und der utopistischen Topoi der Politik ist, dann werden Demonstrationen für die Wissenschaft schnell zu Ostermärschen, also Gesinnungsveranstaltungen. Hoffentlich fragen sich die Wissenschaftler auf ihren Kundgebungen für die Rettung der Wahrheit auch einmal, was sie selbst falsch machen.


    Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Der Stifterverband unterstützt den „March for Science“.

  • #16

    Eveline Lemke (Samstag, 22 April 2017 16:51)

    Lieber Herr Meyer-Guckel,
    das Politische an der Wissenschaft ist 1. schon die Frage, die wissenschaftlich gestellt wird und 2. die Perspektive, mit der die Antwort gesucht wird. 3. ist politisch, wer die Frage gestellt und 4. wer die Beantwortung bezahlt hat.

    Über wessen Freiheit reden wir? Definitionen von Forschungsfeldern sind immer politisch... Würde die Wissenschaft dies anerkennen, wäre es ein Schritt. Diese Erkenntnis hilft, Freiheit wie politische Wirkung zu entfalten!

    Und Schauen wir auf Innovationsprozesse in der Wissenschaft: Beginnt die Innovation einer wissenschaftlichen These im Weltbild oder endet sie dort?
    Gruß, Eveline Lemke

  • #17

    Josef König (Samstag, 22 April 2017 23:34)

    @ossing, Lieber Franz, bei aller Wertschätzung für Dich und Deine Ansichten, gilt dennoch meine Hochachtung Immanuel Kant. Und daher bitte ich Dich, seine Zitate nicht in einer Weise zu verkürzen, die sie fast ins Gegenteil verfälschen. Daher bringe ich an dieser Stelle das komplette Zitat:
    "Mit einem Worte: Wissenschaft (kritisch gesucht und methodisch eingeleitet) ist die enge Pforte, die zur Weisheitslehre führt, wenn unter dieser nicht bloß verstanden wird, was man tun, sondern was Lehrern zur Richtschnur dienen soll, um den Weg zur Weisheit, den jedermann gehen soll, gut und kenntlich zu bahnen, und andere vor Irrwegen zu sicheren; eine Wissenschaft, deren Aufbewahrerin jederzeit die Philosophie bleiben muß, an deren subtiler Untersuchung das Publikum keinen Anteil, wohl aber an den Lehren zu nehmen hat, die ihm, nach einer solchen Bearbeitung, allererst recht hell einleuchten können." Es geht darin um letztlich um die Aufgabe der Philosophie! Und das sagt nur, dass die Publikum keinen eigenen an dem Zustandekommen der Erkenntnisse dieser Wissenschaft hat, aber über die Lehre seinen Anteil bekommt. Soweit zu Kant.
    Worum es mir aber in meiner Kritik an Jan-Martin Wiarda ging, ist das ebenso sehr beliebte wie populistische Sprechen darüber, dass die Normalbürger "mitentscheiden" sollen. Und das bleibt für mich populistisch, solange nicht klipp und klar gesagt ist, was unter diesem "Mitentscheiden" gemeint ist und wie das geschehen soll?! Da hilft auch nicht die Nebulosität eines Schlagwortes wie "WissKom4.0". Wenn also Jan-Martin von "mitentscheiden" spricht und nicht sagt, wie das geschehen soll, also wer, wie, woran an welchen Entscheidungen mitwirken soll mit welcher Verantwortungsübernahme und Legitimation, bleibt das für mich ein populistisches Schlagwort, das die Gefahr heraufbeschwört, falls ernstgenommen, bewährte, demokratisch legitimierte Wege der politischen Entscheidungsfindung über Bewilligung von Förderanträgen und Geldern für wissenschaftliche Projekte einfach auszuhebeln.
    Davon unbenommen bleibe ich natürlich ein Verfechter für die Öffentlichkeit von Wissenschaft in bewährten wie erst noch zu bewährenden Formen - aber das müsste ich hier gar nicht betonen.

  • #18

    GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:03)

    1