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Rankings über alles?

Ein Blick hinter die Kulissen der Londoner Ranglisten-Industrie.

Nr. 1 im Times-Ranking: die Universität Oxford. Foto: Sidarth Bhatia.
Nr. 1 im Times-Ranking: die Universität Oxford. Foto: Sidarth Bhatia.

EINE HALBE STUNDE, sagt Nicki Horseman, die Frau hinter dem Ranking, zur Begrüßung. Das sei die Abmachung. Die nächsten 30 Minuten wandert ihr Blick beständig zu ihrer Uhr am Handgelenk, und wenn sie nicht anders kann, beantwortet sie auch mal eine Frage. Ansonsten nickt sie ungeduldig, während Chefredakteur John Gill von den "13 sorgsam ausgesuchten Indikatoren" redet, mit denen das "THE World University Ranking" "jeder Universität eine passgenaue Rückmeldung zu ihrem Leistungsprofil gibt". Nicki Horseman trägt den Titel "Lead Higher Education Data Analyst". Sie ist verantwortlich für das Team, das die Daten bei den 980 Universitäten in aller Welt einsammelt, die im THE-Ranking gelistet sind. Insgesamt sechs Leute sind mit der Erstellung der Statistiken beschäftigt - nicht nur für die eine Uni-Rangliste, sondern zusätzlich für acht Fächerrankings und für ein amerikanisches College-Ranking, das noch mal über 1000 Institutionen listet. Sechs Leute - den Rest erledigten Externe und Teilzeitkräfte. Kein Wunder, dass die promovierte Mathematikerin Horseman keine Zeit hat.

 

Nach dem ersten internationalen Uni-Vergleich des Times Higher Education 2004 ist die Hochschulwelt nicht mehr dieselbe. Seitdem verkünden auch Rektoren hierzulande, dass ihre Universität "die mit Abstand beste der kleineren Universitäten Deutschlands" sei (Mannheim) oder "jetzt zu den 200 weltbesten Universitäten" gehöre (Duisburg-Essen) oder aber, dass sie im QS-Fächerranking "in 14 von 30 bewerteten Fächern im Bundesvergleich einen Top-10-Platz erzielen konnte". Das letzte Zitat stammt von Hamburgs Universitätspräsident Dieter Lenzen, der noch vor wenigen Jahren zu Protokoll gegeben hatte, Rankings seien "Unfug", und seine Universität wolle sich fortan nicht mehr daran beteiligen. Auch viele von Lenzens Rektorenkollegen lästern über die Oberflächlichkeit der Ranglisten, um dann im Erfolgsfall die eigene Institution zu preisen. "Das ist schon so", sagt Bernd Huber, Präsident der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), die es 2014 als erste deutsche Uni bei THE unter die besten 30 geschafft hat und das mit einer Jubel-Pressemitteilung würdigte. "Man kann lange und zu Recht über die methodischen Schwächen dieser Listen philosophieren, am Ende muss man eingestehen, dass sie eine enorme Durchschlagskraft haben."

 

Ein Bürohaus nördlich der Themse: Horseman und Gill sitzen in einem fensterlosen Besprechungsraum, ausgestattet mit Leuchtstoffröhren und Resopalmöbeln, alle paar Sekunden knallt nebenan eine Tür ins Schloss. Nicht das Ambiente, das man mit dem Glanz weltweiter Spitzenforschung verbindet, und doch ist es die beste PR-Botschaft überhaupt: Wenn ihr glaubt, die Rankings machen uns reich, irrt ihr euch. Wahr ist, dass die erste THE-Rangliste erschien, als die Times ihre Tochter abstoßen wollte - womöglich, so behaupten Kritiker, um sie für die neuen Investoren aufzuhübschen. "Klar ist das hier ein Geschäft", sagt Gill, Mitte 30, weißes Hemd und schwarzes Jackett.

 

Der Journalismus, den THE bietet, kann sich sehen lassen. In den vergangenen Monaten hat Gill über den Reputationsverlust britischer Universitäten infolge des Brexits geschrieben, über die Verantwortung der Academia in antiaufklärerischen Zeiten oder über das Potential von Big Data für die künftige Betreuung von Studenten. Finanziert über Anzeigen auf der Ranking-Website, über Werbe-Profile, die Universitäten sich dort kaufen können, über den Handel mit Datenpaketen und, der wohl lukrativste Geschäftszweig, über sogenannte THE Summits. Alle paar Wochen veranstalten sie irgendwo eine Konferenz, einmal im Jahr laden sie zum "World Academic Summit", zuletzt an der Berkeley-Universität. Einer der Redner war LMU-Präsident Huber.

 

In einer abgelegenen Gegend im Norden Londons, zwischen Royal Free Hospital und dem U-Bahnhof Belsize Park: Hier hat Quacquarelly Symonds, dessen wichtiges Produkt ebenfalls "World University Rankings" heißt, seinen Sitz. Die neueste Ausgabe erschien vergangene Woche und wurde wie gewohnt auf der ganzen Welt vermarktet. Die Großraumbüros der "QS Intelligence Unit", die für die Ranglisten zuständig ist, reihen sich um einen viktorianischen Hinterhof. Ben Sowter ist hier der Abteilungsleiter, Typ Gymnasiallehrer mit verschmitztem Lachen, Pullover und schwarzumrandeter Designerbrille. Er berichtet, die Intelligence Unit umfasse "ungefähr 40 Leute", doch die meisten seien nicht nur mit dem Ranking beschäftigt, sondern vor allem mit Marketing und Beratung, so dass man etwa von zehn Vollzeitkräften sprechen könne - plus vier Aushilfen, wenn es wieder mal Zeit für die Datensammlung sei. Sowter hält das für viel, worüber man geteilter Meinung sein kann bei weltweit 900 Universitäten, die QS im Jahr rankt, dazu 42 nach Fächern sortierte Einzelrankings oder die Liste mit den 50 besten Studentenstädten. Das alles sei sehr aufwendig, sagen die Verantwortlichen. "Wir nutzen alle möglichen öffentlich zugänglichen Quellen, von den Statistikämtern über Organisationen wie den Deutschen Akademischen Austauschdienst bis hin zu den Uni-Websites." Daten, die direkt von Hochschulen kämen, seien indes nicht immer verlässlich - solange sie nicht jemand Unabhängiges überprüft habe. Das sei dann ihr Job, sagt Sowter.

 

Eine längliche Rede, die besagen soll: Bei uns könnt ihr euch auf die Qualität verlassen. Die Betonung liegt auf: bei uns. So geht das ständig. Anfangs haben die Leute von QS und THE nur nette Worte übereinander, doch nach ein paar Sätzen beginnt das Gemurmel. "Wir für unseren Teil wollen die ganze Wirklichkeit abbilden", sagt Sowter von QS dann, und John Gill von THE sagt: "Einfach Daten einzusammeln aus irgendwelchen Quellen, das halten wir für schwierig." >>


Vergangenes Jahr habe ich den damaligen Stanford-Präsidenten John Hennessy interviewt. Er sagte: "Natürlich sind Rankings etwas für Angeber." Und: Deutschlands Universitäten sollten aufhören, Yale, Harvard & Co hinterherzulaufen. "Das sind die falschen Vorbilder." -> DAS GESAMTE INTERVIEW IM WORTLAUT


>> Dabei muss man nicht allzu tief in die Methodologie einsteigen, um zu sehen: So groß sind die Unterschiede nicht. Sowohl THE als auch QS beziehen ihre Angaben zu Publikationsstärke und Zitationen mittlerweile über die Datenbanken des Großverlags Elsevier. Gemeinsam ist beiden auch die überragende Bedeutung der Reputationsumfrage: QS hat fürs aktuelle Ranking über 70 000 Wissenschaftler gefragt, welche Universitäten sie für die besten der Welt halten. THE spricht von "mehr als 20 000 Antworten", ein leichter Etikettenschwindel, denn THE kombiniert die jeweils aktuellen Befragungsergebnisse mit denen des Vorjahres. Doch Chefredakteur Gill bekräftigt, dass ihre Methode einzigartig gut sei. Man suche sich die Teilnehmer der Umfrage genau aus, "invitation only", nennt Gill das, als handle es sich bei dem Ranking um einen Londoner Gentlemenclub.

 

Diese Reputationsumfragen seien für ihn der kritischste Aspekt, sagt Gero Federkeil vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). "Die Rankings haben enormen Einfluss auf das internationale Ansehen der Universitäten. Gleichzeitig messen die Rankings selbst wieder dieses Ansehen." Federkeil spricht von einem "Zirkelschluss, der auch ein Weg ist, um sich den eigenen Erfolg zu sichern." Federkeil ist für "U-Multirank" zuständig, das die EU als nichtkommerzielle Ranking-Alternative initiiert hat. Statt vorher festgelegte Kriterien vorgesetzt zu bekommen, könne jeder Student selbst bestimmen, was ihm wichtig sei, sagt Federkeil. Bei QS schmunzeln sie darüber. "Haben Sie schon mal einen 17 Jahre alten Schulabgänger gesehen, der mit einer Matrix von 31 Indikatoren und den dazu gehörigen Gewichtungen umgehen kann?", fragt Ben Sowter.

 

Der Marketingerfolg von QS, THE und dem ähnlich aufgemachten Shanghai-Ranking gibt Sowter recht. Ihr Erfolg liegt in ihrer Einfachheit, auch wenn genau die das Problem ist. Der Darmstädter Eliteforscher Michael Hartmann sagt: "Die Universitäten haben sich auf die ausschlaggebenden Faktoren eingestellt. Wo immer es geht, gestalten sie die Wirklichkeit so um, dass die Ergebnisse besser aussehen." Andere Dimensionen akademischer Qualität drohten unter den Tisch zu fallen. Um ihre Performance zu verbessern, können die Universitäten übrigens wiederum die Dienste der Ranking-Macher in Anspruch nehmen: über teure Beratungsprojekte, in denen die Hochschulleitungen erklärt bekommen, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen.

 

Die Deutschen verfolgen eine andere Taktik. Als leitenden Mitarbeitern im Auswärtigen Amt schwante, welchen Einfluss die Rankings auf das Erscheinungsbild Deutschlands in der Welt entwickeln, boten sie den Unis ein Pilotprojekt an. "Verbesserung internationaler Rankingergebnisse deutscher Universitäten" hieß es, die Leitung übernahmen zwei Rektoren: Bernd Engler von der Uni Tübingen und Hans Müller-Steinhagen von der TU Dresden. Zwei Jahre lang arbeitete sich ein Mitarbeiter an den THE-Kriterien ab und fand heraus, dass viele Publikationen den beiden Universitäten gar nicht zugeordnet worden waren, weil ihre Namen in verschiedenen Versionen herumgeisterten. Außerdem, berichtet Engler, hätten sie alle wissenschaftlichen Mitarbeiter als Forscher gemeldet, auch diejenigen, die vorrangig in der Lehre eingesetzt wurden. Das Ergebnis war, dass die Zahl hoch und die Produktivität pro Forscher im Rankingvergleich sehr niedrig war. Im ersten Jahr des Pilotprojekts schoss Tübingen fast 100 Rangplätze nach oben, auf Platz 113. Noch ein Jahr darauf lag man auf Rang 78. Inzwischen hat das Außenministerium das nächste Projekt angestoßen, diesmal soll das QS-Ranking analysiert werden. Hier liegt die beste deutsche Universität, die TU München, derzeit erst auf Rang 64. "Rankings schärfen das Bewusstsein für Standards, und das ist gut so", sagt Bernd Engler. Er rate allerdings dazu, Rankings nicht überzubewerten "und schon gar nicht zu Entscheidungsfaktoren inneruniversitäter Mittelverteilung zu machen".

 

Nicht überbewerten? Ist nicht die Aufmerksamkeit an sich schon die größte Überbewertung? Eliteforscher Hartmann sagt, die Rankings hätten den Trend zur Ökonomisierung und "unsinniger Konkurrenz zwischen ganzen Universitäten um die öffentliche Aufmerksamkeit" befördert. "Sie haben den Zeitgeist nicht zu verantworten", sagt er. "Aber sie surfen virtuos darauf." Die Antwort der Rankingmacher ist von erstaunlicher Schlichtheit. "Wir sind da, und die Universitäten müssen sich darauf einrichten", sagt Nicki Horseman und schickt noch einen fast garstigen Satz hinterher: "Wir sind nicht verantwortlich für das, was die Universitäten mit unseren Ergebnissen anstellen."

 

Dieser Artikel ist gestern zuerst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Karlchen Mühsam (Donnerstag, 15 Juni 2017 22:40)

    Lieber Herr Wiarda, vielen Dank für den wunderbaren Artikel. Es fehlen eigentlich nur noch ein paar Ausführungen zu den Kosten.

  • #2

    GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:16)

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