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Macrons Reformvorschläge sind eine Riesenchance für Bildung und Forschung

Die Antwort Berlins auf die Initiative des französischen Präsidenten steht noch aus. Wie sie lauten könnte: ein Gastbeitrag von Stefan Kaufmann.

Emanuel Macron. www.kremlin.ru: "Emmanuel Macron (2017-05-29, cropped).jpg", CC BY 4.0

MIT SEINER REDE "Initiative für Europa" an der Pariser Sorbonne kurz nach der Bundestagswahl im September 2017 hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron eine rege Debatte über die Zukunft Europas angestoßen, die mittlerweile viele Mitgliedstaaten erreicht hat – in einer Zeit, da Europa nach dem angekündigten Austritt Großbritanniens an einem Scheideweg zu stehen scheint. Jüngste Äußerungen aus Polen geben weiteren Grund zur Besorgnis. 

 

Angesichts der noch andauernden Regierungsbildung in Deutschland steht eine Antwort der Bundesregierung auf Macrons Vorschläge aus. Das muss uns jedoch nicht daran hindern, Teilbereiche der Rede aus deutscher Sicht näher zu betrachten – und eine Antwort zu versuchen.

 

Einige der wichtigsten und auch visionärsten Vorschläge Macrons betreffen die Themen Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation:

 

1. Der Austausch von Schülern und Studierenden soll intensiviert werden, damit ab 2024 jeder junge Europäer mindestens sechs Monate in einem anderen europäischen Land verbracht hat und jeder Studierende bis 2024 zwei europäische Sprachen spricht. Bis 2024 soll jedenfalls die Hälfte des Jahrgangs sechs Monate im europäischen Ausland verbringen.

 

2. Bis 2024 sollen 20 europäische Universitäten entstehen, die einen europäischen Abschluss anbieten. Außerdem sollen universitäre Netzwerke geschaffen werden, um Auslandsstudien und die Teilnahme an einem mindestens zweisprachigen Unterricht zu ermöglichen.

 

3. An den Gymnasien soll ein Prozess der Harmonisierung beziehungsweise der gegenseitigen Anerkennung von Abschlüssen in der Sekundarstufe auf den Weg gebracht werden – nach dem Vorbild der Hochschulabschlüsse im Zuge des Bologna-Prozesses.

 

4. Europa soll sich mit einer Agentur für bahnbrechende Innovationen ausstatten, durch die neue oder noch unerforschte Forschungsbereiche wie die künstliche Intelligenz von den europäischen Mitgliedstaaten gemeinsam finanziert werden.

  

Wie könnte nun eine deutsche Antwort hierauf lauten?

 

Zunächst einmal sollten wir Macron dankbar sein, dass er eine Debatte über Europa angestoßen hat, die weit über die aktuellen Struktur- und Finanzdebatten hinausgeht und das Wesentliche Europas in den Mittelpunkt rückt: den Zusammenhalt der Menschen und die Zukunft Europas als Innovationsstandort. Eine Idee Europas, die sich rückbezieht auf die Wurzeln des europäischen Gedankens – ein Kontinent des Friedens und der Werte, der Chancen und des Miteinanders.

 

Einigkeit sollte darin bestehen, den Austausch junger Europäerinnen und Europäer noch sehr viel stärker als bisher zu fördern. Das Instrument dafür gibt es seit langem: das Erasmus-Programm. Wir sollten gemeinsam alles dafür tun, das Programm Erasmus+ und natürlich auch das entsprechende Nachfolgeprogramm weiter voranzutreiben. Allein im Zeitraum von 2014 bis 2020 sollen bis zu 275.000 Studierende, 150.000 Auszubildende und 130.000 junge Menschen in Begegnungsmaßnahmen aus Deutschland in den Genuss einer Förderung kommen; europaweit sind es rund vier Millionen. Das Programm ist in diesem Zeitraum schon mit immerhin 14,8 Milliarden Euro ausgestattet. Gemeinsam mit vielen Mitstreitern aus anderen Mitgliedstaaten und tatkräftiger Unterstützung auch aus dem Bundestag konnten die deutschen Akteure in Brüssel eine Kürzung der Gelder für den laufenden 7-Jahres-Zyklus verhindern.

 

Aber das reicht noch nicht. Zukünftig sollte noch mehr Geld für das Programm Erasmus zur Verfügung zu gestellt werden – eine substanzielle Erhöhung also. Diese Forderung hat auch die CDU-/CSU-Fraktion in einem vom Bundestag Anfang Juni 2017 beschlossenen Antrag "Für gute Bildung in Europa - Erfolgreiches Programm Erasmus+ weiterentwickeln" formuliert (BT-Drs. 18/11726).

 

Wichtig ist mir, dass der integrierte Ansatz des Erasmus-Programms beibehalten wird: Erasmus soll weiter ein Programm für alle Bereiche sein, nicht nur für Hochschule und Studium. Auch in der beruflichen Ausbildung, der Weiterbildung und in der Schule gilt es die Mobilität und den Austausch junger Menschen weiter zu fördern. Gerade im Bereich des Schüler- und vor allem Lehrlingsaustausches besteht noch viel Spielraum nach oben.

 

Sehr ambitioniert mutet die Idee Macrons an, dass jeder Studierende bereits bis 2024 wenigstens zwei europäische Sprachen sprechen soll – und zwar zusätzlich zur jeweiligen Muttersprache. Klar ist aber in jedem Fall: Ein stärkerer Austausch wird erfreulicherweise zwangsläufig dazu führen, dass faktisch zumindest eine zweite Sprache neben der Muttersprache selbstverständlich ist und gut beherrscht wird.

 

Die Bedeutung der Sprache für die Entwicklung einer europäischen Identität, aber auch für den Ausbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschafts- und Forschungslandschaft sollte man nicht unterschätzen. Und Sprache ist notwendig, damit sich Menschen auch intellektuell leichter näher kommen. Daher ist die Ausbildung, Förderung und Verbesserung von Fremdsprachenkompetenz – wie auch vom Europäischen Rat Mitte Dezember 2017 gefordert – dringend erforderlich und unterstützenswert.

 

Begrüßenswert ist zudem der Vorschlag Macrons zur Schaffung von 20 europäischen Universitäten, die europäische Abschlüsse anbieten – Abschlüsse also, die per se in ganz Europa anerkannt werden. An Universitäten, die den Geist Europas atmen. Universitäten, an denen tatsächlich Studierende aus vielen europäischen Staaten (und darüber hinaus) über Jahre hinweg gemeinsam studieren, und zwar mehr als nur ein Austauschsemester. Universitäten, an denen die Lehr- und Forschungstraditionen und die wissenschaftlichen Ansätze aus verschiedenen europäischen Ländern gelehrt und erforscht werden.

 

Wir sollten nun aber nicht daran gehen, neue Universitäten auf der "grünen Wiese“ zu planen. Wir sollten vielmehr bestehende Universitäten zu Leuchttürmen der europäischen Idee ausbauen und zu international sichtbaren Hochschulen machen, die an den Zielen Europas ausgerichtet sind. Als Vorbild könnte unter anderem die 1992 gegründete Viadrina in Frankfurt/Oder dienen. 

 

Ein dickes Brett sind sicherlich Macrons Vorschläge zur Harmonisierung und gegenseitigen Anerkennung von Abschlüssen in der Sekundarstufe. Hier wird sich auf absehbare Zeit kein Durchbruch erzielen lassen. Denn die Vergleichbarkeit der Abschlüsse ist nicht nur eine Aufgabe für Europa, sondern – auf Deutschland herunter gebrochen – eine der drängendsten Aufgaben der Länder auf Ebene der Kultusministerkonferenz (KMK). Der Vorschlag Macrons zeigt insoweit nochmals den Handlungsbedarf in Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedstaaten - bei diesem Thema auf.

 

Sehr interessant ist schließlich der Vorschlag Macrons für eine Agentur für bahnbrechende Innovationen. Hintergrund hierfür ist sicherlich die Erkenntnis, dass die großen Herausforderungen nur noch gemeinsam und mit viel finanziellem Aufwand gestemmt werden können. Das zeigen weltweite Großforschungsprojekte wie CERN, ITER, SKA oder ILC. Auch Raumfahrtprogramme und Weltrauminfrastrukturen wie die ISS erfordern starke Netzwerke und verlässliche Partnerschaften. Um international mithalten zu können – insbesondere mit China und den USA, aber auch Südostasien und Russland – bedarf es deshalb einer gemeinsamen Kraftanstrengung ganz Europas. Und diese muss klug abgestimmt und unterstützt werden. In diese Richtung ging auch die Idee von Forschungskommissar Carlos Moedas zu Beginn seiner Amtszeit für einen Europäischen Innovationsrat. Inzwischen ist es etwas stiller geworden um diese Idee. Dies macht sie aber nicht weniger richtig.

 

Fazit: Macrons Initiative bietet eine Riesenchance

 

Die ambitionierten Vorschläge des französischen Präsidenten mit dem Ziel, Europa in einer Welt mit vielen Herausforderungen stärker und zukunftsfest zu machen, sind aus deutscher Sicht ausdrücklich zu begrüßen. Ja, sie sind eine Riesenchance, der EU auch in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation neuen Schub zu geben – und zwar in einem Schulterschluss mit Frankreich.

 

Im Bildungsbereich muss dabei vor allem die Stärkung der Mobilität und des Austauschs junger Europäer über das Erasmus-Programm im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus sind verstärkt auch die Mobilität und der Austausch von Auszubildenden zu fördern. Sie hinkt bei der Programmrealität noch weit hinterher – und bietet doch so viele Chancen.

 

Stefan Kaufmann ist Obmann der CDU-/CSU-Fraktion im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages.

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