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Darüber werden wir reden – darüber sollten wir reden!

Bildungsrat, Deutsche Lehrgemeinschaft, Macrons Europa-Initiative: Das sollten drei der zentralen Bildungsthemen für 2018 sein, meint Ernst-Dieter Rossmann. Ein Gastkommentar.

DIESE AUFFORDERUNG DARF Mensch sich nicht entgehen lassen. Jan-Martin Wiarda gibt in seinem Jahresausblick im Blog profunde, umfassende und sehr plausible Prognosen dazu ab, worüber er 2018 am häufigsten berichten wird. Und er fragt nach weiteren bildungs- und wissenschaftspolitischen Themen, die in seinem Ausblick nicht enthalten sind und ebenfalls wichtig werden könnten. Hierzu drei Vorschläge.

 

1.  Mehr als ein Evergreen: Ein Deutscher Bildungsrat

 

Schon vergessen? Von 1966 bis 1975 gab es den Deutschen Bildungsrat. Gegründet von Bund und Ländern, um eine Bedarfs- und Entwicklungsplanung für das deutsche Bildungswesen zu entwerfen, machte seine aus 18 Experten bestehende Bildungskommission Strukturvorschläge, schätzte den Finanzrahmen ab und sprach Empfehlungen für langfristige Planungen aus. Für seine Arbeit bildete der Rat Ausschüsse und Unterausschüsse zu diversen Einzelthemen und holte rund 100 externe Gutachten ein. Begleitet wurde die Bildungskommission von einer „Regierungskommission“ mit Regierungsvertretern aus Bund und Länder und kommunalen Vertretern, die aber lediglich anzuhören waren. Im Streit zwischen Bund und Ländern um ungeklärte Kompetenzen wurde der Bildungsrat 1975 aufgelöst. 

 

Danach war von dem Gremium lange keine Rede mehr. Bis Bildungspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion die Idee eines Bildungsrates wieder aufgriffen, um ihrer Forderung nach einer Aufhebung des 2006 beschlossenen Kooperationsverbots Nachdruck zu verleihen und gleichzeitig die ebenfalls 2006 im Grundgesetz-Artikel 91 verankerten neuen Instrumente des Nationalen Bildungsberichts und der Bildungsforschung zu stärken. Besonders die langjährige Vorsitzende des Bildungsausschusses im Deutschen Bundestag Ulla Burchardt hat sich her engagiert. 2011 war die Idee dann auch wieder bei der Union angekommen: Zeile 751 des zentralen Antrages zur Bildungspolitik, der auf dem CDU-Bildungsparteitag im November 2011 beschlossen werden sollte, enthielt die Forderung nach einem Bildungsrat „analog zum Wissenschaftsrat“, dessen Aufgabe „wissenschaftliche Stellungnahmen und Empfehlungen zur langfristigen Entwicklung des Bildungssystems“ sein sollte. So wurde der Antrag auch beschlossen. Schon damals hatte sich speziell die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer für eine Neuauflage des Rates in die Bresche geworfen und diagnostiziert: „Die Menschen sind das Wirrwarr unterschiedlicher Systeme leid, sie wollen Vergleichbarkeit und Transparenz“, was bei allen Fortschritten und Anstrengungen in der Kultusministerkonferenz (KMK) eben „noch nicht optimal gelungen“ sei. Und weiter: „Wer den Föderalismus auf Dauer im Bildungsbereich erhalten will, muss endlich für eine vernünftige Zusammenarbeit sorgen.“ 

 

Wenn nun nach der erfolgreichen Aufhebung des Kooperationsverbots ein neuer Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen kommen soll, der mehr ist und sein muss als eine reine Finanzumschichtung vom Bund zu den Ländern, braucht es hierfür eine kompetente Beratungsstruktur. Diese würde die KMK nicht ersetzen, sondern ergänzen, denn die politische Verantwortung für die Schulen und Hochschulen läge selbstverständlich auch in Zukunft bei den Ländern und einer hoffentlich noch leistungsfähiger gemachten KMK (worauf Jan-Martin Wiarda zu Recht hinweist). Der Bund strebt keine eigene Bundes-Schulkompetenz und keine erweiterte Bundes-Hochschul-Kompetenz an, aber um gemeinsame Beratung, Planung, Verabredung, Finanzierung darf es in der Bildungsrepublik der Zukunft schon gehen.  Ein Bildungsrat wäre dabei der „missing link“ zwischen mehr Bildungsforschung und Bildungspolitik: die Hinwendung zur Evidenz, zur kontinuierlichen nationalen Bildungsberichterstattung zusätzlich zu einem dann hoffentlich klarer strukturierten Kooperationsrahmen für den Bund und die Länder. Deshalb der Wunsch für 2018: dass die Initiative für einen neuen Bildungsrat nicht einfach vom Tisch gewischt wird, sondern dass Bund und Länder die Idee gemeinsam zu einem Erfolg führen.

 

 

2. Gute Lehre an den Hochschulen braucht eine gute Institution für die Hochschulen: die Deutsche Lehrgemeinschaft

 

Was gute Bildungsberatung bedeutet und wie sie durch politisch-demokratische Entscheidungen zur Praxis werden kann, wird sich 2018 hoffentlich auch beim Großthema „Gute Lehre“ an den Hochschulen erweisen. Und zwar anhand der jüngsten Vorschläge des Wissenschaftsrates. Dieses nach allgemeinem Urteil wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland hat vergangenes Jahr ein Positionspapier zu „Strategien für die Hochschullehre“ vorgelegt, das es in sich hat. Sein Ausgangspunkt lautet: „Lehre und Forschung sind die traditionellen Kernaufgaben der Hochschulen. Ihre Einheit und Gleichwertigkeit werden gerne beschworen, schließlich bilden sie das Alleinstellungsmerkmal der Hochschulen. Die Studierenden nehmen die Hochschulen zunächst und vor allem als Ort der Lehre wahr.“ Der Wissenschaftsrat entmystifiziert damit den Blick auf die Hochschulen von heute in der Verantwortung für die Hochschulen von morgen.  

 

Dass die Wissenschafts- und Hochschulpolitik sich stärker der Verbesserung der Lehre zuwenden müssen, ist ein über die Jahre gewachsener Konsens. 2014 wurde dafür sogar das Grundgesetz dahingehend geändert, dass Bund und Länder bei der „Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusammenwirken“ können, und zwar dauerhaft und nicht nur in besonderen Programmen.  So prominent und explizit war die Lehre in keiner anderen Fassung des Grundgesetzes seit 1949 vertreten. In der Verfassung wurde eine Entwicklung nachgeholt, die sich in der politischen Praxis in vielen einzelnen Schritten vollzogen hatte: von der großen Bologna-Reform des Jahres 1999, die ja nicht zuletzt eine umfassende Studien- und Lehrreform angesichts der wachsenden Studierendenzahl in Europa sein sollte, über die Hochschulpakte I, II und III von 2005 bis 2020, um die Hochschulen in ihrer Ausstattung zu stärken, bis hin zum Zwei-Milliarden-Qualitätspakt Lehre für die Jahre 2011 bis 2020 und der Qualitätsoffensive Lehrerbildung 2015 bis 2023. 

 

Parallel entwickelte sich seit 2008 eine Kontroverse zwischen den damaligen Exponenten der Hochschulpolitik in den Ländern: dem baden-württembergischen Wissenschaftsminister Frankenberg (CDU), der die DFG zu einer Wissensgemeinschaft zur Förderung von Forschung und Lehre nach dem Vorbild der „National Science Foundation“ in den USA weiterentwickeln wollte, und dem Berliner Wissenschaftssenator Zöllner (SPD), der zur Verbesserung der Lehrqualität für einen „Exzellenzwettbewerb für die Lehre“ eintrat. Mit dem Qualitätspakt Lehre sollte sich die Zöllner-Linie bei der Bundesbildungsministerin Schavan durchsetzen, während die Idee der Lehrgemeinschaft erst einmal in den hochschulpolitischen Fundus wanderte und dort unter anderem vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, aber auch von einzelnen anderen Protagonisten hochgehalten wurde. 

 

Die Suche nach den effektiven Hebeln für eine nachhaltige Verbesserung der Lehre ging allerdings weiter. In seinem bereits erwähnten Positionspapier zu „Strategien für die Hochschullehre“ forderte der Wissenschaftsrat im April 2017 wieder die Einrichtung einer eigenständigen Organisation für die Lehre. Diese neue Organisation biete dem Bund und den Ländern „die Chance, sich auf Grundlage der Erfahrungen mit dem Qualitätspakt Lehre in gemeinsamer Verantwortung systematisch für die Förderung und Qualitätsentwicklung der Lehre einzusetzen. Ihr Mehrwert liegt auf der Systemebene…“ Konkrete Aufgaben sollen laut Wissenschaftsrat zum einen in der Vorhabenförderung liegen, womit die Entwicklung innovativer Lehrformate und neuer Methoden gemeint ist, außerdem der evidenzbasierte Transfer von guter Praxis und schließlich die Unterstützung fächerübergreifender Strukturen und einer hochschulischen Gesamtstrategie für die Lehre. Darüber hinaus hält der Wissenschaftsrat die systematische Vernetzung der Akteure für zentral. Ohne dass das Gremium den Begriff benutzt, lässt sich in seinen Vorschlägen unschwer die Blaupause für eine Deutsche Lehrgemeinschaft als entfristete und institutionelle Weiterentwicklung des zu Ende gehenden Qualitätspakts Lehre erkennen. 

 

Damit sich die Idee einer eigenständigen Organisation zur Förderung der Lehre jetzt nicht im Ungefähren eines Prüfauftrages verliert, braucht es einen klaren Zeitplan mit dem ausdrücklichen Ziel, 2020 zum Auslaufen des Qualitätspaktes Lehre unmittelbar anschlussfähig zu sein. Damit ist klar, dass diese Diskussionen jetzt, zum Jahresanfang 2018, mit Hochdruck angeschoben und noch dieses Jahr zum Abschluss gebracht werden müssen, damit 2019 sowohl die finanziellen wie auch die organisatorischen Voraussetzungen für die Folgejahre geschaffen werden können. 

 

 

3. Die Europäische Bildungsidee: Von Peter Glotz über Emmanuel Macron bis zu Jean-Claude Juncker 

 

„Die Bildung der Zukunft ist humanistisch, ökologisch und europäisch.“ Was Peter Glotz, dieser europäische Freigeist und sozialdemokratische Vordenker, noch im alten Jahrhundert postuliert hat, bekommt neue Aktualität. Die Garantie von Frieden und das Versprechen von gemeinsamen Wohlstand in Europa können nicht mehr für ausreichende Identifikation sorgen oder gar Begeisterung entfachen. Orban, Brexit und PiS sind Zeichen des drohenden Verfalls der europäischen Gemeinschaft mit ihrem Grundkonsens an Werten und Zielen. Umso wichtiger werden das Erleben und Verstehen von Europa und der Aufbau und die Aneignung einer europäischen Bildungsidee. 

 

Gerade fünf Monate im Amt, hat der französische Staatspräsident Macron mit seiner fundamentalen Europa-Rede an der Sorbonne-Universität versucht, eine neue tiefgreifende „Initiative für Europa“ zu entfalten, mit der er weitreichende Ideen zu einer europäischen Bildungspolitik verbindet. Er sieht dabei „Solidarität und Kultur“ als „Bindemittel“ für die Fundamente, auf die jene bauen müssen, die vorangehen wollen zu mehr Souveränität, Einheit und Demokratie in Europa. Die jungen Menschen müssen erlernen und erleben können, mit der Vielfalt und Einheit in Europa offen und selbstbewusst, eben souverän, umzugehen. Sie müssen wachsen in der inneren Haltung und Fähigkeit zur konstruktiven Aneignung von Europa und seiner Geschichte, Kultur und seiner „Idee des partnerschaftlichen Zusammenlebens“.  

 

Macrons erster großer Vorschlag: Jeder junge Mensch in Europa sollte bis 2024 mindestens zwei europäische Sprachen sprechen, und die Hälfte einer Altersgruppe sollte bis zu ihrem 25. Lebensjahr mindestens sechs Monate in einem anderen europäischen Land verbracht haben. Sein zweiter großer Vorschlag: Am Beispiel des Bologna-Prozesses für die Hochschulen fordert er einen Sorbonne-Prozess für die Schulen auf Ebene der Sekundarstufe mit gegenseitiger Anerkennung von Abschlüssen. Hierauf aufsetzen will Macron die Einrichtung eines Netzwerks europäischer Universitäten mit europäischen Abschlüssen. Ein Anfang soll gemacht werden mit der Errichtung mindestens 20 solcher Universitäten bis zum Jahre 2024. 

 

Mag das Echo auf Macrons Ideen in Deutschland bisher „schwach bis tonlos“ (Jürgen Habermas) geblieben sein, haben sie auf europäischer Ebene umso mehr Resonanz gefunden und Aktivität ausgelöst. Bildung und Kultur waren in den fünf Weißbüchern der Europäischen Kommission für den Zukunftsplan Europa 2025 noch weitgehend ausgespart. Umso umfassender waren dafür die Vorschläge, mit denen die EU-Kommission im Rahmen des Sozialgipfels in Göteborg am 17. November aufgewartet hat. Unter dem Leitmotiv der Stärkung von europäischer Identität durch Bildung und Kultur wurde eine Sammlung konkreter Vorschläge für einen europäischen Bildungsraumes 2025 vorgestellt, unter anderem die verstärkte Zusammenarbeit im Schulbereich (Lehrpläne, Lehrkräfteausbildung, digitale Bildung, Anerkennung von schulischen Abschlüssen) , das Sprachenlernen, die Stärkung der beruflichen Qualifizierung und das Lebenslange Lernen, die Einrichtung eines Netzes europäischer Universitäten und die Festlegung eines Basisniveaus für Investitionen in die Bildung von mindestens fünf Prozent des Bruttosozialprodukts. 

 

Wer die Rolle Europas in der Bildung und Kultur lediglich als ergänzend und unterstützend begreift und jegliche Harmonisierung ablehnt, muss diese sehr ambitionierte Agenda als gezielte Provokation erleben. Insofern liegt der Grund dafür, dass es von der deutschen Bundesregierung bislang keine differenzierte Stellungnahme gegeben hat, sicher nicht allein darin, dass die Regierung nur geschäftsführend im Amt ist. Der Bundesrat hat bereits massive Vorbehalte gegen jegliche Standardsetzungen, Benchmarking-Prozesse und Harmonisierungen geäußert. Über das besonders ausgeprägte föderative Selbstverständnis in Deutschland hinaus macht er grundsätzlich Front gegen das angeblich utilitaristische Bildungsverständnis der Kommission, als ob die Bestrebungen zur Stärkung der europäischen Identität nicht mit dem persönlichen Eigenwert von Bildung in Einklang zu bringen seien. 

 

Zu alldem muss es 2018 nicht nur eine klärende Debatte in Europa, sondern insbesondere auch im größten Land der EU, in Deutschland, geben. Schließlich hat die Kommission schon für den 25. Januar 2018 zum Bildungsgipfel als Auftakt für eine breite Debatte um einen Europäischen Bildungsraum eingeladen. Damit wird es höchste Zeit, dass wir auch in Deutschland solche europäischen Impulse nicht nur verdrängen oder abwehren, sondern die Diskussion konstruktiv eröffnen. 2018 muss das Jahr hierfür werden. 

 

Ernst Dieter Rossmann ist Sprecher für Bildung und Forschung der SPD-Fraktion im Bundestag.


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