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Erst Fakten sichten, dann empören!

Die Reaktionen führender Politiker auf die Stickoxid-Versuche am Aachener Uniklinikum schaden in ihrer Pauschalität der Wissenschaft als Ganzes.

So sah der Raum aus, in dem die Versuche stattfanden. Quelle: RWTH Aachen
So sah der Raum aus, in dem die Versuche stattfanden. Quelle: RWTH Aachen

SO VIEL DEMONSTRATIVE EMPÖRUNG war selten. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) äußerte sich "entsetzt", Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ über ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten, "diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen". Differenzierter positionierte sich ausgerechnet der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CDU). Sein Sprecher sagte, Schmidt habe kein Verständnis für Tests zum Schaden von Tieren und Menschen, die nicht der Wissenschaft dienten, "sondern ausschließlich PR-Zwecken". Diese Differenzierung ist in der Tat wichtig. Warum, dazu gleich mehr. 

 

Zunächst die Fakten. Die inzwischen aufgelöste, von VW, Daimler und BMW finanzierte "Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“ (EUGT) hat in den USA ein Experiment finanziert, bei der Affen gezielt Stickstoffdioxiden (NO²) ausgesetzt wurden. An der Uniklinik der RWTH Aachen gab die EUGT eine weitere Studie in Auftrag, bei der 25 menschliche Probanden dreimal zehn Minuten lang unterschiedliche NO²-Konzentrationen einatmen sollten. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Studien vom selben Auftraggeber. Das ist die zweite Differenzierung, die in der Debatte nicht untergehen sollte.   

 

Beginnen wir mit der ersten Differenzierung – der, die der geschäftsführende Verkehrsminister Schmidt vornimmt. So schlimm das Wort "Menschenversuche“ klingen mag: In der Wissenschaft, vor allem in der Gesundheits- und Pharmaforschung, gehören sie zum Standardrepertoire. Allerdings nicht nur dort. Auch in der Grundlagenforschung ist es üblich, die Wechselwirkung zwischen dem lebenden Organismus (ja, auch dem menschlichen) und äußeren Einflüssen per Versuchsanordnung zu untersuchen. Bevor ein Experiment genehmigt wird, entscheiden Ethikkommissionen darüber, ob der potenzielle Nutzen größer ist als das mögliche Risiko für die Probanden. Sprich: Geht es nur um Werbung, Marketing oder – allgemeiner – wirtschaftliche Interessen, darf in der Tat und zu Recht kein Mensch einer Gefahr ausgesetzt werden. Steckt ein ernsthaftes und ernstzunehmendes Forschungsinteresse dahinter, das sich zum Wohl der Gesellschaft auswirken könnte, sieht die Sache anders aus. 

 

Womit wir bei der zweiten Differenzierung wären. Mir ist es nicht möglich, die Umstände der im US-Bundesstaat New Mexico vorgenommenen Tierversuche zu beurteilen. Was berichtet wird, klingt haarsträubend. Insofern beziehen sich meine folgenden Ausführungen nur auf die Studie an der Aachener Uniklinik. Wichtigste Feststellung: Die uniklinikeigene Ethikkommision hat die Versuche genehmigt, so behauptet es zumindest die Klinikleitung, und es gibt keinen Grund, diese Angabe zu bezweifeln, ist dies doch, siehe oben, die normale Vorgehensweise. Auch scheinen in Aachen tatsächlich Fragen des Arbeitsschutzes, sprich: der Stickstoff-Belastung am Arbeitsplatz und deren Auswirkung auf Arbeitnehmer, im Vordergrund gestanden haben, wie die Studienmacher beteuern. Und die von den Probanden eingeatmete NO²-Konzentrationen haben offenbar allesamt unter dem in Deutschland geltenden Grenzwert gelegen.

 

War die bearbeitete Forschungsfrage relevant? Wohl auch das: 2010 hat die "Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) "in allgemeiner Form", wie die DFG betont, festgestellt, dass "zu einigen Aspekten der Wirkung von Stickstoffdioxid auf den Menschen bisher eine unzureichende Datengrundlage" vorliege. Auf das damit formulierte Forschungsinteresse beruft sich die Aachener Uniklinik. Allerdings betont die DFG in ihrer eigenen aktuellen Stellungnahme, ihre Senatskommission habe keine Aussagen dazu gemacht, wie die nicht vorliegenden Daten gewonnen sollten. "Insbesondere hat die Kommission hier keine von der Industrie geförderten humanen Studien angeregt."

 

Angesichts der Faktenlage stellt sich die Frage, ob etwa Angela Merkel oder ihr Sprecher Seibert wirklich in der Lage waren, die vorgenommenen Erwägungen der Aachener Ethikkommission in ein paar Minuten qualifiziert als daneben, unangemessen und verfehlt einzuschätzen. Womöglich lassen sich gute Gründe gegen die Studie finden. Ganz offenbar gab es aber auch so viele gute dafür, dass die Ethikkommission zu dem Gesamturteil kam, das Experiment zu erlauben. Insofern lautet die nächste Frage, ob wir es mit einem weiteren Fall vorauseilender Empörung durch Politiker angesichts der zu erwartenden gesellschaftlichen Reaktion zu tun haben. 

 

Auffällig ist jedenfalls, dass die öffentlich transportierte Entrüstung in der Wissenschaft geringer und, wenn überhaupt, wiederum differenzierter ausfällt. Hinter vorgehaltener Hand formulieren viele sogar ihr absolutes Unverständnis, wie hier gerade alles mit allem in einen Topf geworfen wird. Laut sagen wollen das jedoch die wenigsten, weil man Angst hat, unter die Räder des Debattenzugs zu geraten. 

 

Eine bemerkenswerte Ausnahme ist der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, der auf tagesschau.de nicht nur sagte, dass solche Expositionsversuche nicht "per se" fragwürdig seien und zudem "zuhauf" stattfänden. Er fügte hinzu: "Wir sind eigentlich auch froh, dass es so etwas gibt. Weil wir nur auf diese Art und Weise herausbekommen, ob etwas gefährlich ist. Es kommt immer darauf an, wie so etwas durchgeführt worden ist."

 

Damit ist nicht gesagt, dass die EUGT nicht trotzdem eine ziemlich lächerliche Veranstaltung gewesen sein mag. Es ist ebenfalls nicht gesagt, dass auch die Versuche in Aachen sich nicht am Ende als sinnlos, überflüssig und damit als Negativ-Beispiel eines industriell finanzierten Drittmittelprojekts herausstellen könnten. Viele "Menschenversuche" sind es indes nicht, und die Wissenschaft hat funktionierende Regelwerke und Instanzen für den Umgang mit ethischen Grenzfragen entwickelt. 

 

Mit ihrer zur Schau getragenen Empörung, die nicht wirklich auf einer umfassenden Kenntnis der Faktenlage beruhen kann, vergrößert die Politik das, was sie sonst so gern an jeder Stelle beklagt: die Kluft zwischen Gesellschaft und Wissenschaft. Anstatt sich mit ihren Stellungnahmen gegenseitig hochzujazzen, wäre es besser gewesen, einige Politiker hätten lieber mal nichts gesagt und abgewartet, bis Details bekannt werden. 

 

Dieser Artikel wurde am 31. Januar 2018 ergänzt und aktualisiert.

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Kommentare: 1
  • #1

    Karlchen Mühsam (Freitag, 02 Februar 2018 06:30)

    Die Empörung ist angesichts der Faktenlage widerwärtig.
    Man sollte das Forschungsprojekt aber schon zum Anlass nehmen, einmal genau hinzusehen, ob nicht der insbesondere von der Union forcierte Autonomisierungswahn solche Projekte fördert. Wie gut sind denn die wissenschaftseigenen Regelwerke? Ich kenne Beispiele zuhauf, wo Rektoren und Entscheidungsträger Regelungen über den Haufen geworfen haben, nur weil ein sehr renommierter Professor mit Abgang o.ä gedroht hat. Konkret: in NRW hat jede Uniklinik eine eigene Ethikkommission. Das schafft Abhängigkeiten!