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Warum ich die Exzellenzstrategie für falsch konzipiert halte

Solange der Erfolg im Wettbewerb vor allem vom getriebenen bürokratischen Aufwand abhängt, ist sein Ergebnis nicht mehr als ein verwackelter Schnappschuss der Unilandschaft. Ein Gastbeitrag von Ernst-Ludwig von Thadden.

Tom Thistlethwaite: "KTM - Exzellent" Bike Decal, CC BY-NC 2.0

MORGEN KOMMT IN den Universitäten, die sich in der Hauptrunde der "Exzellenzstrategie" um Exzellenzcluster bewerben durften, die über zweijährige Massenmobilisierung zu ihrem vorläufigen Ende. Bis 12 Uhr müssen sie ihre Anträge einreichen, und im Herbst erfahren sie dann, ob sie zu den glücklichen Gewinnern gehören, die die von ihnen erdachten Exzellenzvorhaben umsetzen dürfen. 

 

Für alle noch im Wettbewerb befindlichen Universitäten ist der 21. Februar ein Tag der Erleichterung, und ich wünsche ihnen Glück. Ich möchte den Tag aber zum Anlass für einige kritische Anmerkungen zu diesem Großprojekt der deutschen Wissenschaftspolitik nehmen. Als Rektor einer Universität, deren zwei Clustervorschläge bereits in der Vorrunde ausgeschieden sind, mag das einen Beigeschmack haben, aber wer meine Position der vergangenen Jahre kennt, wird mich zumindest nicht der Logik des Fuchses in der Fabel von den sauren Trauben verdächtigen. Im Gegenteil. Ich habe die Exzellenzstrategie in einigen wichtigen Punkten von Beginn an für verfehlt gehalten, habe dies aber in der gebotenen Abwägung immer nur sehr vorsichtig ausgedrückt. Der Ausgang der ersten Wettbewerbsrunde vom vergangenen Herbst hat meine ursprüngliche Einschätzung aber eher bestärkt.

 

Die von Dieter Imboden geleitete "Internationale Expertenkommission Exzellenzinitiative" (IEKE) hatte im Januar 2016 einen bemerkenswerten Bericht vorgelegt, der sowohl eine kritische Bestandsaufnahme der ersten beiden Exzellenzrunden bot, als auch einen Vorschlag für die kommende Runde skizzierte. 

Ernst-Ludwig von Thadden, 58, ist Professor für Volkswirtschaftslehre und seit Oktober 2012 Rektor der Universität Mannheim. Seine Amtszeit endet im September. Er strebt keine zweite Amtszeit an, um sich wieder der Forschung und Lehre widmen zu können.
Ernst-Ludwig von Thadden, 58, ist Professor für Volkswirtschaftslehre und seit Oktober 2012 Rektor der Universität Mannheim. Seine Amtszeit endet im September. Er strebt keine zweite Amtszeit an, um sich wieder der Forschung und Lehre widmen zu können.

Zwei der zentralen Feststellungen der IEKE lauteten erstens: Die horizontale Differenzierung und die universitäre Governance sind Grundprobleme deutscher Universitäten, die durch die Exzellenzinitiative nicht gelöst worden sind. Und zweitens: Akademische und universitäre Exzellenz sollten künftig nicht anhand von Plänen ("Schaufensterprojekten"), sondern mit Blick auf die bisherigen Leistungen ("past merit") bewertet werden.

 

Die Einschätzung der internationalen Experten wurde damals in vielen öffentlichen und privaten Diskussionsrunden weitgehend geteilt, auch ich fand und finde die Analyse der IEKE bemerkenswert und richtig. Leider hat die bald darauf von Bund und Ländern beschlossene neue "Exzellenzstrategie" die genannten Überlegungen in wichtigen Dimensionen nicht aufgegriffen. Dies betrifft insbesondere die Frage des "past merit". Die Exzellenzstrategie hat nicht nur den inhaltlichen Wettbewerb über die Cluster wieder mit Schaufensterprojekten organisiert, sondern auch die Belohnung für universitäre Strukturreformen an Erfolge im Clusterwettbewerb geknüpft.

 

Zwar trafen diese Kritikpunkte, wie von der IEKE betont, auch auf die ersten beiden Runden der Exzellenzinitiative zu, doch waren sie in jener Zeit vermutlich kaum zu vermeiden. Anfang der 2000er Jahre bedurfte die deutsche Universitätslandschaft eines klaren Wecksignals, und da viele für internationalen Erfolg notwendige Strukturen kaum existierten, waren Pläne und Strategien die vermutlich beste Grundlage für einen nationalen Wettbewerb. Mehr als zehn Jahre später hätte man aber den Mut haben müssen, das Erreichte zu bewerten und eine langfristige Förderung strukturell und nicht projektbezogen zu gewähren.

 

Solch eine Bewertung kann die Wissenschaft leisten. Als Wissenschaftler haben wir alle eine recht genaue Vorstellung davon, wer in unseren Disziplinen individuell Spitze ist, welche Forschungsprogramme überzeugen, welche Fakultäten führend und welche Arbeitsbedingungen besonders gut sind. Die Imboden-Kommission hatte sogar erwogen, ob man solche Einschätzungen möglicherweise anhand weniger öffentlich verfügbarer Parameter treffen kann. Selbst wenn man dies nicht für möglich hält, wäre eine international und interdisziplinär hervorragend besetzte Wissenschaftlergruppe wie das "Expertengremium" der Exzellenzstrategie gut in der Lage gewesen, solche Einschätzungen zu treffen, zumal wenn sie sich auf fachspezifische Gutachter und Untergremien stützen kann.

 

Stattdessen haben Bund und Länder wieder einen Wettbewerb für neue wissenschaftliche Großprojekte ausgerufen, die im Übrigen deutlich schwieriger zu bewerten und vergleichen sind als bereits Geleistetes. In diesem Wettbewerb konnten dann die seit 2005 erfolgreichen Cluster, die häufig über Jahre hinweg strukturbildend gewirkt haben, mit neuen Ideen gegen neue Clusteranträge antreten. 

 

Auch wenn dies auf den ersten Blick politisch attraktiv und irgendwie "fair" aussah, so ist dies im Sinne der oben skizzierten Kritik doch strukturpolitisch falsch. Von Freiburg bis Frankfurt, von Mannheim bis Mainz hat nicht, wie nach der Bekanntgabe der Vorauswahl der Clusteranträge am 29. September häufig zu lesen war, "die Wissenschaft gesprochen". Hier haben Wissenschaftler eine falsch gestellte Frage nicht sinnvoll beantworten können. Das Expertengremium der Exzellenzstrategie ist hierbei übrigens nicht zu tadeln. Nach allem, was ich weiß, hat dieses Gremium hervorragende Arbeit geleistet. Aber wenn ein Gremium gute Arbeit auf falscher Mission leistet, dann ist das Ergebnis dennoch unbefriedigend.

 

Ich will diese allgemeine Kritik an einem Beispiel verdeutlichen, das ich besonders gut kenne, nämlich dem meiner eigenen Universität. 

 

Ein paar Tage vor der Bekanntgabe der Ergebnisse im September 2017 war die Universität im Times Higher Education Ranking im Bereich "Economics and Social Sciences" wieder mit Abstand auf Platz 1 in Deutschland gelandet, europaweit mit Plätzen 4 (Econ) und 8 (Social Sciences). Insgesamt ist die Universität Mannheim mit 12 000 Studenten zwar klein, befindet sich aber seit 2016 im THE Ranking dennoch unter den zwölf besten Universitäten Deutschlands insgesamt (als einzige Universität ohne Medizin oder Naturwissenschaften). In ihrem Profilbereich belegt sie im Förderatlas der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Kategorie Sozial- und Verhaltenswissenschaften) den ersten Platz; sie hat allein in den Wirtschaftswissenschaften fünf ERC-Preisträger (mehr als jede andere deutsche Universität) und zwei Sonderforschungsbereiche, hat eine international renommierte Graduiertenschule in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften - und so weiter.

 

Der wissenschaftliche "past merit", den die Imboden-Kommission einforderte, scheint also ausreichend dokumentiert. Aber auch die erste der beiden oben zitierten Strukturfragen aus dem Kommissionsbericht ist die Universität Mannheim in den vergangenen zehn Jahren erfolgreich angegangen. Wenige Universitäten in Deutschland haben in dieser Zeit ihre Lehre und Forschung so klar fokussiert wie Mannheim in Bezug auf die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Dies geschah durch die Schließung mehrerer Fächer, den Ausbau der Kerndisziplinen, eine Umorientierung innerhalb anderer Fächer, die grundfinanzierte Etablierung der Graduiertenschule in den Kerndisziplinen, den Aufbau einer erfolgreichen Business School und viele andere Maßnahmen. Interessanterweise hat die Universität diesen Strukturwandel auch ohne die massive Finanzierung als Exzellenzuniversität bewältigt, die knappen Mittel haben Phantasie und Energie freigesetzt.

 

Die geneigte Leserin wird nun fragen, warum eine so glänzend aufgestellte Universität es denn nicht schafft, wenigstens zwei Clusteranträge zu präsentieren, die von den Gutachtern der Exzellenzstrategie für gut befunden werden. Eine mögliche Antwort könnte sein, dass es der Rektor nicht verstanden hat, seine Universität hinreichend zu mobilisieren. Ob dies zutrifft, müssen andere beantworten. Vor dem Hintergrund der erfolgreichen wissenschaftlichen Entwicklung der Universität in den vergangenen Jahren scheint mir indes eine andere Erklärung plausibler - nämlich die oben skizzierte prinzipielle Kritik am Verfahren.

 

Gute Wissenschaft braucht Zeit und harte Arbeit. Größere Forschungsprojekte verlangen weitgehende, lang andauernde Hingabe der beteiligten WissenschaftlerInnen. Veröffentlichungen in einer führenden Fachzeitschrift gelingen selten und brauchen häufig mehrere Jahre. Wer als WissenschaftlerIn diese Art von dicken Brettern bohrt, schafft Exzellenz, hat aber deshalb noch lange keine Zeit oder Lust, die Organisation dieses Bohrens zu seinem eigentlichen Lebensinhalt zu machen. Natürlich gibt es auch WissenschaftlerInnen, die dazu bereit sind, aber sie sind eher selten und stehen nicht immer zur Verfügung. 

 

Wenn eine nationale Wissenschaftsstrategie dennoch einen gewaltigen organisatorisch-bürokratischen Aufwand von führenden WissenschaftlerInnen abfordert und ihn so zu einer faktisch wichtigen Erfolgsvoraussetzung macht, dann läuft sie Gefahr, die Besten zu verlieren. Würde sie demgegenüber "past merit" evaluieren, bestünde dieses Risiko nicht.

 

In Mannheim haben wir all dies eindrucksvoll erlebt. Sehr viele der besten WissenschaftlerInnen meiner Universität (nach Zitationen, fachspezifisch gewichteten Veröffentlichungen, ERC-Preisen, internationalen Rufen, Herausgeberschaften und Ehrungen) haben trotz großen Aufwandes und vielfältiger Koordinationsbemühungen der Universitätsleitung aus jeweils persönlich guten Gründen ein Engagement in einem Exzellenz-Cluster abgelehnt. Sie alle hatten irgendwie Recht: Wie soll man einer Herausgeberin einer international führenden Zeitschrift (ein Vollzeitjob), dem Koordinator eines Sonderforschungsbereiches oder einer ERC-Preisträgerin mit drei kleinen Kindern nahelegen, dass sie mindestens zwei Jahre Arbeit in die Organisation einer wissenschaftlichen Großveranstaltung zum Wohle der Universität stecken sollen? Diese Leute sind bereits zum Wohl der Wissenschaft und der Universität voll beschäftigt. Wie mache ich jemandem die Organisation eines Exzellenzprojektes schmackhaft, der stattdessen einen Ruf an eine internationale Top-Universität bekommt, wo die Arbeitsbedingungen sogar im Vergleich zu Exzellenzclustern besser sind? 

 

An der Universität gilt im Kleinen, was die Exzellenzstrategie im Großen zum Problem macht: Wenn WissenschaftlerInnen gute Arbeit auf falscher Mission leisten, dann ist das Ergebnis häufig unbefriedigend. Anders als die Universitäten im Gesamtsystem Exzellenzstrategie können Professoren hierauf frei reagieren und machen dann häufig einfach nicht mit. Eine Universität funktioniert anders als eine Stadtverwaltung.

 

Das Ergebnis der Exzellenzstrategie, wie sie momentan aufgestellt ist, ist nicht die Enthüllung der Wahrheit über das wissenschaftliche Deutschland, es ist ein momentaner Schnappschuss mit viel Unschärfe. Aber anders als bei abgelehnten Sonderforschungsbereichen, wo ebenfalls ein gewisser Teil Zufall und menschlichen Ermessens im Spiel ist, kann das Scheitern in der Exzellenzstrategie kaum durch eine Adjustierung oder Schwerpunktverschiebung der beantragten Projekte aufgefangen werden. Der Schnappschuss der 2017 vorgestellten Projekte wird die deutsche Wissenschaftslandschaft lange prägen. Bei allen Schwierigkeiten, die schon der Bericht der internationalen Experten herausgearbeitet hat und die ich sofort konzediere: Nachhaltige Wissenschafts- und Universitätsentwicklung sieht anders aus.

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Kommentare: 5
  • #1

    Laubeiter (Dienstag, 20 Februar 2018 14:24)

    Magnifizienz, ich verstehe Ihren Unmut darüber, dass Ihre in VWL ohne Zweifel führende Universität in der Vorrunde des Wettbewerbs um institutionelle Förderung von Exzellenzuniversitäten ausgeschieden ist.
    Ihr Argument scheint mir, dass bei einer Vorrunde, die allein past merits bewertet hätte, nicht Mannheim, sondern andere hätten ausscheiden müssen. Ich möchte dagegen halten, dass Universität von "universitas" abstammt und dass Forderung nach "universitas" sich sehr gut verträgt mit dem Kriterium der aktuellen, dritten Runde der Exzellenzförderung, eine Universität müsse notwendigerweise in mindestens zwei EXCs ehrgeizige Forschungsziele entwickeln, um EXU Förderung zu erhalten. Mannheim kann stolz sein auf das, was es erreicht hat, und steht sicher in VWL allein an der Spitze der Forschung in Deutschland, aber sehen Sie als scheidender Präsident Mannheim eher im Kreise der Exzellenzuniversitäten als Bonn und Dresden, die eine ganze Hand voll Ideen zur Verbundforschung auf unterschiedlichen Gebieten entwickelt haben und jetzt EXU werden könnten? Ich würde die EXC-Vorrunde für das EXU-Verfahren mit den US-primaries vergleichen. Den EXC-Wettbewerbern wurde viel Kraft abverlangt, und im Zuge dieses Kraftaktes wurden Aspekte der Leistungsfähigkeit der EXU Wettbewerber erkennbar, nicht die der past merits, aber vielleicht doch ihrer Stärke in der Zukunft.

  • #2

    Scholar (Mittwoch, 21 Februar 2018 22:14)

    Mannheim ist einfach nicht exzellent PUNKT

    Die VWL in Mannheim ist vielleicht in Deutschland in der Top-Gruppe, international völlig irrelevant.

  • #3

    Mannheimer Studi (Donnerstag, 22 Februar 2018 09:56)

    So nachvollziehbar die Argumentation der nicht in einer Linie liegenden Anreize von jedem einzelnen Professor und der Fakultät/Universität als Ganze ist, so bleibt doch die Frage, wie andere Universitäten dieses Problem lösen. Zu berücksichtigen ist natürlich auch die vergleichsweise kleine Rolle die die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in der Ex-I spielten und wohl auch in der Ex-S spielen werden. Auch die schiere Größe der Universität scheint nicht unbedeutend zu sein.
    Dennoch gibt es Gegenbeispiele sehr erfolgreicher Fakultäten, die beides zu vereinen scheinen: International anerkannte Forschung und erfolgreiche Antragschreiberei im Heimatland (siehe Bonn). Möglich, dass in Mannheim der Eigennutz im Universitätsalltag zu groß und die Kooperation zu klein geschrieben wird.

  • #4

    gurx (Donnerstag, 22 Februar 2018 18:31)

    Ich habe selbst an unterschiedlichen Universitäten im In- und Ausland gearbeitet und noch viel mehr international besucht. Auch Mannheim kenne ich.

    Für mich erstaunlich ist, wie schlecht ausgestattet auch Exzellenzuniversitäten sind. Das ist für mich aber kein Finanzierungsproblem sondern eine Strukturfrage. Gebäude gehören nicht den Unis, Personal bezahlen die Länder strikt nach Tarifverträgen usw. Auch eine EXU hat deshalb oft marode Gebäude und schlecht finanziertes Personal.

    Sehen Sie sich mal andere Länder an. Manche zeigen vor, wie man es machen kann.

    Die Politik ist nicht nur gefordert, eine Exzellenzinitiative zu starten, sondern muss insgesamt die besten Voraussetzungen für Universitäten schaffen.

  • #5

    Zechlin (Freitag, 09 März 2018 11:57)

    Der Autor macht einen sehr wichtigen Unterschied: Gute Wissenschaft und gute Organsiation von Wissenschaft sind zwei paar verschiedene Schuhe. Wenn man das verwechselt, kommt es eben zu "guter Arbeit in falscher Mission". Diese Verwechslung ist aber weit verbreitet, z.B. auch in der Rechtsprechung zur Wissenschaftsfreiheit.