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Je billiger heißt nicht automatisch desto gerechter

Das Groko-Ziel, die Kitagebühren komplett abzuschaffen, ist zum jetzigen Zeitpunkt falsch. Das SPD-regierte München zeigt, dass es besser geht.

DAS VOTUM DER drei Wissenschaftler hätte nicht deutlicher ausfallen können. Eine totale Abschaffung der Kitagebühren laufe auf eine "Bezuschussung der bessergestellten Familien hinaus", sagte der Münchner Bildungsökonom Ludger Wößmann, die Soziologin Jutta Allmendinger meinte, wer kostenlose Kitas wolle, müsse den Leuten auch sagen, was das für die Qualität der frühkindlichen Bildung bedeute. Gebühren abhängig vom Einkommen seien besser. Und sogar der Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher, der die SPD im Bundestagswahlkampf beraten hatte, sagte: "Solange das Ideal von kostenloser Bildung zu Lasten der Qualität und der Chancengerechtigkeit geht, sollte man auf die Kostenfreiheit auch für die Bessergestellten verzichten."

 

Als die drei Forscher sich zum Gespräch trafen, stand die Bundestagswahl noch bevor. Und allen Expertenwarnungen zum Trotz landete schließlich folgendes Versprechen im Koalitionsvertrag von SPD und Union: "Entlastung von Eltern bei den Gebühren bis hin zur Gebührenfreiheit". Kein Wort von "einkommensabhängig", nichts vom Vorrang der Qualität vor dem Einstieg in die Kostenfreiheit. Stattdessen müssen sich die ebenfalls im Koalitionsvertrag genannte Ziel "Ausbau des Angebots und bei der Steigerung der Qualität" die Finanzierung mit der Gebührenabschaffung teilen, und was für eine Finanzierung: gerade mal 3,5 Milliarden Euro insgesamt bis zum Ende der Legislaturperiode. 

 

So sehr gerade viele Sozialdemokraten die Aktion Gebührenabschaffung als bedeutsamen Fortschritt hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit verkaufen wollen, in Wahrheit handelte es sich um das klassische Beispiel einer Subvention zugunsten derjenigen Familien, denen es ohnehin schon gut geht. Kann man ja machen. Doch sollte man es dann auch zugeben. Für Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) ist der Umgang mit dem Thema Kitagebühren sogar Ausdruck eines systematischen Fehlers, der sich durch den gesamten Koalitionsvertrag ziehe: "Schon die Politik der alten Großen Koalition war viel zu wenig ausgerichtet an jenen gesellschaftlichen Gruppen, die sie am nötigsten hätten."

 

Unterstützung erhält Allmendinger auch von Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Es sei ein "Irrglaube, dass viele Kinder deshalb nicht in die Kita gehen, weil den Eltern die Gebühren zu hoch sind", sagt Spieß der dpa. Und sie sagt es nicht aus dem hohlen Bauch heraus, sondern weil das DIW eine Studie erstellt hat, derzufolge bereits jetzt 98 Prozent der Fünfjährigen eine Kita besuchen und immerhin 91 Prozent der Dreijährigen. Die Höhe der Gebühren kann es also nicht sein.

 

Wie auch. Schon heute sind vielerorts die Kosten nach dem Einkommen gestaffelt, schon heute zahlen Niedrigverdiener in vielen Städten für ihre Kinder kaum noch nennenswerte Kitagebühren. Wenn auch längst nicht in allen, weshalb Spieß den bundesweiten "Flickenteppich" der unterschiedlichen Regelungen kritisiert. Wobei, und auch darauf weist die DIW-Forscherin hin, eine bundesweite Untersuchung, wer wo tatsächlich wieviel Kitagebühren zahlt, fehlt. Eine solche Übersicht wäre doch einmal etwas, womit sich die Politik verdient machen könnte. Erst recht, bevor sie die neue Bundesregierung ihre Pläne umsetzt.

 

So oder so lautet die entscheidende Frage also nicht, ob mehr Kinder die Kita besuchen, wenn die gar nichts mehr kostet. Richtig wäre zu fragen: Welche Betreuungs- und Bildungsqualität erwartet sie da, und wie wird die sich entwickeln, wenn die Politik mit den Kita-Milliarden jene entlastet, die sich die Gebühren ohnehin leisten können? Klar: In der idealen Welt wären kostenfreie Kitas für alle nicht nur schön, sondern Ausdruck von Gerechtigkeit. In dem Deutschland allerdings, in dem wir leben, ist es genau umgekehrt: Da sind – fair gestaffelte – Kitagebühren Voraussetzung für fair verteilte Bildungschancen. 

 

Zur entscheidenden Frage kommt nämlich eine gesicherte Erkenntnis: Je schlechter die Kitas personell und materiell ausgestattet sind, desto schlechter gelingt die Förderung gerade jener Kinder, die es besonders nötig haben, die keine Akademikereltern haben, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben.

 

Bleibt zu hoffen, dass die Mehrheit der Länder und Kommunen, die nicht ohnehin schon im Rahmen mittelstandsfreundlicher Alleingänge die Gebühren abgeschafft haben, dem Beispiel Münchens folgen werden. Die Isar-Metropole, so hat es Oberbürgermeister Dieter Reiter gerade angekündigt, will die (bislang schon nach Einkommen gestaffelten) Kitagebühren für alle Familien komplett abschaffen, die weniger als 40.000 Euro im Jahr verdienen. Eventuell ließe sich die Grenze sogar auf 50.000 Euro anheben. Der Stadtrat muss der Initiative noch zustimmen. OB Reiter, der Sozialdemokrat ist, zeigt, dass es zum Glück dann doch auch in der SPD viele gibt, die das mit der Ungerechtigkeit komplett kostenfreier Kitas kapiert haben. Deshalb habe die Münchner SPD auch ihren ursprünglichen Plan geändert, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Und prompt muss sich Reiter jetzt von der kommunalen CSU kritisieren lassen, weil er die Gebühren eben nicht für alle Einkommensgruppen abschaffen will.

 

Noch konsequenter, fairer (und billiger) wäre es, wenn die bayerische Landeshauptstadt einfach die bestehende Staffelung vervollkommnen würde, aber gut: Das Geld, was die Stadt auch so spart, weil es nicht zur plakativ-populären (und falschen) Totalabschaffung greift, kann die Stadt dann in die Ausstattung der Kitas stecken. Wößmann, Allmendinger und Fratzscher werden zumindest mit München zufrieden sein. 

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