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"Wir können nur dort etwas machen, wo die Not am größten ist"

Warum kämpfen Deutschlands Hochschulen mit einem 35-Milliarden-Sanierungsstau? Gabriele Willems ist Chefin über den NRW-Landesbetrieb, der die Gebäude eigentlich in Ordnung halten sollte. Sie sagt, woran die Modernisierung scheitert – und appelliert an die Politik. Ein Interview aus der Praxis.

Gabriele Willems. Foto: BLB NRW
Gabriele Willems. Foto: BLB NRW

Frau Willems, Sie sind Geschäftsführerin des Bau- und Liegenschaftsbetriebes (BLB) in Nordrhein-Westfalen. Dem BLB gehören fast alle staatlichen Hochschulbauten im Bundesland. Wenn also eine weiß, wie groß der aufgelaufene Sanierungsstau ist, dann doch wohl Sie, oder?

 

Für die Unikliniken kann ich nicht sprechen, für die sind wir nicht zuständig. Wenn ich aber durch die Hörsäle und Seminargebäude der Hochschulen gehe, und das tue ich regelmäßig, dann kann ich einen großen Modernisierungsbedarf bestätigen: Ich halte die Zahlen der Kultusministerkonferenz (KMK) nicht für unrealistisch. 

 

Die KMK geht von 35 Milliarden Euro bis 2025 aus

 

Wovon auf NRW mit seiner Hochschullandschaft ein nicht unerheblicher Anteil fällt – schätzungsweise 20 Prozent. Und die sehen Sie an allen Ecken und Enden. Wenn wir von diesem Defizit runterwollten, bräuchten wir für den Hochschulbau im Jahr mindestens eine Milliarde Euro, und das jedes Jahr. 

 

Und wieviel haben Sie?

 

Einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Der geht zu einem großen Teil in die Schadstoff- und sonstige Sanierungsmaßnahmen. Was wir stattdessen brauchen, sind weitreichende Entwicklungskonzepte mit umfassenden Modernisierungen und Neubauten. Derzeit können wir immer nur dort etwas machen, wo die Not am größten ist. Dass wir beim Hochschulbau überhaupt von Not sprechen, zeigt die Dimension des Problems, die weit über Fragen der Ästhetik und Standsicherheit hinausgeht. Eine vernünftige Bausubstanz ist für mich eine unabdingbare Bedingung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wissenschaft. 

 

Wieso aber sollten die Hochschulen besser wegkommen als andere öffentliche Gebäude? Den Sanierungsstau gibt es auch bei den Finanzämtern, bei der Polizei, bei den Gerichten und den Gefängnissen – für die Sie ebenfalls zuständig sind.

 

Ein Verwaltungsgebäude muss funktionstüchtig sein und die Arbeitsabläufe unterstützen. Die Hochschulen aber sind in einem ständigen dynamischen Wandel, was die Anforderungen betrifft, und müssen deswegen immer auf dem neuesten Stand sein. Bei einer Universität hängen auch Berufungen davon ab, welche Bedingungen sie den Wissenschaftlern bieten kann. Außerdem ist die Situation in den Hochschulen teilweise sogar noch schlimmer als anderswo. Das liegt daran, dass wir es an vielen Orten mit sogenannten ZPL-Bauten zu tun haben. Das waren Modulbauten mit den immer gleichen Grundrissen und mit aus heutiger Sicht minderwertigen Materialien, die beim ersten Studierendenboom in den 70er Jahren aus dem Boden gestampft wurden. Die sind jetzt in die Jahre gekommen, und zwar alle auf einmal. >>


Es bröckelt

Viele Hochschulen in Deutschland sind in einem desolaten Zustand, der Sanierungsstau geht in die Milliarden. Wieso geht nicht längst ein Aufschrei durch die Republik? Eine Spurensuche vor Ort. 


 >> An den Hochschulen sagen viele, der BLB sei nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. 

 

Sie sprechen das heiß diskutierte Thema der Bauherreneigenschaft an. Das häufig damit übersetzt wird, dass die Hochschulen selbst bauen wollen – ohne den BLB. Allerdings kann ich Ihnen sagen, dass es einzelne Hochschulen gibt, die das längst tun–  in gegenseitigem Einvernehmen mit dem BLB. Nämlich überall dort, wo es Sinn ergibt, weil personelle Ressourcen beim BLB fehlen, die Hochschule die Maßnahme aber dringend umsetzen muss. Aber wie gesagt: Es handelt sich um Einzelfälle. Besser wäre es, wenn man in einem geordneten Prozess die Entscheidung auslotet, wann welche Option die beste ist. 

 

Welche Optionen wären denn denkbar?

 

Alles von der kompletter Bauleistung durch den BLB über gemeinsame Projektstrukturen bis hin zum völlig eigenen Bauen durch die Hochschulen. Um die ganze Bandbreite möglicher Lösungen zu diskutieren, wurde eigens eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der neben den zuständigen Ministerien Vertreter der Hochschulen und der BLB sitzen. Wenn man dann den Hochschulen in der Arbeitsgruppe genau zuhört, merkt man: Eigentlich geht es ihnen nicht um die Bauherreneigenschaft, es geht ihnen um Qualität, Flexibilität, Schnelligkeit, Lösungsorientierung – und vor allem um eine ausreichende Finanzierung. 

 

Und weil die Landesregierung die nicht leistet, bietet sie den Hochschulen die Bauherreneigenschaft als Beruhigungspille an?

 

So hart würde ich das nicht formulieren, es findet schon eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema statt. Fest steht aber: Den immensen Modernisierungsbedarf bekommen Sie als Hochschule nicht beseitigt, indem sie pauschal selbst fürs Bauen zuständig sind. Das eben von mir skizzierte Optionsmodell bietet im Gegensatz dazu die große Chance, jetzt in eine konstruktive Diskussion einzusteigen und mal out of the box zu denken. Diese Themen sind jetzt anzupacken – sonst altern die Gebäude munter weiter, während wir über die Bauherreneigenschaft diskutieren.

 

Das müssen Sie ja sagen.

 

Dann sagen Sie mir doch mal, wo die Bauabteilungen der Hochschulen plötzlich all die nötigen Fachleute hernehmen wollen. Im Bau- und Immobilienmanagement haben wir nicht nur einen Nachfrageboom, sondern auch einen hohen Fachkräftemangel. Die Privatwirtschaft gewinnt den Kampf um die Fachkräfte, weil sie mehr zahlt. Die Tugenden des öffentlichen Dienstes punkten in der jetzigen Situation nicht mehr. Die Hochschulen haben in diesem Fall das gleiche Problem wie wir. Und selbst wenn sie das Personal bekämen: Wie wollen die Hochschulen dem Steuerzahler erklären, dass sie in ihren Bauabteilungen große Stäbe aufbauen, die sie auch dann weiterbeschäftigen müssen, wenn gerade keine großen Bauprojekte anstehen? Es ist ja auch nicht so, dass wir beim BLB am Status Quo kleben. Es gibt Hochschulen, in Bochum, in Siegen, mit denen haben wir uns gemeinsam geeignete Modelle überlegt. Doch da stellt sich plötzlich heraus, dass die Hochschulverwaltungen an denselben Dingen verzweifeln wie wir. 

 

Und welche sind das?

 

Wir haben im Augenblick eine Konjunkturlage, in der sich Baufirmen aus einer Vielzahl von Projekten die attraktivsten Investitionsobjekte aussuchen können. Sanierungsmaßnahmen gelten als eher unattraktiv: hohe Angebotskosten, hohe Risiken. Hinzu kommt: Projekte für die öffentliche Hand mögen eine große gesellschaftliche Bedeutung haben, aber für die Bauwirtschaft lohnen sie sich oft nicht. Nehmen Sie nur den immensen bürokratischen Aufwand der Vergabeverfahren: Viele öffentliche Ausschreibungen, die der Staat momentan macht, enden ohne Angebote von Baufirmen. Wenn Sie diese Probleme wirklich lösen möchten, ist die Frage der Bauherreneigenschaft erstmal sekundär. 

 

Viele Rektoren beschweren sich auch über das sogenannte Mieter-Vermieter-Modell. Vereinfacht gesagt, mieten sie die Hochschulbauten bei Ihnen und zahlen dafür auch eine Instandhaltungspauschale. Doch für das Geld, kritisieren sie, passiert nicht genug an den Gebäuden.

 

Wahr ist, dass ein Mieter-Vermieter-Modell in einem Flächenland wie NRW eine Herausforderung ist. Wir sind Eigentümer der Hochschulbauten, aber die Hochschulen sind für den Betrieb zuständig. Das ist nur in der Wissenschaft so, sonst nirgends. Um den Unterschied plakativ zu machen: Bei den Finanzämtern sind wir Eigentümer und Hausmeister, die Hochschulen aber haben ihre eigenen, die selbst kleinere Reparaturen ausführen. Wir als BLB müssen wiederum die allgemeine Instandhaltung machen. Wovor uns die Hausmeister der Hochschule aber erstmal Bescheid sagen müssen. Sie können sich vorstellen, dass es so ständig Ärger gibt, wer für was zuständig ist.

 

Wer denkt sich sowas eigentlich aus?

 

Wichtig ist, dass wir uns jetzt neu aufstellen, um den Anforderungen von heute gerecht zu werden, kundenorientierter als bisher. Hier sind wir gerade mitten im Prozess. Künftig wird es beim BLB Organisationseinheiten geben, die sich ganz auf eine Kundengruppe ausrichten – eine oder mehrere für die Hochschulen, für die Justiz, für den Finanzsektor und so weiter. Mittelfristig hätte ich gerne für jede Hochschule einen speziellen Mitarbeiter, der in der Wirtschaft die Jobbezeichnung "Key Account Manager" tragen würde. Der arbeitet für uns, würde aber in großen Hochschulen direkt in deren Verwaltung sitzen und als Botschafter in beide Richtungen fungieren. Kleinere Hochschulen würden dann in einem Bündel vom selben Mitarbeiter betreut. 

 

Das klingt alles so, als sähen Sie selbst, dass der Reformbedarf immens ist.

 

Klar sind die Hochschulen uns wichtig. Sie machen den größten Teil unseres Umsatzes aus, sie sind für uns systemrelevant, könnte man also sagen. Darum werde ich alles daransetzen, dass wir im Rahmen der knappen Mittel mehr rausholen als bisher. Soviel, wie nur irgendwie geht. Wenn wir uns jetzt nicht bewegen, bauen in Zukunft viele Hochschulen in Eigenregie, da bin ich mir sicher. Wirklich gedient wäre damit am Ende aber keinem, und der BLB wäre nicht mehr das, was er jetzt ist. 

 

Sie sagen, die Hochschulen zahlen genauso schlecht wie Sie. Steckt darin ein Eingeständnis, dass auch der BLB beim Mitbieten um die Fachleute den Kürzeren zieht? 

 

Die öffentliche Entlohnungsstruktur ist und bleibt ein riesiges Problem im Kampf um die Fachkräfte und Talente. Wir sind da im BLB in einem System gebunden, aus dem wir so einfach nicht raus können. 

 

Was wünschen Sie sich sonst noch von der Landesregierung?

 

Jetzt komme ich wieder zum Anfang zurück. Wir haben im Hochschulbau in Nordrhein-Westfalen gewachsene komplexe Finanzierungsstrukturen mit acht unterschiedlichen Geldtöpfen, acht voneinander abweichenden und nicht immer kompatiblen Finanzierungsarten. Allen gemeinsam ist, dass sie immer Programme auf Zeit sind. Und dass jedes der Programme einen Deckel hat, was dazu führt, dass diejenigen Hochschulen die größten Chancen auf Realisierung ihrer Bauprojekte haben, die uns als erstes einen vollständigen Antrag präsentieren können. Doch die ersten Anträge sind nicht zwangsläufig die wichtigsten. Wir müssen hin zu einer umfassenden Analyse des Gesamtportfolios einer Hochschule, in der bestehende und zukünftige Modernisierungsbedarfe bewertet werden – um sie dann, wenn wir einen Überblick haben, in der Gesamtschau aller Hochschulen zu priorisieren. Wir müssen also umfassend wissen, wo wir stehen – um dann eine qualifizierte Entscheidung treffen zu können, wo wir hin wollen, mit welchen Prioritäten. Und dann, in einem zweiten Schritt, schauen wir, wie wir das finanzieren. Das klingt jetzt vielleicht einfach und einleuchtend – aber es ist eine vollkommen andere Herangehensweise, als das einzelfall- und projektbezogene Bauen, in dem wir bislang feststecken. 

 

Was folgt daraus?

 

Wie sollen wir eine Immobilienstrategie entwickeln, die sich an den langfristigen strategischen Zielen der Hochschulen orientiert, wenn die Finanzstrategie der öffentlichen Haushalte so kurzfristig angelegt ist? Das ist nicht mehr zeitgemäß. Der BLB möchte weg von dieser Einzelfallbetrachtung und hin zu einer Gesamtportfoliostrategie. Dauerbudgets, die jedes Jahr ähnlich und damit planbar ausfallen, sind politisch langweiliger als Sonderprogramme, das weiß ich. Und teurer dazu. Aber ich appelliere dringend an die Landesregierung, sich trotzdem darauf einzulassen. Sonst kommen wir nie heraus aus dem Sanierungsstau. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Florian Bernstorff (Freitag, 04 Mai 2018 14:31)

    Spannendes Interview, vielen Dank! Auf Seiten der akademischen Selbstverwaltung ist man sich der teilweise offenbar aporetischen Strukturen, die Frau Willems als Rahmenbedingungen für den Hochschulbau beschreibt, in der Regel kaum bewusst.
    Erst in letzter Zeit wird mir immer deutlicher bewusst, wie sehr Forschung und Lehre und Hochschulbau aufeinander verwiesen sind. Nur ein Beispiel: Die technische Ausstattung, die für die Digitalisierung in Lehre und Forschung benötigt wird, stellt z.T. besondere Anforderungen auch an die Einbruchssicherheit der Hochschulbauten, die aber oft nicht dem nötigen Standard entspricht.

    Im Grunde müsste der Hochschulbau gleich in den Finanzierungsrahmen der Pakte integriert werden. Geld gäbe es dann für Studierende/innovative Lehre/etc. UND die dafür benötigte Bausubstanz, als weitere Säule des jeweiligen Paktes sozusagen.

    Viele Grüße!

    Florian Bernstorff