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Erst empören, dann verhandeln

Eine Woche nach Anja Karliczeks Bildungsrat-Vorschlag formieren sich die Lager, und die Knackpunkte der anstehenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern werden offensichtlich. Gut so.

Ausschnitt aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD
Ausschnitt aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD

ANJA KARLICZEK HATTE sicherlich mit Widerspruch gerechnet. Dass er so heftig ausfiel, dürfte allerdings selbst die CDU-Bundesbildungsministerin überrascht haben. Vergangene Woche hatte sie hier im Blog erstmals ausgeführt, wie sie sich den Nationalen Bildungsrat vorstellt, dessen Einrichtung Union und SPD im Koalitionsvertrag verabredet haben.

 

Karliczeks zwei wesentlichen Botschaften: Das neue Gremium soll erstens der "Blaupause" Wissenschaftsrat eng folgen und wie dieser aus zwei gleichberechtigten Kammern bestehen, einer Bildungs- und einer Verwaltungskommission. Und zweitens will der Bund in der Verwaltungskommission, so Karliczek, "gleichberechtigt seinen Beitrag" leisten. 

 

In einem kurz vor ihrem Blogbeitrag an die Kultusminister der Länder verschickten Brief machte die Bundesministerin konkreter, was das für sie bedeutet: Der Bund will genauso viele Stimmen (19, geführt von sieben Repräsentanten) wie Länder (16) und Kommunen (3) zusammen. In der Bildungskommission sollen weitere 38 stimmberechtigte Bildungsratsmitglieder sitzen, Wissenschaftler und sogenannte "Bildungspraktiker". Entscheidungen, so Karliczek, sollten beide Kammern nur gemeinsam treffen können. 

 

Alles in allem Vorstellungen, die nicht wirklich überraschen. Das Vorbild Wissenschaftsrat wird so schon im Groko-Vertrag formuliert, die von Karliczek vorgeschlagene Stimmenverteilung wiederum ist ihr erwartet forscher Aufschlag in Verhandlungen mit den Ländern, von denen die Bundesministerin weiß, wie hart sie werden. 

 

Doch seine Vorhersehbarkeit machte die Empörung in vielen Kultusministerien über Karliczeks Vorschlag nicht geringer. Als Wortführer der Länder erwies sich nicht der gegenwärtige KMK-Präsident Helmut Holter von der Linken, sondern der mit sieben Jahren im Amt mittlerweile dienstälteste Ressortchef, der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe. Der koordiniert zugleich die Politik der SPD-geführten Kultusministerien, und so versteht sich auch der Wortlaut seiner am Montag verbreiteten Pressemitteilung: Hier redet nicht nur Ties Rabe. Karliczeks Vorschlag sei "kein guter Auftakt für die wichtigen Gespräche zwischen den Ländern und der Bundesbildungsministerin über den Nationalen Bildungsrat" gewesen, kritisierte er. Viele Kultusminister bedauerten zudem, dass Karliczek ihre Eckpunkte zunächst "über das Internet verbreitet" habe, statt zuvor den Dialog mit den zuständigen Landesministern zu suchen. 

 

"Riesiges Gremium mit einer
Bürokratie von bis zu 100 Mitarbeitern"?

 

Inhaltlich stoßen sich Rabe und seine Kollegen daran, dass Karliczek offenbar plane, den Bildungsrat "zu einem riesigen Gremium mit einer Bürokratie von bis zu 100 Mitarbeitern" auszubauen. Das Ziel der Kultusminister sei aber "ein schlankes und handlungsfähiges Gremium“. 

 

Auf meine Nachfrage, wie Rabe auf die 100 Mitarbeiter komme, verweist der Senator auf den Wissenschaftsrat, dessen Geschäftsstelle ebenfalls zwischen 80 und 100 Mitarbeiter habe. Etwas Ähnliches schwebe offenbar auch der Bundesbildungsministerin vor. Zwar räumt Rabe ein, dass Karliczek eine derartige Aussage gar nicht explizit gemacht hat, aber: "Das ist der Eindruck, der sich bei uns einstellt, dass sie die Analogie zum Wissenschaftsrat auf die Spitze treiben möchte."

 

Der Bürokratie-Vorwurf dürfte Karliczek angesichts der gemeinsam von Union und SPD in den Groko-Vertrag geschriebenen Analogie etwas ratlos zurücklassen, doch sollte sie ihn erstnehmen. Unklar bleibt indes, wie genau sich die Länder eigentlich ihrerseits die Analogie zum Wissenschaftsrat vorstellen. Soll der Bildungsrat tatsächlich ähnlich viele oder sogar mehr Mitglieder als sein 61 Jahre altes Vorbild haben (letzterer hat 54, Karliczeks Vorschlag liefe sogar auf 64 heraus) , die aber im Gegensatz zum Wissenschaftsrat ohne nennenswerte Geschäftsstelle organisieren? Und wenn ja, wie soll das ablaufen – ohne dass der Bildungsrat gleichzeitig schon wieder an inhaltlicher Unabhängigkeit einbüßt? 

 

Schleswig-Holsteins CDU-Bildungsministerin Karin Prien begrüßte derweil den Vorstoß ihrer Parteikollegin. "Es ist hohe Zeit, gemeinsam Lösungsansätze für die großen bildungspolitischen Herausforderungen zu beraten", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Zu den Bürokratie-Sorgen ihrer Kollegen sagte Prien: Es sei nun wichtig, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. "Es geht jetzt darum, sachorientiert und gelassen Bund-Länder-Vereinbarungen zu erarbeiten, die der föderalistischen Kompetenzverteilung gerecht werden."

 

Streit um die Stimmenmehrheit

 

Bleibt der zweite Hauptkritikpunkt: die oben zitierte Stimmenverteilung. Hamburgs Senator Rabe hält auch hier dagegen. Offenbar, sagte er, wolle Karliczek im Bildungsrat die Mehrheiten so organisieren, "dass die Länder jederzeit überstimmt werden können."

 

Dass ein faktisches Stimmenübergewicht des Bundes für die Länder nicht infrage kommt, ist nachvollziehbar. 2017 tätigten sie laut Bildungsfinanzbericht des Statistischen Bundesamtes 86,7 Milliarden Euro und damit 71,3 Prozent aller Bildungsausgaben. Der Bund spendierte 8,1 Milliarden Euro (6,6 Prozent), die Kommunen 26,8 Milliarden Euro (22,1 Prozent). Auch wenn der Bund in den kommenden Jahren laut Groko-Vertrag zusätzliche Bildungsausgaben plant, zwei oder drei Milliarden zusätzlich pro Jahr werden die Größenverhältnisse nicht nachhaltig verändern. 

 

Rabe sagt: "Der Bund will weder dauerhaft Geld geben noch muss er wie die Landesregierungen für die Schulpolitik bei den Wählern den Kopf hinhalten. Trotzdem will er offenbar mit einer Schattenregierung am grünen Tisch und weitab von der Schulpraxis die Schulpolitik bestimmen. So geht es nicht." In jedem Fall würden die Länder auf einer Sperrminorität bestehen, um nicht am Ende von einer Übermacht aus Bund, Kommunen, Wissenschaftlern und Bildungspraktikern überstimmt zu werden.  

 

Bayerns Kultusminister Bernd Sibler (CSU), der die unionsgeführten Bildungsministerien vertritt, vermied zwar eine direkte Konfrontation mit Karliczek in der Frage der Stimmrechte, pochte aber auf die beherrschende Rolle der Länder in der Bildungspolitik. Sibler sagte direkt am Tag des Blogbeitrages, zwar sei Bildung von gesamtgesellschaftlichem Interesse, doch trügen die Länder die Verantwortung und würden dieser auch gerecht. "Die Zusammenarbeit mit Bund und Kommunen im Bildungsrat halte ich für sinnvoll. Natürlich hat die Bildungshoheit der Länder dabei weiterhin Bestand."

 

Die Bundespolitiker von Union und SPD klingen da – auch das kaum überraschend – anders. Siblers CSU-Parteikollege Albert Rupprecht, der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, unterstützte Karliczeks Vorschlag und verband sein Lob mit einer scharfen Ansage an mögliche Kritiker. Das Konzept der Bundesministerin sei "genau der richtige Ansatz." Wer jetzt bremse, habe "kein echtes Interesse an mehr Qualität in der Bildung".

 

Rupprechts SPD-Konterpart Oliver Kaczmarek gab ebenfalls gleich am Tag von Karliczeks Vorschlag eine Pressemitteilung heraus und forderte für das neue Gremium einen "Arbeitsmodus, der sicherstellt, dass die Arbeitsergebnisse des Nationalen Bildungsrats nicht ungehört verpuffen, sondern praktische Konsequenzen nach sich ziehen." Angesichts der Debatte um die Stimmenverteilung legt Kaczmarek jetzt nach und sagt, es sei wichtig zu klären, wie diese gestaltet werde und auch wer den Bildungsrat beauftragen könne, wie die Parlamente von Bund und Ländern in die Debatten und Empfehlungen einbezogen werden könnten "und vieles mehr. Aber wir dürfen uns nicht im organisatorischen Klein-Klein verlieren." 

 

Wie es jetzt weitergeht

 

Dass am Ende die Länder mehr Stimmen im Bildungsrat erhalten werden als der Bund, ist indes schon jetzt fast sicher. Denn natürlich kennt auch das BMBF die Bildungsstatistik. Auch die Bundesbildungsministerin weiß, dass die Länder extrem gute Argumente für extrem viele Stimmen auf ihrer Seite haben. Weswegen sie strategisch gar nicht anders konnte, als mit einer Maximalforderung in die Verhandlungen einzusteigen. 

 

Eine Strategie immerhin, die offenbar erfolgreich war. Liest man Rabes Pressemitteilung genau, so fordert der Senator keineswegs eine Stimmverteilung im Bildungsrat "entsprechend" zur politischen Verantwortung und zur finanziellen Beteiligung der Länder. Sondern die Stimmrechte sollten diese lediglich "berücksichtigen". Eine stilistisch feinzisilierte Form des Händereichens, formuliert von einem studierten Deutschlehrer.

 

Eine entscheidende Frage der nächsten Wochen wird also nicht lauten, ob der Bund weniger Stimmen bekommt, sondern wieviel weniger.

 

KMK-Präsident Helmut Holter reagierte übrigens erst einen Tag später als sein Kollege Rabe auf Karliczeks Vorschlag. Was sich auch daraus erklärte, dass Holter, während Rabe am Montag seine Pressemitteilung veröffentlichte, zum lange geplanten Gespräch mit der Bundesministerin zusammensaß. Als Holter am Dienstag im Deutschlandfunk zu Gast war, klang er denn auch gleich viel ausgleichender. Karliczek habe ihm noch einmal deutlich gemacht, dass es ihr um ein einheitliches Vorgehen des Bundes und der Länder in der Bildungspolitik gehe. "Frau Karliczek ist genauso wie mir klar, dass der Bund ohne die Länder die Aufgaben nicht packt, und die Länder ohne den Bund die Aufgaben nicht packen. Und das, was sie vergangene Woche vorgelegt hat, ist ihr Angebot an die Länder zur Ausgestaltung dieses Nationalen Bildungsrates. Das werden wir prüfen."

 

In Sachen Stimmenverteilung stärkte Holter seinem Kollegen Ties Rabe indes demonstrativ den Rücken. Auch er sehe die Gefahr, dass die Länder im Rat überstimmt werden könnten. "Man muss über die Stimmrechte und die Anteile der Stimmen in dem Nationalen Bildungsrat genauso verhandeln wie über Inhalte und Aufgaben."

 

Einig sind sich Bund und Länder übrigens, dass – so Karliczek in ihrem Blogbeitrag – der Bildungsrat "selbstverständlich kein Entscheidungsgremium ist – anders als die Kultusministerkonferenz". (Die Ironie der Beschreibung der KMK, deren Beschlüsse für ihre mangelnde Verbindlichkeit kritisiert werden, als "Entscheidungsgremium" lassen wir hier einmal unkommentiert. Die KMK befindet sich ja selbst mitten in einem lange überfälligen Reformprozess). Dennoch könnten die Empfehlungen des Bildungsrates, betont Karliczek, "wissenschaftlich fundiert und getragen von den Beteiligten, ... Wirkung durch ihre Überzeugungskraft entfalten". 

 

Am 15. Juni will die Bundesministerin beim Treffen der Landesminister in der KMK dabei sein. Bis dahin, sagte Holter, werde die KMK ihren eigenen Vorschlag erarbeiten. Es dürfte ein spannender Schlagabtausch werden. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Th. Klein (Dienstag, 15 Mai 2018 11:37)

    Zur Überstimmung: Wenn man sich schon an den Wissenschaftsrat anlehnt, sollte man auch dessen Modalitäten kennen und nicht abseitig argumentieren, wie die Länder derzeit. Meines Wissens können dort weder der Bund noch die Länder überstimmt werden, da eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Und dies ist in beiden Kommissionen notwendig, so dass sich der Bund auch keine Mehrheit mit der Wissenschaft zusammen organisieren kann. Wenn es so wie beim Wissenschaftsrat gestaltet, ist eine Stimmenverteilung 50:50 also gar kein Problem!