· 

Wir müssen die Debatte führen, ob wir wollen oder nicht

Wie verändert die Digitalisierung unsere Arbeitswelt? Was macht der drohende Jobverlust mit unserer Gesellschaft? Und wie integrieren wir künstliche Intelligenz in unser Bildungssystem? Ein Gastbeitrag von Denise Feldner.

Abbildung: pixabay
Abbildung: pixabay

EINE STUDIE DER Universität Oxford kam 2013 zu der Prognose, dass in den nächsten 20 Jahren 47 Prozent der Jobs in den USA durch digitale Technologien in Gefahr seien. Die Reaktionen darauf waren verhalten. Wenn Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) über die Folgen des Einsatzes digitaler Technologie spricht, fordert er seit kurzem ein Grundeinkommen als Antwort auf den drohenden Arbeitsplatzverlust.

 

Insgesamt bleiben die Vorhersagen wie auch die darauffolgenden Debatten meist nebulös. Welche Jobs sind in Gefahr? Werden es die Servicedienste sein, oder sind auch Professoren und Anwälte betroffen? Wir sollten offen über den bevorstehenden Wandel diskutieren, damit wir uns als Gesellschaft besonnen auf die digitale Welt einstellen können. Absolut vorrangig ist dabei, jene unersetzbaren Fähigkeiten zu definieren, die wir brauchen werden in einem Leben, das geprägt sein wird durch die Verschmelzung von Mensch und Maschine auf allen Ebenen unseres Miteinanders. Welche Fähigkeiten können das sein? 

 

An der Georgia Tech arbeitet seit 2016 eine gewisse ist Jill Watson. Sie beantwortet die Fragen der Studierenden zügig und effizient. Den Studenten kam diese Reaktionszeit zunächst seltsam vor. Nach ihrem Examen erfuhren sie, dass Jill ein Chatbot ist. Jill wird nicht alle Lehrassistenten ersetzen, aber ein Antwortsystem für MOOCs, die sogenannten Massive Open Online Courses, lässt sich mit ihr unterstützen. 

 

Kira ist nicht das Ende der Juristen, 

markiert aber den Wandel ihres Berufsbildes

 

Der Berufsalltag vieler Anwälte ist von der sprachlichen Analyse von Rechtstexten geprägt. Seit kurzem gibt es Kira. Kira zählt zu den künstlichen Intelligenzen, analysiert Texte und lernt. Sie erleichtert den Juristen die Arbeit und substituiert sie. Wir müssen uns daher genau anschauen, welche Jobs und Fähigkeiten künftig ein Verfallsdatum haben. Kira ist sicherlich nicht das Ende der Juristen, sie ist aber ein Beispiel für den grundlegenden Wandel eines Berufsbildes. Als eine der ersten Law Schools in den USA lehrt Yale daher Data Analytics. Der Kurs, der junge Juristen auf den Einsatz digitaler Technologie vorbereitet, trägt den Titel "AI, Robotics, and Law". Wer jetzt Jura studiert, sollte ihn buchen, um dem Verfallsdatum zu entkommen.

Denise Feldner. Foto: Jörg F. Klam
Denise Feldner. Foto: Jörg F. Klam

Es wird auch mehr kooperative Roboter wie Baxter geben. Baxter lächelt und kollaboriert am Arbeitsplatz mit seinen menschlichen Kollegen. Nimmt er ihnen den Job weg? Vermutlich. Aber es entstehen auch neue. Die Magic Leap One ist ein Beispiel. Setzt man die Virtual-Reality-Brille auf, erscheinen Bildschirmdaten wie auf dem Laptop und auf dem Handy. Sie werden auf die Innenseite der Brille projiziert und im Hintergrund scheint die reale Welt durch das Glas. Demnächst sollen die abgebildeten Gegenstände sogar greifbar werden. Diese digitale Welt muss entworfen und programmiert werden. Dazu werden Fachkräfte mit Design- und IT-Schwerpunkt benötigt.

 

Die neuen Technologien, digital oder nicht, werfen jedoch auch Fragen nach dem "Wie?" auf. Wie wenden wir sie an? Wollen wir zum Beispiel mittels der Genschere CRISPR-CAS Babies mit Mathe-Gen designen, damit sie für die Zukunft fit sind? Und wenn das möglich wäre, wird nicht irgendwer es ohnehin tun? Eine Debatte über das Menschenbild in der hybriden Welt ist unvermeidlich. Und dennoch versuchen wir genau das: ihr auszuweichen. Denn schon die Nachrichten von Facebooks Inhalts-Moderatoren, die in Manila täglich in 10-Stunden-Schichten nach einem nur Facebook bekannten Rhythmus das soziale Netzwerk putzen, sind verstörend. Diese Moderatoren löschen Inhalte per Mausklick. Sie konterkarieren damit unsere Vorstellung von einer Demokratie, in der es keine Zensur gibt.

 

MOOCS lehren, wie man Autos 

mit 3-D-Druckern herstellt 

 

Lassen Sie uns gemeinsam reisen. Gehen wir nach Afrika. Die Menschen dort sind weniger mobil und oft ohne Bildung. Unternehmen wie Coursera öffnen dort Millionen Menschen das Tor zur Bildung. Zum ersten Mal haben diese einen umfassenden Zugriff auf Wissen, und sie sind hoch motiviert, es sich anzueignen. Wer sichert dabei zukünftig die Qualität? Es gibt bereits MOOCs für das 3D-Drucken von Autos. Zertifiziert werden sie von renommierten Konzernen, und sie sind günstig. Einige der MOOCs bieten sogar eine Jobgarantie für jene, die sie als Beste abschließen. Was bedeutet: Klassische Uni-Abschlüsse und Berufsausbildungen verlieren an Bedeutung, und gleichzeitig werden mehr Menschen auf dieser Erde mobiler.

 

Und wer schreibt sich noch in diese Kurse ein? Vor allem sind es junge Menschen in den Entwicklungsländern. Als Coursera 2017 eine Finanzierungsrunde startete, waren sie das Ziel. Der Altersdurchschnitt der knapp 1,4 Milliarden Menschen in Indien lag 2015 bei 26,7. Von dort kommen dann bald unsere neuen Kollegen.

 

Unser traditionelles Schulsystem hingegen bereitet die junge Generation noch kaum auf das hybride Zeitalter vor. In die Lücke springen Stiftungen, NGOs und Privatpersonen. Sie entwickeln Coding Classes und Makerspaces. Makerspaces sind öffentliche Werkstätten, in denen die Teilnehmer eigene Produkte erschaffen. Dabei werden neue Technologien, wie zum Beispiel 3D-Drucker, angewendet. 

 

Aus all dem ergibt sich folgende Frage: Wie bestehen Menschen eine Ausbildung, deren Inhalte nicht mehr vorgedacht werden? Sie bestehen, indem die Bildung stärker personalisiert wird. Am Weizmann Institut in Rehovot arbeitet PeTeL. Das Kürzel steht für Personalized Teaching and Learning. Das System sammelt Daten über das, was die Studierenden im Lernraum wissen und was sie nicht wissen. PeTel ermöglicht individuelles Unterrichten.

 

Wir bekommen also neue Lern- und Arbeitsumgebungen sowie neue Kollegen. Diese Kollegen werden Roboter sein, aber auch Menschen mit neuen Fertigkeiten und Ausbildungswegen. Was bedeutet das für unsere Bildung?

Vor allem müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass wir künftig eine andere Mischung brauchen.  Die Elemente der klassischen universitären Bildung, aus formalen Bildungsgängen und aus Makerspaces, müssen wir zukünftig individuell gewichten. Dabei sollten wir an die drei Bildungstypen denken, den Homo sapiens (der Wissende), den Homo faber (der Schaffende) und den Homo ludens (der Spielende). Auf den letzten Typen wird es ankommen, auf das freie Denken, auf die Kreativität. Denn die Maschinen können vieles besser als wir. Sie arbeiten immer. Wir Menschen müssen schlafen und essen. Das, was unersetzbar ist, ist unsere Kreativität. 

 

Was macht Otto mit den 

zwei Millionen US-Truckern?

 

Auf dem Weg in die Zukunft müssen wir auch als Gemeinschaft denken: In den USA hat Uber kürzlich Otto gekauft, den fahrerlosen Truck. Was passiert jetzt mit den zwei Millionen US-Truckern? Hier zeichnet sich ein soziales Problem ab, wenn die Betroffenen keine Alternativen haben. 

 

Singapur hat in der Erwartung, dass Jobs ein Verfallsdatum haben, selbst mit dem Umbau des Finanzplatzes zum Fintech-System begonnen. Dies bedeutet, dass traditionelle Bankhäuser durch digitale Finanz-Innovationen effektiver gemacht werden. Es bedeutet aber auch, dass Fintech-Startups ganz neue Bankmodelle entwickeln. Zeitgleich wird dafür in die Startup-Szene, in die Restrukturierung der Banken und der Arbeitsplätze investiert.

 

Es ist heute zwingend nötig, dass Regierungen Ideen und die Instrumente dafür entwickeln, ihre Gesellschaften dabei zu unterstützen, den Wandel zu gestalten. Für die Bildung bieten sich Public Private Partnerships an, die die Gesellschaft dazu ertüchtigen, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Diese brächten neue Technologien direkt in die Lernräume, was zu sofortiger Anpassung der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten führt. Es ist wichtig, Aufklärung zu betreiben. Wir müssen darüber reden, denn viele wissen immer noch nicht, wie schnell sich die Technologien entwickeln.

 

Um dieses Wissen breit zu streuen und in die Organe zu tragen, die für unser Bildungssystem verantwortlich sind, sollte das Bundeskanzleramt dieses Kommunikationsziel prominent verfolgen. Daneben benötigen wir in allen Bildungsinstitutionen Diskussionen darüber, in welcher Zukunft wir leben wollen, wie wir diese gestalten.

 

Denise Feldner ist Cyber-Juristin und Technologieexpertin in Berlin.

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Klaus Diepold (Dienstag, 29 Mai 2018 09:30)

    Mich beschleicht zunehmend das Gefühl, dass es vergeblich ist, darauf zu hoffen und zu darauf zu warten, dass übergeordnete gesellschaftliche Einrichtungen und Organe (z.B. Regierungen, staatliche Ämter, etc.) in Richtung der im Beitrag beschrieben Situation aktiv werden und effektiv Lösungskonzepte entwicklen und umsetzen. Das betrifft die Bildung genauso wie die Fragen bzgl. der zukünftigen Entwicklung des Arbeitsmarktes. Zudem befürchte ich, dass eine evtl. doch stattfindende öffentliche Diskussion dazu geprägt sein wird von eigenartigen Ideologien und realitätsfernen Dogmen. So nehme ich das war, wenn es auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene um Themen wie Bildung und Innovation geht.

    Was resultiert daraus? Ich denke, jeder Bürger und jede Bürgerin wird sich am Ende des Tages selbst Gedanken machen müssen, welche Entscheidungen er/sie treffen muss, wenn es um Bildung und Berufswahl geht. Das wird dann ein evolutionärer Bottom-Up Prozess werden einschließlich der zu erwartenden Kollateralschäden.

    Vielleicht kann mir hier im Forum jemand mehr Optimismus injizieren?

  • #2

    Laubeiter (Dienstag, 05 Juni 2018 11:16)

    @Feldner und @Diepold
    OK, wenn die Universitäten Forschung und Lehre nicht an der veränderten Welt ausrichten, werden sie unwichtig.
    Aber wieso soll es jetzt von den Ministerien in Bund und Ländern abhängen, ob etwas Neues gemacht wird? Universitäten gibt es schon eine Weile, und sie haben in ihren Karrieren ganz gut gelernt, selbst zu überlegen, wohin für sie die Reise geht, jede auf ihre eigene Weise. Wegen Vorbildern: Coursera ist ein Anbieter von online Lehre, der als Modell für Forschungsuniversitäten nicht so taugt, denke ich.