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"Natürlich beschäftigt uns eine solche Nachricht"

Bei der Vorstellung der Studie "Wissenschaft weltoffen" kommentierten Forschungsministerin Karliczek und DAAD-Chefin Wintermantel auch den Angriff auf einen US-Professor mit israelischen Wurzeln in Bonn.

SIE ÄUSSERTEN SICH nur auf Nachfrage, dann aber deutlich. "Jeder, der in unser Land kommt, soll, nein muss sich von unseren Behörden geschützt fühlen können", sagt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei der Präsentation der Studie "Wissenschaft weltoffen". Und Margret Wintermantel, die Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) fügte hinzu: "Das ist ein ganz schlimmer Vorfall und für unsere Bemühungen ein Rückschlag."

 

Die "Bemühungen", von denen Wintermantel sprach, standen im Zentrum der Pressekonferenz in Karliczeks Ministerium am Montagabend. "Wissenschaft weltoffen" liefert als umfangreiche Datensammlung jedes Jahr eine Bestandsaufnahme, wie es um die Internationalisierung der deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen bestellt ist. Politik und Wissenschaft, das zeigen die auf mehr als 160 Seiten zusammengetragenen Zahlen und Tabellen, tun viel, um den internationalen Austausch von Wissenschaftlern und Studenten zu fördern.

 

Umso bitterer waren Meldungen vorm Wochenende, denen zufolge einem in Israel geborener Professor der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität auf offener Straße in Bonn zunächst unter Beschimpfungen und Prügeln die Jarmulke vom Kopf geschlagen wurde, um dann auch noch von der eintreffenden Polizei für den Angreifer gehalten und mehrfach ins Gesicht geschlagen zu werden. In Wirklichkeit war der mutmaßliche Täter ein 20 Jahre alter Deutscher palästinensischer Herkunft.

 

Die Polizei bestätigte den Vorfall, und die Bonner Polizeipräsidentin bat den Professor persönlich um Entschuldigung. Allerdings geht die Geschichte noch weiter: Yitzhak Melamed, der zu einem Gastvortrag an der Universität Bonn war, gab an, von den Polizisten bedroht worden zu sein. Sollte er sich über sie beschweren, wären sie gezwungen, ihn zu beschuldigen, sich seiner Festnahme widersetzt zu haben. Tatsächlich schrieb die Polizei in ihrer ersten Pressemitteilung weiter, laut Bericht der beteiligten Beamten sei Melamed auf ihre Zurufe hin nicht stehengeblieben und habe sich gewehrt. Am Montag teilte die Polizei dann laut Rheinischer Post mit, dass der Beamte, der den Philosophieprofessor geschlagen haben soll, versetzt worden sei. Außerdem liefen Ermittlungen, um den Vorfall aufzuklären. Der inzwischen abgereiste Wissenschaftler selbst meinte, dass die Polizeipräsidentin sich nur bei ihm entschuldigt habe, weil er "ein Professor und kein Underdog" sei. 

 

Ministerin Karliczek und DAAD-Präsidentin Wintermantel wollten sich bewusst nicht zu den Einzelheiten des Falles äußern, da diese noch unklar seien. "Aber natürlich beschäftigt uns eine solche Nachricht", sagte Wintermantel. 

 

Ansonsten verlief die Präsentation von "Wissenschaft weltoffen" eher undramatisch.  Zum zweiten Mal feierte eine Bundesforschungsministerin, dass die von der Politik für 2020 gesetzte Zielmarke von 350.000 internationalen Studenten (inklusive deutsche Schulabgänger mit ausländischem Pass) schon 2017 überschritten wurde. Anja Karliczek freute sich über diese Zahl ähnlich demonstrativ wie im Vorjahr bereits ihre Vorgängerin Johanna Wanka. Die größte Gruppe internationaler Studierenden stellen die Chinesen, stark wächst die Gruppe der indischen Studenten, was Wintermantel als besonders bemerkenswert hervorhob. 

 

Stand 2016 arbeiten 46.000 ausländische Wissenschaftler an Deutschlands Hochschulen, ein Zuwachs von sechs Prozent zum Vorjahr. Deutschland habe mittlerweile ein zahlenmäßig fast ausgeglichenes Verhältnis von Wissenschaftlern, die nach Deutschland kommen, und solchen, die Deutschland verlassen, sagte Monika Jungbauer-Gans vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das jedes Jahr die Studie erstellt. 

 

Konkret: Auf 51 ausreisende "international mobile Autoren wissenschaftlicher Publikationen" kamen 49 einreisende, wobei sich diese Statistik auf den Gesamtzeitraum 2006 bis 2016 bezieht.  Im vergangenen Jahr hatte das DZHW bei einer ähnlichen Berechnung 54 Ausreisende gegenüber 46 Einreisende  ermittelt, allerdings nur für das Jahr 2014. Ministerin Karliczek wollte denn auch lieber von einer "Brain Circulation" anstatt der alten Schlagwörter vom "Brain Drain" versus "Brain Gain" sprechen. Es gehe um Zusammenarbeit und internationale Vernetzung, sagte sie.

 

Apropos Brain Gain/Loss: Weniger berauschend ist immer noch die Zahl der ausländischen Professoren. Sie ist seit 2007 um rund 1000 auf gerade mal knapp 3200 im Jahr 2016 gestiegen, von denen noch dazu 621 aus Österreich und 299 aus der Schweiz stammen. Insgesamt liegt der Anteil der internationalen an allen Professoren bei unter sieben Prozent.

 

Ein ernstes Problem bleibt die hohe Abbrecherquote. 45 Prozent der ausländischen Bachelor- und 29 Prozent der Masterstudenten geben ihr Studium vorzeitig auf. Unter Studenten mit deutschem Pass liegen die entsprechenden Quoten nur bei 28 bzw. 19 Prozent. Allerdings betonte das DZHW, dass bei den internationalen Studenten auch jene als Abbrecher gezählt würden, die ihr Studium möglicherweise im Ausland fortsetzen. Die Datenlage sei an der Stelle zwangsläufig ungenau. Ein über vier Jahre laufendes Forschungsprojekt namens "Studienerfolg und Studienabbruch bei Bildungsausländern" befinde sich bereits in der Feldphase, betonte das BMBF.

 

Während immer mehr Studienanfänger aus dem Ausland kommen, stagniert die Zahl der Deutschen, die für ein ganzes Studium ins Ausland gehen, auf einem – laut DZHW "hohen" – Niveau von rund 138.000. Dafür steigt die Zahl der Deutschen, die für ein Erasmus-Semester zeitweise ins Ausland gehen, seit Jahren stabil weiter auf zuletzt gut 40.000.

 

Erfreulich: Dank Bologna-Prozess werden mehr und mehr im Ausland erworbene Studienleistungen an deutschen Hochschulen anerkannt, an den Universitäten zum Beispiel voll oder teilweise immerhin 56 Prozent, an den Fachhochschulen sogar 60 Prozent.  Allerdings meldet das DZHW auch, dass allein an Universitäten bei 34 Prozent der Leistungen immer noch die Anerkennung versagt oder gar nicht erst ein Antrag auf Anerkennung gestellt wurde. 


Erst vergangenen Woche veröffentlichte der Wissenschaftsrat seine "Empfehlungen zur Internationalisierung von Hochschulen". Meinen Bericht dazu lesen Sie hier.  

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