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Nida-Rümelins Einsichten

Der Münchner Philosophieprofessor will das Gerede vom Akademikerwahn beenden. Gut so. Zumal seine neueste Idee deutlich konstruktiver ist.

Studium und/oder Ausbildung? 1000 Möglichkeiten und eine Entscheidung. Foto: Jan Vasek / Pixabay - cco.

JULIAN NIDA-RÜMELIN HAT diese Woche in der FAZ das Ende des Akademikerwahns ausgerufen. Was konsequent ist: Der Münchner Philosophieprofessor hatte die Debatte, ob zu viele junge Menschen an die Hochschulen streben, obwohl sie dort angeblich nichts zu suchen haben, im Jahr 2013 ja auch losgetreten.

 

Viele Professoren, die ihre Hörsäle schon immer zu voll fanden, pflichteten Nida-Rümelin bei. Ebenso Unternehmer, die ihre Lehrstellen lieber mit Abiturienten besetzen wollen als mit Jugendlichen, die nur einen mittleren Schulabschluss (oder – bewahre! – noch weniger) haben.

 

Unter Bildungsexperten fanden die Thesen Nida-Rümelins dagegen wenig Anklang. Ihr Argument: Nie waren die Arbeitslosigkeit unter Akademikern so niedrig und die Durchschnittsgehälter so hoch wie heute. Wenn gleichzeitig viele Lehrberufe zum Beispiel im Gastgewerbe, gelinde gesagt, verbesserungswürdige Bedingungen bieten, fällt die Entscheidung für ein Studium nicht aus Wahn, sondern aus gesundem Kalkül.

 

Jetzt jubiliert Nida-Rümelin: Seit 2014 sei das Wachstum beim Anteil der Studierenden an einem Altersjahrgang so gut wie gestoppt. Eine erstaunliche Statistik, findet er, nur rede keiner über sie. Also außer Nida-Rümelin, versteht sich. Der hinzufügt, er wolle seine Rolle jetzt nicht überschätzen, aber doch ja, das Ende des "Akademikerwahns" sei vor allem sein Verdienst.

 

Man könnte auch sagen: Offenbar hat jetzt auch Nida-Rümelin entdeckt, dass die Zeit der doppelten Abiturjahrgänge, abgesehen von einem Nachzügler, seit 2014 vorbei ist. Das Erstaunliche, was viele Bildungsforscher betonen, ist im Gegenteil, dass die Zahl der Studienanfänger in der Folgezeit trotzdem bei einer halben Million verharrt ist. Wie passt das denn jetzt wieder mit Nida-Rümelins neustem Argumentationsmuster zusammen?

 

Lassen wir das. An anderer Stelle hat der ehemalige Kulturstaatsminister nämlich definitiv Recht. Er fordert ein Bund-Länder-Programm für die Berufsschulen oder, wie er es nennt, einen "Pakt berufliche Bildung". Für die Ausbildung und Weiterbildung von Berufsschullehrern. Für die Ausstattung der Berufsschulen. Man muss nicht gleich übertreiben und wie Nida-Rümelin im Sinne einer "nationalen Anstrengung" die Größenordnung des Hochschulpakts (insgesamt 38,8 Milliarden Euro bis 2023) einfordern, um die Bedeutung eines solchen Signals zu erkennen:

 

Wenn die berufliche Bildung wirklich das Aushängeschild der Bundesrepublik werden soll, als das manche Politiker sie unter Nichtbeachtung ihres realen Zustands tapfer preisen, dann müssen die Berufsschulen mit ins Zentrum des weiterführenden Bildungssystems rücken. Und zwar direkt neben die Hochschulen. Nicht an ihre Stelle. Dass Nida-Rümelin das Gerede vom Akademikerwahn endlich beenden will, könnte dabei helfen.

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst im ZEIT Chancen Brief. 

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Kommentare: 1
  • #1

    hl (Donnerstag, 24 Januar 2019 17:45)

    Interessantes Thema. Schön wäre es, wenn in dem Text auch Professorinnen, Expertinnen, usw. auftauchen würden.