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Tenure Track: Was kann Deutschland von den USA lernen?

In Amerika ist es das Rückgrat des hochschuleigenen Karrieresystems. Aber trägt es noch? Von Jeffrey Peck.

Jeffrey Peck. Foto: privat.
Jeffrey Peck. Foto: privat.

IRGENDWIE KOMME ICH immer wieder auf das Thema Tenure Track zurück. Wahrscheinlich beschäftigt es mich besonders, weil eine amerikanische Struktur zunehmend auch in Deutschland installiert wird, spätestens seit Bund und Länder dazu ein milliardenschweres Programm aufgelegt haben. Das deutsche Bildungssystem befindet sich dadurch in einer zum Teil komplizierten Übergangsphase, über die ich mir Gedanken mache. Und da ich selbst derzeit in einer Übergangsphase bin, gibt es auch persönliche Gründe, dass mich dieses Thema besonders bewegt, und zwar über seine rein formalen, administrativen Aspekte hinaus.

 

Ich stehe am Ende meiner vierzigjährigen akademischen Tenure Track Karriere in Forschung und Lehre. Und in den letzten sieben Jahren als "Dean of Arts and Sciences" an einer amerikanischen Hochschule war ich derjenige, der für die Entwicklung der Karriere der jungen Assistant Professors bei ihrem Einstieg in den Beruf verantwortlich war. Ich habe sie interviewt, eingestellt und in den folgenden Jahren betreut, in denen sie dann ihren Weg im System fanden. Das war ein wesentlicher und wichtiger Teil meiner Arbeit, den ich sehr ernst genommen und zugleich sehr genossen habe.

 

Anfang und Abschluss sind zwei Seiten jedes Berufslebens, die mit sehr verschiedenen Erwartungen und Emotionen erfüllt sind. Und vielleicht sind diese Erwartungen und Emotionen besonders ausgeprägt bei Menschen, die den größten Teil ihres Lebens an einer Hochschule verbringen. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass man Wissenschaftlerkarrieren nur dann in ihrer Komplexität richtig erfassen wird, wenn man die Bedeutung gerade dieser beiden Phasen mitdenkt. Wenn man sie mitdenkt und angemessen berücksichtigt auch bei der Konstruktion eines Tenure Track Systems. 


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.


In den USA ist der Tenure Track gleichsam wie ein Skelett, wie das Rückgrat und Gerüst des hochschuleigenen Karrieresystems. Es hält alle Teile zusammen, ermöglicht die Bewegung im System und limitiert sie zugleich. Wie alle Strukturen kann auch der Tenure Track nur funktionieren, wenn alle Komponenten, von den politischen Rahmenbedingungen bis zu den Individuen und ihren Ambitionen, zusammenpassen.

 

Die Tatsache, dass immer mehr Stellen an US-Hochschulen "adjunct" sind, also Teilstellen/Lehrverträge ohne Tenure Track, gibt Anlass für neue Diskussionen über seine Zukunftsfähigkeit. Denn eine Vollzeitstelle mit Aussicht auf eine konkrete, planbare Zukunftsperspektive und ein gewisses Maß an Sicherheit bleibt das Ziel fast aller promovierten Wissenschaftler, die den Beruf als "Professor" anstreben.

 

Ob man den Tenure Track in seiner gegenwärtigen amerikanischen Prägung also für einen Erfolg hält oder nicht, sicher ist: Nur wenn man sein Prinzip versteht, versteht man auch die Systematik amerikanischer Hochschulkarrieren.

 

Die Möglichkeit, dass man nach sechs Jahren als Assistant Professor über den Associate Professor with Tenure dann zum Full Professor with Tenure aufsteigen kann, ist der strukturierte und allgemein akzeptierte Weg zum Ziel. Tenure heißt "Stelle auf Lebenszeit" und – nicht zu vergessen – Tenure gewährt die essentielle akademische Freiheit, in weitestgehend eigener Entscheidung und Verantwortung zu forschen und zu lehren. Und für die meisten Akademiker gibt es nichts Besseres – durchaus nachvollziehbar, oder?

 

Trotz objektiver Kriterien bleibt
die Portion Glück wichtig

 

Erst gegen Ende meiner Karriere wurde mir wirklich bewusst, wie privilegiert ich als Tenured Full Professor war. Insofern wird es nicht überraschen, dass ich ein Befürworter dieses Systems bin. Doch ich hatte auch die Portion Glück, die neben objektiveren Kategorien wie Intelligenz und der geleisteten Arbeit oft ebenso erforderlich ist für den Erfolg. Und leider blieb dieses Glück vielen meiner Kollegen versagt. Später als Dean bestand eine der schwierigsten Aufgaben des Jobs darin, einem eifrigen und intelligenten Assistant Professor zu sagen, dass sie oder er es nicht geschafft habe.

 

Was mich tröstete: Dass die Betroffenen von Anfang an wussten, worauf sie sich eingelassen hatten und was von ihnen erwartet wurde. Genau das ist für die Akzeptanz jedes Tenure Track-Models grundlegend: transparent zu machen, worauf es ankommt. Veröffentlichungen in "peer-reviewed journals", gute Lehre und "service", wie zum Beispiel engagierte Mitarbeit in den Gremien der Hochschule. Das sind an US-Hochschulen die drei sogenannten "Säulen", die dem Assistant Professor Tenure verschaffen sollen. Man kann seine eigene Meinung über die Auswahl dieser Kriterien haben, aber dies sind die klaren Vorgaben zur Erreichung des Ziels.

 

In der Realität gibt es Unterschiede in der Gewichtung: Besonders an renommierteren Hochschulen definiert sich Erfolg vor allem durch Publikationen. Deren Bedeutung ist nicht nur von der Hochschule, sondern auch vom Fach abhängig. Es macht je nach Disziplin einen Unterschied, ob die wissenschaftliche Forschung als Buch oder als Artikel publiziert wird, im künstlerischen Bereich zählt auch, in welchem Rahmen eine Arbeit präsentiert wird. Die Gewichtung der Kriterien mag implizit erfolgen, als Teil der institutionellen Kultur. Und das geht in Ordnung, solange der aufstrebende Assistant Professor bei den wesentlichen Fragen mit expliziten Erwartungen konfrontiert wird.

 

Als der Forschungsleistung offiziell ebenbürtig gilt das Engagement in der Lehre, eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, auch wenn sie in der Realität der Bewertung dann doch oft nur zweitrangig behandelt wird. Nichtsdestoweniger bleibt die Lehre und die entsprechende Betreuung ein Hauptthema.

 

In der Gesamtschau ist das System für die jungen Wissenschaftler_innen, die für ihre Karriere arbeiten, nicht immer so fair, wie es aussieht, und der Erfolg ist nicht garantiert. Auch könnte man viel mehr tun, um nach Abschluss der Promotion (in den USA gibt es keine Habilitation) oder des Postdoc den Übergang in die ersten Jahre als Assistant Professor zu erleichtern. Ich habe miterlebt, wie als "Wunderkinder" gepriesene Doktoranden in ihrer neuen Rolle als Assistant Professor kläglich gescheitert sind. Diese neue Identität, die mit zum Teil völlig neuen Aufgaben und Beziehungen einhergeht, verursacht berufliche Herausforderungen, die auch zu persönlichen Spannungen werden können. Heute denke ich, als Dekan hätte ich noch mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um manche Nachwuchswissenschaftler bei diesem Übergang angemessen zu unterstützen.

 

Kein Karrieresystem berücksichtigt
bislang das Karrierende

 

Vom Einstieg nun zum Ausstieg, über den sich das Karrieresystem Wissenschaft, zumindest nach meinem Eindruck, noch weniger Gedanken macht. Wie die Senioren der Wissenschaft den Abschluss ihrer Karriere bewältigen, ist weitgehend ihr persönliches Problem. Selbstverständlich kann man weiter intellektuell arbeiten, und wer als Wissenschaftler sichtbar bleiben will, kann weiter schreiben, vortragen und publizieren.

 

Aber ohne die Absicherung, ohne eine Machtposition in dieser Uni oder jener Stiftung, wird die Expertise, die man "besitzt", oft nicht mehr in gleicher Weise wahrgenommen. Stipendien oder Forschungsgelder sind auf einmal nicht mehr verfügbar für Archivbesuche oder Konferenzen. Als Wissenschaftsmanager oder Verwaltungsmensch kann man Beratung anbieten, bezahlt oder ehrenamtlich, aber auch da ist man auf sich allein gestellt und befindet sich als "Freiberufler" auf einmal in einer ungewohnten und verunsichernden Situation. So erlebe ich es zumindest bei mir selbst.

 

Meine eigene Erfahrung und die zahlreichen sehr offenen Gespräche mit Kollegen in den USA und in Deutschland lehren mich, dass dieser Übergang, das Ausscheiden aus dem offiziellen Berufsleben, für die meisten Professoren nicht so einfach ist, wie wir offiziell glauben wollen. Dabei macht es übrigens keinen Unterschied, ob sie sich vorher in einem Tenure Track System befanden oder nicht. Kein Karrieresystem, so scheint mir, berücksichtigt bislang wirklich, was aus denen, die es über Jahrzehnte mit Leben erfüllt haben, am Ende ihrer Karriere wird. Ansätze sind zu erkennen, in den USA mehr als in Deutschland.

 

Zusammenfassend sage ich dennoch ganz entschieden, dass und wie sehr ich Tenure Track befürworte. Es ist eindeutig besser für den Berufsstand im Allgemeinen und die jungen Wissenschaftler im Besonderen. Es mindert Privilegien und Macht, es macht akademische Karrieren weniger hierarchisch und ritualisiert, als es das derzeitige Lehrstuhlsystem vermag. "Deutsche Professoren wollen lieber Mitarbeiter als Kollegen" – so beschrieb es ein hochrangiger deutscher Stiftungskollege, der lange in den USA gearbeitet hat.

 

Doch ob und wie Tenure Track in Deutschland erfolgreich sein wird, hängt nicht nur von den politischen Rahmenbedingungen und der administrativen Umsetzung ab. Vor allem kommt es an auf die persönlichen Einstellungen der Wissenschaftler und ihre Vorstellung des sozialen Miteinanders im "akademischen Beamtenstaat".

 

Eins ist sicher: Die begonnene Transformation wird schwierig. Aber die Mühe wird sich lohnen.

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Kommentare: 3
  • #1

    Klaus Diepold (Dienstag, 12 Februar 2019 08:07)

    Vielen Dank für diese Gedanken zum Tenure Track. Für ein funktionierendes Ternure Track System müssen wir in der Tat das komplette akademische System mit einbziehen. Das bedeutet u.a. auch zu erkennen, dass es in einem US-amerikanischen Universitätssystem eine klare Reihung der Institutionen gibt, mit den üblichen Verdächtigen an der Spitze. Dazu kommt noch ein Meer an weniger bekannten akademischen Einrichtungen inkl. Liberal Arts Colleges.

    Das hat zur Folge, dass wenn ein/e Tenure Track KandidatIn an einer Uni in der ersten Liga scheitert, in der zweiten oder evtl. in der dritten Liga ein Auskommen finden wird. Eine gescheiterte Tenure Track Evaluierung in Deutschland hat dann eher einen terminalen Charakter, da diese Staffelung der Unis offiziell nicht gibt.

    Ich denke, dass wir bei aller unbestrittenen Vorzüge des Tenure Track Systems noch ein wenig zusätzliche Struktur und Kultur überlegen dürfen, bis das System richtig funzt.

  • #2

    René Krempkow (Dienstag, 12 Februar 2019 12:22)

    Auch von mir vielen Dank für diese Gedanken zum Tenure Track. Zu Ihrer Einschätzung: "In der Gesamtschau ist das System für die jungen Wissenschaftler_innen, die für ihre Karriere arbeiten, nicht immer so fair, wie es aussieht..." gibt es für Deutschland neuere Studien. Sie untersuchten dies sowohl für den Berufungserfolg von Juniorprofessuren als auch für alle Professuren. Und sie legen nahe, dass die soziale Herkunft auch noch beim letzten Schritt auf dem Weg zur "Lebenszeitprofessur" eine sehr große Rolle spielt - und dies zudem über fünf Jahrzehnte hinweg betrachtet zuletzt in einem zuvor nicht beobachteten Ausmaß! (Für einen zusammenfassenden Überblick und Links zu den Volltexten dieser Studien siehe: https://scilogs.spektrum.de/wissenschaftssystem/leistungsselektion/.)
    Auch dies sollte m.E. bei Überlegungen zum Wissenschaftssystem in Deutschland mitgedacht werden, wenn man tatsächlich die für die jeweiligen Positionen geeignetsten Personen gewinnen und berufen will.

  • #3

    TenureExperte (Montag, 11 März 2019 18:08)

    Inwieweit sich das Tenure Track Verfahren in Deutschland bewährt, wird sich noch zeigen.
    Nach meinen eigenen Beobachtungen gibt es eine Reihe von Problemfeldern, die nicht adressiert werden.

    In den USA gehen Professoren/-innen, die ihre Tenure nicht erhalten haben mehr oder minder erfolgreich in die zweite Bildungsliga bzw. in die Wirtschaft. In Deutschland wird ein Professor nicht angestellt, sondern er/sie werden verbeamtet. Die Verbeamtung bringt eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich, die, wenn man sie gekostet hat, ungern wieder aufgeben möchte. Will sagen: Die Wechselbereitschaft eines Professors ist bei weitem nicht so hoch, wie in den USA. Zumal in Deutschland bei weitem keine so hohe Mobilität herrscht, wie in den USA. Ich befürchte, dass um das Tenure noch ganz andere Schlachten geschlagen werden müssen.

    Nach welchen Standards wird eigentlich so ein Tenure Track Professor evaluiert? Bisher findet sich da dazu selbst an den Universitäten nur relativ unverbindliche Aussagen. Eine verbindliche und klare Aussage wurde vermutlich durch die Angst der Hausjuristen unterbunden. Denn wenn man sagt:"Du musst 2 Nature Paper publizieren, dann biste sicher." kann man auch unliebsame Kandidaten nicht mehr los werden. Das Fehlen von klaren Standards ist für mich ein Zeichen, dass man sich als Universität einfach die Tür offen lassen will nach Haushalts- und Gemütslage bestimmte Kandidaten wieder "gehen zu lassen". Tenure Track, willkommen im deutschen Präkariat!

    Wo kommen die Professoren eigentlich unter (also räumlich)? Selbst Universitäten wie die TUM müssen den Zustrom an jungen Tenure Track Professoren verkraften. Anmietungen in der Innenstadt sind schwer möglich (hohe Kosten und schlichtweg keine Verfügbarkeit). Mit jedem neuen Kollegen wächst der Druck auf die Lehrstuhlinhaber Raum abzugeben. Einfach nur W-Stellen unter die Universitäten zu schütten, wird aus meiner Sicht nicht reichen. Dazu gehört GEld für Infrastruktur, Geräte und Mitarbeiter...

    Ganz grundsätzlich kann man sich fragen, was der gesamte Zirkus eigentlich soll, wenn der DHV in seiner Stellungnahme schreibt: "De facto
    kommt eine solche Entscheidung (echtes Tenure Track) fast einer vorweggenommenen Berufung auf eine
    Lebenszeitprofessur gleich." Denn dann machen wir nun eine kurze Phase mit sehr vielen Tenure Track Professuren durch, die dann wieder abgelöst wird, von einer sehr langen Phase, in der viele Professoren bis zur Pensionierung an ihrer Uni verbleiben. Wie das jungen Wissenschaftlern in der Breite eine Perspektive bieten soll, ist mir schleierhaft...
    Der einzige Vorteil für Uni und Politik ist der Kostenfaktor. Es ist schlicht erwiesen, dass man, wenn man innerhalb einer Organisation aufsteigt, weniger Geld verdient, als wenn man sich beim Konkurrenten bewirbt und der einen dann doch noch mal anders wertschätzt. Wenn man mit im Vergleich für Professuren geringen Leistungszulagen beginnt, wird man nicht an z.B. 10-15 Leistungszulagen a 300 gewöhnt und bleibt bei seinen in der Eingangsberufung als großzügig zugestandenen 2-4 Leistungszulagen. Das macht Professuren gegenüber den jetzigen Professuren einfach billiger...auch langfristig. Denn Leistungszulagen schlagen sich ja auch beim Ruhegehalt nieder. Was mir wieder sagt: Es wurde etwas aus den USA übernommen, nach Deutschland transferriert, aber aus den falschen Gründen.