· 

Das Ende einer unendlichen Geschichte

Der Digitalpakt kann kommen, die Grundgesetz-Änderungen werden umgesetzt. Weil Bund und Länder im Vermittlungsausschuss eine wirklich kluge Lösung gefunden haben.

Foto: Pixabay.
Foto: Pixabay.

OFT IST VERGEBLICH Tempo beim Digitalpakt beschworen worden, jetzt wird es wirklich schnell gehen: Am Donnerstag schon soll der Bundestag die im Vermittlungsausschuss vereinbarte Grundgesetz-Änderung beschließen. Am 15. März wird der Bundesrat folgen. Dann kann der Digitalpakt kommen. Wann allerdings die ersten Euro aus dem Fünf-Milliarden-Paket in den rund 40.000 deutschen Schulen eintreffen, lässt sich derzeit schwer prognostizieren. Womöglich nicht mehr in diesem Schuljahr. 

 

Alle Verhandlungsparteien im Vermittlungsausschuss, mit Ausnahme der AfD, feiern die Einigung gestern Abend, die im Rekordtempo gelang: Nur gut 20 Minuten saßen die 32 Ausschussmitglieder zusammen, dann begann ein Wettlauf per Twitter: Wer verkündet als erstes den Erfolg?

 

Besonders flott war zum Beispiel Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow. Schon um 19.22 schickte er die Meldung an seine Twitter-Follower: "Der Digitalpakt ist beschlossen und der Vermittlungsausschuss ist erfolgreich beendet!" Drei Minuten später folgte Ramelows saarländischer Kollege Tobias Hans (CDU) und lobte den "guten Kompromiss".  Die zügige Beratung beweise Handlungsfähigkeit. "Jetzt kommt endlich das Geld in den Schulen an!" Um 19.26 twitterte SPD-Fraktionsvize Sören Bartol: "Das war es." Er lobte die "gute Vorbereitung" durch die Arbeitsgruppe, von der der Konsensvorschlag stammte. Um 19.29 schrieb Bartols FDP-Kollege Marco Buschmann, das Grundgesetz solle "eine Rechtsgrundlage zur Kooperation von Bund und Ländern für bessere Bildung bekommen. Der Digital-Pakt wird kommen." Gefolgt von einem Smiley und Daumen hoch. Die Laune war offenbar gut. 

 

Der Bund verzichtet auf 50-Prozent-Regel
und war auch sonst zu Kompromissen bereit

 

Die Architektur der Einigung hatte sich bereits in der vergangenen Woche abgezeichnet, nachdem die vom Vermittlungsausschuss eingerichtete Arbeitsgruppe ihren Vorschlag vorgelegt hatte. Der Bund verzichtete auf eine 50-prozentige Kofinanzierung bei künftigen Investitionshilfen. Entsprechend lautet die vereinbarte Formulierung im Grundgesetz-Artikel 104b nun lediglich: "Die Mittel werden zusätzlich zu eigenen Mitteln der Länder bereitgestellt." Das Zusätzlich ist weiter wichtig, doch soll die finanzielle Verteilung zwischen Bund und Ländern für jedes gemeinsame Projekt neu vereinbart werden.

 

Mit diesem Zugeständnis hatte die Bundesseite sich bereits die Zustimmung der meisten – und gerade der ärmeren – Bundesländer gesichert. Um auch die sogenannten Sperrminoritäts-Länder (Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen) an Bord zu bekommen, verzichtete der Bund zusätzlich auf die ursprünglich geplanten recht umfänglichen Kontrollrechte. In der Endfassung des Artikels 104c heißt es jetzt: "Zur Gewährleistung der zweckentsprechenden Mittelverwendung kann die Bundesregierung Berichte und anlassbezogen die Vorlage von Akten verlangen." Übersetzt bedeutet das, der Bund kann nicht mehr selbst bei den Landesbehörden nachforschen. 

 

Eine dritte Änderung gegenüber der Ende November im Bundestag beschlossenen 104er-Version geht vor allem auf die Verhandlungsbereitschaft der Grünen und der FDP zurück. Die Formulierung, dass der Bund Investitionshilfen zur "Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens" gewähren kann, wurde ersetzt durch den Wortlaut, die Bundesgelder dienten "zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur". Dass das Wort "Qualität" herauskam, war den Ländern, vor allem den fünf unionsregierten in der Sperrminoritätsgruppe, wichtig, weil sie einen inhaltlichen Eingriff in die Kultushoheit befürchteten. Dass Politiker von FDP und Grünen nach dem Bundestagsbeschluss Ende November von der Etablierung von "Bildungsstandards" auf der Grundlage dieser Formulierung räsonierten, hatte das Misstrauen auf Länderseite noch verstärkt.

 

Allerdings haben die Grünen und FDP insofern das ihnen Wichtige erhalten, als wie von ihnen gefordert mit den Bundesgeldern neben den reinen Investitionen auch die "mit diesen unmittelbar verbundene(n), befristete(n) Ausgaben der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände)" finanziert werden, also auch die inzwischen fast schon sprichwörtlichen Systemadministratoren und, noch wichtiger, die nötige Fortbildung der Lehrer. "Die neuen Möglichkeiten müssen nun mit Leben gefüllt und zum Wohle der Schülerinnen und Schüler genutzt werden", mahnte die stellvertretende FDP-Vorsitzende Katja Suding. Die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Margit Stumpp sagte, nun könnten "multiprofessionelle Teams an den Schulen endlich Normalität werden". 

 

Am Ende sagte sogar Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann ja, der in Kooperation mit seiner CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann lange Zeit allein gegen die Grundgesetz-Änderung opponiert hatte. Erst Ende November hatten sie die Unterstützung aus vier weiteren Ländern bekommen. Allerdings sagte Kretschmann, es sei ihm "noch nie so schwergefallen", einem Kompromiss zuzustimmen.

 

Was im Bildungsbereich manchmal ignoriert wird: Parallel beschloss der Vermittlungsausschuss auch neue Regelungen für Investitionshilfen beim sozialen Wohnungsbau und beim öffentlichen Nahverkehr. Diese Verhandlungen waren jedoch die ganze Zeit über emotional weit weniger aufgeladen verlaufen. Insgesamt sieben Milliarden Euro an Bundeshilfen sind bis 2021 für Wohnungsbau und Nahverkehr vorgesehen. 

 

Eine der zuletzt seltenen
Sternstunden des Parlamentarismus

 

Insgesamt ist es ein kluger Kompromiss, und er macht gleich in mehrfacher Hinsicht Hoffnung.

 

Erstens: Weil das Gezerre um den Digitalpakt jetzt vorbei ist. Er kann kommen, und er kann voraussichtlich so bleiben, wie Bund und Länder ihn Ende vergangenen Jahres vereinbart haben. Ein Aufschnüren wollten alle Beteiligten unbedingt vermeiden, weil er nur neue Debatten und Begehrlichkeiten geweckt hätte. Die Möglichkeit, auch IT-Personal zu finanzieren, könne man unterhalb der Vertragsebene im laufenden Betrieb umsetzen, bekräftigten einige Kultusminister mehrfach. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte: "Der Vermittlungsausschuss hat schnell geliefert und er hat gut geliefert." Der Vorschlag beinhalte eine sichere Verfassungsgrundlage für den Digitalpakt und gewährleiste, dass die Hilfen auch in den Schulen ankommen würden.

 

Zweitens: Der Vermittlungsausschuss, der zuletzt in der vorgegangenen Legislaturperiode getagt hatte, hat gestern gezeigt, wie wirksam er sein kann. Und wie schnell: nur drei Wochen von der konstituierenden Sitzung bis zum Abschluss. Dieses Signal geht an alle, die fürchteten, angesichts der politisch komplizierten Gemengelage zwischen Bund und Ländern und zwischen Regierung und Opposition würde künftig kaum noch etwas gehen. Ja, es geht ziemlich viel, wenn denn alle Beteiligten es wollen und zu Zugeständnissen bereit sind. Insofern war das gestern eine Sternstunde der parlamentarischen Demokratie. Von denen wir zuletzt nicht allzu viele hatten. 

 

Wann das Digitalpakt-Geld an die Schulen kommt, ist noch unklar. Baden-Württembergs Kultusministerin Eisenmann sagte der Stuttgarter Zeitung, der Bund müsse nun zunächst offene Fragen mit den Ländern klären. "Wer ist antragsberechtigt? Und wie läuft die Auszahlung?" Erst wenn das klar sei, "können wir mit den Kommunen im Land verhandeln." Womit man dann doch wieder schlucken muss. Hätte man das nicht schon längst klären können?

 

Auch Dieter Harhoff sorgte zu Recht dafür, dass jetzt nicht zu viel Partystimmung aufkommt. Harhoff ist Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), die nächste Woche ihr jährliches Gutachten an Bundeskanzlerin Merkel übergibt. Auch er schrieb von einem "guten Kompromiss". Allerdings sei dies nur ein Schritt in der Digitalen Transformation". Es gelte weiterhin: großer Nachholbedarf."


NACHTRAG am 21. Februar, 10 Uhr:

 

Nach der Debatte übers Kooperationsverbot ist vor der Debatte übers Kooperationsverbot. Das wird an den heute Vormittag per Pressemitteilung eingehenden Statements deutlich. Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, sagte, die gefundene Lösung sei "der Auftakt für mehr Kooperation von Bund und Ländern in der Bildung". Es sei gut, dass die SPD-Bundestagsfraktion nie nachgelassen habe, "für die Aufhebung des Kooperationsverbots zu streiten". 

 

Demgegenüber meinte die bildungspolitische Sprecherin der linken Bundestagsfraktion, Birke Bull-Bischoff, die Einigung zum Digitalpakt sei zu begrüßen,  doch nun müsse nachgelegt werden, wenn es nicht beim Tropfen auf den heißen Stein bleiben soll". Nötig seien "Lösungen für eine dauerhafte Finanzierung, auch andere Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken und Volkshochschulen müssten einbezogen werden. Und: "Die Frage der kontinuierlichen Wartung der Geräte muss beantwortet werden. Sonst ergeht es den Geräten wie vielen Schulgebäuden – sie verrotten."

Kommentar schreiben

Kommentare: 0