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Der Pakt, über den wir reden sollten

109 Milliarden Euro haben Bund und Länder den außeruniversitären Forschungsorganisationen und der DFG zugesagt. Wie gehen sie eigentlich sicher, dass das viele Geld gut ausgegeben wird?

IST IHNEN ETWAS aufgefallen? Am 3. Mai hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern drei Wissenschaftspakte auf den Weg gebracht, aber geredet wurde seitdem eigentlich nur über anderthalb. Ein wenig über das Nachfolgeprogramm für den Qualitätspakt Lehre. Und ansonsten fast die ganze Zeit über den neuen Hochschulpakt, der künftig "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" heißt.

 

Das hatte zwei Gründe. Erstens waren die Erwartungen der Hochschulen im Vorfeld so hoch gewesen, dass die öffentliche Debatte sich fast nur noch auf die Frage zuspitzte, ob sie nun künftig auch ein jährliches Budgetplus erhalten oder nicht. Und zweitens veröffentlichte der Bundesrechnungshof kurz nach der GWK-Entscheidung einen Bericht, der Bund und Ländern für den alten Hochschulpakt und für den Qualitätspakt ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellte.

 

Was dann folgte, war ein bühnenreifes Drama: Erst Empörung im Wissenschafts- und Haushaltsausschuss des Bundestages, dann ein föderales Pingpong-Spiel, weil die Ausschussmitglieder die GWK-Vereinbarungen einsehen wollten, aber nicht durften. Und schließlich die Auflösung, als Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) doch die Vertragstexte lieferte und vor allem von den eigenen Abgeordneten für die "spektakuläre Wendung" gepriesen wurde.

 

Abgesehen von einigen Statements direkt 
nach dem GWK-Beschluss: Schweigen

 

Hinter all dem ist der dritte am 3. Mai vereinbarte Wissenschaftsvertrag fast unsichtbar geblieben: die Fortsetzung des sogenannten Paktes für Forschung und Innovation, kurz PFI. Abgesehen von ein paar Medienberichten und den üblichen Statements direkt nach dem GWK-Beschluss: Schweigen. Dabei war er es, der den Wissenschaftsorganisationen schon in den vergangenen 15 Jahren das jährliche Plus von zuletzt drei Prozent bescherte, um das die Hochschulen sie beneiden. Und diesmal hat Karliczek mit ihren Länderkollegen sogar beschlossen, den "PFI IV" anstatt fünf gleich zehn Jahre lang laufen zu lassen, inklusive erneuten drei Prozent mehr pro Jahr von 2021 an. 

 

Noch erstaunlicher ist die Nicht-Diskussion des PFI angesichts der Größenverhältnisse. Rund 109 Milliarden Euro haben Bund und Länder bis 2030 in ihm gebunden. Das Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm dagegen wird sich im gleichen Zeitraum auf knapp 40 Milliarden belaufen – vorausgesetzt, Bund und Länder legen nicht nach 2027 noch ordentlich was drauf, was aber derzeit nicht vereinbart ist. Das garantierte 3-Prozent-Jahresplus bleibt jedenfalls den Außeruniversitären vorbehalten.

 

Und schließlich wundert die Ruhe auch deshalb, weil es nicht mal ein Jahr her ist, dass selbst GroKo-Politiker den Gegenwert für die bereits investierten Pakt-Milliarden als zu gering ansahen. "Die bisherigen Leistungen der Forschungsorganisationen haben uns nicht überzeugt", sagte Albert Rupprecht, forschungs- und bildungspolitischer Sprecher der CDU-/CSU-Fraktion, Ende Juni 2018. Für die nächste Paktphase seien "neue ehrgeizige und überprüfbare Zielvorgaben zu entwickeln", sagt Rupprecht, "die sich an dem Output der internationalen Innovationshotspots ausrichten." Überprüfbare Zielvorgaben: Genau die fehlten vielen Abgeordneten in den Vorgaben im alten PFI. 



Doch die Debatte, ob die PFI-Neuauflage nun auch das verlangte (und vom BMBF versprochene) "Mehr" geliefert habe, blieb nach dem 3. Mai weitgehend aus. Rupprecht sprach in seiner ersten Reaktion gar von einer "Punktlandung" beim PFI und von den Wissenschaftspakten insgesamt als "Glücksfall für die Zukunft". Ansonsten ergingen sich die Koalitionsabgeordneten in den vergangenen Wochen fast unisono in Lobhymnen über den "Zukunftsvertrag", was wohl angesichts der Rechnungshofskritik vor allem in der Kleinteiligkeit seiner Bestimmungen begründet lag. 

 

Apropos Kleinteiligkeit: Man kann sie gut finden oder nicht. Jedenfalls regeln Bund und Länder auf den 18 Zukunftsvertrags-Seiten bis in die Tabellenform der Berichte zur Mittelverwendung hinein, wofür die Hochschulen künftig wie viel Geld bekommen, welche "Ziele" mit welchen "Teilzielen" und mit welchen "beispielhaften Maßnahmen" verfolgt werden können. Sogar ein Zeitplan zur Erstellung der sogenannten Verpflichtungserklärungen, die die Länder erstellen sollen, ist Teil des Vertrags. Und über – gegebenenfalls – mehr Geld soll erst geredet werden, wenn die Ergebnisse der geplanten Evaluation durch den Wissenschaftsrat vorliegen. 

 

Eine "Erfolgsgeschichte" –
aber für wen eigentlich?

 

Letzteres kritisiert Kai Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschulen der Grünen Bundestagsfraktion. "Damit machen sich Karliczek und (Finanzminister) Scholz einen schlanken Fuß und schieben die Verantwortung zukünftigen Bundesregierungen zu." Die Neuauflage des PFI dagegen bezeichnet auch Gehring als "insgesamt gelungen", der Pakt sei eine "Erfolgsgeschichte".

 

Für die Helmholtz, Max Planck und Co ist er das auf jeden Fall. Denn bemerkenswert ist schon an seinem Zustandekommen so einiges. So ist der PFI IV im Gegensatz zum Zukunftsvertrag, über den die Staatssekretäre in zahlreichen Spitzenrunden gerungen haben, hauptsächlich von den Abteilungsleitern der Ministerien ausgehandelt worden. Und die sind noch dazu mit ganzen vier Seiten Text ausgekommen. 

 

Anders ausgedrückt: Der Pakt für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, der fast das Dreifache Finanzvolumen vorsieht, ließ sich nach Meinung von Bund und Ländern auf weniger als einem Viertel der Seiten des Zukunftsvertrags regeln. 

 

Keine Frage: Es ist eine großartige wissenschaftspolitische Leistung, der Forschung durch den PFI über so viele Jahre hinweg finanzielle Planungssicherheit zu geben. Eine Leistung, die international ihres gleichen sucht. Aber das macht, was seine Ausgestaltung angeht, den eklatanten Unterschied zum Zukunftsvertrag nur noch offensichtlicher.

 

Zum Beispiel,  wenn man die im neuen Hochschulpakt verlangten "Verpflichtungserklärungen" der Länder mit den fünf "Zielvereinbarungen" vergleicht, die dem PFI IV bereits als Anlage beigefügt sind. Mit beiden Instrumenten will die Politik – und, wenn wir ehrlich sind, vor allem der Bund – sicherstellen, dass die Wissenschaft gut umgeht mit dem Geld, das sie erhält. 

 

Allerdings in sehr unterschiedlicher Form: Bei den "Verpflichtungserklärungen" im neuen Hochschulpakt hat der Bund den Ländern die Gliederung diktiert, von der "Darstellung der Ausgangslage des Landes" über "Ziele, Schwerpunkte und Maßnahmen" bis hin zum erwünschten Umfang, damit das Ganze lesbar und erfassbar bleibt. Es werden "qualitative und quantitative Indikatoren zur Darstellung der Entwicklung in den Schwerpunkten... und zum Nachweis der Durchführung der Maßnahmen" vorgeschrieben.

 

Zielvereinbarungen im Corporate Design 

der Organisationen

 

Im PFI-Vertragstext fehlen solche expliziten Vorgaben fast völlig. Was einerseits Sinn ergibt, denn die Zielvereinbarungen mit den Organisationen sind ja schon fertig, während die Länder ihre Verpflichtungserklärungen erst noch vorlegen müssen. Und womöglich hatten Fraunhofer, Leibniz, Helmholtz, Max Planck und die Deutsche Forschungsgemeinschaft ja im Vorfeld genauere Ansagen zur Form und Darstellung bekommen. 

 

Wenn dem so war, können sie allerdings nicht besonders spezifisch gewesen sein. Denn: Jede Organisation durfte die Zielvereinbarung in ihrem eigenen Corporate Design abliefern. Mit einer Gliederung, die ebenfalls keiner einheitlichen Logik zu folgen scheint. In einem Umfang, der inklusive Deckblatt zwischen 11 Seiten (Max Planck) und 18 Seiten (Helmholtz) schwankt. Mit Texten, die viele wohlklingende Versprechungen machen, von denen jedoch nur eine Minderheit mit Zielen verbunden sind, die sich später messen lassen, mit Vergleichswerten oder sonst irgendwie greifbaren quantitativen oder qualitativen Indikatoren. 

 

Und diejenigen konkreten Zielmarken, die enthalten sind, verstecken sich in seitenweise Text, während die halbseitige Zusammenfassungen, die zu Beginn jeder Zielvereinbarung stehen, komplett ohne sie auskommen. Dabei zählten diese halbseitige Zusammenfassungen, eine Art Executive Summary für die entscheidenden Minister, zu den wenigen offensichtlichen Neuerungen der vierten PFI-Auflage.

 

"Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man denken, die Organisationen hätten sich ihre Zielvereinbarungen selbst geschrieben", sagt der FDP-Forschungsexperte Thomas Sattelberger. Einige Bundestagsabgeordneten fragen hinter vorgehaltener Hand sogar, ob die vorliegenden Zielvereinbarungen "wirklich alles" seien. Oder gebe es noch irgendwelche Konkretisierungen, die die GWK bislang nicht veröffentlicht habe? Was das BMBF verneint. 

 

Was man weiß: Die Präsidenten von Max Planck & Co machen seit dem 3. Mai einen außerordentlich zufriedenen, ja gelösten Eindruck. 

 

Verständlich: Denn zwar heißt es im PFI-Vertragstext auf Seite 4, die Organisationen würden der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) "regelmäßig die Erreichung der Ziele nachvollziehbar und anhand aussagekräftiger Indikatoren darlegen", wohl eine Referenz zu Forderungen wie denen Rupprechts im Vorfeld der GWK-Verhandlungen. Allerdings erfolgt die Berichterstattung nur auf Arbeitsebene, und auch welche Indikatoren ihr zugrundeliegen sollen, bleibt angesichts der Zielvereinbarungen zumindest intransparent. "Die Zielsetzungen im neuen Pakt für die Außeruniversitären sind weitgehend schwammig gehalten", befindet auch der SPD-Haushaltspolitiker Swen Schulz, das habe er auch im Haushaltsausschuss thematisiert.

 

Zudem heißt es in der Bund-Länder-Vereinbarung, Bund und Länder würden die "Fortschritte der Organisationen anhand der in den Zielvereinbarungen selbst gesetzten Zielmarken und internationalen Benchmarks bewerten" – aber auch die Benchmarks werden nicht weiter beschrieben. 

 

Die Ungleichbehandlung 

ist extrem

 

Und die Bewertung wird ohnehin finanziell folgenlos sein: Zwar soll in der Mitte der Vertragslaufzeit, 2025, eine Revision der Zielvereinbarungen erfolgen und in der GWK beschlossen werden, aber die drei Prozent haben die Organisationen trotzdem schon bis 2030 sicher – während die Hochschulen auf die erwähnte Evaluation hoffen müssen.

 

Jetzt kommt es natürlich auf die Bewertungsmaßstäbe an. Entweder man findet die Großzügigkeit, mit der Bund und Länder die Außeruniversitären behandeln, richtig – weil jeder in die Wissenschaft investierte Euro grundsätzlich erst einmal ein guter Euro ist. Entsprechend würde man Bund und Länder für ihre Kleinkariertheit gegenüber den Hochschulen schelten. Oder man lobt die klaren Anforderungen im Zukunftsvertrag für ihre Konsequenz und Transparenz und kritisiert den PFI als lax und blauäugig. In jedem Fall ist die Ungleichbehandlung extrem – und wurde bislang kaum diskutiert.

 

Karliczeks Staatssekretär Georg Schütte, der die Paktverhandlungen in der GWK geführt hat, verteidigt die Zielvereinbarungen mit den Außeruniversitären. "Sie sind das Ergebnis einer intensiven, monatelangen Diskussion, sie wurden entwickelt in ständiger und enger Abstimmung mit den Wissenschaftsorganisationen und ihren Aufsichtsgremien."

 

Die Kritik, die in den Zielvereinbarungen gemachten Ankündigungen seien zu wenig greifbar und kaum nachprüfbar, kontert Schütte mit dem Satz: "Wissenschaft funktioniert anders." Eine Steuerung nur anhand von Zielzahlen sei nicht sachgerecht, "und wenn Sie mir die Frage stellen, ob ich das Androhen von Sanktionen für ein sinnvolles Instrument zur Steigerung wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit halte, dann sage ich kurz und knapp: Nein."

 

Nun ist es allerdings so, dass der Bund bei den Hochschulen auch lange Zeit kein Problem zu haben schien, Sanktionen einzuziehen: Karliczeks Ministerium nannte sie "Bonusprogramm" und hatte gefordert, einen bestimmten Betrag der Zukunftsvertrags-Mittel erst auszuzahlen, wenn der sinnvolle Nachweis des übrigen Geldes erwiesen sei. Was die Länder ablehnten. Und auch wenn Schütte sagt, Wissenschaft funktioniere anders, zumindest von Zielzahlen und "Indikatoren" ist, siehe oben, rhetorisch sehr wohl im PFI die Rede. Aber vielleicht am Ende doch nur pro forma?

 

Der Kern von Schüttes Argumentation lautet jedenfalls: Der neue Hochschulpakt, der Studium und Lehre betrifft, müsse so kleinteilig sein, weil die Hochschulen sich in Länderverantwortung befänden und der Bund nur alle paar Jahre über den Zukunftsvertrag direkten Einfluss nehmen könne. Während der Pakt für die Forschung so großzügig sein müsse, weil der Bund die Möglichkeit habe, über die Aufsichtsgremien der Forschungsorganisation zu jedem Zeitpunkt mitzubestimmen. "Wir sollten die Vereinbarung am Ergebnis des vorgesehenen jährlichen Monitorings messen, da wird die Funktionsweise des neuen PFI schon viel klarer werden."

 

Wie agil sind
diese "Katzen"?

 

Was FDP-Mann Thomas Sattelberger wiederum "zum Lachen" findet: Bund und Länder hätten die Gelegenheit versäumt, im PFI eindeutige und nachprüfbare Erwartungen zu verankern – und das werde Folgen haben. "Eine fette Katze hat doch keine Lust mehr, agil zu werden, wenn keiner sie dazu fordert. Eine fette Katze will in der Sonne liegen."

 

An dieser Stelle sollte man freilich hinzufügen, dass Sattelberger einen Ruf zu verlieren hat. Der Ex-Topmanager (unter anderem Lufthansa, Telekom) gilt unter seinen Bundestagskollegen als einer, der seine Kritik virtuos in Sprachbilder verpacken kann, die jeder versteht. Die allerdings auch jene, die da kritisiert werden, besonders ärgern. 

 

Vergangenes Jahr titulierte er Deutschlands große Forschungsorganisationen im Interview hier im Blog bereits einmal als "fette Katzen": fett geworden durch die Milliarden, die das Bundesforschungsministerium jedes Jahr in sie stecke. Die "fetten Katzen" griff Karliczek dann sogar in einer Bundestagsrede auf, nahm sie gegen Sattelbergers Kritik in Schutz und sagte: "Die Katzen Leibniz, Max Planck, Fraunhofer und Helmholtz sind äußerst beweglich und innovativ!"

 

Sattelbergers Kritik kontern sie im BMBF denn auch mit dem Hinweis, dass man bei der Beurteilung von Wissenschaft nicht rein ökonomisch denken könne.  "Das mag in Unternehmen funktionieren, in der Wissenschaft funktioniert eine solche vereinfachende Denkweise nicht", sagt Staatssekretär Schütte.

 

Allerdings artikulieren auf Anfrage auch Koalitionspolitiker ihre Bedenken, wenn auch weniger bildlich als Sattelberger. Angesichts der schwammig formulierten Zielsetzungen, sagt SPD-Politiker Schulz, "muss genauer darauf geachtet werden, dass etwa beim Transfer, bei Förderung von Frauen und Nachwuchs oder bei den Beschäftigungsbedingungen Fortschritte erreicht werden."

 

"Where is the significant impact
of our prestigious German PFI?"

 

Inzwischen kommen die Bedenken auch aus der Wissenschaft heraus. Zum Beispiel von Ulrich Panne, dem Präsidenten der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), einer sehr gut vom Wissenschaftsrat evaluierten Ressortforschungseinrichtung des Wirtschaftsministeriums, die nicht in den Genuss des PFI kommt. Auf Twitter teilte er neulich einen nature-Vergleich europäischer Länder und ihrer wissenschaftlichen Publikationsstärke pro Kopf – mit mäßigen Zahlen für Deutschland. Pannes Kommentar: "Hope for Europe but where is the significant impact of our prestigious German PFI?“

 

Vor dem Wochenende meldete sich dann die Zuse-Gemeinschaft, in der sich rund 70 private, industrienahe Forschungseinrichtungen organisiert haben, mit einer Mahnung zu Wort: Während die Forschungsausgaben des Staates und der Wirtschaft seit vielen Jahren und seit Beginn des PFI sogar mit zunehmender Geschwindigkeit gestiegen seien, sei die sogenannte Innovatorenquote drastisch von 47 Prozent (2008) auf 36 Prozent (2017) gefallen. Die Innovatorenquote bezeichnet den Anteil deutscher Unternehmen, die Innovationen hervorbringen. Annette Treffkorn, die Geschäftsführerin der Zuse-Gemeinschaft sagt: "Leider ist die Steigerung der Forschungsausgaben in den vergangenen Jahren an den gemeinnützigen Einrichtungen der Industrieforschung weitgehend vorbeigegangen –  zum Nachteil des Technologietransfers, dessen Stärkung sich die Bundesregierung eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat."

 

Georg Schütte sagt demgegenüber, die Logik des PFI IV bestehe darin, fünf forschungspolitische Paktziele aufzustellen, die die fünf Organisationen dann entsprechend ihrer eigenen Mission ausbuchstabieren. "Natürlich bedeutet Transfer dann bei Fraunhofer etwas ganz Anderes als bei Helmholtz oder Max Planck, auch den Impact wird man nicht an den immer gleichen Kriterien messen können."

 

Was ist "neu"
am neuen PFI?

 

Das mag die Logik des neuen PFI IV sein, aber ist daran auch irgendwas Neues? Schließlich hatten Bund und Länder im Vorfeld der Paktverhandlungen versprochen, auf die Kritik am alten Pakt einzugehen und ihn konkreter zu machen – auch in seiner Nachprüfbarkeit. Doch die fünf Paktziele, wie sie im Vertragstext stehen, sind jedenfalls, obgleich anders nummeriert und hier und da anders akzentuiert, fast deckungsgleich mit denen im alten PFI III.

 

Das erste forschungspolitische Ziel lautet: "Dynamische Entwicklung fördern". Zum Vergleich: Im alten Pakt hieß dieser Punkt "Dynamische Entwicklung des Wissenschaftssystems". Der aktuelle PFI versteht darunter im Wesentlichen die Fähigkeit der Wissenschaftsorganisationen, "relevante Erkenntnisse zu erzielen", wofür sie "frühzeitig, auch zusammen mit den Hochschulen, neue Fragestellungen" erschließen, wozu wiederum "interne strategische Prozesse und organisationsübergreifende Abstimmung, Vernetzung und Vermittlung... essentiell" seien. Und nein, konkreter wird der Vertragstext nicht.

 

Das zweite forschungspolitische Ziel besteht darin, "Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft (zu) stärken". Wörtlich heißt es im PFI: "Der Transfer und die Nutzbarmachung von Ideen, Forschungsergebnissen und Wissen durch intensiven Austausch der Wissenschaft mit Wirtschaft, Gesellschaft und Politik nehmen (...) in den Organisationen einen hohen Stellenwert ein; dazu entwickeln sie auch neue Instrumente." Der Transferbegriff werde dabei breit verstanden und an die jeweiligen Ziele der Wissenschaftsorganisationen angepasst. 

 

Besonders an einer ihres Erachtens unzureichenden Transferleistungen einzelner Wissenschaftsorganisationen hatte sich in der vergangenen Paktperiode die Kritik von Wissenschaftspolitikern bis in die Große Koalition hinein entzündet. Insofern wird der "Transfer" von ihnen nun auch immer wieder als ein zentrales Anliegen des neuen PFI genannt, und im Gegensatz zu Swen Schulz scheinen andere mit dem, was sie bekommen haben, auch tatsächlich einverstanden zu sein. 

 

Tankred Schipanski zum Beispiel, CDU-Mitglied Forschungs- und stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss, sagt: "Zum ersten Mal mussten sich alle Forschungsorganisationen mit der Frage konfrontieren, was für sie erfolgreicher Transfer bedeutet, und es für die Politik ausbuchstabieren." Und Schipanski fügt hinzu: "Einen Helmholtz-Chef, der uns im Forschungsausschuss sagt, das Thema Transfer gehe ihn recht wenig an, den wird es künftig nicht mehr geben."

 

Einsatz der
Copy-Paste-Funktion

 

Wirklich nicht? Vergleicht man den Text des aktuellen PFI IV mit dem aus dem bisherigen PFI III, fällt auf, dass die Beamten im Ausschuss offenbar häufiger die Copy-Paste-Funktion genutzt haben. Im alten Vertrag Pakt-Text steht nämlich: "Die Wissenschaftsorganisationen werden dem Transfer und der Nutzbarmachung von Ideen, Forschungsergebnissen und Wissen durch intensiven Austausch mit Wirtschaft, Gesellschaft und Politik einen zentralen Stellenwert einräumen".

 

Woher kommt also die erstaunliche Zufriedenheit einiger Abgeordneten, ihr Optimismus, der neue Vertrag habe eine ganz andere Durchschlagskraft? Ruht wirklich die ganze Stärke des neuen Vertrages in seiner, wie Schütte ausführt, Logik, dass, jede Organisation die Vorgaben der forschungspolitischen Ziele in ihren Zielvereinbarungen anders ausbuchstabiert – aber eben verpflichtend ausbuchstabiert? Und wenn ja, reicht das wirklich?

 

Tatsächlich gab es im bisherigen Pakt keine Zielvereinbarungen, zumindest hießen sie nicht so, sondern "Erklärungen" der einzelnen Forschungsorganisationen "zur Fortsetzung des Paktes für Forschung und Innovation (Pakt IIII)", allerdings gingen auch die fünf Erklärungen bereits auf jedes Paktziel einzeln ein.

 

Und fest steht auch: So engagiert die Texte der neuen Zielvereinbarungen von den Organisationen formuliert sind, wenn man Mitarbeiter in den Ministerien oder Bundestagsabgeordnete bittet, ein paar ihrer Inhalte mal spontan wiederzugeben, kommt da nicht besonders viel. Womöglich eben, weil den Zielvereinbarungen – wie schon den Erklärungen im Pakt III – die Übersichtlichkeit in der Vermittlung fehlt – und damit auch die Transparenz und mögliche Nachprüfbarkeit? Weil die (neuen) halbseitigen Zusammenfassungen zu Beginn eben keinerlei Zielmarken, Indikatoren und Benchmarks enthalten?

 

Ist die Einrichtung neuer
Stellen schon eine Leistung?

 

Schütte indes nennt zum Thema Transfer als Beispiel, dass jedes Helmholtz-Zentrum künftig einen "Industrial Liaison Officer" beschäftigen werde. Und das Fraunhofer 700 neue kleine und mittlere Unternehmen neu als Kunden gewinnen will. Aber ist die Einrichtung von Stellen an sich schon eine Leistung? Und was die Gewinnung von neuen KMU angeht: Müsste man dafür nicht auch gesagt bekommen, wie viele Unternehmen Fraunhofer bislang pro Jahr neu angeworben hat? In der Zielvereinbarung fehlt diese Information. Und dabei ist dieses Fraunhofer-Versprechen noch eines der Konkreteren der fünf Organisationen. 

 

Das dritte forschungspolitische Ziel: "Vernetzung vertiefen", die Organisationen untereinander sowie mit Hochschulen und Unternehmen. Ein Punkt, bei dem die vier Forschungsorganisationen in ihren Zielvereinbarungen vor allem viele bereits bestehende Kooperationen erwähnen und versprechen, diese "weiter vertiefen" zu wollen. Es ist dies aber auch ein Punkt, an dem sich gerade der Bund weitere unangenehme Fragen gefallen lassen muss.

 

Im PFI-Vertragstext heißt es nämlich auf Seite 4: "Bund und Länder verfolgen die Absicht, die Einrichtung eines Strategieentwicklungsraums weiter in der GWK zu beraten, um gemeinsam ggf. Vorhaben mehrerer Organisationen zur Verbesserung der internationalen Sichtbarkeit und zur Umsetzung strategischer Ziele zu unterstützen." Diese Strategieentwickungsraum hatte im Vorfeld des GWK-Beschlusses als ein entscheidendes neues Element des PFI IV gegolten, über ihn sollte ein Teil des Paktaufwuchses für gemeinsame Aktivitäten reserviert werden – um dieses Geld nur dann an die Organisationen auszuzahlen, wenn sie mit wirklich neuen Ideen kommen. 

 

Die Realität lässt sich in der obigen Formulierung ablesen: Der Bund hat bereits das Geld zugesagt, ohne die Verhandlungen abzuschließen – weil er sich gegenüber den Ländern und den Organisationen nicht hat durchsetzen können.

 

Staatssekretär Schütte verspricht eine "gute und baldige Lösung, nachdem sich ja nun der Verhandlungsrauch verzogen hat". Zusätzliches Geld werde es nicht für den Strategieraum geben, das müsse aus dem Aufwuchs kommen. Wobei es das Geheimnis von Karliczeks Ministeriums bleibt, wie es jetzt noch Zugeständnisse erreichen will, die es nicht einmal bekommen hat, als es das Geld noch nicht fest zugesagt hatte. 

 

Man könnte auch sagen:  Die PFI-Bestimmungen zum Strategieentwicklungsraum passen sich harmonisch in den sonstigen Tenor der Vereinbarung ein. 

 

Gleichstellung: Die 30 Prozent
sind weg

 

Das forschungspolitische Ziel Nummer 4 ist ein Dauerbrenner und im PFI IV genau einen Absatz lang: "Die besten Köpfe gewinnen und halten". Der Vertragstext spricht "von attraktive(n) Bedingungen über die gesamte wissenschaftliche Laufbahn", die "umfassende und zeitgemäße Konzepte der Personalpolitik, der Personalgewinnung und der Personalentwicklung" erforderten. Teil dessen seien Entwicklungspfade für den wissenschaftlichen Nachwuchs und "die Erhöhung der Repräsentanz von Frauen im Wissenschaftssystem, insbesondere in Führungspositionen".

 

Auch die schon in alten Paktperioden hochgehaltenen sogenannten Kaskadenmodelle werden erwähnt, "mit weiterhin ambitionierte(n), aber realistische(n) Zielquoten." Apropos: Im Text des PFI III stand noch das konkrete Ziel, in wissenschaftlichen Führungsgremien einen Frauenanteil von "mindestens 30 Prozent" zu erreichen. Im PFI IV steht gar keine konkrete Zahl mehr.

 

Der grüne Wissenschaftspolitiker Gehring, der sich ja insgesamt zufrieden zeigte, ist es an dieser Stelle nicht: "Insbesondere bei der Gleichstellung hätte der Pakt durchaus klarer sein sollen". Als Grüne hätte man den Pakt "an dieser Stelle verbindlicher gemacht". Wobei zur Wahrheit gehört, dass bei den Verhandlungen auch grüne Ministerinnen am Tisch saßen.

 

Nicole Gohlke, die hochschul- und wissenschaftspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, bemängelt das fortbestehende "hire-and-fire", das eine ständige Unsicherheit für die Forscher bedeute. "Beim PFI wurde es trotz deutlicher Proteste der Beschäftigten versäumt, auf Tarifbindung und ein Ende des Befristungswahnsinns hinzuarbeiten. Dabei stehen die Mittel langfristig zur Verfügung und werden dynamisiert." Doch auch an dieser Stelle gibt die Bund-Länder-Vereinbarung wenig Konkretes vor.

 

Das fünfte und letzte übergreifende Paktziel lautet: "Infrastrukturen für die Forschung stärken", wobei neben der Beschwörung von Selbstverständlichkeiten ("Die Wissenschaftsorganisationen bieten auch in Zukunft kontinuierlich beste Bedingungen für herausragende Forschung") eigentlich nur ein wirklich neuer Punkt enthalten ist: der Ausbau eines integrierten Forschungsdatenmanagements, auch durch eine aktive Beteiligung an der neuen Nationalen Forschungsdateninfrastruktur. 

 

Schipanski: Die Organisationen sollen
sich mal nicht täuschen

 

Am Ende bleiben Fragen. Inwieweit ist der PFI IV Ausdruck einer Symbolpolitik, die nur so tut, als wolle sie die Kritik am PFI III aufgreifen, und deshalb Wörter wie "Indikatoren"  und "Zielmarken" in die Bund-Länder-Vereinbarung schreibt – dann aber wenig Nachdruck darauf legt, dass die Organisationen diese auch nachvollziehbar aufschreiben und transparent präsentieren? Die "Zielvereinbarungen" durchwinkt, deren Versprechungen an vielen Stellen ebenso blumig und wenig greifbar sind, wie die fünf Paktziele sich größtenteils in Allgemeinplätzen erschöpfen? Hätte man sich dann nicht die ganze "Bewertung der Fortschritte"- und "Benchmark"-Rhetorik sparen können? Und: Ist es angemessen, wenn man schon so vorgeht, die gleiche Großzügigkeit den Hochschulen zu verweigern? 

 

CDU-Politiker Schipanski sagt, die Außeruniversitären sollten sich mal nicht täuschen. "Nur weil der Pakttext positiv formuliert ist, heißt das nicht, dass wir keine Sanktionsmöglichkeiten haben. Helmholtz zum Beispiel erlebt im Augenblick tagtäglich, wie eine Haushaltssperre wehtun kann."

 

Im vergangenen Herbst hatte der Bundestag den Helmholtz-Zentren 25 Prozent der Betriebsmittel für 2019 gesperrt – bis sie nachweisen können, dass sie den Rest wirklich brauchen. Der Grund waren anhaltende Vorwürfe, auch des Bundesrechnungshofes, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und besonders Helmholtz schiebe eine "Bugwelle" an nicht verbrauchten Haushaltsmitteln vor sich her. Aber ist eine Haushaltssperre Forschungspolitik?

 

Kann man den PFI IV auch als Antwort auf diese Kritik sehen? Nein, sagt BMBF-Staatssekretär Schütte. "Dafür ist er nicht das geeignete Instrument, diese Fragen regeln wir über die interne Governance der Organisationen."

 

Was die Zielsetzungen und ihre Erreichung angeht, verspricht SPD-Haushälter Swen Schulz: "Wir werden da parlamentarisch dranbleiben und zur Not auch selbst Konsequenzen ziehen müssen." Aber wie genau soll das gehen? Seine Kollegen im Haushaltsausschuss jedenfalls, die in den GWK-Verhandlungen noch umfangreiche parlamentarische Mitspracherechte in künftigen Paktperioden anmahnten, haben die Grundsatzdebatte über die Beteiligung des Bundestages und die Begleitung der Verträge bei ihrer Umsetzung erst einmal verschoben – auf wann auch immer. 

 

Am 6. Juni wollen Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten auch den Pakt für Forschung und Innovation abschließend besiegeln. Es ist zu hoffen, dass vorher noch ein wenig mehr über ihn geredet wird. 


Anmerkung: In der ursprünglichen Version hatte ich den PFI IV mit 114 Milliarden Euro beziffert. Ich hatte allerdings einen Rechenfehler gemacht. Tatsächlich sind es bis 2030 rund 109 Milliarden Euro. Ich habe dies im Text korrigiert.

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