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"Diese Leute wären in der Lage, das System grundlegend zu verändern"

Während die Wissenschaftspolitik auf das ExStra-Finale wartet, meldet sich der Göttinger Evolutionsbiologe Gregor Bucher mit einem Alternativ-Vorschlag zu Wort: 3000 zusätzliche Professuren, finanziert vom Bund. Ein Interview über die Befristungsdebatte, international attraktive Stellen und eine völlig neue Wettbewerbslogik.

Foto: ulrichw / pixabay - cco.

Herr Bucher, Sie sind Professor an der Universität Göttingen, die bei der Exzellenzstrategie enttäuschend abschnitt. Jetzt fordern Sie, einen Teil der ExStra-Gelder künftig umzulenken. Der Vorschlag eines schlechten Verlierers?

 

Wenn man es sich einfach machen wollte, könnte man es so darstellen. Allerdings würde man dann unterschlagen, dass ich meinen Vorschlag erstmals formuliert habe, als Göttingen im Cluster-Wettbewerb noch gut im Rennen zu liegen schien.

 

Sie fordern die Einrichtung von mehr als 3000 zusätzlichen Professuren, bezahlt vom Bund, und sagen, zu deren teilweiser Finanzierung könnte man den ExStra-Clusterwettbewerb nach der aktuellen Runde auslaufen lassen.

 

Ich bin auch für eine andere Form der Finanzierung offen. Zumal ich die positiven Folgen der bisherige Exzellenzinitiative gar nicht infrage stelle. Sie hat extrem erfolgreich die Leuchtturmforschung in etablierten Forschungsfeldern vorangebracht. Dank der großen Verbünde, die viele herausragende Kollegen zusammengebracht haben, kann in die Tiefe gebohrt werden. Allerdings hatte der Wettbewerb gehörige Nachteile: Kleine innovative Institute und Fachbereiche waren faktisch ausgeschlossen, wobei der Grund dafür nicht in ihrer Qualität lag, sondern allein in ihrer unzureichenden Größe. 

 

Was mir ebenfalls problematisch erscheint: In einem Feld exzellenter Wettbewerber, deren Anträge zumeist extrem eng beieinander lagen, gaben am Ende kleinste Unterschiede, ja gelegentlich Zufälle den Ausschlag. Und damit es nicht wieder heißt, es ginge mir um Göttingen, möchte ich die Uni Heidelberg anführen. Die gilt als eines der weltweit führenden Zentren der Lebenswissenschaften, steht in den Rankings ganz oben, aber für ein Life-Science-Cluster aus eigener Kraft hat es nicht gereicht. Ich glaube nicht, dass das jetzt bedeutet, dass die Life Sciences in Heidelberg auf einmal nicht mehr hervorragend wären.

 

"Die echten Durchbrüche kommen meist nicht aus großen Forschungsverbünden, sondern von einzelnen"

 

Dann erklären Sie uns doch bitte Ihren eigenen Vorschlag – und warum er Abhilfe schaffen könnte.

 

Ich glaube, wir müssen zusätzlich zur Leuchtturm-Förderung durch die breiten Verbünde endlich ein zweites, weitaus beweglicheres Instrument schaffen. Ein Instrument, das darauf angelegt ist, viele unabhängige, kreativ denkende Köpfe ins System zu bringen, die ihre eigenen Ideen verfolgen und sich nicht in Großcluster und deren eigenen Logiken einfinden müssen. Diese Leute wären in der Lage, das System grundlegend zu verändern. Denn seien wir doch mal ehrlich: Die echten Durchbrüche und Innovationen kommen meist nicht aus großen Forscherverbünden heraus, sondern von einzelnen oder sehr kleinen Gruppen.

 

Ein vom Bund finanziertes Professorenprogramm: Sie sind beileibe nicht der erste, der sowas fordert. Der Wissenschaftsrat wollte 2013 die sogenannten Merian-Professuren, die Junge Akademie 2016 die Bundesprofessur. Bund und Länder haben sich auf die Schaffung von 1000 Tenure-Track-Professuren geeinigt, und schon seit vielen Jahren gibt es die sehr renommierten Humboldt-Professuren. Wo ist denn da noch der Reiz Ihrer Idee?

 

Dann lassen Sie uns doch mal genauer hinschauen. Die Humboldt-Professuren sind zahlenmäßig relativ wenige, dafür extrem gut ausgestattet – für eine kleine Elite von Wissenschaftlern, die wir damit sehr erfolgreich nach Deutschland locken. Aber nach ein paar Jahren muss die aufnehmende Universität die Professur ablösen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie anderswo gehörig Geld einsparen muss. Die Merian-Professur, wie der Wissenschaftsrat sie vorschlug, wäre auf Dauer angelegt gewesen und auch für inländische Wissenschaftler. Aber auch sie nur für extrem wenige, extrem etablierte Leute. Die Bundesprofessur der Jungen Akademie wiederum wäre dem Konzept folgend zwar unbefristet und breiter, aber als Programm der Nachwuchsförderung zugleich so mager ausgestattet, dass viele der Stelleninhaber irgendwann auf eine andere Professur wechseln würden.  


Gregor Bucher, 49,  ist Professor für Evolutionäre Entwicklungsgenetik und geschäftsführender Direktor des Johann-Friedrich-Blumenbach-Instituts an der Universität Göttingen. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen Zoologischen Gesellschaft und engagiert sich im Wissenschaftsnetzwerk der Konrad-Adenauer-Stiftung. Foto: privat. 



Welche Schlussfolgerung haben Sie daraus gezogen?

 

Das Programm muss viele Köpfe fördern aber zugleich so attraktiv sein, dass es auch Wissenschaftler aus dem Ausland anlocken kann. Konkret: Der Bund stellt jährlich eine Milliarde Euro zur Verfügung und finanziert damit 3000 bis 3300 Professuren, und zwar ad personam. In einem Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung, das 2018 erschien, steht dafür der Begriff "Open-Call-Professuren". Das heißt, Interessenten bewerben sich über ein kompetitives Auswahlverfahren, das zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) administrieren könnte. Wer ausgewählt wird, erhält die Professur persönlich zugesprochen und kann an eine Universität seiner Wahl gehen. Wechselt er die Universität, nimmt er die Professur wieder mit. Auch das gezahlte Gehalt ist kompetitiv und so hoch, dass es international mithalten kann, dafür ist die sonstige Ausstattung moderat. Den Rest müssen die Stelleninhaber über Drittmittel einwerben. Die Professur muss kapazitätsneutral sein und fällt nach Ausscheiden wieder an den Bund zurück. Das sorgt für einen vorübergehenden Aufwuchs und für Entlastung im Fachbereich – aber nur so lange der Fachbereich attraktiv genug ist. Ganz wichtig: Die Professuren sind mit einer reduzierten Lehrverpflichtung von beispielsweise vier Semesterwochenstunden verbunden, was wiederum ihre internationale Attraktivität erhöht.

 

"So ein System funktioniert nur, wenn ein nennenswerter Anteil es nicht auf eine Tenure-Position schafft"

 

Das mit der internationalen Attraktivität betonen Sie so. Warum?

 

Weil das bei aller gern gelobten Internationalisierung der Universitäten unsere Achillesverse bleibt. Der Anteil internationaler Professoren ist in den vergangenen Jahren nur sehr langsam gestiegen und liegt immer noch bei unter zehn Prozent. Das hat meines Erachtens zwei Gründe: Erstens das Gehalt. Zweitens – und dieser Punkt ist, glaube ich, deutlich wichtiger – die Höhe der Lehrverpflichtung. Hier geht es nicht allein um die Quantität, sondern darum, dass die meisten Kurse noch dazu auf Deutsch gehalten werden müssen. Eine enorme Barriere, die bei vier Semesterwochenstunden nicht so sehr ins Gewicht fallen würde. Da wäre es wahrscheinlich sogar möglich, alles allein im Masterlevel auf Englisch abzudecken.

 

Das sieht in der Tat sehr passabel aus. Ein bisschen zu passabel vielleicht? Wie wollen Sie verhindern, dass zu viele der Leute, die auf solche Professuren rutschen,  auf Dauer nicht die Leistung bringen?

 

Weil die Open-Call-Professuren grundsätzlich mit einem Tenure Track versehen werden. Nach fünf Jahren auf der Stufe von W2 oder, je nach Alter, sogar nur W1 erfolgt eine Evaluation, und nur wenn die erfolgreich ist, wird die Stelle entfristet. Zumeist auf der Gehaltsstufe W2. Nach weiteren fünf Jahren gibt es die nächste Evaluation, und wenn ein Stelleninhaber die wiederum mit Bravour passiert, rutscht er auf W3 plus variable Zulagen. Um es klar zu sagen: So ein System wird nur funktionieren, wenn die Bewertungsmaßstäbe streng sind und ein nennenswerter Anteil der Wissenschaftler es nicht auf die Tenure-Position schafft.

 

"Sie können mit ein paar hundert Professuren anfangen 

und das System in 20, 30 Jahren auf Vollast bringen"

 

Was genau ist eigentlich ein "kompetitives Gehalt"?

 

Ich möchte diesen Punkt nicht überbewerten, aber natürlich bewegen wir uns in einem internationalen Gehaltsmarkt, und bei den richtig guten Leuten können die deutschen Unis oft nicht mithalten. Allerdings: Wenn die Arbeitsbedingungen ansonsten stimmen und der Standort attraktiv ist, bekomme ich das Gehaltsargument von meinen ausländischen Kollegen nie vorgehalten. Viel häufiger höre ich, dass das deutsche System zu starr sei und zu wenige Aufstiegsmöglichkeiten für die besonders Leistungsbereiten biete.

 

3000 oder mehr Professuren auf einen Schlag, wie wollen Sie die überhaupt besetzen?

 

Das ist ja das Schöne an dem Modell. Sie müssen die gar nicht alle sofort besetzen. Sie könnten das System langsam aufbauen, mit ein paar hundert Professuren anfangen und dann in 20, 30 Jahren auf Voll-Last bringen. Das hätte gleich mehrere Vorteile: Die Kosten wären am Anfang so niedrig, dass der Bund sie ohne große, einmalige Kraftanstrengung schultern könnte. Und es entstünde ein laufender Wettbewerb, eine fortwährende Erneuerung, und irgendwann, wenn die ersten Professoren in Ruhestand gehen, können wieder ganz neue Professuren entstehen, dann wäre das System eingeschwungen.

 

In wiefern würde sich die Förderung exzellenter Forschung durch so ein Programm ändern?

 

Hier liegt ein gehöriger Unterschied und, wie ich finde, Vorteil zur ExStra: Die Universitäten müssten nicht mehr alle paar Jahr einen riesigen Kraftakt vollbringen, um – vielleicht! – als Gewinner aus dem Wettbewerb zu gehen. Es gäbe stattdessen eine ständige Abstimmung mit den Füßen, denn die jungen Wissenschaftler, die gerade an einem heißen Thema dran sind, wissen genau, wo die guten Kollegen sitzen. So würden die exzellentesten Fachbereiche gestärkt – und wenn sie noch zu klein sind.

 

"Wir müssen mehr Aufstiegsmöglichkeiten schaffen 

und mehr Stellen mit verlässlicher Dauerperspektive"

 

Am Anfang mag das günstig sein, aber am Ende stellt sich doch die Frage der Finanzierung. Bund und Länder haben gerade einen Großteil ihres Pulvers – sprich: 160 Milliarden Euro bis 2030 – verschossen und in die großen Wissenschaftspakte gesteckt.

 

Dem kann ich nur entgegen: Für gute, innovative Ideen sollte eine Bundesforschungsministerin doch immer noch in der Lage sein, zusätzliches Geld beim Finanzminister lockerzumachen. Das ist weiterhin nötig, solange die Grundfinanzierung von Deutschlands Hochschulen bei unter einem Prozent der Wirtschaftsleistung liegt, während andere auf anderthalb und mehr Prozent kommen. Abgesehen davon muss der Bund auf jeden Fall auch deshalb allein zahlen, damit auch die ärmeren Bundesländer profitieren. Müssten sie eine Gegenfinanzierung leisten, wäre die Logik gefährdet, dass man die klügsten Köpfe ins System holt und sie dann auch wirklich frei ihre Universität aussuchen können. Im Übrigen will ich wirklich nicht auf der Exzellenzstrategie herumreiten, aber eines will ich festhalten: Eine kompetitive Clusterförderung haben wir bereits im regulären DFG-Portfolio abgesichert, dort heißen die Cluster DFG-Forschungszentren oder Sonderforschungsbereiche.

 

Warum glauben Sie, dass jetzt ein günstiger Zeitpunkt ist, Ihren Vorschlag nochmal zu präsentieren?

 

Weil wir nicht nur mehr internationale Professoren brauchen. Sondern weil wir insgesamt mehr Professoren brauchen. Die Debatte um Befristungen und die unbefriedigenden Karrierechancen für junge Wissenschaftler zeigt eines doch ganz deutlich: Wir müssen mehr Aufstiegsmöglichkeiten schaffen und mehr Stellen mit verlässlicher Dauerperspektive. Dabei maßvoll in einen unbefristeten Mittelbau zu investieren, steigert sicher die Qualität in vielen Bereichen. Aber die Spitzenforschung profitiert am meisten von mehr unabhängigen Köpfen im System. Daher diese Alternatividee. Jetzt ist ein Aufmerksamkeitsfenster. Die Uniwelt starrt auf den 19. Juli, auf die letzten Entscheidungen in der Exzellenzstrategie. Aber bis zum 19. Juli passiert gar nichts. Insofern sollten die Verantwortlichen mal die Zeit nutzen, sich mit anderen sinnvollen Ideen zu beschäftigen.

 

"Mir würde der Name
Goethe-Professur gut gefallen"

 

Warum engagieren Sie sich eigentlich persönlich so bei dem Thema? Sie sind weder Wissenschaftspolitiker noch sind Sie Betroffener. Sie sitzen auf einer sicheren unbefristeten Uni-Professur.

 

Weil ich finde, dass genau dieses Privileg mich als Hochschullehrer verpflichtet, mir meine eigenen Gedanken zu machen, wie unsere Universitäten noch besser werden können. Und weil ich es unbefriedigend finde zu beobachten, wie extrem gute Förderanträge nicht gefördert werden, weil sie minimal schlechter waren oder auch nur minimal mehr Pech hatten als andere. Und weil ich davon überzeugt bin, dass ein Wettbewerb, der ständig läuft anstatt punktuell, nicht diese riesige Fallhöhe erzeugt, dafür aber durch viele einzelne Entscheidungen die Wirklichkeit der wissenschaftlichen Exzellenz fairer abbildet. Und hier darf ich doch noch etwas zu Göttingen sagen: Ich meine, dass sich unsere wissenschaftliche Leistungsfähigkeit in der Exzellenzinitiative nicht ganz widerspiegelt.

 

Fehlt noch ein griffiger Name. Dass kaum einer von den "Open-Call-Professuren" gehört hat, die Sie vergangenes Jahr über die Konrad-Adenauer-Stiftung vorgeschlagen haben, lag vielleicht auch am Namen.

 

Guter Punkt. Ich habe auch darüber nachgedacht. Mir würde der Name Goethe-Professur gut gefallen. Goethe hatte den Anspruch, die Natur zu erforschen, und hat zugleich die Geisteswissenschaften und die Literatur in einzigartiger Weise geprägt. Außerdem ist sein Name bis heute in der ganzen Welt bekannt. Aber falls jemand eine bessere Bezeichnung einfällt – meinetwegen sehr gern. Alles, was der Idee dient, ist gut.

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Kommentare: 1
  • #1

    Klaus Diepold (Montag, 24 Juni 2019 12:03)

    Vielen Dank für diesen Beitrag, der aus unterschiedlichen Gründen eine Reihe von überlegenswerten Gedanken beinhaltet. Bewegliche Professuren aus Bundesmittel finanziert ... klingt interessant.

    Ich möchte aber ein paar Aussagen von Kollegen Bucher aus meiner persönlichen Sicht kommentieren.

    "Was mir ebenfalls problematisch erscheint: In einem Feld exzellenter Wettbewerber, deren Anträge zumeist extrem eng beieinander lagen, gaben am Ende kleinste Unterschiede, ja gelegentlich Zufälle den Ausschlag."

    Aus meiner Sicht eine richtige Beobachtung. Das ist ein generelles Problem bei allen Peer-Reviewed Evaluations- und Verteilungsverfahren, insbesondere wenn die Erfolgsquote niedrig ist, d.h. deutlich unter 50%. Hier fehlt so etwas wie "Skin-in-the-Game" um einige der zufälligen Streuungen in den Griff zu bekommen.

    "Die echten Durchbrüche und Innovationen kommen meist nicht aus großen Forscherverbünden heraus, sondern von einzelnen oder sehr kleinen Gruppen."

    An dieser Stelle gilt es Korrelation nicht als Kausalität zu interpretieren. Die Gründe für dieses Phänomen liegen ganz wo anders.

    "Ganz wichtig: Die Professuren sind mit einer reduzierten Lehrverpflichtung von beispielsweise vier Semesterwochenstunden verbunden, was wiederum ihre internationale Attraktivität erhöht."

    Hier wird meines Erachtens wieder einmal das Primat der Forschung an deutschen Hochschulen zementiert - Lehre, und insbesondere das Engagement für deren Qualität ist hinderlich für die (Forschungs-)Karriere. Warum soll der Steuerzahler diese individuellen Befindlichkeiten finanzieren? Dann doch lieber Dauerstellen bei MPI, FhG, etc. wo gar keine Lehre dranhängt ...