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Absurde Steuerpläne

Die Bundesregierung will eine Umsatzsteuerpflicht für Volkshochschulkurse einführen. Sie könnte vor allem einkommensschwache Menschen von der Weiterbildung abhalten.

Volkshochschule in Altomünster  Foto: Guido Radig - CC BY-SA 4.0

WEITERBILDUNG IST gerade en vogue. Vor wenigen Tagen hat sich die sogenannte Allianz für Aus- und Weiterbildung konstituiert – mit Bund, Ländern und Sozialpartnern am Tisch. Bereits im Juni hatte die Bundesregierung erstmals eine "Nationale Weiterbildungsstrategie" präsentiert – inklusive einer beeindruckenden Begleitrhetorik. "Dies ist nur der Beginn einer längeren Offensive", verkündete Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). "Wir machen damit deutlich, welche Bedeutung die Weiterbildung für die Zukunft hat." Ihr Kollege Hubertus Heil (SPD), Chef des Arbeitsministeriums, beschwor gar "eine neue Weiterbildungskultur in Deutschland…, die Weiterbildung als selbstverständlichen Teil des Lebens versteht".

 

Allerdings meinten die beiden offenbar nur eine bestimmte Form von Weiterbildung, wenn man genauer hinhörte. Die Nationale Strategie lege ihren "Fokus auf berufliche Weiterbildung" (Heil), die "in der Zukunft zum Arbeitsalltag gehören" muss (Karliczek). Im Anschluss an die Präsentation befand Weiterbildungsexperte Bernd Käpplinger, Professor an der Universität Gießen, deshalb: "Die allgemeine Weiterbildung und die Volkshochschulen gehören zu den klaren Verlierern einer Strategie, die mehr unsichtbar macht als sichtbar." Käpplinger sieht eine "Weiterbildungsmonokultur" und einen "bildungsfernen Ökonomismus".

 

Ausgerechnet die prominentesten Anbieter
von Weiterbildung geraten unter Druck 

 

Es klingt paradox: Rechtspopulistischen Parteien gelingt es auch in Deutschland zunehmend, den öffentlichen Diskurs zu prägen, sie nähren die Skepsis gegen eine offene Gesellschaft, gegen die Wissenschaft, gegen Kulturschaffende. Eine Situation, in der gerade die Volkshochschulen, die neulich ihren 100. Geburtstag gefeiert haben, mit ihren allgemeinbildenden Kursen für Millionen Menschen ins Blickfeld der Politik rücken müssten. Doch während die Bundesregierung sich für eine neue Ära der Weiterbildung feiert, nimmt sie gleichzeitig in Kauf, dass die Volkshochschulen als prominenteste Anbieter von Weiterbildung – oder breiter gefasst: von lebenslangem Lernen – unter Druck geraten. Schlimmer noch: Die Bundesregierung ist selbst für diesen Druck verantwortlich.

 

Mitten in der Sommerpause hat das Kabinett nämlich einen Gesetzesentwurf "zur weiteren Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften" beschlossen, der auch die Bestimmungen zur Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsangebote neu sortiert. Wenige haben davon bislang Notiz genommen, was auch der Komplexität des Vorgangs geschuldet ist. 

 

Doch die Folgen der Neuregelung, wenn sie so kommt, wären wohl verheerend, nicht nur für die bundesweit rund 900 Volkshochschulen, sondern auch für viele weitere Träger niedrigschwelliger Bildungsangebote: katholische oder evangelische Erwachsenenbildungswerke zum Beispiel, Familienbildungsstätten, freie Bildungsstätten und Akademien. Bislang konnten sie alle ihre Kurse weitgehend ohne Umsatzsteuer anbieten, als "Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art". Doch damit könnte es bald vorbei sein. Dem Gesetzentwurf zufolge würde die Steuerbefreiung nur noch für Bildungsangebote gelten, die direkt dem beruflichen Fortkommen dienen oder dem Schulunterricht vergleichbar sind. Eine dramatische Engführung. Die allerdings auch konsequent ist, folgt doch die Nationalen Weiterbildungsstrategie derselben Logik, wie der Weiterbildungsexperte Käppliger schon im Juni kritisiert hat.

 

Steuerpflicht für
Mutter-Kind-Gruppen?

 

Das Antirassismustraining, der Computerkurs für Senioren, der Workshop für Sterbebegleiter oder die Mutter-Kind-Gruppe: Sie alle könnten dagegen bald umsatzsteuerpflichtig und damit erheblich teurer werden – genau dann nämlich, wenn das Finanzamt, was zu befürchten ist, das Interesse der Teilnehmer als rein privat einstufen würde. Als wären Kurse, die Menschen für mehr gesellschaftliche Mitwirkung qualifizieren oder sie auf ein Ehrenamt vorbereiten, für das Gemeinwohl weniger wichtig als etwa die berufliche Weiterbildung. Auch Hunderttausende Teilnehmer politischer Weiterbildungsangebote müssten dann künftig mehr zahlen.

 

Besonders hart könnte es die Kursteilnehmer an denjenigen Volkshochschulen treffen, die privatwirtschaftlich organisiert sind. Was für rund 37 Prozent der Einrichtungen zutrifft, die jedoch trotz ihrer Rechtsform genauso gemeinwohlorientiert arbeiten und allesamt direkt oder indirekt von den Kommunen getragen werden. Doch wären sie laut Begründung des neuen Umsatzsteuergesetzes den öffentlichen Einrichtungen nur noch bei der beruflichen Fortbildung gleichgestellt, ansonsten nicht mehr – womit noch mehr ihrer Kurse steuerpflichtig würden.

 

Eine Sprecherin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DVV) erklärt auf Nachfrage: Bei strenger Auslegung der geplanten Bestimmungen könnten die Steuerbehörden künftig rund zwei Millionen Kursteilnehmer, das sind rund 22 Prozent aller Volkshochschul-Nutzer, "erheblich stärker zur Kasse" bitten. "Keine neue Steuern für die Weiterbildung", forderte deshalb kürzlich DVV in einem Protestpapier gemeinsam mit anderen Trägern öffentlich verantworteter Weiterbildung. Die Unsicherheit, wie schlimm es tatsächlich kommt, ist groß. "Bisher lässt der Gesetzgeber im Unklaren, welche Weiterbildungsangebote künftig besteuert werden müssen und welche weiterhin Steuerbefreiung in Anspruch nehmen können", sagt die DVV-Sprecherin.

 

Die Bundesregierung beruft sich
vor allem auf das EU-Recht

 

Die Bundesregierung beruft sich vor allem auf das EU-Recht, das eine Neuregelung nötig mache. Doch ist das Gesetzesvorhaben deshalb alternativlos? In jedem Fall riskiert die Große Koalition eine erhebliche soziale Schieflage, wenn die höheren Gebühren vor allem einkommensschwache Menschen vom Besuch der Volkshochschulen abhalten würden. Ein Szenario, das nicht nur im Widerspruch zur politischen Weiterbildungs-Rhetorik stünde, sondern auch zu den Beteuerungen der Bundesregierung, die gesellschaftliche Spaltung bekämpfen zu wollen.

 

Noch ist Zeit, das Gesetz in seiner geplanten Form aufzuhalten. Zumindest muss es so präzisiert werden, dass die schlimmsten Befürchtungen der Volkshochschulen sich nicht bewahrheiten. "Es ist schon jetzt schwer genug, Menschen für Angebote der politischen Bildung zu gewinnen", sagt DVV-Vorsitzende Martin Rabanus. "Diese auch noch zu besteuern, wäre absurd." Rabanus ist im Hauptamt Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Kultur und Medien der SPD-Fraktion.

 

Immerhin: Im Bundesrat scheint es Bewegung zu geben. Ein Antrag des Ausschusses für Kulturfragen, der von der Bundesregierung Änderungen verlangt, wurde von den Ländern einstimmig angenommen. Doch stünden gerade Bundesbildungsministerin Karliczek und weitere Bildungspolitiker der Regierungskoalition in der Verantwortung, jetzt ebenfalls aufzustehen. Es wäre eine gute Gelegenheit, Rhetorik und konkretes Handeln zusammenzubringen.


NACHTRAG AM 22. SEPTEMBER:

Auf Initiative Baden-Württembergs hat sich der Bundesrat am Freitag in einer Stellungnahme nun tatsächlich eindeutig gegen die Steuerpläne zulasten von Volkshochschulen und anderen Anbietern nicht-beruflicher Weiterbildung positioniert. "Volkshochschulen, Musikschulen und viele weitere Träger der Weiterbildung leisten einen unabdingbaren Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt", sagte Kultusminister Susanne Eisenmann (CDU). "Ich halte es für sehr wichtig, dass wir hier durch die Neuregelung der Umsatzsteuer keine finanziellen Hürden aufbauen." Weiterbildung müsse möglichst vielen Menschen offen stehen. Die Bundesländer sprächen nun gemeinsam mit einer starken Stimme "für eine bezahlbare und weiterhin allgemeine Weiterbildung im eigentlichen Sinne des Wortes." 

 

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht nun zusammen mit der Stellungnahme des Bundesrates und einer Gegenäußerung der Bundesregierung an den Bundestag. Danach befasst sich der Bundesrat erneut damit. Wie Eisenmanns Ministerium betonte, handelt es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz – so dass es nicht ohne Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden kann. 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Florian Bernstorff (Donnerstag, 12 September 2019 13:35)

    Volkshochschulen sind Teil der Daseinsvorsorge und eines der Instrumente, die den freien Zugang zur Bildung gewährleisten sollen. Wenn dieses Angebot jetzt auch nur zum Teil umsatzsteuerpflichtig werden muss, kommt das einer Weigerung des Staates gleich, seinen Pflichten nachzukommen.

    Interessant wäre, wie in anderen EU-Ländern mit starkem öffentlichen Erwachsenenbildungswesen mit dieser EU-Vorgabe umgegangen wird, z.B. Dänemark?

  • #2

    Jessica Boichot (Samstag, 14 September 2019 17:20)

    Das Bildung (insgesamt) - und damit die Verteilung von Lebenschancen - in Abhängigkeit zu Einkommen bzw. finanziellen Mitteln steht, ist meiner Meinung nach, eines der schlimmsten Verbrechen! Es stellt über Generationen hinweg die Weichen aufs Abstellgleis!
    Es ist ekelhaft derart "Gott" zu spielen und Bildung derart zu instrumentalisieren.