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Medizin-Studienplatzvergabe: Provisorium könnte länger dauern

Die zuständige Stiftung für Hochschulzulassung warnt: Der von der Politik gesteckte Zeitplan sei wahrscheinlich nicht zu halten.

ES WAR EIN zentrales Versprechen bei der Reform der Studienplatzvergabe in der Medizin: Die Übergangsregelung, die aufgrund einer umfangreichen Software-Neuentwicklung nötig ist, sollte nach zwei Jahren auslaufen. Sie beschränkt die Hochschulen in ihren Auswahlmöglichkeiten, und sie ist kein schönes Symbol für den vom Bundesverfassungsgericht verordneten Neustart. Deshalb will der KMK-Hochschulausschuss, die Ebene der Ministerialbeamten in der Kultusministerkonferenz, sie auf jeden Fall nach vier Semestern auslaufen lassen. So hat er es vor der heutigen Sitzung der KMK-Amtschefs, der Spitzenbeamten in den Ministerien, nochmal bekräftigt. 

 

Doch jetzt deutet sich neuer Ärger an. Die für die Studienplatzvergabe zuständige Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) hat intern gewarnt, den ihr gesteckten Zeitplan nicht halten zu können. Ein weiteres Jahr Entwicklungszeit sei nötig, um auf der sicheren Seite zu sein. Als verantwortlich für die Verzögerung sieht die SfH nicht sich selbst, sondern die Politik: Bedingung für die Zwei-Jahres-Frist seien rechtzeitige politische Entscheidungen und eine Vereinfachung des Zulassungssystems gewesen – beides hätten die Wissenschaftsministerien nicht geliefert.

 

Aus der Stiftung sind trotzdem optimistische Töne zu hören: Man habe jetzt eine klare Analyse der IT-Experten zum technischen Stand der Stiftungs-Software, "vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Stiftung." Man könnte auch sagen: Die Stiftung ist nach Jahren des Taktieren und Verschleppens dabei, sich gegenüber der Politik ehrlich zu machen.

 

Auf ihrer Sitzung im Oktober soll die KMK dann die sogenannte Muster-verordnung für das neue Zulassungsverfahren beschließen. Außerdem sollen die Länder per Beschluss bekräftigen, dass sie die Verordnung rechtzeitig vor dem Sommersemester in Landesrecht umsetzen.

 

Studienplatzvergabe-System DoSV
enttäuscht erneut

 

Vor der heutigen Sitzung der Amtschef, die die Oktobersitzung der Minister vorbereitet, legte die SfH auch die neue Statistik zur Anbindung der Hochschulen am sogenannten Dialogorientierten Serviceverfahren (DoSV) vor – ein neuralgischer Punkt, weil die Stiftung in der Vergangenheit die angestrebten Quoten immer wieder gerissen hatte. Insgesamt, berichtet die Stiftung, hätten zum aktuellen Wintersemester 160 Hochschulen am DoSV teilgenommen, was 92 Prozent der infrage kommenden Einrichtungen entspreche. Klingt beeindruckend – genauso wie die Zahl der Ein-Fach-Studiengänge, für die sich Studieninteressenten über das DoSV bewerben können: 1648. Weniger atemberaubend ist die Zahl der durch die SfH angebotenen Mehr-Fach-Studiengänge: 147 bundesweit. Und in ihrer Übersicht für die KMK hat die SFH allerdings die Vergleichszahlen fürs Vorjahr weggelassen. Damals waren 1627 Einfach-Studiengänge dabei – und 155 Mehr-Fach-Studiengänge. Und plötzlich stellt sich die so positiv anmutende Entwicklung nur noch als Stagnation heraus – zu wenig für ein einst so groß angekündigtes, teures Reformprojekt. 

 

Es fehlt offenbar weiter an Vertrauen gegenüber der Technologie: Seit Jahren klagen viele Hochschulen darüber, dass die Anbindung zwischen der lokalen Hochschulsoftware und dem DoSV nicht oder nur teilweise funktioniere. Seitens der Stiftung hieß es dagegen lange Zeit, die Probleme seien behoben. Müsste dann aber nicht die Zahl der Studiengänge sprunghaft nach oben gehen?

 

Auch hier sind aus der Stiftung inzwischen – informell – andere Töne zu hören. Man könne "insgesamt nicht mit auf dem alten System weitermachen". Es gehe jetzt darum, die Strategie für die technologische Zukunft der Stiftung abzuleiten und diese "transparent mit Hochschulen und Ländern" zu erörtern. Was, siehe oben, für die Stiftung eine echte Revolution wäre.  

 

Wie groß das Digital-Problem der deutschen Hochschulen tatsächlich ist, lässt sich auch am Scheitern einer eigens von der KMK eingerichteten Arbeitsgruppe zur Reform der hochschuleigenen Campus-Management-Systeme (CMS) erkennen. Angesichts der nicht funktionierenden flächendeckenden Anmietung an das Dialogorientierte Serviceverfahren hatten die KMK-Amtschefs der AG 2016 den Auftrag erteilt, "die Herausforderungen auch im Hinblick auf eine lückenlose Digitalisierung des Bewerbungsprozesses zu beschreiben und mögliche Lösungsansätze zu entwickeln, wie den Herausforderungen begegnet werden könne." Drei Jahre später und zwei Umfragen unter den Hochschulen später beendet die AG ihre Arbeit mit recht übersichtlichen Schlussfolgerungen. 

 

Neue Schnittstellen werden angeregt, "um perspektiv eine Interoperabilität der Campus-Management- Systeme zu gewährleisten". Es gehe darum, "Kooperationen und die damit verbundene Definition von Schnittstellen, Datenformaten und weiteren Voraussetzungen, um Kompatibilität auf verschiedenen Ebenen herzustellen". Mögliche "Standardisierungsansätze" sollten geprüft werden – und auch, wie "in zukünftige Prozesse Expertinnen und Experten aus den Hochschulen in geeigneter Weise einbezogen werden können". Nach Lösungsansätzen klingt das nicht. Eher nach einer Kapitulation vor dem Wildwuchs.

 

Der politische Mut, Konsequenzen zu ziehen, immerhin scheint da zu sein: Die scheidende Brandenburger Wissenschafts-Staatssekretärin Ulrike Gutheil soll nach dem Willen von Bund und Ländern die Stiftung über ihre Amtszeit hinaus im Aufsichtsrat begleiten Gutheil gilt als treibende Kraft hinter dem grundsätzlichen Umbau der Stiftung vor einem Jahr. 

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