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Neuer Ärger wegen Münster

Die Standortentscheidung für die neue Forschungsfertigung Batteriezelle sei dem Ministerium von Anja Karliczek "völlig aus dem Ruder gelaufen", kritisieren Grünen-Politiker und verweisen auf Unterlagen der Regierung.

Anja Karliczek. Jan Zappner/re:publica: "www.flickr.com/photos/re-publica/27985811718", CC BY-SA 2.0.

DER ÄRGER FÜR Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) wegen einer umstrittenen Standort-Entscheidung reißt nicht ab. Ende Juni hatte Karliczek gemeinsam mit ihrem Wirtschaftsminister-Kollegen Peter Altmaier (ebenfalls CDU) bekanntgegeben, dass Münster den Zuschlag für die Forschungsfertigung Batteriezelle (FFB) erhalten solle. Doch ist bei der Entscheidung alles mit rechten Dingen zugegangen? Den anfangs erhobenen Vorwurf, sie habe persönlich Einfluss zugunsten von Münster genommen, in dessen Nachbarschaft ihr Bundestagswahlkreis liegt, hatte Karliczek selbst nach Ansicht der Opposition entkräften können. Doch jetzt werfen den Grünen ihr ein "eklatantes Führungsversagen" bei dem Auswahlverfahren vor. Über 500 Millionen Euro sollen in die Batterieforschung fließen.

 

Nach einer Sondersitzung des Bundestagsausschusses für Bildung und Forschung mitten in der Sommerpause im Juli hatte die Ministerin zugesagt, dem Parlament Einsicht in möglichst alle für die Entscheidung relevanten Dokumente zu gewähren. Auch hatte ihr Ministerium in den vergangenen Wochen mehrere umfangreiche schriftliche Anfragen der Opposition zu den Vorgängen zu beantworten. 

 

Nun kritisieren die grünen Bundestagsabgeordneten Anna Christmann und Kai Gehring, die vom Ministerium präsentierten Unterlagen und die Antworten auf ihre jüngste Kleine Anfrage zeigten deutlich, dass der Auswahlprozess für die FFB "vollständig aus dem Ruder gelaufen" sei. Das Ministerium habe sich gegen die Einschätzung der Fraunhofer-Gesellschaft, die das Verfahren wissenschaftlich begleitet hatte, und auch gegen die Meinung weiterer Mitglieder der für die Auswahl eingerichteten Gründungskommission für Münster entschieden – "ohne dafür plausible Sachgründe vorweisen zu können".

 

Hatte Fraunhofer doch ein
Standort-Ranking vorgelegt? 

 

Karliczeks Ministerium wies die neuerlichen Vorwürfe zurück. Die Darstellungen der Opposition würden den tatsächlichen Abläufen nicht gerecht. 

 

Die Kritik an der Standortentscheidung entzündet sich an der immer gleichen Frage: Hat es im Vorfeld ein Votum von Fraunhofer und/oder der Gründungskommission gegeben, das nicht Münster, sondern dessen Mitbewerber vorne sah, und hat das Ministerium dieses Votum illegitimerweise ignoriert?  

 

Laut Anna Christmann, grüne Fraktionssprecherin für Innovations- und Technologiepolitik, belegen die Unterlagen des Ministeriums genau dies. Ende Mai, zu Beginn der Beratungen der Gründungskommission, habe es eine Nutzwertanalyse durch Fraunhofer gegeben, die ein Ranking der Standorte inklusive einer Punktbewertung enthalten habe. Diesem Ranking zufolge habe Ulm, nicht Münster auf Platz eins gelegen. 

 

Doch habe das Bundesforschungsministerium, berichtet Christmann weiter, laut den Unterlagen das Ranking gegenüber Fraunhofer prompt als "methodisch unzulänglich" zurückgewiesen und einen zweiten Entwurf der Bewertung verlangt. Nur wenige Tage später, Anfang Juni, habe Fraunhofer dann eine neue Bewertung ans Ministerium geschickt "mit überarbeiteten qualitativen Texten und einer überarbeiteten Nutzwertanalyse". Diese neue Bewertung habe plötzlich keine Rangliste mehr enthalten. 

 

Ein Sprecher von Karliczeks Ministerium sagte, die Fraunhofer-Gesellschaft habe zunächst die Konzepte der verschiedenen Standorte "entlang der festgelegten Kriterien" auswerten und diese Auswertung in einer Übersichtstabelle festhalten sollen. Fraunhofer habe diese Aufgabe "iterativ" erfüllt, "da sich herausstellte, dass teils gleiche Tatbestände unterschiedlich gewichtet wurden oder sich in einer tabellarischen Übersicht nicht darstellen ließen." Die Tabelle habe als Arbeits- und Diskussionsgrundlage gedient, "als Hilfestellung für die Gründungskommission" und sei für eine "fundierte sachgerechte Entscheidung… nur bedingt geeignet" gewesen. Dies habe die Fraunhofer-Gesellschaft auch selbst so bestätigt. Insofern halte das Ministerium auch die Darstellung aufrecht, dass Fraunhofer nie ein Ranking der Standorte vorgelegt habe. 

 

Fraunhofer: Christmanns Darstellung ist
"korrekt, aber nicht vollständig"

 

Ein Sprecher der Fraunhofer-Gesellschaft sagte auf Anfrage: "Wir sind uns hier mit dem BMBF einig, die Beschreibung der Abläufe von Frau Christmann ist soweit korrekt, aber nicht vollständig." Was eine interessante Abweichung im Wording im Vergleich zur Auskunft des Ministeriums bedeutet. 

 

Der erste Entwurf der Fraunhofer-Gesellschaft sei zwischen dem BMBF und Fraunhofer diskutiert worden, fügte der Fraunhofer-Sprecher hinzu, "hierbei wurde Optimierungspotenzial festgestellt. Entsprechende Anpassungen wurden im Folgenden von Fraunhofer vorgenommen und betrafen insbesondere die Wertung einzelner Aspekte der Standortbewerbungen wie des räumlichen Abstands zwischen den vorgeschlagenen Standorten und den Batteriekompetenzzentren innerhalb eines Landes oder der Einbeziehung lokaler Kompetenznetzwerke."

 

Im numerischen Ergebnis hätten die Standorte so nahe beieinander gelegen, "dass bereits kleine Veränderungen sich auf die Reihung auswirkten." Dies habe Fraunhofer mit E-Mail vom 3. Juni dem BMBF mitgeteilt: "dass sich die Punktewertung nach der vereinbarten Anpassung entsprechend verändert". Alleine die Angleichung der Wertung der Entfernung zwischen den Kompetenzzentren habe zu einer signifikanten Änderung der Punktezahlen geführt.

 

Daraufhin seien dann "wie zwischen Fraunhofer und BMBF verabredet" der Gründungskommission lediglich "die Zahlen und Fakten aus den Standortbewerbungen in tabellarischer Aufbereitung" übermittelt worden. "Sie sollte es den Mitgliedern der Gründungskommission wie gefordert ermöglichen, sich ein eigenes Bild zur Bewertung der eingegangenen Standortvorschläge zu machen." Auch ein ebenfalls vorgelegtes Dokument mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte der Standortbewerbungen habe keinerlei Reihung enthalten.

 

Statt einem Ranking nur
ein Ranking-Entwurf?

 

Also hat es kein Ranking gegeben, wie das Ministerium betont, aber den Entwurf eines Rankings – Entwurf deshalb, weil das Ministerium "Optimierungspotenzial" feststellte und Fraunhofer daraufhin die Vorlagen überarbeitete?

 

Fraunhofer antwortet weiter, nach damaliger Auffassung des Ministeriums sei es die Aufgabe der Gründungskommission gewesen, die Standortvorschläge mit Blick auf die Eignung zu bewerten – weshalb sich Ministerium und Fraunhofer darin einig gewesen seien, "dass es aus grundsätzlichen Erwägungen unpassend erscheine, der Gründungskommission ein numerisches Ranking der Standorte zu übermitteln, ein solcher Schritt war auch nie vorgesehen."

 

Was allerdings ursprünglich vorgesehen war, so belegt es ein internes Papier der Fraunhofer-Gesellschaft vom 13. März: ein Standortvotum der Gründungskommission. Doch schon Anfang Juli hatte das Bundesforschungsministerium auf meine entsprechende Frage geantwortet, der in den Fraunhofer-Unterlagen vom 13. März angegebene Zeitablauf sei mehrfach "im Konsens aller Beteiligten" verändert worden. Nach einer internen Diskussion der Gründungskommission sei dann verabredet worden, anstatt der Standortempfehlungen nur ein Meinungsbild zu erheben.

 

Mit dieser Darstellung reagierte das Ministerium auch auf Vorwürfe, es habe einen im Vorfeld der letzten Kommissionssitzung geschriebenen Brief eines Kommissionsmitgliedes mit einem Votum für Ulm ignoriert. In der Sondersitzung des Bundestagsausschusses hatte Karliczek besagtes Schreiben nur eine "Notiz" genannt und gesagt, die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, es habe eine Empfehlung gegeben, sei "unzutreffend". So hätten es alle Industrievertreter der Kommission, auch der Briefeschreiber, bestätigt.

 

Am Ende gab es laut BMBF weder ein Votum
von Fraunhofer noch der Gründungskommission

 

Am Ende hat es deshalb laut BMBF weder ein Standort-Ranking durch die Fraunhofer-Gesellschaft noch ein Votum der Gründungskommission gegeben – weshalb die Entscheidung schließlich, so die Darstellung von Karliczek, zwischen ihrem und dem Ministerium von Peter Altmaier habe fallen müssen.  

 

Eine Frage, die sich nach der Antwort von Fraunhofer stellt: Selbst wenn sie wollte – hätte eine zu einem guten Teil vom Bund mitfinanzierte Forschungsorganisation, die die Bundesregierung auch in ihren Gremiem vertreten hat, eigentlich der Einschätzung des Ministeriums, ihre Vorlage sei methodisch unzulänglich, widersprechen können? Und könnte eine solche Forschungsorganisation zum jetzigen Zeitpunkt eine von der Schilderung des Ministeriums dezidiert abweichende Darstellung der Abläufe vorlegen? In der Frage soll bewusst kein Verdacht mitschwingen, aber gestellt werden muss sie schon. 

 

Vielleicht auch deshalb fügt der Fraunhofer-Sprecher seiner Antwort noch einmal eine lange Erläuterung bei, weswegen "die fehlende Vergleichbarkeit der Aussagen in den Konzepten bzgl. einiger der in der Tabelle abgefragten Positionen" und der hinterlegte "Berechnungsalgorithmus" dazu geführt habe, "dass eine Differenzierung zwischen den Standorten und damit die Ermittlung eines eindeutigen Rankings anhand der in Absprache mit der Gründungskommission vorgegebenen Fest- und Mindestkriterien sowie zusätzlichen Aspekten den Standortkonzepten nicht gerecht wurde". Eine Konsolidierung des Rankings anhand der Tabelle sei Fraunhofer und BMBF daher nicht zielführend erschienen. "Fraunhofer hat nach den Erörterungen in der Gründungskommission erklärt, dass es mehrere sehr geeignete Standorte gibt, an denen die FFB erfolgreich umgesetzt werden kann." Vier Standorte, um genau zu sein, darunter Ulm und Münster.

 

Eines lässt sich in jedem Fall festhalten: Es ist ein konfuser Auswahlprozess gewesen. "Statt offenzulegen, dass der Auswahlprozess gescheitert ist", kritisieren die Grünen Christmann und Gehring denn auch, "verschleiert das Ministerium jedoch weiterhin die Abläufe. Die Widersprüche zwischen den Unterlagen und den Antworten auf die diversen parlamentarischen Anfragen lassen keinen anderen Schluss zu. Weder die Existenz der Rangliste noch die freihändige Entscheidung des Ministeriums werden trotz mehrmaliger Nachfrage offengelegt."

 

Wann kamen die neuen
Entscheidungskriterien dazu?

 

Apropos freihändige Entscheidung: Neben der Frage, ob Fraunhofer und/oder weitere Mitglieder der Gründungskommission ein Standort-Ranking vorgelegt haben, kritisieren die Grünen nämlich noch einen weiteren zentralen Punkt der Standortvergabe. 

 

Weil es nach Darstellung der Bundesregierung in der abschließenden Sitzung der Gründungskommission eben kein klares Standortvotum gegeben habe, sondern die Zahl der potenziellen Standorte nur von vier  auf drei habe eingeschränkt werden können, habe die Fachebene von Karliczeks Ministerium, um zu einer Entscheidung zu gelangen, die bestehenden Hauptkriterien weiter ausdifferenziert – "auf Vorschlag der Fraunhofer-Gesellschaft“. So sagt es Karliczeks Ministerium seit Wochen. 

 

Christmann und Gehring sprechen dagegen von neuen Kriterien, die das BMBF "freihändig hinzugefügt" habe: Aus den durch das BMBF bereitgestellten Unterlagen gehe "zweifelsfrei" hervor, dass das zuständige Fachreferat die zusätzlichen Kriterien bereits im Vorfeld der letzten Gründungskommissionssitzung vom 25. Juni an das Bundeswirtschaftsministerium kommuniziert habe – nicht erst danach. "Es handelte sich offenbar um eine Reaktion auf die Rangliste von Fraunhofer. Es war also nicht so, dass es zusätzliche Kriterien gebraucht hätte, um eine Auswahl zu treffen." Ganz im Gegenteil deute alles darauf hin, dass das BMBF die zusätzlichen Kriterien genutzt habe, um eine Rangliste im Vorfeld der abschließenden Sitzung der Gründungskommission zu verhindern.

 

Karliczek, fordern die Grünen, müsse sich umgehend und umfassend "zu der Einflussnahme ihres Ministeriums auf den Auswahlprozess, den Widersprüchen ihres Ministeriums in den Antworten auf unsere Anfragen und ihrer eigenen Rolle bei der Standortauswahl" äußern. Ziel müsse sein, Schaden von den beteiligten Standorten abzuwenden. "Es stellt sich zudem die Frage, wie Auswahlprozesse und Förderentscheidungen im BMBF generell organisiert sind. Wenn eine halbe Milliarde Fördergeld so dilettantisch vergeben wird, wie in diesem Fall, muss das Ministerium darstellen, wie Auswahlprozesse sonst laufen." Fördergelder des Bundes für Forschung müssten zwingend nachvollziehbar, auf der Basis einer wissenschaftsgeleiteten Bewertung und Good Governance-Standards vergeben werden, sagen Christmann und Gehring.

 

Tatsächlich bleibt am Ende die Feststellung, dass alle Probleme offenbar mit der Zusammensetzung der Gründungskommission anfingen, die sich nach Darstellung des Ministeriums schließlich selbst für befangen erklärte, da die Firmen und Institute ihrer Mitglieder eng in die zur Wahl stehenden Konzepte der verschiedenen Standorte eingebunden gewesen seien. Hätte man das vorher nicht ahnen können? Auf jeden Fall nahm das Auswahlverfahren, siehe oben, so einen ganz anderen Weg als ursprünglich geplant. 


Autoländer rücken enger zusammen

Die Autoländer Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen wollen einen gemeinsamen "Kabinettsausschuss zur Zukunft der Automobilwirtschaft" einrichten, berichtet die Stuttgarter Zeitung in ihrer Montagsausgabe. Sie werfen der Bundesregierung vor, den technologischen Wandel der Branche zu verschlafen. Die drei Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD) hatten Anfang Juli schon mit einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Streit um die Batteriefabrik eingegriffen.  "Mit der Entscheidung für Münster, die wohl einen langwierigen Aufbau neuer Strukturen nach sich zieht, wird wertvolle Zeit im Wettlauf gegen Deutschlands Wettbewerber verloren", schrieben sie damals – und behaupteten, die Gründungskommission habe nicht für Münster als erste Wahl votiert. Womit wir wieder am Anfang der Geschichte wären.

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Kommentare: 3
  • #1

    tutnichtszursache (Montag, 23 September 2019 10:19)

    Ganz grundsätzlich: Ob es nun Voten und Reihungen von Wissenschaftsorganisationen gab oder nicht - Förderentscheidungen wie diese sind von den politischen Stellen zu treffen. Äußerungen von Fraunhofer oder von Gründungskommissionen sind Vorschläge. Es ist das Recht und letztendlich die Pflicht des Ministeriums, zu entscheiden.
    Umso mehr, wenn, womit der Beitrag ja auch endet, die Gründungskommission wegen Befangenheiten nicht handlungsfähig war (und auch bei Fraunhofer darf man keine vollständige Neutralität als gegeben ansehen).

  • #2

    Th. Klein (Montag, 23 September 2019 10:54)

    Selbst wenn man dem Ranking Bedeutung schenkt, hat die FhG doch klar gemacht, dass das Punktesystem starken Schwankungen unterlag, je nach Bewertung und Gewichtung der Einzelaspekte. Letztlich waren 4 Standorte mehr oder weniger gleichauf. Jede Entscheidung für einen einzigen Standort, kann also leicht angegriffen werden. Da haben die Kritiker leichtes Spiel. In der Forschungsförderung gibt es dazu einen neuen Weg - das Losverfahren. Ob die Kritiker mit solch einem objektiven Verfahren einverstanden wäre. ;-)

  • #3

    Edith Riedel (Montag, 23 September 2019 11:08)

    Ich würde hier ganz entschieden widersprechen. Diese Art von Förderentscheidung sollte nie von den politischen Stellen getroffen werden, da dort keine inhaltlichen sondern machtpolitische Überlegungen Basis der Entscheidung sind. Aufgabe der Politik wäre es gewesen, eine nicht befangene Gründungskommission zusammenzustellen, oder eine befangene Gründungskommission durch eine nicht befangene zu ersetzen. Diese Aufgabe ist ganz offensichtlich nicht erfüllt worden.