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"Nicht neidvoll nach Süden schauen"

Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler über die Lehren aus der Exzellenzstrategie, den Wettbewerb zwischen den Bundesländern  – und den Streit um die Zukunft der Gesundheitsberufe.

Björn Thümler, 48, war CDU-Oppositionsführer im Niedersächsischen Landtag und ist seit November 2017 Minister für Wissenschaft und Kultur. Foto: MWK/brauers.com.

Herr Thümler, während anderswo gejubelt wurde, herrschte an Niedersachsens Hochschulen Mitte Juli Katerstimmung. Hannovers Universität und Medizinische Hochschule waren mit ihrer Verbundbewerbung als Exzellenzuniversitäten nicht durchgekommen, auch die TU Braunschweig schaffte nicht den Titel. Was sagt das über die Stärke von Niedersachsens Wissenschaft aus?

 

Klar wäre es schön gewesen, wenn Hannover und Braunschweig erfolgreich gewesen wären. Auch hätte ich mir gewünscht, dass die Gutachter den Verbundantrag ein Stückweit anders beurteilt hätten als die Einzelbewerbungen. Ich halte die starke Ungleichverteilung der Exzellenzuniversitäten zwischen Nord und Süd, Ost und West für ein Problem. Es kann ja sein, dass sie der Realität unserer Universitätslandschaft entspricht. Aber dann darf uns das wirklich nicht zufriedenstellen.

 

Ein bisschen verbittert klingt das schon!

 

Ganz und gar nicht. Ich finde, unsere Universitäten haben sich hervorragend verkauft. Gerade Braunschweig befand sich in der absoluten Außenseiterposition, hat sich den Gutachtern aber auf eine erfrischend unkonventionelle Weise präsentiert, in einem Zirkuszelt. Man konnte die Aufbruchsstimmung spüren, das hat richtig Spaß gemacht. Im Übrigen sind wir bei den Clustern sehr erfolgreich gewesen, wir konnten ihre Zahl auf sechs verdoppeln im Vergleich zur Exzellenzinitiative. Das bedeutet, dass wir für die nächsten Jahre 330 Millionen Euro Spitzenförderung nach Niedersachsen geholt haben.

 

Sie beklagen die regionale Schieflage der Exzellenzstrategie. Gilt das für die Forschungsstärke der deutschen Bundesländer insgesamt?

 

Ganz sicher müssen wir nicht neidvoll nach Süden schauen, wenn Sie das meinen. Bayern und Baden-Württemberg sind starke Wissenschaftsstandorte, keine Frage. Aber wir in Niedersachsen sind auch in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt: in der Medizin, in den Naturwissenschaften, in der Quantenforschung, in der Photonik, in der Sensorik. Gerade erst haben wir eine Wissenschaftsallianz Wasserstoff gegründet, um die Kapazitäten zu bündeln. Weitere Allianzen auf anderen Feldern werden folgen. Wir werden in den kommenden Jahren bis zu 50 neue, auf Dauer angelegte Digitalisierungsprofessuren besetzen. Hinzu kommt die starke Präsenz außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, stellvertretend nenne ich mal die vielen Max-Planck-Institute in und um Göttingen herum, wo herausragende Wissenschaft betrieben wird.

 

"Ich bin froh, dass wir an der Universität
Göttingen Ruhe erzeugen konnten"

 

Göttingen war zuletzt allerdings weniger wegen seiner herausragenden Wissenschaft in den Schlagzeilen, sondern wegen seines enttäuschenden Abschneidens bei der Exzellenzstrategie, einer geplatzten Präsidentenwahl und einer erbittert geführten Führungsdebatte.

 

Ich bin froh, dass wir an der Universität Göttingen Ruhe erzeugen konnten, so dass sich der Standort wieder auf seine Stärken konzentrieren kann. Mit Herrn Professor Reinhard Jahn haben wir eine renommierte Persönlichkeit für die übergangsweise Wahrnehmung der Rechte und Pflichten eines Präsidenten gewinnen können, der um die Potenziale Göttingens weiß, der auch eine Perspektive für die Universität entwickeln kann in Hinblick auf die nächste Runde der Exzellenzstrategie. Dass es darüber hinaus gelungen ist, Peter Strohschneider als neues Mitglied des Stiftungsausschusses zu gewinnen, stimmt mich überaus zuversichtlich, dass die Universität weitere starke Impulse bekommen wird, welche Richtung sie in den nächsten Jahren einschlagen sollte.

 

Vor wenigen Wochen hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ein milliardenschweres Wissenschaftspaket verkündet. Wie soll da ein Land wie Niedersachsen mithalten?

 

Indem wir uns auf unsere Stärken besinnen, auf die Hidden Champions im Wissenschaftsbereich, auf die Nischen, die wir besetzen können. Zusammen mit Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein bilden wir zum Beispiel in der maritimen Forschung eine starke Phalanx, auf dem Feld haben Bayern und Baden-Württemberg nun mal gar nichts zu bieten. Die Quantenoptik in Hannover ist ebenfalls so ein Feld, auch in der Raumfahrt haben wir sehr gute Ansätze, und eine echte niedersächsische Spezialität ist die Hörforschung. Der Exzellenzcluster, den Oldenburg zusammen mit Hannover aufgebaut hat, ist führend. Wir werden als Landespolitik stimulieren und fördern, wo wir nur können. Eines muss ich allerdings auch sagen. Ich würde mir hier und da von einigen unserer Forscher noch etwas mehr Wettbewerbsgeist auf europäischer Ebene wünschen.

 

Wie meinen Sie das?

 

Wir wollen und müssen erfolgreicher werden im Einwerben europäischer Forschungsfördergelder.

 

"Wir müssen erfolgreicher werden
beim Einwerben von EU-Forschungsgeldern"

 

Die Bedeutung der europäischen Forschungsförderung für Niedersachsen haben Sie in Ihren gerade mal zwei Jahren im Amt auffällig häufig erwähnt.

 

Weil das einer meiner Schwerpunkte ist: die Internationalisierung unserer Wissenschaft mit einem speziellen Fokus auf Europa. Wir haben dafür als Ministerium eine Europastrategie entwickelt, wir wollen stärker am europäischen Forschungsraum partizipieren.

 

Mehr ERC-Grants für Niedersachsen?

 

Die Botschaft an unsere Forscherinnen und Forscher ist ganz klar: Wir wollen Exzellenz belohnen und fördern. Was nicht heißt, dass wir diejenigen an den Hochschulen, die das Brot-und-Butter-Geschäft machen, gerade auch indem sie eine exzellente Lehre bieten, hinten runterfallen lassen, das darf nicht passieren.

 

Was ist die Handschrift von Björn Thümler, Herr Minister?

 

Europa ist da schon ganz besonders wichtig. Neulich habe ich die Präsidenten aller niedersächsischen Hochschulen nach Brüssel eingeladen zu unserer großen Dienstbesprechung, die wir regelmäßig haben. Viele von ihnen fanden das erst ein bisschen sonderbar. Aber als wir dann dort zusammensaßen, haben sie verstanden, dass es um das Signal ging, dass Minister und Landesrektorenkonferenz gemeinsam am Sitz der EU auftauchen. Dass wir uns präsentieren als Ansprechpartner einer starken niedersächsischen Forschung, und ja: dass wir es auf ERC-Grants abgesehen haben. Ich überlege gerade, ob wir nicht eine Art EU-Scouting-System an unseren Hochschulen aufbauen können mit Mitarbeitern, die als Berater für die Wissenschaftler fungieren. Wo gibt es welche neuen Ausschreibungen, welche Kriterien sind dabei zu beachten? Die Orientierung an unseren starken Partnern in Europa bedeutet eine Orientierung an mehr wissenschaftlicher Exzellenz.

 

Internationalisierung, Europa, und was noch?

 

Zunächst zu meinen weiteren Schwerpunkten. Klar: die Digitalisierung. Wie andere Bundesländer treiben auch wir die Digitalisierung an den Hochschulen voran, aber eines ist uns dabei besonders wichtig: dass wir die Forschung nicht entkoppelt von der Lehre betrachten. Wir wollen Forschung und Lehre wieder stärker als Einheit sehen, und dabei hilft uns die Digitalisierung. Eine dritte Linie, die ich verfolge, besteht in der Stärkung der Fachhochschulen, weil sie für mich besondere Orte der angewandten Forschung, des Wissens- und Technologietransfers sind. Und diese halte ich angesichts des gegenwärtigen tiefgreifenden technologischen Wandels unserer Gesellschaft für besonders wichtig. Und wenn man über Europa, Internationalisierung und Exzellenzförderung redet, möchte ich es an dieser Stelle mal ganz konkret machen. Ich bin froh, dass wir in Glasgow eine weitreichende Partnerschaft der 21 niedersächsischen Hochschulen mit den 19 schottischen vereinbaren konnten.

 

"Wir haben uns ganz bewusst
Schottland als Partner ausgesucht!

 

Das scheint ja der neue Trend zu sein: Alle suchen sich Partner in Großbritannien: Die Münchner Unis haben Cambridge gewonnen, die Berliner Oxford – und Niedersachsen muss nach Schottland ausweichen?

 

Natürlich war auch unser Memorandum of Understanding ein Stückweit vom Brexit geleitet, aber wir haben uns ganz bewusst Schottland als Partner ausgesucht. Die Engländer wollten mehrheitlich aus der EU, die Schotten nicht. In Schottland sagen die Leute: Die Zentralregierung in London ist uns egal, wir wollen möglichst enge Bindungen nach Europa. Das war eine herzliche Atmosphäre, mit der wir in Glasgow empfangen wurden.

 

Historisch hat Niedersachsen aber eine besonders enge Verbindung nach England.

 

Und die bleibt auch erhalten. Was uns an Schottland fasziniert hat, war die Begeisterung für eine Partnerschaft. Und zwar auf beiden Seiten. Sie können eine solche Kooperation nicht als Minister par ordre du mufti verordnen, die muss im Kleinen, im Alltäglichen wachsen. Was Sie als Regierung tun können: die nötigen Fördergelder bereitstellen. Das tun wir. Und die Schotten auch.

 

Von wieviel Geld reden wir?

 

Wir geben erst einmal 300.000 Euro, die Schotten wollen auch mindestens 200.000 Euro bereitstellen für die Startup-Phase unserer Partnerschaft. Es gibt Reisekostenzuschüsse, und wir haben ein schottisch-niedersächsisches Förderprogramm aufgesetzt und auf Anhieb 12 Anträge bewilligt, von 14 eingereichten. Das ging innerhalb weniger Tage, und da war alles dabei von einem Konzept für eine Europäische Universität bis hin zu gemeinsamen Forschungsprojekten zur Geräuschbelastung im Meer oder zu Vertrauen als Regulator in der Gesellschaft. Ein Vorteil ist, dass wir mit dem European Center of Advanced Studies in Lüneburg, das die Leuphana-Universität gemeinsam mit der Universität Glasgow gegründet hat, eine hervorragende Grundlage hatten. Über Lüneburg können wir jetzt den Prozess stimulieren. Der nächste Schritt sind direkte Hochschulpartnerschaften. Glasgow, Edinburgh, Aberdeen und St Andrews, die vier großen schottischen Universitäten, haben allesamt Interesse angemeldet an niedersächsischen Partnern, der Austausch wird Wissenschaftler, Doktoranden und Studierende umfassen. Unter anderem deshalb wollen wir die Einrichtung von mehr englischsprachigen Studiengängen fördern, Bachelor wie Master.

 

Eigentlich gelten Sie als verträglicher Typ, aber die Entschiedenheit, mit der Sie Ihr Ministerium umgebaut haben, hat dort für Unruhe gesorgt. Musste das sein?

 

Sicherlich sollte man so einen Umbau nicht jeden Monat anstoßen. Aber mein Ministerium war die letzten zehn Jahren und länger nahezu unverändert aufgestellt, während sich die Welt geändert hat. Darum musste ich reagieren. Jetzt haben wir eine modern aufgestellte Forschungsabteilung mit einer klaren Gliederung – inklusive eines neuen, eigenen Referats für internationale Beziehungen. Wenn wir uns als Wissenschaftsstandort öffnen und international ausrichten wollen, dann müssen wir das auch in der Struktur des Wissenschaftsministeriums abbilden und sichtbar machen, für uns und für andere. Ganz wichtig ist mir auch, dass wir jetzt über die Zentralabteilung eine Reihe von Querschnittsaufgaben definiert haben, Bauangelegenheiten, Justiziariat, Personal, IT. Die Botschaft lautet: Wir müssen in einem Ministerium nicht nur horizontal, sondern auch vertikal zusammenarbeiten, um erfolgreich zu sein. Das muss noch im Haus geübt werden, und das ist kein einfacher Prozess.

 

"Sicherlich sollte man so einen Umbau im  
Ministerium nicht jeden Monat anstoßen"

 

Wie lange dauert es, bis nach so einem Umbau mehr Energie rauskommt, als reingesteckt wird?

 

Ich habe zum Glück hochprofessionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich einmal schütteln und dann weiterarbeiten. Das ist beachtlich, denn mir ist die Zumutung bewusst, die es bedeutet, wenn man Zuständigkeiten verschiebt, die dann aber nicht auf den ersten Blick klar sind, weil der neue Geschäftsverteilungsplan noch gar nicht vorliegt. Das hat einige verunsichert. Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten keinerlei Leistungseinbrüche, sie haben hundertprozentig weitergearbeitet. Das ist anerkennenswert und zeigt die besondere Kultur in meinem Ministerium. Die Leute brennen für ihre Themen.

 

Das war ja jetzt eine richtige Ode an Ihre Mitarbeiter, Herr Thümler! Mir fällt ein Thema ein, bei dem Sie vermutlich weniger freundlich reagieren. Die Akademisierung der Gesundheitsberufe durch den Bund.

 

Das ist wirklich ein Ärgernis. Ich bin einer der Landeswissenschaftsminister, die von Anfang an aufbegehrt haben. Seitdem pflege ich eine lebhafte Brieffreundschaft mit unserem Bundesgesundheitsminister. In zahlreichen Anläufen habe ich versucht, Jens Spahn zu vermitteln, dass man für Ideen, die man in die Welt setzt, auch das nötige Geld zur Verfügung stellen muss. Ansonsten können Sie alle möglichen Reformen per Gesetz verordnen, das nützt Ihnen gar nichts, wenn für diejenigen, die die Ausbildung machen sollen, keine Kapazitäten da sind.

 

Aber für die Kapazitäten ist doch nicht der Bund zuständig, sondern die Länder!

 

Ja, so kann man das natürlich machen als Bundesgesundheitsminister. Sich hinstellen und sagen: Ich habe brillante Pläne, aber die Länder sind nicht in der Lage, sie umzusetzen. Aber ich hoffe, die Leute sind zu intelligent, um darauf reinzufallen. Es ist eine Schieflage in unserem System, dass der Bund die Neudefinition von Ausbildungsanforderungen vorantreiben kann, die Finanzierung aber allein an den Ländern hängen bleibt. Ich will Ihnen nur eine Zahl nennen. Allein die Reform der Psychotherapeuten-Ausbildung, wie der Bund sie beschlossen hat, kostet deutschlandweit rund 50 Millionen Euro mehr pro Jahr, da ist der Overhead noch nicht eingepreist. Für uns in Niedersachsen macht das etwa fünf Millionen. Entweder führt das dazu, dass man bei der Qualität trickst, oder man muss anderswo Geld wegnehmen.

 

"Ich hoffe, die Leute sind zu 

intelligent, um darauf reinzufallen"

 

Wo wollen Sie denn Geld wegnehmen?

 

Ich werde nirgendwo etwas wegnehmen. Einige Länder planen, zum Ausgleich die Kapazitäten in der Psychologie zu verringern, das halte ich für fatal. Es zeigt aber die Notlage. Bei den Hebammen ist es übrigens noch schlimmer. Jens Spahn suggeriert, es gebe auch nach der Reform eine duale Ausbildung. Tatsächlich aber handelt es sich jetzt um ein reines Fachhochschulstudium, in dem die Praxisanteile in Partnereinrichtungen abgedeckt werden. Das hat mit der Dualität im ursprünglichen Sinne nichts mehr zu tun, weder im beruflichen noch im hochschulischen Bereich. Kostenpunkt für uns in Niedersachsen: etwa 3,5 bis 4 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich. Wir haben dafür frisches Geld bereitgestellt, aber das tut schon weh.

 

Trotzdem hat der Bundesrat am Freitag den beiden Reformgesetzen zu Hebammen und Psychotherapeuten zugestimmt. Wie kann das sein?

 

So ist Politik eben manchmal.

 

Die Reform des Medizinstudiums haben Bund und Länder im Masterplan 2020 schon vor längerem gemeinsam beschlossen. Auch hier entstehen zusätzliche Kosten, die Schätzungen zufolge bei mindestens einer Viertelmilliarde liegen werden – pro Jahr. Hinzu kommen die einmaligen Kosten für den Umbau des Studiums.

 

Und genau deshalb weigern wir uns als Länder bislang, auch bei der Zahnmedizin die Reform zu besiegeln. Solange nicht klar ist, wie wir die Finanzierung hinbekommen, wäre ein Beschluss unverantwortlich. Wir würden das System kaputtmachen, weil wir aufgrund der Mehrkosten ohne Geld des Bundes die ohnehin schon knappe Zahl der Studienplätze verringern müssten.

 

Was ist die Lösung?

 

Es ist ganz einfach: Wir haben das berühmte Fallpauschalenprinzip in der Medizin. Das berücksichtigt aber nicht, dass Universitätskrankenhäuser eine Maximalversorgung leisten. Die besonders schwer kranken Patienten werden dort behandelt, die Medikamentenkosten sind extrem hoch, und auch der Einsatz der Apparatemedizin ist dort am intensivsten. Solche Sondertatbestände müssen endlich vom Bund über einen Systemzuschlag auf die Fallpauschalen abgebildet werden.

 

Das ist ja nun ein ganz alter Vorschlag.

 

Man muss doch nicht alles neu erfinden, wenn es schon kluge Ideen gibt. Derzeit erlebt die Universitätsmedizin Göttingen, dass andere Krankenhäuser ihre besonders kranken Patienten zu ihr weiterreichen. Das schlägt Löcher ins Budget. Und das ist kein Einzelfall, von der Medizinischen Hochschule Hannover höre ich ähnliches. Ich halte das für absurd: Die besten Krankenhäuser werden auf diese Weise ausgerechnet für ihre Leistung bestraft. Und wir Wissenschaftsministerien können nicht einfach die Gelddruckmaschine anschmeißen. Zu dieser Frage gibt es übrigens eine weitere, nicht weniger lebhafte Brieffreundschaft, in diesem Fall mit dem Bundeskanzleramtsminister, der selbst Arzt ist und die Schieflage beurteilen kann. Leider bislang ohne Erfolg.

 

"Wir müssen aufpassen, dass der
Bund Berlin nicht einseitig überfördert"

 

Sie sagen es selbst: Der Bund ist nicht einmal in Ansätzen bereit, über einen Systemzuschlag zu reden. Wie wäre folgende Alternative: Sie zahlen aus Ihrem Budget die Mehrkosten, und der Bund finanziert den Ländern mit eigener Hochschulmedizin dafür eine Forschungseinrichtung ähnlich dem Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG)?

 

Klingt nach einer charmanten Idee, aber auch dagegen wird der Bund sich mit Händen und Füßen wehren, vor allem die Bundesforschungsministerin. Aus deren Budget würde die Finanzierung solcher Forschungsinstitute nämlich kommen, während für einen Systemzuschlag das Gesundheitsministerium zuständig wäre.

 

Das BIG wird also ein Solitär bleiben?

 

Berlin macht das schon geschickt, wie es sich eine Sonderbehandlung nach der anderen sichert. Wir müssen allmählich aufpassen, dass der Bund nicht ein einziges Bundesland, in diesem Fall die Bundeshauptstadt, einseitig überfördert. In der Kultur ist das eindeutig so, und auch im Forschungsbereich sind die entsprechenden Ansätze erkennbar. Dagegen kann kein Bundesland allein konkurrieren, bestenfalls Bayern, wenn man den Ankündigungen in Herrn Söders jüngster Regierungserklärung glaubt.

 

Glauben Sie es ihm?

 

Wenn er es umsetzt, dann können wir uns jedenfalls alle warm anziehen.

 

Nicht nur Bayerns Ministerpräsident macht große Versprechungen, auch in Baden-Württemberg läuft derzeit eine Auseinandersetzung um die künftige Hochschulfinanzierung, an deren Ende ein kräftiges Plus stehen dürfte. Und es gibt weitere Bundesländer, die sich ambitioniert zeigen: Berlin zum Beispiel, bei dem Sie eine Sonderbehandlung des Bundes vermuten, gibt in der laufenden Legislaturperiode seinen Unis jedes Jahr 3,5 Prozent mehr. Erhöht das für Sie nicht den Zugzwang?

 

Eine Zahl hinzuschreiben, sagt noch nicht viel. Bei uns in Niedersachsen haben wir so eine Zahl bislang nicht, aber auch bei uns steigen die Budgets automatisch und beträchtlich, allein schon, weil wir alle Gehaltssteigerungen an den Hochschulen ausgleichen. Das sind dann schon im Wesentlichen die drei Prozent, hinzu kommen noch gezielte Zuwächse an unterschiedlichen Stellen in meinem Haushalt.

 

Warum verkaufen Sie die dann nicht auch über eine plakative Zahl?

 

Ich lasse gerade zusammenstellen, was wir derzeit wo leisten. Dazu habe ich mich durch die Regierungserklärung von Herrn Söder herausgefordert gefühlt. Wir werden natürlich nicht an die in Bayern kursierenden Summen herankommen, weil Söder Geld, das eigentlich für die Schuldentilgung gedacht war, jetzt in die Wissenschaft und in die Hochschulen stecken will. Aber ich will auch in Niedersachsen deutlich machen, dass wir eine besondere Priorität für Bildung und Wissenschaft brauchen. Am Ende ist das, was wir im Kopf tragen, das einzige, mit dem wir den internationalen Wettbewerb bestehen werden.

 

Ist das ein Plädoyer Richtung Finanzministerium?

 

Das ist immer ein Plädoyer Richtung Finanzministerium. Nochmal zu Berlin: Der Bund muss aufpassen, dass er nicht bei den übrigen Ländern allzu große Begehrlichkeiten weckt. Deshalb war ich anfangs ein Gegner der Pläne, dass der Bund über das BIG in die dauerhafte Finanzierung einer Landeseinrichtung, der Charité, einsteigt, auch weil uns bei der Gründung des Instituts versprochen worden war, dass genau das nicht passieren würde. Wir haben uns in Niedersachsen dann überzeugen lassen, dass es sich um eine Ausnahme handelt. Wir haben aber klargemacht: Wenn das nochmal vorkommt, dann müssen alle Bundesländer das gleiche bekommen.

 

Eine Ausnahme für alle?

 

Genau. Ich will ja auch gar nicht grundsätzlich verurteilen, dass der Bund Berlin besonders freundlich behandelt. Andere Staaten machen das mit ihren Hauptstädten nicht anders. Ich halte aber fest, dass eine solche Ungleichbehandlung unserem föderalen Prinzip widerspricht, also systemwidrig ist. Gleichzeitig gestehe ich zu, dass man gesamtstaatlich betrachtet zu einer anderen Perspektive kommen kann. Ich gehöre nicht zu denen, die ständig schreien, der Bund muss alles bezahlen. Mir würde es reichen, wenn er wieder in die Finanzierung des Hochschulbaus einsteigen würde.

 

"Der Ausstieg des Bundes aus dem
Hochschulbau war ein schwerer Fehler"

 

Der Ausstieg ist doch auf Betreiben der Länder als Teil der Föderalismusreform von 2007 beschlossen worden!

 

Ja, und das war ein schwerer Fehler.

 

Die Länder wollten das Geld damals vom Bund ausbezahlt bekommen. Wo ist das denn geblieben?

 

Es ist nur bis Ende dieses Jahrzehnts für den Hochschulbau festgelegt worden, danach nicht mehr. Das ist das Problem: Man hat den Ländern zusätzliche Umsatzsteueranteile gegeben, und damit war das Geld für uns im Wissenschaftsbereich weg. Nicht komplett, aber es waren nur ein paar Millionen, die es bis zu uns ins Ressort geschafft haben.

 

Heißt das, Sie wollen lieber, dass der Bund das Geld verwaltet als Ihr eigener Landesfinanzminister?

 

Es geht um verlässliche Strukturen. Strukturen, die dauerhaft sicherstellen, dass das Geld dort ankommt, wo es hingehört. Aber mit dem Thema Hochschulbau brauche ich bei der Kanzlerin gar nicht mehr anzukommen, dann springt die über den Tisch.

 

Immerhin haben die Länder durch die Reform des Länderfinanzausgleichs demnächst zehn Milliarden extra pro Jahr!

 

Aber hat man bei der Reform festgelegt, wohin diese Milliarden gehen sollen? Das ist meine Bitte: Wenn Ihr künftig Gelder vom Bund in die Länder verschiebt, schreibt bitte verbindlich vor, in welche Politikfelder es fließen soll. Anschließend müsst ihr die Verwendung kontrollieren und notfalls Geld zurückfordern. Bei der Bafög-Novelle 2015 hat man diese Chance verpasst, und das schmerzt uns bis heute.

 

Eine andere Möglichkeit, zusätzliches Geld in die Hochschulen zu bekommen, wäre die erneute Einführung von Studiengebühren. Zuletzt hat das Centrum für Hochschulentwickung (CHE) einen entsprechenden Vorstoß unternommen. Wäre es nicht langsam Zeit dafür?

 

Das Thema ist verbrannt. Ich halte das für äußerst bedauerlich. Den Befürwortern konnte es damals nicht schnell genug gehen, anstatt dass sie sich erstmal ein gutes Konzept überlegt und dieses dann auch angemessen kommuniziert hätten. Es war logisch, dass darauf eine heftige gesellschaftliche Gegenreaktion folgte, in deren Konsequenz man die Beiträge Hals über Kopf wieder abgeschafft hat. Auch das halte ich übrigens für einen Fehler. Man hätte von Anfang an auf ein nachgelagertes Modell setzen sollen, jetzt ist es dafür zu spät.

 

Und wenn der Bund ein vernünftiges System von Darlehen, subventionierten Zinsen und Ausfallbürgschaften mitfinanzieren würde?

 

Selbst dann wäre das Versuchungsmoment gering. Der Ärger, den Sie sich vor Ort einfangen, ist so maximal, der wiegt jede Geldsumme auf. Spätestens wenn Sie als Politiker nur noch unter Polizeischutz in die Hochschulen reinkommen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Max Banski (Mittwoch, 20 November 2019 12:21)

    Ein Minister, der den neuen Chef des Klinikums Göttingen als den der Medizinischen Hochschule Hannover einführt, sollte sich erst einmal gründlich im Süden "seines" Landes
    umsehen und die wahre Exzellenz dort entdecken.