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SPD-Kultusminister legen eigene Vorschläge für einen Bildungsrat vor

Zwei Wochen vor der Bürgerschaftswahl hatte Hamburgs Bildungssenator Rabe zum Treffen in die Hansestadt geladen. Das Ziel: wieder Schwung in die Debatte um den Bildungsföderalismus bringen.

OPTISCH FIEL das bildungspolitische Signal etwas kleiner aus. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe und fünf weitere SPD-Kultusminister:innen standen am Ende für den Fototermin auf der Treppe des Hamburger Rathauses. Die Nachrichtenagentur dpa berichtete denn auch, nur sechs sozialdemokratische Ressortchefs hätten sich am Donnerstag zur Klausurtagung getroffen, während Rabes Bildungsbehörde in ihrer Pressemitteilung beharrte: Es waren acht. Also alle Kultusminister, die die SPD zurzeit stellt. Rabe ist ihr Koordinator, und er war es, der sie auch in Richtung einer gemeinsamen Stellungnahme schob, plakativer Titel: "Hamburger Erklärung". 

 

Plakativ deshalb, weil der Titel an den letzten Bildungsvertrag erinnert, den die Länder hinbekommen haben: das Hamburger Abkommen, geschlossen 1964. So ein Abkommen, um den Bildungsföderalismus zu modernisieren, hat die Kultusministerkonferenz (KMK) vor nun schon zwei Jahren erneut versprochen. Seitdem gab es viel Klein-Klein, immerhin dann doch ernstzunehmende programmatische Arbeit – und Ende 2019 dann wieder großen Krach. Weil die Unionsländer, angeführt von Bayern und Baden-Württemberg, die Bund-Länder-Verhandlungen zur Gründung eines Nationalen Bildungsrates begraben hatten. Den Eindruck der totalen Zerstrittenheit vermieden die Kultusminister daraufhin im Dezember nur dadurch, dass sie sich in einer eilig verabschiedeten Minimalerklärung auf das Ziel eines "Bildungsrates/wissenschaftlichen Beirates" ohne gleichberechtigtes Zutun des Bundes einigten. Doch wie genau dieses Ersatz-Gremium aussehen soll, konnten die 16 Minister nicht sagen. 

 

Und genau an dieser Stelle setzte Rabe nun mit der Einladung seiner SPD-Kollegen zur Klausurtagung an. Bis zur Märzkonferenz der KMK wolle man eine gemeinsame Verhandlungsposition formulieren, hieß es im Vorfeld. Zum Bildungsrat vor allem, aber auch zu den Inhalten der geplanten KMK-Bildungsvereinbarung und zum Bund-Länder-Schlagabtausch zur Finanzierung des versprochenen Ganztags-Anspruchs für Grundschulkinder. Schon nächste Woche treffen sich alle KMK-Amtchefs, um die KMK-Ministersitzung vorzubereiten. Nicht unerheblich für die gestrige Erklärung der SPD-Ressortchefs, wenn auch mit keinem Wort erwähnt, war sicherlich auch die Tatsache, dass am 23. Februar in Hamburg eine neue Bürgerschaft gewählt wird und Rabe das Image des pragmatisch-konsequenten Bildungspolitikers mit bundesweitem Führungsanspruch derzeit besonders gut gebrauchen kann. Weshalb er über das Foto mit nur fünf Kolleg:innen nicht ganz glücklich gewesen sein dürfte. 

 

"Als eigenständiges Gremium Vorschläge zur Verbesserung der Bildungsangebote entwickeln"

 

Doch was besagt denn nun die "Hamburger Erklärung", die nur in Form einer Pressekonferenz und Pressemitteilung vorgestellt wurde? Eine schriftliche Variante veröffentlichten die Bildungsminister jedenfalls bislang nicht. Vor allem besagt sie dies: dass der Bildungsrat, den die SPD-Minister wollen, sich gar nicht so wesentlich von dem Gremium unterscheiden würde, das vor allem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) nicht wollten.

 

Die SPD-Minister wollten die Bildungsangebote in Kita, Schule, Berufsbildung und Weiterbildung in den Bundesländern besser und vergleichbarer machen, sagte Rabe. "Deshalb schlagen wir vor, dass die Kultusministerkonferenz einen unabhängigen Bildungsrat mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Personen des öffentlichen Lebens gründet. Dieser Bildungsrat soll als eigenständiges Gremium Vorschläge zur Verbesserung der Bildungsangebote entwickeln."

 

Die Betonung liegt auf eigenständig, aus Sicht der Wissenschaft womöglich sogar noch eigenständiger, als es der Nationale Bildungsrat mit seinen zwei Kammern, eine davon für die Politik, und dem Zwang zu gemeinsamen Zwei-Drittel-Entscheidungen gewesen wäre. Das Gremium solle "eine eigene Arbeitsstruktur unabhängig vom Sekretariat der Kultusministerkonferenz" bekommen, seine Mitglieder sollten für einen längeren Zeitraum berufen werden. Alles ganz so, wie es beim ursprünglich geplanten Rat gewesen wäre. 

 

Um der Politik dann aber doch einen gewissen Einfluss zu sichern, sollten KMK und Bildungsrat sich in einer gemeinsamen Steuerungsgruppe auf ein "Arbeitsprogramm mit Fragestellungen und Aufgaben verständigen". Pikanterweise wollen die SPD-Minister auch Vertreter des Bundes in die Steuerungsgruppe einbinden, obwohl genau die geplante Beteiligung des Bundes am Ende zu Söders Absage an den Bildungsrat geführt hatte. Auch Baden-Württemberg und Hessen hatten einen zu großen Einfluss des Bundes auf die Bildungspolitik als Kernzuständigkeit der Länder gefürchtet. Der Bund sei aber nun einmal in vielen Bereichen der Bildungspolitik ein wichtiger Partner, sagte Rabe. "Deshalb plädieren wir für eine Einbeziehung der Bundesregierung, obwohl wir wissen, dass einige Länder hier sehr skeptisch sind." 

 

Darf der Bund doch
ein bisschen mitmachen?

 

Wobei Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU), 2019 KMK-Präsident, als Teil des KMK-Minimalkonsenses schon Anfang Dezember angekündigt hatte, dass der Bund je nach Zuständigkeit auch in dem Ersatzgremkium mitreden könnte – allerdings nicht gleichberechtigt, wie er es im Nationalen Bildungsrat wollte, sondern nach den Regeln der Länder. Sicherlich sehen auch die SPD-Minister den Bund in der Steuerungsgruppe als Juniorpartner. Von den Kommunen, die im Nationalen Bildungsrat ebenfalls Stimmen gehabt hätten, erwähnten Ties und seine Kollegen gestern übrigens nichts. 

 

Auf der Grundlage des in der Steuerungsgruppe vereinbarten Arbeitsprogramms könne der Bildungsrat dann eigene Forschungsprojekte vergeben, erläuterten die SPD-Minister weiter – und auch Fachleute, Interessengruppen und Öffentlichkeit beispielsweise über Diskussionsforen in die Beratungen einbinden. Rabe sagte: "Wir wollen einen konstruktiven Diskurs und haben keine Angst vor unbequemen Themen und Diskussionen."

 

In der Gesamtschau zeichnet die "Hamburger Erklärung" das Bild eines Beratungsgremiums, das stark an den Deutschen Bildungsrat erinnert, den es bereits einmal zwischen 1966 und 1975 gegeben hat. Der bestand zwar aus zwei Kammern, einer Bildungskommission mit Wissenschaftlern und Vertretern des öffentlichen Lebens und einer Regierungskommission, worin die Länder, aber auch der Bund und die Kommunen vertreten waren. Doch hatte die Regierungskommission keine Entscheidungsgewalt, musste nur angehört werden, während die Bildungskommission eigenständig Beschlüsse fassen und Empfehlungen verabschieden konnte.

 

Am Ende entstand so eine unüberbrückbare Distanz zwischen Wissenschaft und Politik, weil letztere sich durch die Bildungsrat-Empfehlungen, besonders der zur  "Verstärkte Selbständigkeit der Schule und Partizipation von Lehrern, Eltern und Schülern" vorgeführt sah – mit dem Ergebnis, dass der Bildungsrat 1975 aufgelöst wurde. Die Gefahr, dass sich die Geschichte  mit dem aktuellen Vorschlag der SPD-Minister wiederholen würde, ist so groß allerdings dann doch nicht: Die Bildungskommission des damaligen Deutschen Bildungsrates entschied sogar über das Arbeitsprogramm eigenständig und nicht im Konsens mit der Politik; auch scheint vielen Bildungsforscher heute die Frage der politischen Realisierbarkeit ihrer Vorschläge bewusster zu sein. 

 

CDU-Koordinatorin Eisenmann: "Freuen uns,
dass sich die SPD unserer Idee angeschlossen hat"

 

Doch wird das den Unions-Kultusministern – und vor allem auch ihren oft noch skeptischeren Ministerpräsidenten – reichen, um auf die SPD-Linie einzuschwenken? Auch wenn eine partei- und länderübergreifende KMK-Arbeitsgruppe bereits eine gemeinsame erste "Ideenskizze" zum neuen Gremium erstellt hat – vielen auf der CDU-Seite schwebt doch eher die Variante eines "wissenschaftlichen Beirates" vor, der von der Politik Aufträge erhält und diese abarbeitet, aber immer in Abhängigkeit von den Kultusministern. Doch müssten sich für eine solche Variante auch erstmal Bildungsforscher zum Mitmachen finden.

 

In einer ersten Reaktion auf die "Hamburger Erklärung" sagte Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann, als Koordinatorin der CDU-Minister ("B-Seite") Rabes Pendant: "Wir freuen uns, dass sich die A-Seite unserer Idee angeschlossen hat, ein wissenschaftliches Beratungsgremium der KMK einzurichten." Die Eckpunkte seien auf Arbeitsebene gemeinsam entwickelt worden unter Mitwirkung der Länder Rheinland-Pfalz, Hessen, Hamburg und Baden-Württemberg. Die Botschaft: Die SPD nähert sich uns an, nicht umgekehrt.

 

Aber ist das, was die SPD-Minister wollen, wirklich dasselbe? Eisenmann sagt: "Über einige Details müssen wir sicher noch sprechen." Doch stehe das grundsätzliche Ziel fest: "dass wir uns als Länder wissenschaftlichen Rat holen bei der Frage, wie wir unsere Schulsysteme besser aufeinander abstimmen und vergleichbarer machen können." Der Wille, sich zu verständigen, scheint also groß zu sein.

 

Beim Thema KMK-Bildungsabkommen gab es in Hamburg dagegen nicht viel Neues. Die SPD-Minister "bekräftigten" lediglich das, was die Kultusminister schon länger beabsichtigen. Vor allem, dass die gemeinsamen Abituraufgaben von 2021 nicht mehr nachträglich von den Ländern geändert werden dürfen und ein Mindestanteil von ländergemeinsamen Abituraufgaben in jeder Abiturprüfung festgelegt werden soll. Mittelfristig sollen zu den gemeinsamen Aufgaben in Deutsch, Mathematik und Englisch auch die Naturwissenschaften hinzukommen.

 

Die ganze Crux der föderalen Bildungspolitik wurde gestern und heute wieder an der Berichterstattung über die "Hamburger Erklärung" deutlich. Zusammenfassen lässt sie sich mit dem Satz: Alle meckern über die Bildungsminister und ihren Club, die KMK, aber für ihre Bemühungen, sich zu reformieren, interessiert sich dann doch kaum jemand. Beispiel dpa: Die berichtete, siehe oben, zwar über das Treffen der SPD-Minister, doch in die Presse schaffte es nur folgende Nachricht: dass der Streit um die Sommerferien wohl doch nicht zu grundsätzlichen Änderungen führen wird. Also würde sich die Zukunft der Bildungspolitik am Rotationsprinzip  entscheiden.

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