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Krisenopfer Bildungsföderalismus

Endlich war die KMK dabei, den Neuanfang zu wagen – doch Corona stellt das beschworene Miteinander in der bundesweiten Schulpolitik auf schmerzhafte Weise in Frage.

ZU DEN LEIDTRAGENDEN DES CORONAVIRUS zählt, soweit ist schon absehbar, auch der Föderalismus. Auf europäischer Ebene, wie sich in den vergangenen Tagen zum Beispiel an der zeitweise 65 Kilometer langen LKW-Schlange vor der deutsch-polnischen Grenze plastisch beobachten ließ. Das Miteinander der europäischen Partner in der Notlage scheint in weiten Teilen der Devise "Jeder für sich" zu folgen.

 

Ähnliches muss derzeit leider über die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK) gesagt werden. Der Club der 16 Kultusminister, der seit Jahren in einer sich zuspitzenden Krise seiner Selbstwirksamkeit steckt und der, vor allem mit der Arbeit an einem neuen, ambitionierten Bildungsstaatsvertrags, signalisiert hatte: Wir haben verstanden. Corona legt offen: haben sie offenbar nicht.

 

Dass die Bildungsminister vergangene Woche den richtigen Zeitpunkt verpassten, durch rechtzeitig abgesprochene bundesweite Schulschließungen eine Botschaft der Geschlossenheit und Stärke zu schicken, dass sie stattdessen von ihren Regierungschefs eine und einer nach dem anderen vor vollendete Tatsachen gestellt wurden – das ist das eine. Was seitdem passiert ist, wiegt fast noch schwerer. 

 

Was wurde aus dem besonderen
Geist der letzten Sitzung?

 

Vergangenen Donnerstag, als die Kultusminister zur Corona-Pressekonferenz luden, schwärmten ihre Spitzenvertreter noch von einem besonderen Geist des Miteinanders, den sie so lange – womöglich noch nie – erlebt hätten. In der Not rücke man zusammen, man werde die Abschlüsse des laufenden Schuljahres anerkennen – egal, wie sie am Ende zustande kommen würden in den einzelnen Ländern. Auch beim Abitur, das in Teilen an bundesweit einheitlichen Terminen geschrieben wird, werde man eine gemeinsame Lösung finden, falls die Prüfungen, die bislang vom 30. April an geplant waren, verschoben werden müssten.

 

Das klang alles toll. Doch hat der beschworene Geist nicht einmal eine Woche gehalten. Gestern sagte KMK-Präsidentin Stefanie Hubig der Nachrichtenagentur dpa: Eine möglichst einheitliche Regelung beim Abitur sei, nachdem einzelne Länder "vorgeprescht" seien, leider nicht mehr möglich.

 

Mit den einzelnen Ländern meinte Hubig vor allem Mecklenburg-Vorpommern, das am Dienstag einseitig angekündigt hatte, die Abiprüfungen wegen der Schulschließungen zu verschieben. Am Mittwoch folgte, wiederum ohne Absprache, Bayerns Staatsregierung und legte als neuen Termin für den Beginn der Abiprüfungen den 20. Mai fest. Bayern war übrigens auch das erste Land, das bei den generellen Schulschließungen vergangene Woche als erstes und unabgestimmt Tatsachen geschaffen hatte.

 

Was das Abitur angeht, wollen einige Länder nun ebenfalls verlegen, andere dagegen bislang nicht. Berlin und Brandenburg wiederum, um es zusätzlich auf die Spitze zu treiben, wollen die Entscheidung – verschieben oder nicht – den einzelnen Schulleitern überlassen.

 

KMK-Präsidentin Hubig, im Hauptberuf Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz, hofft nun, dass sich die Länder jetzt zumindest zu Gruppen zusammenschließen und dann zumindest in diesen Gruppen gemeinsame Termine haben. Und sie erinnerte an die andere zentrale KMK-Vereinbarung von vergangener Woche: die mit der gegenseitigen Anerkennung der 2020er-Abschlüsse. Vielleicht ja, weil sie ihren KollegInnen selbst nicht mehr traut?

 

Wobei, das muss man zur teilweisen Ehrenrettung der Kultusminister sagen, es sind noch mehr die Ministerpräsidenten, die derzeit auf länderübergreifende Absprachen pfeifen, wann immer es ihnen als Krisenmanager kurzfristig Punktgewinne verschafft. In jedem Fall ist es schwer erträglich zu beobachten, wie einige Länder mit der Kultusministerkonferenz umgehen. Einer Organisation, die gerade jetzt für Stabilität in der Bildung stehen und Kontrapunkte für Länderegoismen setzen sollte. In der Krise, so heißt es, zeigt sich der wahre Charakter. Wenn das auch für die Zukunft des Miteinanders im Bildungsföderalismus gilt, dann Gute Nacht. 



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