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Aufnahmeprüfung statt Abiturnote

Fallen die Abiturklausuren Corona zum Opfer? Eine Chance, Neues beim Hochschulzugang zu wagen.

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Artikelbild: Aufnahmeprüfung statt Abiturnote

Foto: Moos-Media / pixabay - cco.

VIELLEICHT ERFÜLLEN DIE HOFFNUNGEN sich ja. Die Hoffnungen, dass der Kampf gegen das Virus sich in ein paar Wochen entspannt hat. Zumindest soweit, dass dann die Abiturienten risikofreier ihre Prüfungen schreiben können. Und sei es zu Nachholterminen irgendwann Ende Mai. Während viele Kultusminister deshalb verschieben – mittlerweile auch Berlin –, halten Hessen und Rheinland-Pfalz trotz der Krise an den Planungen fest und lassen schon jetzt schreiben.

Gut möglich allerdings, dass die Hoffnungen sich nicht erfüllen. Dass im April oder Mai kein Abi geschrieben werden kann. Oder zumindest nicht unter akzeptablen Prüfungsbedingungen. Und weil sich die Abiturienten genau wie alle anderen Menschen durch die Coronakrise in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden.

Und dann? Wäre es in dem Fall nicht fairer, den Abiturnoten dieses Jahrgangs, wie auch immer sie zustandekommen, keine oder nur eingeschränkte Bedeutung beizumessen? Natürlich würde das Frust für jene bedeuten, die auf einen Einserschnitt zusteuerten. Aber was ist der Einserschnitt der einen wert, wenn die anderen gar nicht richtig geprüft werden können?

FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube hat in diesem Zusammenhang einen bedenkenswerten Vorschlag gemacht. Er plädiert für Hochschul-Eingangsprüfungen als Ersatz für die Abiturnote. Aus der Not heraus, um Fairness und Vergleichbarkeit zu schaffen, aber auch, wie Kaube zu Recht schreibt, weil die Abiturnoten ohnehin "nur begrenzt informativ" seien. Letzteres wurde zuletzt 2017 durch das Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich bestätigt. Seitdem mühen sich die Kultusminister um mehr bundesweite Harmonisierung durch den gemeinsamen Abi-Aufgabenpool und einheitlichere Prüfungsregeln. Nur: Ob diese Bemühungen langfristig von Erfolg gekrönt sein werden, ist offen – genauso wie der Bildungsstaatsvertrag, der den Neuaufbruch der föderalen Bildungspolitik besiegeln soll.

Das Verfassungsgericht hat nichts zum Abi in Zeiten von Corona gesagt

Viele Staaten auf der Welt verfahren unterdessen längst so: Sie steuern die Hochschulzulassung über standardisierte Tests, oft in Kombination mit Bewerbungsgesprächen, einschlägigen Vorerfahrungen und – ja – auch Schulnoten, vor allem den fachlich passenden. In Deutschland indes, auch das hat Verfassungsgericht betont, darf es Zulassungsbeschränkungen ohnehin nur geben, wenn die Studienplätze knapp sind, und dann muss die Abinote weiter eine maßgebliche Bedeutung haben.

Doch hat das Verfassungsgericht nichts zum Abi in Zeiten von Corona gesagt. So könnte der NC-Notbehelf mit den Eingangstests zugleich ein einmaliger Feldtest sein, ob sie nicht auch in Deutschland zu einer leistungsgerechteren Hochschulzulassung führen könnten. In ein paar Jahren ließe sich das unwiderlegbar an den Studienleistungen des 2020er-Jahrgangs ablesen.

Ein faszinierendes Gedankenspiel – nur hat es einen Haken: Wo sollen in ein paar Monaten die fachlich passenden Tests herkommen? Was es zum Beispiel für die Medizin schon gibt, nützt den BWLern gar nichts. Auch hier lohnt sich der Blick ins Ausland. Vieles müssten die Hochschulen womöglich gar nicht neu erfinden. Wenn dann noch der Mut und die Entschlossenheit dazu kämen, dem Abi-Jahrgang 2020 Gerechtigkeit in außergewöhnlichen Zeiten widerfahren zu lassen, könnte es klappen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda Will`s Wissen" im Tagesspiegel.


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Kommentare

#3 -

Stephan | Mi., 25.03.2020 - 13:36
Ein interessanter Vorschlag. Solche Tests sollten aber nicht anstelle des Abiturs, sondern als Ergänzung des Abiturs durchgeführt werden. Und wenn es keine Abiprüfungen gibt, nimmt man eben stattdessen den aktuellen Notenschnitt. Beim "Haken" irrt der Autor übrigens: Es gibt auch für BWL deutschlandweit Studieneignungstests, ebenso wie für Pharmazie, Rechtswissenschaften und MINT-Fächer.

#4 -

Jan-Martin Wiarda | Mi., 25.03.2020 - 14:24
@Stephan: Das ist interessant! Dass es Studieneignungstest in BWL und anderswo gibt, weiß ich. Aber ich wusste nicht, dass es zum Beispiel dort auch einen standardisierten Test gibt, der hochschulübergreifend eingesetzt wird?

#5 -

Stephan | Mi., 25.03.2020 - 18:49
@Jan-Martin Wiarda: Ja, die heißen BT-WISO (Test für Bachelorstudiengänge in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) und TM-WISO (Test für Masterstudiengänge in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften). Für Pharmazie ist das der PhaST (Pharmazie-Studieneignungstest). VG

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