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Ein Konjunkturprogramm für Wissenschaft und Innovation

500 Millionen Euro, die Länderminister für den Hochschul-Digitalpakt fordern, reichen nicht. Die 60-Milliarden-Forderung von Anja Karliczek zeigt: Da geht mehr.

Foto: pxhere.

NEULICH HAT ANJA KARLICZEK eine beeindruckende Zahl in die Welt gesetzt. Jahr für Jahr gebe der Bund 40 Milliarden Euro für Investitionen aus – in zukunftsbezogene Infrastruktur und Bildung und Forschung. "Ich stelle mir vor, dass wir in den Jahren 2021 bis 2023 noch einmal die Hälfte drauflegen." 60 Milliarden zusätzlich, so lautet also der Anspruch der Forschungsministerin für das bevorstehende Konjunkturprogramm der Bundesregierung, das Anfang Juni beschlossen werden soll.

 

Natürlich wären die 60 Milliarden nicht allein für ihr eigenes Ressort gedacht. Trotzdem müsste die CDU-Politikerin dann jetzt auch mal schleunigst sagen, wofür genau man ihrer Meinung nach das ganze Geld einsetzen sollte. Denn die von Karliczek parallel geforderte "echte Prioritätensetzung" für "Digitalisierung und technologische Souveränität", für "pharmazeutische Forschung" sowie für die "Entwicklung klimafreundlicher Technologien" klingt zwar ebenfalls ambitioniert, ist aber, so richtig sie sein mag, bislang weitgehend unkonkret geblieben. Zumindest in der Öffentlichkeit. Denn zu hoffen ist, dass ihre Übersetzung in finanziell bezifferbare Investitionsprogramme im Hintergrund längst läuft.

 

Eine erste Steilvorlage haben Karliczek gerade ihre Ministerkollegen aus den Ländern geliefert. Sie fordern ein 500-Millionen-Digitalisierungsprogramm für die Hochschulen, genauer für die "Digitalisierung der Lehre", auszugeben für die nötige technische Ausstattung und für die Weiterbildung der Lehrenden.

 

Karliczek muss sich die Forderung
der Landesminister zueigen machen

 

Es wäre ein Stück Anerkennung für die Hochschulen, die in Rekordzeit und erstaunlich reibungsarm ihren gesamten Vorlesungsbetrieb ins Netz verlegt haben. Und zugleich Motivation, das in der Krise Erreichte in die Zeit nach der Krise hinüberzuretten und weiter auszubauen. Dass Karliczek sich die Initiative der Landesminister zu eigen machen sollte, ist die einzig logische Konsequenz.

 

Allerdings sind auch die insgesamt 500 Digital-Millionen für die Hochschulen, zahlbar über zwei Jahre, immer noch erstaunlich klein gedacht für ein Konjunkturpaket, das bis zu 150 Milliarden Euro umfassen soll. Gut, dass Anja Karliczek in der Bild am Sonntag nachgelegt und gefordert hat, die Bundeshilfen für den Ausbau der Ganztag-Grundschulen auf vier Milliarden Euro zu verdoppeln. "Momentan zeigt sich doch wie unter einem Brennglas, wie wichtig es ist, die Schülerinnen und Schüler gut zu betreuen, wenn die Eltern berufstätig sind", sagte Karliczek. "Mit der Ausweitung des Ganztagsprogramms möchte ich den Familien neue Perspektiven für die Zeit nach der Pandemie geben."

 

Die Wissenschaftspolitik braucht
ein Narrativ für das Konjunkturpaket

 

Doch auch das reicht noch nicht. Es braucht dringend ein stimmiges Narrativ, geliefert aus der Wissenschaftspolitik, wie sich die Bundesrepublik, die sich schon vor Corona in einer ernsthaften Modernisierungskrise befand, mithilfe eines Innovationssprungs im Kreis der modernsten Nationen zurückmelden könnte.

 

Dass Deutschland in Sachen IT – von wenigen Ausnahmen ausgesehen – nie Weltspitze war, ist das eine. Doch mahnte Uwe Cantner, der Vorsitzende der EFI-Wissenschaftsweisen, im Februar eindringlich davor, dass die digitale Transformation jetzt auch die deutschen Kernindustrien erfasse, den Automobil- und Maschinenbau, und diese "in ihren Grundfesten" erschüttere.

 

Canter sagte: "Damit wird es erstmals tatsächlich gefährlich. Jetzt müssen wir aufpassen, nicht überfahren zu werden." Angesichts solcher Warnungen wirkt es absurd und unverantwortlich, dass GroKo-Spitzenpolitiker offenbar eine Neuwagenprämie für Vergaserautos zu einem Kernbestandteil des Konjunkturprogramms machen wollen.

 

Warum? Weil Deutschlands Automobilindustrie so schlecht bei den Elektrofahrzeugen aufgestellt ist, dass sie von der Förderung der modernen Antriebstechnologien kaum profitieren würde. Käme es dazu, hätte die Bundesrepublik die so unverhofft gekommene Möglichkeit, doch noch die innovationspolitische Kurve ins 21. Jahrhundert zu bekommen, mithilfe eines Konjunkturpakets im Stil des 20. Jahrhunderts versenkt.

 

Immerhin: Ihre lange versprochene, immer weiter herausgeschobene Wasserstoffstrategie will die Bundesregierung in der kommenden Woche beschließen – reichlich spät, aber in Bezug aufs Konjunkturpaket gerade noch rechtzeitig. Grüner Wasserstoff sei der einzige auf Dauer nachhaltige Energieträger der Zukunft, sagt Karliczek, die im Hintergrund ordentlich Druck gemacht hatte.

 

Wasserstoff könnte Teil des nötigen Narrativs werden. Doch es braucht in den nächsten zehn Tagen noch viel mehr Druck und Ideen zugunsten von Schulen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und innovativen Unternehmen. Denn klar ist: Karliczeks 60-Milliarden-Hülle wird wenig helfen, wenn sie nicht schleunigst mit noch mehr Inhalt gefüllt wird.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will`s wissen" im Tagesspiegel.



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