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Gericht: Aufgabe der Abstandsregel an Grundschulen ist rechtmäßig

Entscheidung gilt nur für Sachsen, hat aber angesichts der Schulöffnungen bundesweite Signalwirkung. Die Gefährdung von Lehrkräften sei nicht eindeutig erwiesen, zugleich würden bei Aufrechterhaltung der Regel aber andere Grundrechte berührt.

ES IST EINE ENTSCHEIDUNG mit bundesweiter Signalwirkung. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat die Aussetzung des Corona-Mindestabstands in den Grundschulen des Freistaats für rechtmäßig erklärt.

 

Eine Gefährdung von Lehrkräften, wenn Kinder ihnen näher als 1,5 Meter kämen, sei wissenschaftlich nicht eindeutig erwiesen, befanden die Richter, gleichzeitig sei die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Sachsen stark gesunken. Außerdem könnten Grundschulkinder die Abstandsregel noch nicht zuverlässig einhalten, es gebe auch keine Lehrkonzepte, die dies ermöglichen würden. 

 

Das Oberverwaltungsgericht argumentiert mit weiteren Grundrechten, die durch ein Beibehalten der Abstandsregel in den Grundschulen berührt würden: das Grundrecht der Eltern auf Berufsfreiheit etwa, das durch einen fortdauernden Fernunterricht als logische Folge der Abstandsregel in Mitleidenschaft gezogen werde. Auch die Grundrechte von Ehe und Familie und das Recht der Kinder auf Bildung und auf körperliche Unversehrtheit könnten verletzt werden, wenn es durch den Fernunterricht zu schwerwiegenden Entwicklungsdefiziten oder zu häuslicher Gewalt komme oder wenn die Eltern ihrer Fürsorgepflicht nicht ausreichend nachkämen. 

 

Das "Maßnahmenbündel" der Landesregierung
halten die Richter für ausreichend 

 

Die Landesregierung habe ein "detailliertes Maßnahmenbündel" ergriffen, mit dem die Infektionsgefahr für Schüler und Lehrkräfte vermindert werde, bescheinigten ihr die Richter. Insbesondere könnten Angehörige der Risikogruppe eine Befreiung von der Präsenzpflicht in der Schule erlangen. Eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung infolge der Nichteinhaltung des Mindestabstands könne daher nicht festgestellt werden. 


Eine Grundschullehrerin, die in der Aufgabe des Mindestabstands ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt sah, hatte auf vorläufigen Rechtsschutz geklagt. Doch die Verordnung der Landesregierung bleibt in Kraft, die Grundschullehrerin muss trotz ihrer Bedenken vor Klassen unterrichten. Die Entscheidung des Gerichts ist nicht anfechtbar.

 

Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) sprach von einem wegweisenden Beschluss. "Wir sehen uns darin bestärkt, dem Recht der Kinder auf Bildung und Teilhabe schrittweise wieder vollständig zur Geltung zu verhelfen." Zahlreiche Bundesländer hätten sich, seit die Klage eingereicht wurde, dem Vorgehen Sachsens angeschlossen. Die Gerichtsentscheidung mache nun auch die Rückkehr zum Normalbetrieb nach den Sommerferien leichter. 

 

In Sachsen läuft der tägliche Präsenzbetrieb in den Kitas und Grundschulen bereits wieder seit 18. Mai. Dieser sei nur unter Aufgabe der Abstandsregel umsetzbar, hatte Piwarz von Anfang an betont.

 

Am 25. Mai hatten dann auch die Staatskanzlei-Chefs von Bund und Ländern in Bezug auf die weiter geltenden Abstands- und Kontaktregeln beschlossen: "Der Kita- und Schulbetrieb sowie Veranstaltungen und Versammlungen, für die ein eigenes Hygienekonzept umgesetzt wird, sind gesondert zu betrachten." Seitdem hat die Kultusministerkonferenz die Rückkehr zum Regelbetrieb an den Schulen nach den Sommerferien beschlossen, soweit das Infektionsgeschehen dies zulasse. Mehrere Länder sind jedoch schon vor den Sommerferien zum täglichen Präsenzbetrieb an den Kitas und Grundschulen übergegangen oder planen dies für die nächsten Wochen – jeweils unter Aufgabe der Abstandsregel.

 

Auch in Sachsen-Anhalt, wo der tägliche Präsenzunterricht am Montag anlief, hat eine Grundschul-Lehrkraft gegen das Unterrichten ohne Mindestabstand geklagt, das Oberverwaltungsgericht des Landes in Magdeburg hat seine Entscheidung für die nächsten Tage angekündigt. Der Normenkontrollantrag wird von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt. Die Schulen vollständig zu öffnen, setze die Lehrkräfte und die Kinder einem enormen Risiko aus, sagte GEW-Landeschefin Eva Gerth der Nachrichtenagentur dpa. Die Bildung fester Gruppen, die sich nicht begegnen sollten, sei in den Schulen kaum umsetzbar.



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