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"Kein Maßstab für Entscheidungen des Bundestages"

Nach dem informellen Schulgipfel: Die einen kritisieren "die Hinterzimmerrunde", andere loben Kanzlerin Merkel und SPD-Chefin Esken. Die KMK-Präsidentin warnt, und viele Lehrer fragen sich: Kommt diesmal etwas von dem versprochenen Digitalisierungsschub in den Schulen an?

SCHON AM TAG nach dem informellen Schulgipfel waren die Kultusminister zu ihrer nächsten Schaltkonferenz verabredet – der zweiten schon in dieser Woche nach Montag. "Was zeigt, wie eng wir uns abstimmen", sagt KMK-Präsidentin Stefanie Hubig. Während der Telefonkonferenz am Freitagnachmittag wollten die sechs KultusministerInnen, die an dem Treffen im Kanzleramt teilgenommen hatten, den übrigen von den Ergebnissen berichten.

 

Andere beschreiben die Rolle der Kultusministerkonferenz in der Coronakrise weniger positiv. "Auch neues Geld des Bundes (was wir nicht haben und nicht geben werden) wird die strukturellen Probleme dieses föderalen Schulsystems und der unfähigen Kultusministerkonferenz NICHT lösen!", twitterte der digitalpolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Tankred Schipanski. Der Bund reiche den Ländern seit Jahrzehnten die Hand und ergreife die Initiative. "Nun müssen endlich mal Bundesländer ihre Hausaufgaben machen und den Wettbewerbsföderalismus leben!" Das heiße eben nicht Kleinstaaterei, sondern vom Besten lernen. "Auch bei digitaler Schulbildung."

 

Und am Ende schrieb Schipanski sogar noch einen Satz, den man als Warnung auch an seine eigene Bundeskanzlerin und Bundesbildungsministerin verstehen kann: "Inoffizielle Hinterzimmertreffen werden kein Maßstab für Entscheidungen des Bundestages sein!" Deutet sich da Widerstand in einer der Koalitionsfraktionen gegen die Beschlüsse an? 

 

Breitbandanschlüsse für alle Schulen hat 

die Bundesregierung schon lange versprochen

 

Viele Lehrkräfte auf Twitter interessierte indes, wann denn wohl tatsächlich mit der Realisierung der Pläne zu rechnen sei. In vielen Schulen sei noch von den bisherigen Corona-Sofortprogrammen aus dem Frühjahr kein einziger Euro angekommen. 

 

Das Misstrauen, ob die Umsetzung politischer Bildungspläne genauso tatkräftig verläuft, wie sie lautstark angekündigt werden, hat auch etwas mit Erfahrung zu tun. Thema Breitbandanschlüsse: Ihr massiver Ausbau steht seit Jahren auf der Agenda, die Bundesregierung versprach im Groko-Koalitionsvertrag, auch sie "bereits in dieser Legislaturperiode" direkt ans Glasfasernetz anzubinden. Auf der Website des Bundesbildungsministeriums etwa kann man nachlesen, dass BMBF und Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) schon 2018 eine Arbeitsteilung vereinbart hätten: "Im DigitalPakt Schule wird die Vernetzung auf dem Schulgelände bis ins Klassenzimmer gefördert, im Bundesförderprogramm zum Breitbandausbau in Deutschland wird der Glasfaser-Anschluss der Schulen von außen an das Internet gefördert."

 

Das Geld ist im Digitalfonds schon lange da, die Frage lautet: Warum fließt es bislang nicht ab? Was läuft schief in den Verwaltungen, etwa in Berlin, wo gerade eine Debatte über exakt diese Frage stattfindet? Und warum sollte sich das durch die neue Absichtserklärung von gestern ändern?

 

Das Neue ist, dass die Bundeskanzlerin und SPD-Chefin die Kultusministerkonferenz jetzt direkt mit dem BMVI und Andreas Scheuer zusammenbringen – und dass jetzt Erwartungsdruck von ganz oben da ist. Mal sehen, ob das hilft.

 

Die Kompetenzzentren standen so

ähnlich schon im Koalitionsvertrag

 

Und noch eine zweite Ankündigung, die gestern für viel Zustimmung in der Bildungsszene sorgte, ist bei näherem Hinsehen eigentlich eine alte Idee, die allerdings jetzt offenbar etwas weiter gefasst werden soll. Schon im GroKo-Koalitionsvertrag steht: "Auch werden wir regionale Kompetenzzentren für Digitalisierung etablieren und diese mit bestehenden Akteuren und Initiativen vor Ort vernetzen. Ziel der Zentren ist es, technisches und pädagogisches Know-how zu vermitteln sowie Best Practice vorzustellen." Die (Arbeitstitel) Deutschen Zentren für digitale Bildung, auf die sich die Bildungsrunde im Kanzleramt verständigte, erinnern doch stark an dieses vor zwei Jahren versprochene und bislang nicht in Angriff genommene Konzept. Was nicht schlecht sein muss – nur ist das Ideen-Recycling eben auch ein Beleg dafür, was bislang alles nicht in Angriff genommen worden ist.

 

Hinter der Idee im Koalitionsvertrag soll die damalige Digitalpolitikerin und heutige SPD-Chefin Saskia Esken gesteckt haben – insofern konsequent, dass die digitalen Kompetenzzentren für Lehrerbildung und Schulentwicklung es jetzt ganz oben auf die Agenda schafften.

 

In den sozialen Medien erhielten Kanzlerin Merkel und auch die SPD-Parteivorsitzende gestern viel Lob. Die Kanzlerin als Physikerin habe einen anderen Zugang zur Coronakrise und habe informell den BildungsministerInnen klar gemacht, "wenn sie nicht aus den Puschen kommen, dass sie die Führung in der Krise wieder an sich ziehen wird", lautete eine Mutmaßung. Und der Digital-Bildungsexperte Martin Lindner twitterte: "Esken hinterlässt markante Spuren in der Digitalpolitik." Das beim informellen Gipfel Vereinbarte "ist tatsächlich ein Durchbruch für die Schulen, und man fragt sich, warum das seit X Jahren nicht so durchgesetzt wurde."

 

KMK-Chefin Hubig legt derweil Wert darauf, dass Angela Merkel die Landesminister keineswegs zum Rapport bestellt habe. "Die Bundeskanzlerin hat sehr deutlich gemacht, dass sie weiß, wer für die Bildungspolitik zuständig ist." Im Anschluss hätten alle das Interesse geäußert, das Gespräch fortzusetzen. "Das Treffen war sehr gut und außerordentlich konstruktiv.  Wir haben aber auch signalisiert, dass bei einer Fortsetzung alle Kultusministerinnen und Kultusminister dabei sein sollten."

 

Die gesellschaftliche Priorität der Bildung in der Pandemie auf gleicher Ebene mit einer funktionierenden Wirtschaft war das andere beherrschende Thema des informellen Schulgipfels. "Wir waren uns einig", sagt Hubig angesichts steigender Corona-Zahlen, "dass wir als Politik hier zwar Weichen stellen können, dass aber mindestens ebenso wichtig das verantwortungsvolle Verhalten aller Menschen ist." In den Schulen würden bestmögliche Vorkehrungen zum Schutz vor Infektionen getroffen, "das wird aber nur helfen, wenn wir alle auch außerhalb der Schulen in unserer Freizeit verantwortungsvoll handeln." Das Bedürfnis nach einer Rückkehr zum normalen Leben sei ja nachvollziehbar. "Aber wir müssen uns bei allem, was wir tun, uns auch um unserer Kinder willen disziplinieren", sagte Hubig. "Bei privaten Feiern, bei Spaziergängen und am Strand."

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