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Ärger ums Prestigeprojekt

Die Berufliche Hochschule Hamburg soll die berufliche Bildung neu definieren. "Eine Innovation, die keine Vorbilder hat", nennt sie der Senat der Hansestadt. Private Hochschulen sehen einen Verstoß gegen das EU-Beihilfeverbot und haben in Brüssel Beschwerde eingereicht.

Screenshot der BHH-Website.

"DAS BESTE AUS DREI WELTEN", verspricht die Hamburger Bildungsbehörde künftigen Studierenden der Beruflichen Hochschule Hamburg (BHH). Tatsächlich handelt es sich um eine deutschlandweit einzigartige Verknüpfung akademischer und beruflicher Bildung: Die bis zu 1000 BHH-Studierenden sollen innerhalb von vier Jahren gleichzeitig einen Bachelortitel und einen Ausbildungsabschluss erlangen. Funktionieren soll das, indem inhaltliche Dopplungen reduziert werden. 

 

Die drei Welten, von der die Behörde von Bildungssenator Ties Rabe (SPD) schwärmt, sind die zu Jahresanfang gegründeten Hochschule, der Ausbildungsbetrieb und die Berufsschule. Alle drei sollen an den anderen Lernorten erbrachte Leistungen jeweils gegenseitig anerkennen. Schon 2021 soll der erste Jahrgang starten. Das "Modell der studienintegrierenden Ausbildung" sei eine "Innovation, die keine Vorbilder hat", erklärt der Hamburger Senat in seiner Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein.

 

VPH erhebt Vorwurf wegen Wettbewerbsverzerrung

 

Doch nicht alle teilen die Begeisterung über das "Modell der studienintegrativen Ausbildung". Der Verband der privaten Hochschulen (VPH) hat jetzt bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde wegen eines aus seiner Sicht "klaren Verstoßes gegen das EU-Beihilfeverbot" eingereicht. Der Vorwurf: Die Finanzierung der BHH aus öffentlichen Mitteln stelle eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung gegenüber privaten Konkurrenten da. Als staatliche Hochschule bewege sich die BHH mit ihrem Angebot in einem privaten Markt, verlange aber weder von den Studierenden noch von den Ausbildungsbetrieben Studiengebühren – während private Hochschulen sich über deren Einnahme finanzieren müssten.

 

Die BHH habe laut VPH sogar selbst in einer Informationsbroschüre gegenüber potentiellen Kooperationsunternehmen betont, dass weder den Unternehmen noch den Studierenden "Studiengebühren von derzeit bei privaten Anbietern üblichen 20.000-22.000 Euro" entstünden. Für private Hochschulen werde dies auf "hohe Einbußen" hinauslaufen. Die Freie und Hansestadt Hamburg verletze damit den Gleichheitsgrundsatz, weil sie einen Wettbewerber, die BHH, allen anderen gegenüber einseitig bevorzuge.

 

Die Brüssler Behörde bestätigt bislang nur den Eingang der Beschwerde. Wie lange ihre Bearbeitung dauert, ist offen. Schon jetzt ist der Streit allerdings überregional interessant, denn das Hamburger BHH-Modell wird von Bildungsministerien bundesweit mit großem Interesse beobachtet. 

 

Rhetorisches Augenrollen 
beim Senator

 

Hamburgs Bildungssenator Rabe weist die Vorwürfe zurück. Um unvereinbar mit dem EU-Binnenmarkt zu sein, müssten staatliche Beihilfen gleich welcher Art, "die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen", laut EU-Recht zugleich den "Handel zwischen den Mitgliedstaaten beinträchtigen". Der BHH, sagt Rabe, fehle es "bei aller Liebe an dieser außenwirtschaftlichen Relevanz. Kein Unternehmen aus Südschweden oder Ostholland wird seine Betriebsstätte nach Hamburg verlegen, weil es hier diese Qualifikationsmöglichkeit geben wird." Tatsächlich sei die BHH beschränkt auf ein regionales Einzugsgebiet von Unternehmen, "aber dieses ist nicht diskriminierend, sondern folgt der Natur der Sache." Und dann zieht Rabe einen süffisanten Vergleich: "Die Gastronomie des Elsaß profitiert von der hervorragenden Kochschule in Straßburg, aber dieses ist keine staatliche Subvention zugunsten der 'Auberge D'Ill' und zu Lasten des 'Schwarzen Adlers' im Kaiserstuhl."

 

Das rhetorische Augenrollen des Senators zielt merklich darauf ab, die Argumentation der Privaten Hochschulen als vorgeschoben hinzustellen. Dann geht Rabe zum Gegenangriff über: "Den Klägern geht es in Wahrheit um ihre eigenen Vorteile auf dem Hamburger Markt." Und hierzu gebe es eine Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Demzufolge habe es auch eine private Ingenieurs-Fachschule hinzunehmen gehabt, und zwar entschädigungslos, dass ihr Geschäftsmodell dadurch obsolet wurde, dass der Staat die Ingenieursausbildung akademisiert habe. Es stehe dem Staat frei, betont Rabe, "neue Hochschulen zu gründen oder Studiengänge neu einzurichten, die bisher nicht akademisch vermittelte Abschlüsse jetzt als akademische anbieten."

 

Was Rabes Behörde allerdings erst auf Nachfrage hinhzufügt: Besagte Verfassungsgerichtsentscheidung (1 BvR 82/71 –, BVerfGE 37, 314-324) stammt von 1974. 

 

Es kommt auf die geltende
Rechtslage an, aber welche ist das?

 

Harald Beschorner ist Kanzler der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Essen und VPH-Vorstandsmitglied. Er sagt, die Argumentation des Hamburger Senats sei in "keiner Weise überzeugend. Es kommt ausschließlich auf die geltende Rechtslage an, und die ist nach unserer Auffassung eindeutig." Es gehe in dem Fall um die aus Steuermitteln finanzierte Erbringung einer Dienstleistung direkt an Unternehmen. "Diese Dienstleistung könnte auch von privaten Hochschulen erbracht werden. Tatsächlich gibt es bereits entsprechende Angebote, für die die Unternehmen allerdings Gebühren bezahlen müssen."

 

Die von Rabe gewählten Gegenbeispiele gingen insoweit "erkennbar an der Sachlage vorbei. Im Übrigen hätten – wenn man der Logik des Senats folgt, die öffentlichen Hochschulen in ganz Europa in der Folge des Beihilfegesetzes nicht die Trennungsrechnung einführen müssen, mit der vermieden werden soll, dass eben solche steuersubventionierten Dienstleistungen, zum Beispiel in der Forschung, andere Anbieter verdrängen."

 

5,6 Millionen Euro veranschlagt der Hamburger Senat für den Betrieb der BHH pro Jahr, davon sollen unter anderem rund 50 Mitarbeiter bezahlt werden, darunter 14 Professoren und acht weitere hauptamtliche Dozenten. Derzeit sind vier Bildungsgänge vorgesehen: Industriekaufleute/Bachelor BWL, Kaufleute für Marketingkommunikation/Bachelor BWL, Bankkaufleute/Bachelor BWL und Fachinformatik/Bachelor Informatik.

 

"Selbstverständlich hat Hochschulpolitik auch eine wirtschaftspolitische Wirkung – hoffentlich", sagt Senator Rabe. "Die (Rechts)frage ist nur, wann solche legitimen Interessen der Mitgliedsstaaten einen Eingriff in den europäischen Markt darstellen." Die Beschwerde werde jetzt erstmal in Brüssel geprüft und dann an die Bundesregierung weitergegeben. Und um die Relevanz aus seiner Sicht gleich noch einzuordnen, betont der Senator, in Brüssel lägen auch Beihilfebeschwerden wie "zwei Milliarden Euro für die Alitalia oder die deutsche Braunkohlerettung."

 

Ein Hinweis, den VPH-Vorstandsmitglied Beschorner "seltsam" findet. "Man stelle sich eine solche Argumentation, es gebe ganz andere Streitfälle in Milliardenhöhe, einmal aus der Sicht eines Bürgers vor, der sich rechtswidrig verhalten hat."

 

Mal sehen, was die EU-Kommission zu alldem zu sagen hat. Und vor allem: wann.

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Kommentare: 2
  • #1

    McFischer (Freitag, 23 Oktober 2020 12:16)

    Den Einwand des VPH kann ich aus deren Perspektive nachvollziehen... aber was ist hier anders, als wenn z.B. staatlich finanzierte Fachhochschulen duale (ausbildungsintegrierende) Studiengänge anbieten? Das gibt es zuhauf und ist natürlich auch eine öffentlich finanzierte Konkurrenz zum Angebot privater Hochschulen.

  • #2

    Karlchen Mühsam (Sonntag, 25 Oktober 2020 07:37)

    Es bleibt der Eindruck, dass der VPH einen rechtlichen Rettungsanker sucht, um das eigene Geschäftsmodell zu retten. Schließlich startet der Hamburger Senat mit der neuen Hochschule ja ausgerechnet in den bei den privaten Bildungsträgern beliebten Ausbikdungsgängen, die vermutlich tendenziell kostengünstiger sind als beispielsweise Bildungsgänge im Gesundheitswesen oder in den Naturwissenschaften.