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Die Schulschließungen sollen verlängert werden – aber wirken sie auch?

Die Regierungschefs wollen die Kitas und Schulen offenbar bis mindestens Mitte Februar zu lassen. Aber was haben die bisherigen Beschlüsse eigentlich gebracht? Eine Analyse der Datenlage mit zum Teil überraschenden Ergebnissen.

DIE SCHULEN UND KITAS sind seit Mitte Dezember zu, doch erst allmählich lässt sich erahnen, wieviel die Schließungen für die Eindämmung des Coronavirus bringen. Aus zwei Gründen: Grundsätzlich dauert es anderthalb bis zwei Wochen, bevor sich Corona-Maßnahmen in geringeren Infektionszahlen widerspiegeln können. So viel Zeit vergeht zwischen Ansteckung und Krankheitsausbruch und dann wieder bis zur Meldung ans Robert-Koch-Institut (RKI). Doch gerade als es Ende Dezember soweit gewesen wäre, halbierten sich die Corona-Tests feiertagsbedingt, bei Kindern und Jugendlichen gingen sie gar um mehr als zwei Drittel zurück. Ebenfalls wegen der Feiertage meldeten Arztpraxen und Krankenhäuser die Testergebnisse teilweise langsamer an die Gesundheitsämter, die die Meldungen wiederum zum Teil verzögert ans RKI weitergaben.

 

Kurzum: Erst seit der vergangenen Kalenderwoche 2, die am 11. Januar begann, sind die gemeldeten Infektionszahlen wieder halbwegs aussagekräftig. Doch was zeigen sie nun?

 

 

1. Die gemeldeten Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen entwickeln sich unterdurchschnittlich – aber das taten sie, vor allem bei den Älteren, auch schon vor den Schließungen.

 

Zuerst die Kleinsten: Tatsächlich ging der Anteil der 0- bis 4-Jährigen an allen registrierten Neuinfektionen zwischen Kalenderwoche 51 (18. Dezember) und Kalenderwoche 2 (11. Januar) von bereits niedrigen 1,56 auf 1,33 Prozent zurück. Das Minus von 0,23 Prozentpunkten fiel dreimal stärker aus als in den vier Wochen, bevor die Schließungen sich auswirken konnten. Da betrug es nur 0,07 Prozentpunkte. 

 

Und jetzt das Bild bei den 5- bis 14-Jährigen: Ihr Anteil an allen gemeldeten Neuinfektionen fiel in den vier Wochen, bevor sich die Schließungen auswirken konnten, von 7,19 auf 5,48 Prozent. Das entsprach einem kräftigen Rückgang um 1,71 Prozentpunkte. In den vier Wochen, in denen sich die Schließungen niederschlagen konnten, sank der Anteil weiter auf zuletzt 4,14 Prozent – weitere 1,34 Prozentpunkte. Was allerdings weniger ist als in den vier Wochen vor den Schließungen.

 

 

2. Die aktuellen Infektionszahlen zeichnen wieder ein realistischeres Bild als die in den Wochen um den Jahreswechsel. 

 

Wie erwähnt kam es in allen Altersgruppen über die Feiertage zu einem Melderückstand, hinzu kam bei den Kindern und Jugendlichen noch ein stark überdurchschnittlicher Rückgang bei den Testzahlen. Die Melderückstände sind inzwischen aufgearbeitet, die Testhäufigkeiten gingen in Kalenderwoche 1 wieder hoch auf eine gute Million, in der Kalenderwoche 2 blieben sie auf demselben Niveau. 

 

Parallel dazu stiegen die Anteile der 0- bis 14-Jährigen an allen offiziellen Neuinfektionen bereits in der Kalenderwoche 1 wieder und in Kalenderwoche 2 erneut. Der scheinbare Effekt einer unmittelbar kräftigen Wirkung der Kita- und Schulschließungen war in Wirklichkeit also vorrangig eine Statistikverzerrung. Wie sich die Testhäufigkeiten bei den Kindern und Jugendlichen in Kalenderwoche 2 entwickelt haben, ist noch nicht bekannt.

 

 

Schlussfolgerung 1: Bei den Kleinsten bleibt der relative Rückgang auffällig groß – eine Folge der Schließungen? 

 

Diese Frage lässt sich noch nicht abschließend beantworten, aber möglich ist es. Da bei den 0- bis 4-Jährigen der Anteil an allen gemeldeten Neuinfektionen seit den (teilweisen) Kitaschließungen dreimal so schnell zurückging wie im gleichen Zeitraum zuvor, läge eine solche Schlussfolgerung nahe. Allerdings liegen auch die relativen Testhäufigkeiten bei den Kleinsten vermutlich immer noch deutlich niedriger als in der Vorweihnachtszeit. Und der Ausgangswert bei den gemeldeten Infektionen war vor den Schließungen bereits – relativ zu anderen Altersgruppen gesehen – niedrig.

 

 

Schlussfolgerung 2: Eine direkte Wirkung der Schulschließungen bei den Älteren ist nicht nachweisbar.

 

Bei den 5- bis 14-Jährigen ging die relative Infektionsdynamik in den vier Wochen vor den Schulschließungen sogar noch stärker zurück. Das ist frappierend. Womöglich haben die Treffen mit Freunden und Verwandten über die Feiertage in der Zeit seit den Schulschließungen zusätzliche Ansteckungen gebracht. Auf jeden Fall lässt sich aus den jetzt wieder verlässlicheren Infektionsmeldungen keine direkte zusätzliche Wirkung der Schulschließungen in dieser Altersgruppe nachweisen – und es handelt sich um die Hauptklientel der Schulen im Land. 

 

 

Und nun?

 

Natürlich kann man argumentieren, dass Kita- und Schulschließungen sich vielleicht nicht so eindeutig in überdurchschnittlichen Rückgängen in den betreffenden Altersgruppen selbst auswirken, aber insgesamt dazu beitragen, das gesamtgesellschaftliche Infektionsgeschehen abzuschwächen. Das wird ganz sicher auch so sein, unklar bleibt eben bislang das Ausmaß dieses Beitrags.

 

Zudem könnte man ins Feld führen, dass ein direkter zusätzliche Effekt der Schließungen bei den Kleinsten schwach und bei den Älteren deshalb nicht feststellbar sei, weil die Notbetreuung in vielen Bundesländern sehr großzügig betrieben werde und zahlreiche Kinder sich trotzdem in den Kitas und Schulen begegneten. Doch befinden sich die 7-Tages-Inzidenzen der Gesamtbevölkerung ausgerechnet in Bremen (83) und Hamburg (93)  mit auf dem niedrigsten Niveau bundesweit, obwohl dort derzeit besonders viele Kinder in Kitas und Schulen gehen.

 

Zudem bleibt die Frage: Wenn die direkten Wirkungen derzeit so gering sind und alles, was darüber hinausgeht, auf Vermutungen beruht – wie lange lassen sich die pauschalen Schließungen dann angesichts der bildungs- und sozialpolitischen Schäden, die sie verursachen, rechtfertigen und aufrechterhalten?



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Kommentare: 3
  • #1

    Oliver Locker-Grütjen (Dienstag, 19 Januar 2021 14:02)

    Das war alles zu erwarten.
    Was wir jetzt (wie auch schon seit geraumer Zeit) benötigen ist ein Konzept der KMK zu gestuften Öffnungen der Schulen. Geteilte Klassen sind sicherlich eine Option (Solinger Modell?) und hier zuerst die Schüler*innen in die Schulen zu holen, die am stärksten von dem bisherigen Schulausfall betroffen sind und die Chance zu nutzen, die Bildungsschere wieder etwas zu schließen. Das wäre einmal eine innovative und mutige Maßnahme.
    Vielleicht sollten wir auch an dieser Stelle eine Petition ins Leben rufen, dass dies auch von allen Elternhäusern getragen wird.

  • #2

    Rainer Lange (Dienstag, 19 Januar 2021 14:35)

    Lieber Herr Wiarda, ich schätze Ihren Blog ja sehr, aber bitte nicht zu viel Hobby-Epidemiologie. Ein Rückgang von 7,19 auf 5,48 und einer von 5,48 auf 4,14 sind bspw. genau gleich groß (auch überraschend), denn bei einem exponentiellen Geschehen kommt es auf den Faktor an, nicht auf die Prozentpunkte - und das ist in beiden Fällen x0,76.
    Das ändert nichts daran, dass auf dieser Ebene keine Effekte von Schulschließungen nachweisbar sind, aber die Aussage, bei den 5- bis 14 jährigen sei die Infektionsdynamik "in den vier Wochen vor den Schulschließungen sogar noch stärker" zurückgegangen, ist falsch. Dass über den Jahreswechsel weder Infektionszahlen noch Sozialkontakte verlässlich erhoben werden konnten, schreiben Sie im übrigen selbst.

  • #3

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 19 Januar 2021 14:42)

    Lieber Herr Lange,

    zu den Rückgängen: Point taken. Da haben Sie Recht, das habe ich nur in absoluten Werten betrachtet. Vielen Dank für den Hinweis! Trotzdem bleibt der Grundbefund, dass ein zusätzlicher Effekt der Schließungen nicht nachweisbar ist. Und mit Verlaub handelt es sich hier nicht um Hobby-Epidemiologie, sondern um ein journalistisches Reinschauen in die Zahlen und Nachrechnen – was leider viel zu wenig passiert.

    Ich vermute übrigens, dass der Rückgang vor den Schließungen trotzdem größer war. Denn durch die wenigen Tests wird die tatsächliche Fallhöhe derzeit noch immer unterschätzt.

    Viele Grüße und gute Wünsche
    Ihr J-M Wiarda