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"Wir sind von Beginn an ein Pilotprojekt fürs deutsche Wissenschaftssystem gewesen"

Die Geschichte des Karlsruher Instituts für Technologie war in seinen ersten 15 Jahren ein Auf und Ab. Jetzt gönnt die Politik dem KIT ein neues Gesetz – und Präsident Holger Hanselka verspricht, dass es jetzt erst richtig losgeht. Ein Interview.

Holger Hanselka. Foto: KIT.

Herr Hanselka, heute haben Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer das neue KIT-Gesetz vorgestellt – gerade noch auf den letzten Drücker vor der Landtagswahl im März. Hat ganz schön gedauert, oder?

 

Erstmal bin ich einfach froh und begeistert, dass das Gesetz jetzt kommt. Ich halte das für eine ganz große Nummer. 

 

Ihre Begeisterung in allen Ehren. Vor allem war es ja doch eine zähe Angelegenheit: Das Kürzel KIT gibt es seit 15 Jahren. Das "Gesetz zur Zusammenführung der Universität Karlsruhe und des Forschungszentrums Karlsruhe im Karlsruher Institut für Technologie", kurz "KIT-Gesetz", ist von 2009. Schon als Ende 2014 das Grundgesetz geändert wurde, mit neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Bund und Ländern, hatte man Ihnen eine baldige Gesetzesnovelle in Aussicht gestellt. 2018, als Sie für Ihre zweite Amtszeit wiedergewählt worden waren, haben Sie dann gesagt, Sie hätten mit mehr Euphorie auf Seiten von Bund und Land gerechnet. Und Sie fügten hinzu: Es habe sehr lange gedauert, die Ministerinnen überhaupt mal gemeinsam nach Karlsruhe zu holen. 

 

Wissen Sie, als Wissenschaftler und als KIT-Chef steht ein hohes Maß an Geduld und Zähigkeit in meiner Dienstbeschreibung, auch wenn es meine Hauptaufgabe ist, Dinge voranzutreiben. Das entspricht auch meinem Naturell. Aber ja, es war ein ganz schöner Weg und im Sinne Ihrer Eingangsfrage eine Punktlandung. 2006 war der Name "KIT" nicht mehr als der Projekttitel der gemeinsamen Bewerbung von Forschungszentrum und Universität bei der Exzellenzinitiative. Unseren Geburtstag als "ein KIT", wie wir uns seit der Fusion gern nennen, hatten wir mit dem Gesetz von 2009. Aber es gab weiterhin rechtliche Hürden, woran auch eine Gesetzesänderung von 2012 nichts signifikant ändern konnte


HOLGER HANSELKA, 59, ist Maschinenbauingenieur und seit 2013 Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Gleichzeitig ist er Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft, zu der das KIT gehört. Bevor Hanselka nach Karlsruhe kam, leitete er das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit in Darmstadt. Das KIT hatte von 2006 bis 2012 den Status einer Exzellenzuniversität, verlor ihn dann vorübergehend – und gewann ihn 2019 zurück. Das neue KIT-Gesetz soll jetzt die Fusion von Universität und Forschungszentrum vollenden.


Das mit dem "einen KIT" war also bis jetzt mehr so eine Marketing-Gag, weil in Wirklichkeit beide Teile noch ganz schön getrennt waren? 

 

Nein, in keinem Fall. Wir waren bereits mit der Gründung im Jahr 2009 ein KIT. Wir haben auch bislang schon vieles gemacht, was dem einen KIT entspricht, auch wenn einiges davon gar nicht so im Gesetz vorgesehen war. Aber in der Wissenschaft sind wir natürlich kreativ und haben unsere Möglichkeiten ausgereizt. Mit dem neuen Gesetz werden wir nun aber endlich die Basis haben, also den Rahmen, in dem das KIT so sehr eins sein kann, wie es will. Jetzt müssen wir den neu gesetzten Rahmen natürlich umso stärker mit Leben füllen. 


Was wird jetzt möglich, was bislang nicht möglich war?

 

Das fängt damit an, dass Bund und Land überhaupt eine Verwaltungsvereinbarung zum KIT schließen konnten, die diesen Schritt zur Einheit ermöglicht. Das geht nur aufgrund der Grundgesetzänderung von 2014. Und darum vollziehen wir erst jetzt diesen weiteren großen Schritt, künftig ein Rechtsregime und einen einheitlichen Personalkörper zu haben. Dass Bund und Land innerhalb einer Wissenschaftsorganisation zusammenarbeiten, gemeinsam zu ihrer Grundfinanzierung beitragen und völlig neue rechtliche Brücken schlagen, ist deutschlandweit etwas Neues und Einzigartiges. 

 

Nicht ganz. Berlin ist sich bei der Neuaufstellung des zu 90 Prozent vom Bund finanzierten Berliner Instituts für Gesundheitsforschung als Teil der landesfinanzierten Charité um Jahre schneller mit dem BMBF einig geworden.

 

Ich weiß, dass auch das BIH einen langen und nicht immer einfachen Weg hinter sich hat, kann aber die Situation in Berlin nicht wirklich bewerten, will es auch nicht. Aber meine Einschätzung wäre, in Berlin wurde mit dem neuen Grundgesetz-Artikel 91b das verwirklicht, was dem KIT mit eigenem Gesetz schon in 2009 ermöglicht wurde. Natürlich hatten wir diverse Hemmnisse, die sich aus dem damaligen Grundgesetz ergaben. Und genau diese sind nun beseitigt.

 

War das KIT bislang eine schizophrene Persönlichkeit – mit zwei Identitäten, die nicht immer das gleiche wollen und gelegentlich aneinander vorbeidenken und -arbeiten?

 

Die Formulierung finde ich zu stark. Wir hatten all die Jahre einen rechtlichen Rahmen, und wir haben Wege gefunden, mit diesem Rahmen umzugehen und trotz der Hürden wissenschaftlich als eine Einheit auftreten und handeln zu können. Dass uns das gelungen ist, können Sie zum Beispiel an unserem erneuerten Erfolg in der Exzellenzstrategie wie auch im Abschneiden des KIT in der Helmholtz-Evaluation erkennen. Wir haben in den letzten Jahren sehr wirksame Hilfskonstruktionen geschaffen. 

 

"Ich bin Maschinenbauer, kein Jurist. Was ich aber
von Juristen gelernt habe: Es gibt bei einem Gesetz immer einen Interpretationsspielraum."

 

Mit anderen Worten: Sie haben um die geltende Rechtslage herumgearbeitet. Und Sie können es jetzt zugeben, weil Sie bald endlich das neue Gesetz bekommen. 

 

Wir waren immer rechtstreu! Ich bin Maschinenbauer, kein Jurist. Was ich aber von Juristen gelernt habe: Es gibt bei einem Gesetz immer einen Interpretationsspielraum, und den haben wir in unseren Ordnungen und Satzungen genutzt, wobei jede dieser Ordnungen und Satzungen von unserem Aufsichtsrat gesehen worden ist. Und im Aufsichtsrat sitzen das Land und der Bund mit drin, die hätten sonst schon "Stopp" gerufen.

 

Geben Sie doch mal ein Beispiel, wo Sie den vorhandenen Interpretationsspielraum kreativ genutzt haben. 

 

Wir haben zwei Arten von leitenden Wissenschaftlern am KIT. Die einen sind die klassischen Universitätsprofessorinnen und -professoren, die anderen sind Institutsleiter im Großforschungsbereich und haben über das sogenannte "Karlsruher Modell" oder "Jülicher Modell"  eine Professur in Nebentätigkeit bzw. sind an den Großforschungsbereich beurlaubt worden. Mit einer Reihe juristischer und buchhalterischer Klimmzüge haben wir es hinbekommen, dass diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Alltag trotz ihrer unterschiedlichen Verträge und getrennter Bund-Land-Finanzflüsse annähernd dieselben universitären Mitwirkungsmöglichkeiten hatten bzw. vice versa in Helmholtzaufgaben mitgestalten konnten. Doch auf der Ebene der wissenschaftlichen Mitarbeiter war das schwieriger. Um ein triviales Beispiel zu nennen: Die Doktoranden der einen Professorin fallen dann unter das Landesreisekostengesetz und haben zum Beispiel Anspruch auf ein Jobticket, während die Doktorandinnen des anderen Professors unters Bundesreisekostengesetz fallen und keinen Anspruch auf ein Jobticket haben. Die einen bekommen Landestarif, die anderen Bundestarif mit jeweils unterschiedlichen Vergütungs- und Zulagenregeln. Aber alle arbeiten im KIT an ähnlichen Fragestellungen und in gleichen Laborumgebungen. Das muss man den Leuten erst mal vermitteln und solche Sachen haben das Leben am KIT unendlich schwer gemacht und immer wieder für unnötige Konflikte zwischen Menschen gesorgt. 

 

Ein Konflikt und ein Riss, der besonders aufbrach, als das KIT 2012 zwischenzeitlich den Status als Exzellenzuniversität einbüßte.

 

Ein Konflikt, den schon meine Vorgänger mit Bravour bearbeitet haben und den wir durch einen KIT-weiten Kommunikationsprozess so klären konnten, dass wir heute einen internen Zusammenhalt leben. Aber der Preis war ein erhebliches Maß an zusätzlicher Bürokratie und Administration im Hintergrund, die für die Verantwortlichen in den Instituten, aber auch im Präsidium und der Verwaltung eine große zusätzliche Belastung und Arbeit gebracht haben.

 

Wollen Sie sagen, das neue Gesetz, mit dem Sie sich all die Bürokratie sparen, wird gar nicht zu einer höheren wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit führen, sondern vor allem Ihnen die Arbeit leichter machen? 

 

Ich bin Wissenschaftler und meine Triebfeder ist immer, mehr und bessere Wissenschaft zu ermöglichen und die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen. In den großen Linien ist es uns bereits gelungen, das KIT in seiner vollen Breite mitzunehmen. Aber nicht in  allen Einzelfällen. Da versprechen wir uns nun nochmal einen richtigen Schub.

 

"Manchmal waren Universitäts- und Großforschungsteil so weit auseinander, dass unsere Bemühungen, Brücken zwischen beiden zu spannen, nicht gereicht haben." 

 

Bitte wieder ein Beispiel!

 

Zu den Themen, die uns in der Wissenschaft alle sehr beschäftigen, gehören der Transfer und die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Wir haben die universitären Geistes- und Sozialwissenschaften, wir haben die universitär geprägte Architektur, die sich vor allem der Lehre und der Grundlagenforschung widmen. Wie aber bringen wir diese zusammen mit den Fragestellungen der Großforschung, die ausgerichtet ist auf die drängenden Herausforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft? Ich denke zum Beispiel an die Stadt der Zukunft, an klimafreundliche Wohn- und Verkehrslösungen. Bei solchen Fragen waren Universitäts- und Großforschungsteil manchmal so weit auseinander, dass unsere Bemühungen, Brücken zwischen beiden zu spannen, nicht gereicht haben. Jetzt, mit dem neuen Gesetz, wird uns das gelingen. Und genau das macht mich so begeistert. Und nebenher haben wir auch noch ein Urteil des Landesverfassungsgerichts umgesetzt und die Beteiligung der Professorinnen und Professoren in allen Gremien gestärkt.

 

Die multiple Persönlichkeit des KIT wird endlich zu einem in sich stimmigen Charakter?

 

Das neue Gesetz besagt, dass es nur noch eine Institution mit einem einzigen Personalkörper und einem Rechtsregime gibt, die nicht mehr aus zwei getrennten Bereichen besteht, sondern zwei unterschiedliche völlig gleichrangige Aufgaben hat: die Universitätsaufgabe und die Großforschungsaufgabe. Das lässt sich vergleichen mit der medizinischen Fakultät einer Universität, die zugleich ein Universitätsklinikum betreibt. Und deshalb wird es auch künftig nicht mehr zwei unterschiedliche Professurentypen und komplizierte Berufungsmodelle geben, sondern es gibt nur noch die "Universitätsprofessur am KIT". Und je nachdem, ob ein Professor oder eine Professorin in der universitären Grundlagenforschung arbeitet oder in der Helmholtz-Programmforschung, können wir das jeweilige universitäre Lehrdeputat passend zur Aufgabe festlegen. Von einer reinen Forschungsprofessur bis hin zu einer Professur, die sich vollumfänglich der universitären Lehre widmet. Die Forschungsfreiheit bleibt davon unberührt. Das macht uns flexibel wie keine andere Wissenschaftseinrichtung in Deutschland.

 

Und bedeutet, dass Großforschungs-Institutsleiter jetzt Angst haben, demnächst viel mehr universitäre Lehre machen zu müssen als ihre bisherigen zwei Semesterwochenstunden.

 

Das Schöne bei Wissenschaftlern ist, dass alles ohnehin nur über intrinsische Motivation funktioniert. Insofern rede ich nicht von Angst, sondern von Chancen. Wir werden künftig leitende Mitarbeitende mit universitären Wurzeln haben, die sich stärker in der Großforschung engagieren, und leitende Mitarbeitende aus der Großforschung, die mehr als bislang mit Studierenden arbeiten wollen. Und das können wir jetzt sozusagen stufenlos verrechnen – solange die Gesamtzahl der Vorlesungsstunden am KIT nicht sinkt. Universitäre Wissenschaft und Großforschung wachsen in einer Art und Weise auch persönlich, also in jedem Individuum, zusammen, wie wir es bislang nur träumen konnten. Ich finde das toll!

 

"Kein Wissenschaftler in den USA versteht, dass Professoren an deutschen Universitäten grundsätzlich neun Semesterwochenstunden Lehre ableisten müssen."

 

Aber kaum ein Vorbild für den Rest der Republik, denn normalen Universitäten fehlt zu dieser Flexibilität das niedrige Deputat außeruniversitärer Institutsleiter. 

 

Wir sind von Beginn an ein Pilotprojekt fürs deutsche Wissenschaftssystem gewesen, das sich bewährt hat, wie unter anderem der erneute Gewinn des Exzellenztitels als auch unsere starke Positionierung in der Helmholtz-Welt zeigt. Auch bei uns fällt der dafür nötige Steuerungsmechanismus ja nicht vom Himmel, den müssen wir entwickeln und einüben. Aber dann entsteht uns im internationalen Wettbewerb ein großer Vorteil, wenn wir begehrte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA oder anderswoher gewinnen wollen, wo kein Mensch versteht, dass Professoren an deutschen Universitäten grundsätzlich neun Semesterwochenstunden Lehre ableisten müssen. Wenn Sie denen aber sagen: Sie bekommen eine großforschungsrelevante Aufgabe zugewiesen und machen deshalb weniger Lehre und mehr Programmforschung, dann kann das das entscheidende Argument sein. 

 

Die Segnungen einer Bundesfinanzierung, von der normale Universitäten nur träumen können!

 

Aber mit dem Vorteil kommt ja auch eine besondere Verpflichtung. Die Helmholtz-Mission besteht nicht in der freien Forschung, sondern die programmorientierte Förderung gibt Forschungsziele vor, zu denen ich mich als Wissenschaftler verpflichte. Mit anderen Worten: Wer weniger Lehre leisten möchte, ist umgekehrt stärker der Programmforschung verpflichtet.

 

Aus Sicht eingefleischter Grundlagenforscher fast schon ein Pakt mit dem Teufel.

 

Mit dem Teufel? Wo kämen wir hin? Eher mit dem KIT-Präsidium. Und das sind eigentlich ganz nette Menschen. Aber fragen Sie dazu besser mal unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. 

 

Neu ist auch, dass der Bund sein Geld nicht mehr direkt an den Großforschungsteil des KIT gibt, sondern ans Land, und das Land leitet es dann weiter. Schon bislang prangerten Bundesrechnungshof und Haushaltausschuss des Bundestages die undurchschaubaren Mittelflüsse zwischen Bund und Ländern an – mit dem Ergebnis, dass oftmals unklar bleibe, was mit den Bundesgeldern passiere. Wird das jetzt noch schlimmer? 

 

Die Anliegen von Bundesrechnungshof und Haushaltsausschuss sind äußerst berechtigt. Wir sind verpflichtet, transparent Rede und Antwort stehen zu können, was den Verbleib und die Verwendung aller Mittel angeht. Das Gegenteil wäre aus Sicht der Haushälter, aber auch aus meiner Sicht, nicht zu tolerieren. Sie haben vorhin kritisiert, dass es so langsam ging mit dem neuen KIT-Gesetz. Hier haben Sie einen Grund: Dass die Einfluss- und Steuerungsrechte des Bundes gewahrt bleiben, war eines der wesentlichen Ziele der Verwaltungsvereinbarung, auf deren Grundlage das neuen Gesetzes zwischen Bund und Land geschlossen wurde. Und diese Ziele angemessen umzusetzen, hat seine Zeit gebraucht. Als Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft stehe ich dazu und bin dankbar, dass man sich bei dieser komplexen Materie die notwendige Zeit auch genommen hat.  

 

"Mit dem Zurückgewinnen des Exzellenzuni-Titels haben wir eindeutig bewiesen, dass
unser Konzept aufgegangen ist."

 

Als Sie 2013 ans KIT kamen, befand es sich in einer tiefen Depression. Gerade hatte es den Status der Exzellenzuniversität verloren, Universität und Forschungszentrum waren tief gespalten. Sie haben damals einen 10-Punkte-Plan vorgelegt. Schauen Sie manchmal noch rein?

 

Jeden Tag. Mein 10-Punkte-Plan beinhaltete unter anderem den Aufbau eines einheitlichen KIT, eine neue Organisation mit einer zusätzlichen Ebene zwischen Präsidium und der Professorenschaft, den sogenannten Bereichsleitungen. Und mit klar gezogenen Zuständigkeiten der einzelnen Gremien. All das hat seinen Widerhall im neuen KIT-Gesetz gefunden. Insofern hat sich meine Vorstellung von der künftigen Organisation KIT realisiert. Aber ich bin ja kein Organisationsentwickler, ich bin Wissenschaftler, und der einzige Zweck einer Organisation besteht für mich darin, dass sie gute Wissenschaft machen kann. Mein Eindruck ist, das ist uns gelungen: Das KIT wächst zusammen, seine beiden ehemaligen Teile finden einander über gemeinsame Forschungsthemen, die wissenschaftlich spannend und gesellschaftlich relevant sind und in die sich jeder, gleich aus welcher Disziplin er oder sie kommt, einbringen kann. Mit dem Zurückgewinnen des Exzellenzuni-Titels, auch das übrigens einer meiner 10 Punkte damals, haben wir eindeutig bewiesen, dass unser Konzept aufgegangen ist. 

 

Die Exzellenz-Ansage war riskant. Außerdem haben Sie 2018, also mitten im ExStra-Antragsverfahren, die Kernformel des KIT als "Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft" beschrieben – "mit einem Selbstverständnis einer Universität zwischen Grundlagenforschung und der Thematisierung gesellschaftlicher Herausforderungen". Für eingefleischte Uni-Wissenschaftler muss auch das ziemlich provokant geklungen haben. Aber der gemeinsame Exzellenz-Sieg hat die lautesten Kritiker ja erstmal zum Schweigen gebracht. Die Frage ist: Für wie lang?

 

Natürlich hat uns dieser gemeinsame Erfolg zusammengeschweißt. Und klar, jeder der schon mal eine Zielvereinbarung formulieren musste, weiß: wer die Ziele hoch steckt, kann tief fallen. Insofern war mein 2013 geäußerter Anspruch, den Exzellenz-Titel zurückzuerobern, in der Tat risikoreich. Unser Erfolg sechs Jahre später hatte dann sehr viel mit Leistung zu tun, aber auch mit sehr viel Glück. Es hätte genauso gut schiefgehen können, da bin ich ganz demütig und realistisch. Aber jetzt freue ich mich über den Erfolg und auch über das Gefühl von Identifikation mit dem KIT, das mit diesem Rückenwind in Wissenschaft und Verwaltung entstanden und weiter gewachsen ist. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ohne den Exzellenz-Titel der aktuelle KIT-Gesetzgebungsprozess insgesamt deutlich schwieriger verlaufen wäre. Doch wir haben uns das Vertrauen von Bund und Land verdient. 

 

2026 steht die nächste Exzellenzrunde an. Hat sich das Verfahren in seiner jetzigen Form bewährt?

 

Ich halte die Zweistufigkeit für vernünftig, also dass mindestens zwei erfolgreiche Clusteranträge nötig sind, um überhaupt im Exellenzwettbewerb dabei sein zu können. Zugleich ist das die größte Herausforderung für uns am KIT, denn mit genau zwei durchgebrachten Clustern war das Ergebnis letztes Mal sehr knapp für uns. 2026 hätte ich gerne festeren Boden unter den Füßen. Dafür müssen wir jetzt schauen, mit welchen Forschungsthemen wir uns anhand der strategischen Linien des KIT positionieren wollen. Von der Wissenschaftspolitik erwarte ich, dass sie sich an die Regeln eines transparenten und wissenschaftsgeleiteten Verfahrens hält. Dazu gehört, dass sie sich vor der nächsten Runde auf eine genaue Zahl neuer Cluster festlegt und dann auch bei dieser Zahl bleibt. 

 

Da spricht ein Gewinner. Es gibt Regionen in Deutschland, vor allem im Osten und Norden, die kaum Chancen haben, in der Exzellenzstrategie zum Zug zu kommen. Was sagen Sie denen?

 

Ich bin Norddeutscher und deshalb freue ich mich besonders, dass es mit Hamburg eine Exzellenzuniversität in Norddeutschland gibt. Aber natürlich haben Sie Recht: Es gibt einen Konflikt. Er besteht nicht innerhalb der Wissenschaft, sondern zwischen den Interessen der Wissenschaft und den Interessen der Politik. 

 

"Es steht außer Frage, dass die Politik für einige Regionen Förderprogramme auflegen muss, aber bitte nicht in einem Abwasch mit der Exzellenzstrategie."

 

Sagt jemand aus einer Forschungseinrichtung, die in einer der wirtschafts- und finanzstärksten Regionen Deutschlands liegt. 

 

Klar ist das ein Privileg, dass viele Regionen in Deutschland sich über 70 Jahre hinweg in Ruhe entwickeln konnten. Regionen, in denen die Industrie stark ist und schon die Max-Planck-Vorläuferorganisation Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vor hundert Jahren erste Institute hochgezogen hat, während all das und mehr anderen Regionen verwehrt blieb. Es steht außer Frage, dass die Wissenschaftspolitik dort spezielle Förderprogramme auflegen muss, aber doch bitte nicht in einem Abwasch mit der Exzellenzstrategie, über die Deutschland internationale Sichtbarkeit erreichen will im Wettbewerb mit anderen Ländern und Kontinenten. 

 

Apropos Wettbewerb: Die Hochschulen in vielen Staaten spüren die Folgen der Coronakrise in Form wegbrechender Studiengebühren. 

 

Wir spüren das auch. Baden-Württemberg hat ja vor einigen Jahren auch Studiengebühren für internationale Studierende eingeführt, von denen jetzt viele wegbleiben. Aber ich gebe zu: Im Vergleich zu amerikanischen Hochschulen bestreiten wir nur einen sehr geringen Anteil unseres Haushalts darüber. 

 

Weil deutsche Hochschulen zum Großteil über Steuern finanziert werden. Am Anfang der Krise mag das ein Vorteil sein. Kommt das bittere Erwachen, wenn Bund und Länder nach Rekordausgaben und Rekord-Steuerlöchern in den Sparmodus gehen?

 

Die Sorge sollte uns alle erfüllen, dass die Coronakrise die ganze Welt auch viel Wohlstand kostet. Der Kassensturz wird auch bei uns kommen. Und dann wird die Politik Prioritäten setzen müssen. Mich erfüllt aber mit Optimismus, dass viele gerade in der Pandemie den besonderen Wert der Wissenschaft gesehen haben. Bei der Entwicklung von Arzneimitteln hat das KIT nur eine ganz kleine Rolle gespielt, aber die deutsche Wissenschaft insgesamt kann sehr stolz sein auf ihre Leistung, die international wahrgenommen worden ist. Parallel sehen wir, wie das gesellschaftliche Vertrauen in die Wissenschaft zurückgekehrt ist. Insofern setze ich darauf, dass die Universitäten und Forschungseinrichtungen zu den politischen Prioritäten zählen werden – erst recht, wenn wir zur rechten Zeit mit neuen guten Ideen und Lösungsansätzen für die Gesellschaft präsent sind. Das wird unsere Aufgabe sein.  

 

Von welchen neuen guten Ideen und Lösungsansätzen sprechen Sie?

 

Zum Beispiel davon, das Grundbedürfnis der Menschen, mobil zu sein, auch unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts zu ermöglichen. Energie ist das Rückgrat eines jeden Staates und ein Riesenthema für uns. Dann die digitale Revolution, die Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz, zu Quantenrechnern bis hin zur Kryptologie. Dazwischen steht das Thema der Datensicherheit. Mobilität, Energie und Informationstechnologien, das sind die Schwerpunkte unserer Arbeit am KIT. Und das möchte ich verknüpfen mit Fragestellungen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit. 

 

"Wenn ich von Max-Planck, Fraunhofer, Helmholtz und Leibniz immer genau dasselbe verlange, sind am Ende alle gleichermaßen mittelmäßig und ununterscheidbar."

 

Ist Deutschlands Wissenschaftssystem agil genug?

 

Die Frage sollte man nicht aufs Wissenschaftssystem beschränken. Eigentlich muss sie lauten: Ist die deutsche Gesellschaft, ist die Politik flexibel und agil genug? Manche Strukturen helfen uns in der Krise besonders, andere halten uns zurück. Wer von uns wusste vor zwei Jahren, dass wir 400 Gesundheitsämter in Deutschland haben und wofür diese gut sein können? Das hat nur wenige interessiert, das lief alles im Hintergrund und bietet uns jetzt Stabilität. Umgekehrt ist unsere Kultur geprägt von einem Sicherheitsbedürfnis und einer Skepsis Veränderungen gegenüber. Wir haben gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse, die sehr gründlich sind und oft sehr, sehr langsam. Immerhin: Wenn erstmal etwas entschieden wurde, dann läuft das auch meist. 

 

Es ist nur wenige Jahre her, da galt Helmholtz als Premiumpartner der Wissenschaftspolitik, vor allem im BMBF. Heute, so scheint es, ist Helmholtz dort ein Stückweit abgemeldet, die Rolle hat die Fraunhofer-Gesellschaft übernommen.  

 

Als ich bei Fraunhofer war, wurden uns immer Max-Planck und Helmholtz vorgehalten, die Zahl ihrer wissenschaftlichen Publikationen und andere wissenschaftliche Großtaten. Ihr macht immer nur Transfer, hieß es damals. Und jetzt ist Transfer das große Thema, und jetzt leiden Helmholtz und Max- Planck ein bisschen, weil man ihnen ihre geringere Zahl an Ausgründungen und Drittmitteln vorhält. Was mich stört, ist, dass die Wissenschaftspolitik zu allen Zeiten dazu tendiert, von allen Wissenschaftsorganisationen das gleiche haben zu wollen. Nur was das ist, ändert sich eben ab und zu. Wir müssen als Wissenschaftsorganisationen noch deutlicher machen, dass unsere Missionen unterschiedlich sind und jede dieser Missionen zugleich ihre Berechtigung hat. Wenn ich von Max-Planck, Fraunhofer, Helmholtz und Leibniz immer genau dasselbe verlange, sind am Ende alle gleichermaßen mittelmäßig und ununterscheidbar.

 

Sie haben doch vorhin für Helmholtz auch die gesellschaftliche Relevanz und den Transfer betont.

 

Aber die Zeithorizonte sind bei uns andere als bei Fraunhofer und müssen es sein. Die Energiewende und der Klimaschutz, um nur zwei Beispiele zu nennen, werden uns, auch wenn die Zeit mehr als drängt, mindestens noch die nächsten 40, 50 Jahre beschäftigen und dafür brauchen wir eine andere Form der Forschungsorganisation, als wenn ich Forschungsprojekte zusammen mit Wirtschaftsunternehmen vorantreiben soll, die in Zyklen von zwei oder drei-Jahren denken. Die Coronakrise rückt da übrigens bei einigen in der Wissenschaftspolitik gerade den Blick zurecht, und das ist gut so. 

 

Was meinen Sie?

 

Wer hätte vor der Pandemie freiwillig so viel Geld in die Infektionsforschung gesteckt? Das war ein Nischenthema, obwohl die Wissenschaft schon lange vor den kommenden Gefahren warnte. Alle vier großen Forschungsorganisationen haben ihren Charme und ihre Besonderheiten, doch die langfristige, gesellschaftlich relevante Forschung, wie Helmholtz sie betreibt, ist besonders gut geeignet, auf diese neue wissenschaftspolitische Situation zu reagieren. Das liegt auch daran, dass sich die Helmholtz-Forschung über die programmorientierte Förderung und die internationale Evaluation all ihrer Forschungsprogramme alle paar Jahre komplett auf den Prüfstand stellt und neu justieren kann. 

 

Das müssen Sie jetzt nur noch dem BMBF und, Stichwort Betriebsmittel-Sperren, dem Bundestag klarmachen. 

 

Wir müssen immer dafür werben und klar machen, warum es sich lohnt, bei der eigenen und im übrigen politisch mandatierten Mission zu bleiben und nicht jedem Trend hinterherzulaufen. Ich würde dabei auch nicht so sehr auf aktuelle Konstellationen im Bundestag, in den Ministerien und den Forschungsorganisationen schauen, sondern einfach die Aufgaben, die vor uns liegen, lösen. Dann verstehen noch mehr Menschen in der Wissenschaftspolitik und darüber hinaus, was Helmholtz ausmacht und wofür wir da sind. 


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