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Ärger um "caesar"

Der Bundesrechnungshof erhebt Vorwürfe: Das BMBF wolle Stiftungsgelder in dreistelliger Millionenhöhe am Parlament vorbei an die Max-Planck-Gesellschaft übertragen. MPG und Karliczeks Ministerium widersprechen.

Das Forschungszentrum "caesar" in Bonn. Foto: Eckhard Henkel/wikimedia, CC BY-SA 3.0.

ANJA KARLICZEK droht schon wieder Ärger mit dem Haushaltsausschuss. Gerade erst hat das Gremium das KI-Programm zur Hochschullehre entsperrt, jetzt haben die Bundestagsabgeordneten einen Bericht des Bundesrechnungshofs auf dem Tisch, der Vorwürfe gegen das BMBF erhebt.

 

Karliczeks Ministerium wolle aus dem Bundeshaushalt stammende Stiftungsgelder in dreistelliger Millionenhöhe am Parlament vorbei an die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) übertragen. "Befremdlich" nennt das die grüne Haushaltspolitikerin Ekin Deligöz und warnt, ein solches Vorgehen sei "kurzsichtig und dem guten Verhältnis zwischen BMBF und Haushaltsausschuss sicher nicht dienlich." Diesen Mittwoch befasst sich das parlamentarische Gremium mit dem Bericht der Prüfer. Auf Anfrage weisen BMBF und Max-Plank-Gesellschaft die Vorwürfe des Bundesrechnungshofs als unbegründet zurück.

 

Worum es geht: Das Bonner Forschungszentrum "caesar" wurde 1995 als größtes Ausgleichsprojekt für den Hauptstadtumzug nach Berlin gegründet und finanziert sich bis heute hauptsächlich über eine Stiftung, in die der Bund einmalig rund 350 Millionen Euro einzahlte. Das Akronym "caesar" steht für "Center of Advanced European Studies and Research" und hat lange erfolgreich gearbeitet – finanziell zumindest. Denn inhaltlich übte der Wissenschaftsrat bereits 2004 Jahre grundlegende Kritik an der Einrichtung: Sie habe ihre wissenschaftlichen Ziele nicht erreicht – worauf Stiftung und Forschungszentrum kräftig umstrukturiert wurden. Dazu gehörte, dass die Stiftung assoziertes Mitglied der MPG wurde – rechtlich und finanziell aber von ihr getrennt blieb.

 

Warnung des Stiftungsvorstands:  Schon
ab Oktober 2021 wird das Geld knapp

 

Doch hat die nun schon seit Ende der 2000er Jahre anhaltende Niedrigzinsphase die Geschäftsgrundlage vieler Stiftungen in Frage gestellt. Laut Bundesrechnungshof habe der "caesar"-Stiftungsvorstand berichtet, dass die jährlich erzielten Nettoerträge aus dem Stiftungsvermögen schon seit 2013 nicht mehr ausgereicht hätten, um den Betrieb nachhaltig zu finanzieren. Und er warnte: Ab Oktober 2021 sei die Finanzierung nicht mehr gesichert.

 

Die Zeit drängt also. Woraufhin der Stiftungsrat am 20. Juli 2020 einen Beschluss fasste: Die Stiftung soll aufgelöst werden. Das sich (inklusive neun Prozent NRW-Landesanteil) Ende 2019 auf 412 Millionen Euro belaufende Stiftungsvermögen soll zum 1. Januar 2022 an die MPG übertragen werden, die im Gegenzug das Forschungszentrum "caesar" als vollwertiges Max-Planck-Institut mit dem Schwerpunkt Verhaltensneurowissenschaften weiterführt – und dafür das Stifungskapital komplett aufbrauchen darf. 

 

Doch nun wird es pikant. Denn der Bundesrechnungshof hatte nach eigener Darstellung schon vor den 20. Juli 2020 die Stiftung und das zuständige BMBF aufgefordert, vor einer Entscheidung von Karliczeks Ministeriums zur Auflösung der Stiftung den Haushaltsausschuss des Bundestages zu beteiligen, "so dass dieser über die Zukunft des Stiftungskapitals entscheiden darf". Der Stifter Bund werde nicht durch die Bundesregierung repräsentiert, argumentieren die Rechnungsprüfer. "Vielmehr ist der Stifter das Parlament, welches im Rahmen der Haushaltsaufstellung die Mittel für die Stiftung bewilligt hatte." Doch Stiftung und BMBF wiesen die Einbindung des Bundestags zurück, sie sei rechtlich nicht nötig. So stellt es zumindest der Bundesrechnungshof in seinem Bericht da. Auf Anfrage sagt das BMBF nun, es sei sehr wohl der Auffassung, das eine Befassung des Haushaltsausschusses geboten sei.

 

MPG: Institut muss
adäquat ausgestattet sein

 

Hinzu kommt, dass der Stiftungsrat trotz des Finanzdefizits und Warnungen des Rechnungshofes an 12 Millionen Euro teuren Umbaumaßnahmen am Forschungszentrum festhält. Die Prüfer befürchten, dass das Stiftungskapital nach Übertragung an die MPG in absehbarer Zeit aufgezehrt sein könnte (vom Risiko eines "erhöhten Ausgabeverhaltens" ist im Bericht die Rede) – und dass dann zusätzliche Kostenforderungen seitens der MPG auf den Bund zukommen könnten, um das Forschungszentrum langfristig am Leben zu halten.

 

Ganz von der Hand zu weisen ist diese Vermutung nicht, wenn man MPG-Generalsekretär Rüdiger Willems zuhört. Der betont auf Anfrage, seit der Assoziierung des Instituts seien seine wissenschaftlichen Direktoren zugleich wissenschaftliche Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft, was dezidiert heiße, "dass für das Forschungszentrum die wissenschaftlichen (Exzellenz-)Prinzipien der MPG gelten." Insofern müsse die MPG "dafür Sorge tragen, dass die von ihr berufenen Direktoren adäquat ausgestattet sind, um Spitzenforschung betreiben zu können". Und Willems fügt hinzu: Der vom Wissenschaftsrat 2006 empfohlene Um- und Ausbau des Zentrums, um die wissenschaftlich kritische Masse zu erreichen, sei für die MPG damals "eine wesentliche Geschäftsgrundlage" für die Assoziierung gewesen.

 

Das BMBF selbst geht laut Bundesrechnungshof von zehn bis 15 Jahren aus, in denen das Forschungszentrum durch das Aufbrauchen des auch nach der Übertragung "in größtmöglichem Umfang" zweckgebundenen Stiftungskapitals finanziert werden könne. Danach, betont das Ministerium aber, werde seine Finanzierung aus dem laufenden Budget der MPG sichergestellt. "Diese sichert eine langfristige Finanzierung für das Institut zu."

 

Der Bundesrechnungshof bemängelt indes, dass das BMBF bislang keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung im Sinne der Bundeshaushaltsordnung durchgeführt habe, um festzustellen,  "ob der geplante Übertrag des Stiftungskapitals und der Verzehr über die nächsten zehn bis 15 Jahre die wirtschaftlichste Alternative darstellt". Diese Untersuchung müsse nachgeholt werden. Durch den Übertrag werde die Finanzierung von "caesar" jedenfalls langfristig nicht gesichert. "Die grundsätzliche Finanzierungsfrage nach dem vollständigen Verzehr des Stiftungskapitals bleibt unbeantwortet."

 

Interessenkonflikte
im Stiftungsrat?

 

Schließlich sieht der Rechnungshof auch Interessenkonflikte im 16-köpfigen Stiftungsrat, der über die Zukunft der Stiftung entscheidet. Denn seit "caesar" assoziiertes MPG-Mitglied geworden ist, ist das Gremium zur Hälfte mit Max-Planck-Repräsentanten besetzt – die dann über die Übertragung des Stiftungsvermögens an die Max-Planck-Gesellschaft mitentscheiden würden. Wörtlich heißt es im Bericht: "Der Bundesrechnungshof stellte weiter fest, dass eine Person aus der MPG-Generalverwaltung eine Leitungsfunktion in der Stiftung übernommen hat. Diese ist gleichzeitig verantwortlich für die Transformation der Stiftung mit einer Berichtspflicht an die MPG-Generalverwaltung." Gemeint ist hier offenbar die kaufmännische Geschäftsführerin Corinna Minderop, die seit August 2020 im Amt ist. Stiftungsratsvorsitzender wiederum ist der MPG-Präsident Martin Stratmann.

 

Die Max-Planck-Gesellschaft weist den Verdacht eines Interessenkonflikts zurück. Bund und Land NRW seien an die MPG herangetreten, um für "caesar" eine wissenschaftlich attraktive und finanziell langfristig gesicherte Perspektive zu entwickeln. Nach der Diskussion unterschiedlicher Modelle habe sich die Vollintegration in die MPG als "wissenschaftlich und wirtschaftlich gangbares Modell herauskristallisiert". Die MPG sei an der Entscheidung über die Auflösung des Stiftungsvermögens nicht unmittelbar beteiligt. Zwar sei der Stiftungsrat hälftig mit MPG-Vertretern besetzt, doch sei der Beschluss des Stiftungsrats über die Auflösung rechtlich gesehen nur eine Empfehlung. Die Stiftungsaufsicht entscheide nach Anhörung der Stifter Bund und NRW final über die Auflösung, über das Stiftungsvermögen entschieden ebenfalls die Stifter. Und was die Einsetzung einer Person aus der MPG-Generalverwaltung in der Geschäftsführung angehe: Diese Option einer "fachkundigen Kraft", die keiner längere Einarbeitung bedürfe, sei gewählt worden, um keine langfristigen Verpflichtungen einzugehen, da es nach der Umwandlung zum Max-Planck-Institut nur noch die Position einer Verwaltungsleitung geben werde. 

 

Das BMBF ergänzt auf Anfrage, dass die MPG Vertreter in den Stiftungsrat entsende und Stratmann Vorsitzender des Gremiums sei, ergebe sich als Konsequenz aus der Assoziierung von "caesar" mit der MPG und der Übernahme der wissenschaftlichen Verantwortung. "Der wissenschaftlichen Entwicklung von "caesar" ist sie sehr zugutegekommen." Im Übrigen entschieden die Stifter Bund und Land allein über die mögliche Umwandlung.

 

Die Liste der Hakeleien zwischen Haushaltsausschuss
und BMBF wird immer länger

 

Doch die Rechnungshof-Prüfer beharren: Es "bestanden und bestehen bei den Vertretern der MPG Interessenkonflikte." Diese könnten nur "mittels eines objektiven Verfahrens unter Einbezug des Haushaltsausschusses überwunden werden." Die grüne Haushaltspolitikerin Deligöz sagt: "Den Haushaltsausschuss vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist im BMBF wohl schon Übung." 

 

Fest steht: Die Liste der Hakeleien zwischen Ausschuss und BMBF wird immer länger. Angefangen mit der Sperre von Helmholtz-Betriebsmitteln erstmals 2018, fortgesetzt mit dem Streit über die parlamentarische Mitwirkung beim Abschluss der großen Wissenschaftspakte 2019bis hin zu eingefrorenen Hochschulpakt-Geldern und der vorübergehenden Sperre des Programms zur KI-Hochschullehre, die nur unter Auflagen beseitigt wurde. Im November 2020 hatte der Ausschuss in einem Grundsatzbeschluss zudem die Erwartung formuliert, "dass ihm die Bundesregierung bei künftigen Bund-Länder-Verhandlungen vor Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Ohne eine angemessene Information und Beteiligung des Haushaltsausschusses wird er keine Mittel für Bund-Länder-Vereinbarungen mehr freigeben."

 

Und jetzt der Ärger um "caesar". Es sei befremdlich, sagt Deligöz, "dass das BMBF im Alleingang die Übertragung des Stiftungsvermögens beschließen möchte, obwohl der Stifter das Parlament ist und nicht die Bundesregierung. Hinzu kommt noch, dass nicht einmal ein Finanzierungsplan vorliegt, was nach dem vollständigen Verzehr des Stiftungskapitals passieren soll." Die Haushaltsexpertin kritisiert auch, dass das BMBF sich "überhaupt erst durch den Bundesrechnungshof dazu bemüßigt sieht, den Haushaltsausschuss über diesen Sachverhalt zu unterrichten."

 

Das BMBF widerspricht: Es handle "gegenüber dem Haushaltsausschuss transparent und befasst ihn aus eigener Initiative".  Nach Einigung mit den übrigen Akteuren – Land, MPG, Stiftungsaufsicht – sei jetzt "eine ausreichende Sachstandsreife erreicht worden, so dass ein Bericht des BMBF zur umfassenden Information des Haushaltsausschusses vorgelegt wurde." Der Bericht, gemeinsam verfasst mit dem Bundesfinanzministerium, ging vergangenen Donnerstag an das Gremium.

 

Gehen bald die nächsten Bundesstiftungen

in die Umstrukturierung?

 

Die Rechnungshof-Prüfer fordern derweil eine Evaluierung des Forschungszentrums "außerhalb der MPG-Strukturen", um "ergebnisoffen" auch Alternativen zu der Übertragung des Stiftungsvermögen an die MPG zu prüfen. So könnten die Erträge des Kapitals weiter ausreichen – wenn die Forschungsausgaben des Zentrums entsprechend beschränkt würden. Es sei zu beachten, dass der Bundestag das Stiftungsvermögen ursprünglich nicht zur Gründung eines Max-Planck-Instituts zur Verfügung gestellt habe.

 

MPG-Generalsekretär Willems widerspricht auf Anfrage: Ein Forschungszentrum nach dem Prinzip "design to budget" sei nicht umsetzbar. Die Übertragung der wissenschaftlichen Verantwortung für das Institut an die MPG sei 2006 auf eine Empfehlung des Wissenschaftsrats erfolgt, ebenso wie der Ausbau auf der wissenschaftliche Abteilungen.

 

Wobei diese Darstellung etwas vereinfacht ist: Nach der grundlegenden Kritik des Wissenschaftsrats von 2004 hatte eine von der MPG eingesetzte Kommission im Auftrag des Caesar-Stiftungsrats ein neues Konzept erarbeitet, dem der Wissenschaftsrat 2006 "grundsätzlich" zustimmte – allerdings unter anderem mit der Maßgabe, bei einer Anbindung von "caesar" an die Max-Planck-Gesellschaft die Rechtsform einer Stiftung zu erhalten, um dem Institut "die gewünschte Flexibilität und Offenheit" für wissenschaftliche Zusammenarbeit zu ermöglichen. Außerdem sollten "caesar" realistische Ziele gesetzt werden. 

 

Von BMBF und MPG-Generalsekretär Willems kommt indes die Zusicherung, dass es einen finanziellen Mehrbedarf für "caesar", "wie vom Bundesrechnungshof unterstellt", nicht geben werde geben, "da vertraglich festgelegt" werden solle, dass die MPG für "caesar" keinen Zuschlag über den im Pakt für Forschung und Innovation festgelegten jährlichen Zuwachs geltend machen könne. 

 

Interessant ist schließlich, wieviel Aufwand BMBF und MPG betreiben, um die Sinnhaftigkeit der Übertragungs-Pläne zu erklären – wie unklar aber gleichzeitig bleibt, welche Mitspracherecht Karliczek dem Parlament tatsächlich dabei einräumen will. 

 

Unterdessen prophezeit der Rechnungshof: Wegen der Niedrigzinsphase könnten auch andere Bundesstiftungen in eine ähnlich prekäre Lage geraten, so dass Umstrukturierungen anstehen. Dann, so lautet die abschließende Mahnung, müsse der Haushaltsausschuss jedes Mal beteiligt werden. 

 

 

Nachtrag am 24. Februar:

Der BMBF-Bericht über "caesar" wurde auf Betreiben der Koalitionsfraktionen von der Tagesordnung der heutigen Sitzung des Haushaltsausschusses genommen. Es gebe zunächst Gesprächsbedarf, heißt es. Fortsetzung folgt.



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Kommentare: 2
  • #1

    McFischer (Montag, 22 Februar 2021 11:53)

    Gut recherchiert, lieber Herr Wiarda.
    Die MPG ist sicherlich grundsätzlich eines der wissenschaftlichen Erfolgsprojekte in Deutschland - seit vielen Jahrzehnten. Lange Zeit waren die dortigen 'Direktoren' aber auch kleine Könige (Königinnen gab es weniger), die mit sehr guter finanzieller Ausstattung ziemliche Handlungsfreiheit hatten.
    Interessant zu sehen, wie sich die MPG nun weiterentwickelt. Dabei ist ein Ausgreifen und Kooperation mit anderen Einrichtungen durchaus wünschenswert.

  • #2

    Leander K (Montag, 22 Februar 2021 18:14)

    Von ausländischen Stiftungsuniversitäten hört man nicht, dass sie wegen der Niedrigzins-Situation Probleme haben. Die Stiftung hat schon eine wirklich beträchtliche Höhe mit mehreren hundert Millionen, wieso ist reicht es dann nicht?