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Facts don’t matter? Von Waldflüsterern und wirklichen Förstern

Der Studiengang "Ökologische Waldwirtschaft", den das GEO Magazin und der Autor und Förster Peter Wohlleben aufbauen wollen, hat nichts mit wissenschaftlich fundierter Waldökologie zu tun. Dafür umso mehr mit fragwürdiger Wald-Romantik. Ein Gastbeitrag von Roland Irslinger.

Foto: jplenio / Pixabay.

ALS DIE HEDSCHASBAHN Anfang des 20. Jahrhunderts im heutigen Jordanien ihren Betrieb aufnahm, wurde sie mit Holz beheizt. Große Teile der dortigen Aleppokiefern-Wälder gingen dafür drauf, jetzt ist in der Gegend Wüste. Hätte man die Loks mit Braunkohle befeuert, wären die CO2-Emissionen nicht höher gewesen und der Wald würde noch stehen. Ist Holz deshalb die neue Braunkohle?

 

An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde ist kürzlich der Versuch gescheitert, ein Bachelor-Programm "Ökologische Waldwirtschaft" zu etablieren. Das Magazin GEO von Gruner&Jahr, unterstützt durch Wohllebens Waldakademie, hält an dem Plan, den Studiengang samt Stiftungsprofessuren anderswo aufzubauen, allerdings weiter fest. Daran ist nichts Verwerfliches. Was allerdings aufhorchen lässt, sind Äußerungen der Akteure, die so gar nicht zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Bereich der Waldökologie passen wollen. Wälder haben eine herausragende Bedeutung für das Klimageschehen und sind weltweit bedroht. Steht der wissenschaftliche Diskurs um den Wald auf der Kippe?



Niemand bestreitet, dass die spezifische CO2 Emission von Holz so hoch ist wie die von Braunkohle. Aber Kohle wächst nicht nach. Nachhaltige Waldwirtschaft impliziert die dauerhafte Konstanz der Menge an Holz im Wald, Übernutzung ist ausgeschlossen. In Deutschland steigen die Holzvorräte im Wald sogar, trotz Nutzung, sie sind schon jetzt so hoch wie sie im sich selbst überlassenen Wald wären. Verrottet Holz im Wald, wird dieselbe CO2 Menge frei wie beim Verbrennen, fossiles CO2 wird dabei nicht ersetzt. Heizen wir fossil, wird die Luft zweimal mit CO2 belastet, mit fossilem CO2 und mit dem aus der natürlichen Verrottung. Bei der energetischen Verwertung von Holz verlagert sich ja lediglich der Ort der CO2 Freisetzung vom Wald in den Ofen, das ist schon alles. Wer wie Wohllebens Waldakademie verbreitet, die Verbrennung von Holz sei so dreckig wie die von Braunkohle, betreibt also Hetzpropaganda gegen diejenigen, deren Berufsethos nachhaltiges Wald-Wirtschaften ist.     

 

Wer im Treibhaus sitzt, soll mit dem Wald nicht spaßen, denn die Bewirtschaftung des Waldes in Deutschland spart jedes Jahr über 100 Millionen Tonnen Treibhausgase. 2019 hätte Deutschland also 900 statt 800 Millionen Tonnen zu vermelden gehabt, gäbe es keine heimische Waldwirtschaft. Greenwashing? Nein, es sind die international akzeptierten ISO-Normen, auf deren Basis Wald-Ökobilanzen erstellt werden. Schließlich lässt man bei der Öko-Bilanzierung des Elektroautos die Batterie ja auch nicht weg.

 

Holzenergie aus unseren

Wäldern ist CO2-neutral

 

"Zu fällen einen schönen Baum, braucht's eine halbe Stunde kaum, zu wachsen, bis man ihn bewundert, braucht er, bedenk' es, ein Jahrhundert" sagt der Lyriker Eugen Roth. Folglich dauert es hundert Jahre, bis das aus der Verbrennung eines Baumes freigesetzte CO2 durch die Photosynthese des Nachfolgebaumes wieder gebunden ist. "Kohlenstoffschuld" nennen Öko-Populisten dieses Phänomen und wollen uns weismachen, die Verbrennung von Holz aus unserem Wald sei deshalb nicht klimaneutral. Dubiose Geldgeber finanzieren entsprechende Kampagnen.

 

Aber offenbar wollen diese Klimaneutralitätsleugner vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Bei nachhaltiger Bewirtschaftung von Waldlandschaften binden die verbleibenden Bäume gemeinsam den mit der Ernte entzogenen Kohlenstoff wieder. Da bleibt kein einziges CO2 Molekül zurück in der Luft. Der Wald in Deutschland besteht aus Milliarden von Bäumen, die den Kohlenstoff aus der Holzverbrennung so geschwind wieder binden, wie er infolge der Holzernte in die Luft geht. Denn die Wald-Biomasse ist ein Jahr nach der Fällung mindestens so groß wie zuvor. Holzenergie aus unseren Wäldern ist CO2 neutral, eine Kohlenstoffschuld entsteht zu keiner Zeit.

 

Waldwildnis heißt das neue Heilsversprechen, ihren Wald liebende Förster sollen diesen bitteschön in Ruhe lassen. Cui bono? Die Biodiversität ist in Landschaften mit Wirtschaftswäldern höher als in Großschutzgebieten. Keine einzige wissenschaftliche Studie der vergangenen Jahre hat einen Artenrückgang im Wirtschaftswald feststellen können. Im Gegenteil: Der Wirtschaftswald ist Kulturlandschaft und sichert die Lebensräume der seit Jahrhunderten darin lebenden Organismen. Keine Art der Waldflora ist in den vergangenen Jahrzehnten ausgestorben, es gibt sogar wieder mehr Waldvögel, geschützte Großpilze leiden nicht unter der Waldbewirtschaftung. Der bedenkliche Rückgang von Insekten im Wald ist auf landwirtschaftlich beeinflusste Waldränder beschränkt. Großschutzgebiete dienen nicht dem Artenschutz, viele kleine Schutzgebiete sind für gefährdete Arten weitaus wirksamer.

 

Fast täglich flimmern Horrorbotschaften über die Bildschirme von der Zerstörung der tropischen Regenwälder und vom Abschmelzen der Polkappen. Das ist schlimm. Daraus aber abzuleiten, Waldwildnis hierzulande sei der bessere Klimaschutz, verleitet manche Menschen dazu, Förster und Waldarbeiter zu diffamieren und Forstmaschinen zu beschmieren. Dabei sind Waldwildnis-Landschaften in Mitteleuropa klimatechnisch gesehen tickende Zeitbomben, weil Wälder labile Kohlenstoffspeicher sind. 

 

Wildnis-Befürworter fordern biomassereichere Wälder, dabei werden in unserem immer trockener werdenden Klima Wälder lichter statt dichter. Ganz von selbst verlieren sie Biomasse aus Baum und Boden und geben den in besseren Zeiten akkumulierten Kohlenstoff zurück an die Luft – in solchen Mengen, dass die Pariser Klimaziele Makulatur wären, würden wir diese Phantasien großflächig umsetzen. Ohne Skrupel lässt sich der Grünenchef Robert Habeck mit dem prominentesten "Baumflüsterer" des Landes ablichten, und die SPD in Baden-Württemberg verwies sogar in ihrem Programm zur Landtagswahl auf Wohllebens romantische Waldvorstellung als Grundlage ihrer Waldstrategie. Um Wähler zu mobilisieren ist jedes Märchen vom Walde willkommen. 

 

Holzimporte verlagern den eigenen ökologischen

Fußabdruck lediglich ins Ausland 

 

Ja, es gibt sie noch, die sehr alten Wälder, selten und vor allem außerhalb Europas, Jahrhunderte alt und immer noch wachstumsstark. Aber sie sind weltweit Ausnahmen, wir müssen sie unbedingt schützen. Doch sogar in unberührten Wildnis-Landschaften sind solch alte Wälder aufgrund der kumulativen Wahrscheinlichkeit zerstörerischer Naturereignisse vergleichsweise selten: Nur wenn Katastrophen wie Sturm, Schnee, Feuer und Dürre über Jahrhunderte ausbleiben, können sie sich entwickeln. Es ist wie bei den Menschen. 110-Jährige können immer noch lustig sein, aber ihr Alter als Basis zur Berechnung der Rentenbeiträge zu nehmen, würde die arbeitende Bevölkerung ins Elend stürzen.

 

Wenn wir in unseren Wäldern nicht mehr herumsägen, wie das Herr Wohlleben in seinem Film "Das geheime Leben der Bäume" fordert, kommt Holz aus dem Baumarkt so wie der Strom aus der Steckdose. Den eigenen ökologischen Fußabdruck durch Holzimporte ins Ausland zu verlagern, ist ein typisches Verhalten reicher Nationen, zugleich ist es die Perversion von Umweltpolitik. Warum in aller Welt unterstützen Umweltverbände diese Form des Neokolonialismus? Wir legen die Axt an noch existierende Primärwälder, wenn wir in Mitteleuropa großflächig Waldwildnis zulassen. Holzimport bedeutet Externalisierung von Umweltschäden in Potenz. Lokal schützen, global verschmutzen – kann das Inhalt verantwortungsvoller Umweltpolitik sein?   

 

"Slow in, rapid out", mit diesen Worten beschreibt der Botaniker Christian Körner die Dynamik des Humusauf- und -abbaus im Waldboden. Abholzen von Primärwäldern führt zu raschem Humusabbau mit Kohlenstofffreisetzung in die Luft, Wildnis-Strategien in seit Jahrhunderten genutzten Wäldern reichern Humus im Waldboden dagegen nur sehr langsam an. Übrigens akkumulieren bewirtschaftete Wälder Humus genau so schnell wie ihre Wildnis-Pendants, schließlich werden in einem Wirtschaftswald nur 14 Prozent des Stoffumsatzes geerntet. 86 Prozent stehen den Lebewesen des Waldes auch hier uneingeschränkt zur Verfügung. 

 

Unterschiede in der Humusdynamik zwischen Wirtschafts- und Wildnis-Wald sind nicht klimarelevant. Selbst der Kohlenstoff in den Holzprodukten wird etwa so lange festgelegt, wie er auch im Totholz gespeichert wird. Unabhängig davon, ob ein Wald bewirtschaftet wird oder nicht, gelangen 99 Prozent des photosynthetisch fixierten Kohlenstoffs mittelfristig wieder in die Atmosphäre, 1 Prozent bildet Humus. Fakt ist, dass in den bewirtschafteten Wäldern in Deutschland die Humusgehalte steigen, trotz aller Unkenrufe.

 

Holz ist der Stoff, mit dem man Klima schützt, andere Ökosystemleistungen des Waldes gibt es zum Nulltarif dazu. Holz ist ein Koppelprodukt: Was nicht für Holzprodukte taugt, wird energetisch genutzt. Die Herstellung von Produkten aus Holz vermeidet jedes Jahr 30 Millionen Tonnen Treibhausgase, weil fossile Prozessenergie eingespart wird. Eine Stadt aus Holzhäusern speichert mehr Kohlenstoff als der wildeste Wald. Wer gegen innerdeutschen Flugverkehr demonstriert und sich gleichzeitig für mehr Waldwildnis einsetzt, hat nichts verstanden, gar nichts.   

 

Es braucht naturnahes Wirtschaften

mit Augenmaß

 

Der deutsche Wald muss dicht und dunkel sein, sagen Wildnis-Protagonisten. Unsinn! Denn dichte Wälder saufen den letzten Tropfen Wasser weg. Wälder schöpfen das Wasser aus der Tiefe des Waldbodens und geben es über die Blätter an die Atmosphäre ab, deshalb ist es im Wald auch kühler als draußen. Die Zahl der Bäume mit Augenmaß zu verringern, ist deshalb ein probates Mittel, um verbleibende Bäume besser mit Wasser zu versorgen: ein Paradebeispiel naturnahen Wirtschaftens, schließlich weisen auch natürliche Trockenwälder eine geringere Zahl von Bäumen auf. Im naturnahen Waldbau ist Entschleunigung systemimmanent, er bedeutet ein möglichst unauffälliges Mitschwimmen des Waldmanagements auf den Wellen der Ökosystemdynamik, die im Klimawandel auf das Gegenteil von dichten Wäldern hinausläuft.

 

Wilde Wälder verdrängen übrigens auch Eichen, die man in wärmeren Zeiten so dringend für den Walderhalt braucht. Denn Eichen brauchen mehr Licht zum Wachsen, und wenn im Klimawandel auch die Buchenwälder sterben, sind wir über jede Eiche froh, um die Versteppung unserer Landschaft erstmal zu stoppen.  

 

Waldbesitzer wollen keine kuschelnden Waldflüsterer beschäftigen, sondern auf wissenschaftlicher Basis und evidenzbasiert arbeitende Manager der lokal so stark differenzierten Waldökosysteme. Auf dem Holzweg darf dabei ruhig Geld verdient werden, nachhaltig versteht sich. Wissenschaftlicher Diskurs ist zwingend, ein forstliches Studium dagegen auf Basis alternativer Fakten? Nein danke!   


Roland Irslinger, Jahrgang 1949, hat Forstwissenschaften studiert und war 35 Jahre lang Lehrer und Forscher im Bereich der Waldökologie an der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg, Baden-Württemberg. Über viele Jahre hat er vor Ort in Brasilien geforscht und ist Entwickler des Goldstandards des World Wildlife Fund (WWF) zur Aufforstung von Klimawäldern. 



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Kommentare: 4
  • #1

    Peter K. (Mittwoch, 17 März 2021 05:39)

    Dieser Beitrag wirkt wie eine Werbung für die deutsche Forstwirtschaft und betreibt schwarz-weiß Malerei. Es klingt fast so als wäre die Artenvielfalt und der Wald ohne den gut ausgebildeten deutschen Förster verloren. Nur der Wirtschaftswald wird dem Klimawandel trotzen... Vermutlich ist dieser Artikel der nackten Panik geschuldet, die nächste Bundesregierung könnte von einem Grünen geführt werden. Zu Recht: Der deutsche Wald braucht Erholung und der deutsche Bürger ebenso.

  • #2

    Matthias F. (Mittwoch, 17 März 2021 14:19)

    Der Autor irrt sich in seinem Beitrag in sehr vielen Punkten und ist in der Tat wenig differenziert.
    Zwei Beispiele: "Holzenergie aus unseren Wäldern ist CO2 neutral, eine Kohlenstoffschuld entsteht zu keiner Zeit." Das sehen über 500 Klima- und Biowissenschaftler aus aller Welt anders. https://naturwald-akademie.org/wp-content/uploads/2021/02/Scientist-Letter-to-Biden-von-der-Leyen-Michel-Suga-Moon-Re.-Forest-Biomass-February-11-2021.pdf und auch schon 2017 waren es 800 Wissenschaftler: https://drive.google.com/file/d/0B9HP_Rf4_eHtQUpyLVIzZE8zQWc/view Und auch der Umweltgutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen sieht es ab S. 68ff ähnlich: https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.pdf?__blob=publicationFile&v=18 . Beispiel 2: "die Bewirtschaftung des Waldes in Deutschland spart jedes Jahr über 100 Millionen Tonnen Treibhausgase" Aber: • Laut Projektionsbericht d. Bundesregierung v. 2019 haben Deutschlands Wälder im Jahr 1990 noch 75 Mio Tonnen CO2-Äquivalent gespeichert. Durch die intensivierte Bewirtschaftung und die Folgen des Klimawandels ist die Senkenwirkung auf derzeit nur noch 11. Mio Tonnen gesunken.
    Welches Szenarium von der Verbrennung von Holz aus Wäldern ist denn gut: Nur eines von 24 unterschiedlichen wie Wissenschaftler im Auftrag der EU-Kommission festgestellt haben: https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC122719/jrc-forest-bioenergy-study-2021-final_online.pdf.
    Naturverträgliche Nutzung als Bauholz ist sehr sinnvoll, aber zum Verbrennen ist unser Wald zu wertvoll für uns alle - egal ob nun Tier oder Mensch.

  • #3

    Martin B. (Donnerstag, 18 März 2021 22:54)

    Vielen Dank für den guten Artikel. Leider gewinnen in der aktuellen Diskussion die Gruppen die am lautesten schreien und die medienwirksamsten Multiplilatoren an den Start bringen können. Gerne werden dann auch globale Misstände auf deutsche Verhältnisse runtergebrochen und in der Diskussion alles durcheinander geworfen. Ein gutes Beispiel ist das wahllose Verlinken von Studien oder Briefen und Behaupten, es hätte etwas mit den hiesigen Verhältnissen zu tun. Es bleibt spannend. Schlussendlich bin ich optimistisch, dass die vielen Parteimitglieder der Grünen, die einen forstlichen Hintergrund haben, den Kurs der Partei in Sachen Forstwirtschaft auf einem nachhaltigen und pragmatischen Weg halten werden.

  • #4

    Nida (Freitag, 30 April 2021 11:28)

    Vielen Dank für den Artikel. Ich nehme an, ich wäre die Zielgruppe: keine Berufskollegin, aber interessierte Multiplikatorin. Ich muss allerdings sagen, dass der Artikel nicht zur Besserung beiträgt und zu Depolarisierung führt, wenn er Waldfreunde lächerlich macht oder zumindest nicht ernst nimmt - sie sind es, die der Bevölkerung näher stehen. Die Wissenschaft und ebenso die Forstwirtschaft haben dann eine Chance, wenn sie vom hohen Ross herabsteigen und sich als Teil der Gesellschaft wahrnehmen. Die Rolle als unverstandene Umweltschützer-im-Herzen ohne Lobby nimmt ihnen leider niemand mehr ab, hier müsste eine neue Positionierung erfolgen. Vielleicht klappt es dann auch mit der Lobby.