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Wissenschaftsschranke gilt bald unbeschränkt

Die GroKo hat sich auf eine vorzeitige Entfristung des bisher nur bis 2023 geltenden Urheberrechts für die Wissenschaft geeinigt. Bis zuletzt war die Entscheidung umstritten. Verleger kritisieren die Neuregelung scharf.

Foto: andreas160578 / Pixabay.

DIE WISSENSCHAFTSSCHRANKE im Urheberrecht wird doch komplett entfristet. Darauf haben sich heute die Bundestagsfraktionen von Union und SPD geeinigt. Seit 2018 dürfen Bildungseinrichtungen unter anderem 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes ohne Genehmigung, dafür mit pauschaler Abgeltung für Unterrichtszwecke nutzen, kopieren und verteilen – zum Beispiel in Form digitaler Semesterapparate. Für die eigene wissenschaftliche Forschung dürfen Wissenschaftler sogar bis zu 75 Prozent eines Werkes vervielfältigen.

 

Doch gilt die Wissenschaftsschranke derzeit nur bis zum 1. März 2023. So sah es der 2017 zwischen den GroKo-Fraktionen vereinbarte Kompromiss vor – und zusätzlich für 2022 eine Evaluation der neuen Regelungen vor der Entscheidung über eine Weiterführung.

 

Genau dadurch wird die heute getroffene Entfristungs-Entscheidung so brisant: Denn mit Hinweis auf die 2017 beschlossene Befristung hatte sich die Spitze der Unionsfraktion noch vor kurzem heftig gewehrt, als das SPD-geführte Justizministerium die jetzt anstehende Anpassung des deutschen Urheberrechts an die europäische DSM-Richtlinie nutzen wollte, um die sogenannte Wissenschaftsschranke komplett und vorzeitig auf Dauer zu stellen. Stattdessen wollten die Rechtspolitiker der Union nur diejenigen Teile des "Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz" (UrhWissG) entfristen, bei denen das die europäische Rechtslage zwingend vorsieht. Auch Interventionen des BMBF blieben erfolglos.

 

Doch damit wollten sich die Wissenschaftspolitiker der verschiedenen Parteien nicht zufrieden geben. Auch die Kultusministerkonferenz und die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hatten in Briefen gegen die Teil-Entfristungspläne protestiert.

 

Ein Erfolg der
GroKo-Wissenschaftspolitiker

 

Erst vor dem Wochenende hatten dann die drei grünen Wissenschaftsministerinnen Theresia Bauer (Baden-Württemberg), Angela Dorn (Hessen) und Katharina Fegebank (Hamburg) zusammen mit den grünen Bundestags-Wissenschaftspolikern Anna Christmann und Kai Gehring in einem Tagesspiegel-Gastbeitrag vor einer "undurchschaubaren Regulierung" gewarnt, wenn nur Teile der Wissenschaftsschranke auf Dauer gestellt würden. Die fortgesetzte Befristung der übrigen Regelungen schaffe Planungsunsicherheit für die Wissenschaft und bremse Investitionen in die Digitalisierung aus. 

 

Derweil hatten die Wissenschaftspolitiker der Union über Wochen versucht, ihre Fraktionsspitze doch noch von der Notwendigkeit der Komplett-Entfristung zu überzeugen, und parallel mit ihren Kollegen von der SPD an einer Einigung gearbeitet. Letztendlich mit Erfolg: Anstatt Rosinenpickerei zu betreiben, sollen jetzt alle Regelungen der Wissenschaftsschranke auf Dauer gelten, womit der Kompromiss von 2017 faktisch ausgehebelt wird. Der digitalpolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, Tankred Schipanski, sprach heute Nachmittag von einem "starken Signal für unsere Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland. Es gibt allen Beteiligten Rechtssicherheit und verhindert einen Flickenteppich bei der Wissenschaftsschranke."

 

Kritik kommt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die Entfristung der Schrankenregelungen der Wissenschaftsschranke sei falsch und zum jetzigen Zeitpunkt unnötig. Die Befristung sei 2018 ausdrücklich beschlossen worden, um die Auswirkungen des Gesetze auf den Markt wissenschaftlicher Publikationen überprüfen zu können. Mittlerweile lägen starke Hinweise vor, dass dieser Markt "in verfassungsrechtlich relevanter Weise" leide. So habe ein Monitoring der Marktentwicklung für akademische Lehr- und Studienbücher in den Jahren 2017 bis 2020 ergeben, dass die Ausweitung und wachsende Nutzung von urheberrechtlichen Schrankenregelungen an Hochschulen zunehmend zu einem geringeren Absatz gedruckter und digitaler Lehrwerke führe. "Allein zwischen 2019 und 2020 ging der Absatz gedruckter Werke um mehr als elf Prozent zurück, der Umsatz sank um fast Prozent." 

 

Die Argumentation des Börsenhandels geht andersherum: Wenn die deutsche Wissenschaftsschranke "ohne sachlichen Grund" über die Vorgaben der europäischen Richtlinie hinausgingen, müssten die deutschen Regelungen korrigiert werden. Stattdessen würden "deren Defizite bei einer Entfristung ohne Veränderungen perpetuiert". 



2017 hatte der Widerstand der Verlage dazu geführt, dass die Neuregelung auf Wunsch der Union überhaupt befristet worden war. Auch war die genehmigungsfreie, vollständige Nutzung von Presseartikeln entgegen dem Gesetzentwurf komplett gestrichen worden, während sie im Falle einzelner Beiträge aus Fach- und wissenschaftlichen Zeitschriften erlaubt blieb. Schließlich sollten von umfangreicheren Werken ursprünglich 25 Prozent genutzt werden dürfen, daraus wurden dann im beschlossenen Gesetz die bereits erwähnten 15 Prozent. Wegen dieser Änderungen sahen die Grünen ein Einknicken vor der Verlagslobby, bezeichneten das Gesetz als verwässert und verweigerten ihm die Zustimmung. Doch auch der Börsenverein war damals empört und nannte die Wissenschaftsschranke trotz der damals beschlossenen Abschwächungen entgrenzt, verfassungswidrig und "rücksichtslos".

 

Blockiert die KMK die Verhandlungen
mit den Verlagen?

 

Zusätzlichen Frust löst bei den Verlagen bis heute aus, dass die Wissenschaftsschranke zwar seit 2018 als Ausgleich für die genehmigungsfreie Nutzung eine angemessene Pauschalvergütung für die Verlage vorsieht, die Kultusministerkonferenz die diesbezüglichen Verhandlungen aber immer noch nicht zu einem Abschluss hat bringen können. "Dies war kein Rückenwind für die Verhandlung zur Entfristung der Wissenschaftsschranke", sagte heute Tankred Schipanski. Die Nutzer hätten durch die Regelung aus dem Jahr 2018 mehr Rechte erhalten. "Natürlich steht den Verlagen dann auch eine entsprechend höhere Vergütung zu. Ich fordere die KMK auf, jetzt zügig die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen und eine angemessene Vergütungshöhe nicht länger zu blockieren." Der Bundesgesetzgeber gebe mit der jetzt beschlossenen Entfristung "einen Vertrauensvorschuss, den die KMK nicht verspielen sollte".

 

Neben der vorzeitigen Entfristung enthält das geplante "Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes" unter anderem auch eine Forschungsklausel, die Forschern den Zugang zu Daten von Upload-Plattformen wie YouTube gewährt. An dieser Stelle geht die GroKo über die EU-Richtlinie hinaus. Geregelt wird zudem erstmals der Zugang zum Text und Data Mining im Urheberrecht, einer Basistechnologie für maschinelles Lernen und für Künstliche Intelligenz.

 

Von der Opposition kamen nach der Einigung Lob und Kritik. "Es ist gut für die Wissenschaft, dass die GroKo auf den letzten Metern gerade noch die Kurve gekriegt hat", sagte Anna Christmann, die Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Innovations- und Technologiepolitik ist. Nur eine vollständig entfristete Wissenschaftsschranke  ermögliche die notwendige Planungs- und Rechtssicherheit. So ganz, fügte Christmann hinzu, traue sich die Regierung leider dennoch nicht ins digitale Zeitalter. "Die Regelungen zum Text und Data Mining bleiben für die Wissenschaft zu eng gefasst. Der volle Schub für Digitalisierung in der Wissenschaft ist das neue Urheberrecht damit noch nicht."

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Kommentare: 1
  • #1

    Oliver Hinte @ohinte (Dienstag, 18 Mai 2021 10:18)

    Man sollte nicht zu euphorisch sein, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
    Wichtig ist, geduldig bleiben und die anderen Baustellen wie "E-Lending" und "Zweitveröffentlichungsrecht" nicht aus den Augen verlieren!