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"Ich hätte von den Rektoren eine sachlichere Kritik erwartet"

Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach sagt, was er von der hitzigen Debatte um das geplante neue Hochschulgesetz hält, zu welchen Zugeständnissen er bereit ist – und unter welchen Umständen er die Reform lieber ganz abbläst.

Steffen Krach. Foto: Carolin Weinkopf.

Herr Krach, kurz vor dem Ende der Legislaturperiode wollen Sie noch ein neues Hochschulgesetz durchbringen. Bereuen Sie das inzwischen?

 

Nein, von bereuen kann keine Rede sein. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass für uns andere wissenschaftspolitische Fragen im Fokus der vereinbarten Arbeitsagenda standen. Als in der Koalition dann noch der Wunsch nach einer Novelle aufkam, haben wir diese in Angriff genommen. 

 

Sie halten die Reform also für überflüssig?

 

Das habe ich nicht gesagt. Es gibt Stellen im Gesetz, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind, wenn wir an die Anforderungen an Hochschulen und Wissenschaft im 21. Jahrhundert denken. Umgekehrt muss man konstatieren, dass die Berliner Wissenschaft es auch auf der geltenden Grundlage geschafft hat, in den vergangenen zehn Jahren eine außerordentlich positive Entwicklung hinzulegen. Es besteht also keine Notwendigkeit, mit einer Reform jetzt alles auf den Kopf zu stellen. Und genau das wird es mit Wissenschaftssenator Michael Müller und mir nicht geben.

 

An welchen Stellen sehen Sie denn Änderungsbedarf?

 

Vor allem bei Fragen der Gleichstellung und der Diversität, bei den Beschäftigungsbedingungen und bei der Studierbarkeit. Manches davon haben wir aber schon in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht. Zum Beispiel haben wir gleich in den ersten 100 Tagen der Legislaturperiode die gesetzliche Grundlage für Tenure-Track-Stellen geschaffen. 

 

"Wenn die Kritik aus so unterschiedlichen Richtungen kommt und wenn die Wortmeldungen so gegensätzlich und widersprüchlich ausfallen, dann scheint unser Entwurf ziemlich ausgewogen zu sein." 

 

An der geplanten Novelle gibt es seit Monaten heftige Kritik, und zwar von allen Seiten: aus den Hochschulleitungen, von den Studierenden, von den Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern.

 

Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Vorfeld mit vielen Seiten und über viele Monate besprochen wurde. Alle beteiligten Akteure hatten jetzt auch Zeit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Sobald die Abstimmung mit den anderen Senatsressorts abgeschlossen ist, kann der Entwurf in den Senat eingebracht werden und danach das parlamentarische Verfahren beginnen, mit den üblichen Anhörungen und Möglichkeiten, weitere Anpassungen vorzunehmen. Am Ende steht dann der Beschluss durch das Abgeordnetenhaus. Was die von Ihnen erwähnte Kritik aus den Hochschulen angeht, würde ich sagen: Wenn die aus so unterschiedlichen Richtungen kommt und wenn die Wortmeldungen so gegensätzlich und widersprüchlich ausfallen, dann scheint unser Entwurf ziemlich ausgewogen zu sein. 


Steffen Krach

 

Der 41 Jahre alte gebürtige Hannoveraner ist 2002 zum Politik-Studium nach Berlin gekommen. 2010 wurde er Büroleiter des damaligen Bildungssenators Jürgen Zöllner. 2012 wechselte er auf die Bundesebene und leitete die Bund-Länder-Koordinierungsstelle der SPD-Bundestagsfraktion.

 

2014 stieg er zum Berliner Staatssekretär für Wissenschaft auf. Sein Abschied von Berlin steht übrigens unabhängig von der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September fest: Der SPD-Politiker Krach kandidiert für das Amt des Präsidenten der Region Hannover. Foto: Senat Berlin.



Wie meinen Sie das?

 

Im Gesetzesentwurf spiegeln sich Anliegen von Studierenden und Beschäftigten genauso wider, wie die der Präsidien und Rektorate. Nur eben nicht jeweils zu 100 Prozent, vor allem, wenn sie jeweils auf das genaue Gegenteil hinauslaufen würden. Aus meiner Sicht muss ein guter Entwurf genau das leisten. 

 

Die Hochschulleitungen werfen Ihnen vor, die geplante Novelle würde ihren Bewegungsspielraum und ihre Autonomie einengen.

 

Und das haben sie vor einer Weile in eine sehr zugespitzte Pressemitteilung gepackt. Ich hätte eine etwas intelligentere und vor allem sachlichere Stellungnahme erwartet. Was da stellenweise behauptet wird, stimmt inhaltlich schlicht nicht. Und wenn die Hochschulleitungen uns vorwerfen, die Reform würde zu mehr Bürokratisierung führen, dann ist das eine altbekannte Argumentationskeule, die immer dann rausgeholt wird, wenn man Veränderungen verhindern will. 

 

Trifft der Vorwurf denn nicht zu?

 

Ich verstehe verlässliche Strukturen zur Stärkung von Gleichstellung und Diversität nicht als Bürokratisierung. Und sie sind ganz offensichtlich nötig. Ich könnte jetzt viele Beispiele nennen, wo die Hochschulen Möglichkeiten der Entbürokratisierung nicht nutzen, obwohl sie kein Gesetz davon abhalten würde. Zum Beispiel ist nirgendwo gesetzlich vorgeschrieben, dass sich Berufungsverfahren innerhalb der Hochschulen über mehrere Monate oder teilweise sogar über Jahre hinziehen müssen. Trotzdem ist das Praxis an den Hochschulen.

 

"Leider scheinen manche in den Präsidien 
und Dekanaten nicht mehr in Erinnerung zu haben, 
was alles miteinander besprochen wurde, 
aus welchen Gründen auch immer."

 

Die Hochschulchefs beschweren sich, dass Sie die Experimentierklausel einschränken wollen.

 

Was angeblich dazu führt, dass alle Hochschulen im Land Berlin demnächst jahrelange Debatten über ihre Grundordnung führen müssten. Doch auch das stimmt nicht. Wir haben im Gesetzentwurf Bestandsschutz und lange Übergangsregelungen eingebaut, die neue Innovationsklausel gibt den Hochschulen weiterhin genügend Gestaltungsfreiheit, um Neues auszuprobieren und umsetzen zu können – allerdings dann mit der Zustimmung des akademischen Senats. Und daran kann ich nun wirklich nichts Falsches finden, wenn ein demokratisch gewähltes Gremium der Hochschule an grundlegenden Weichenstellungen beteiligt wird. Umgekehrt gesagt, eine Weichenstellung, die ein akademischer Senat mehrheitlich ablehnt, kann kaum richtig sein. Und dass unser Gesetzesentwurf die Möglichkeit für ein Teilzeitstudium verankern will, dazu kann ich nur sagen: Wenn wir und unsere Hochschulen das im Jahr 2021 mit seinen vielfältigen Lebensentwürfen nicht täten, wäre das der eigentliche Skandal. In der Ausgestaltung erhalten die Hochschulen genügend Flexibilität, damit es auch leistbar ist und nicht zu erheblich mehr Aufwand oder Mehrkosten führt. 



Wieso reagieren die Hochschulleitungen dann überhaupt so heftig? Hätten Sie im Vorfeld vielleicht mehr mit ihnen reden sollen?

 

Es hat dazu viele Gespräche im Vorfeld gegeben und ich bin immer für jede Rektorin und jeden Präsidenten erreichbar, das nutzen auch alle von ihnen regelmäßig. Auch von den Fraktionen hat es diverse Anhörungen gegeben, so dass nichts, was im Entwurf drinsteht, für die Hochschulen, sei es in den Präsidien oder Dekanaten, derart überraschend gewesen sein dürfte. Leider scheinen manche im Detail nicht mehr so in Erinnerung zu haben, was alles miteinander besprochen wurde, aus welchen Gründen auch immer.

 

Ärger gibt es wie gesagt auch von anderer Seite.

 

Es ist natürlich grundsätzlich legitim, dass Hochschulleitungen Kritik äußern und das gilt genauso für die Studierendenvertretungen, den Mittelbau, oder die Doktorandinnen und Doktoranden. Und unsere Aufgabe als Senat besteht dann darin, einen ausgewogenen Gesetzentwurf vorzulegen. Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn der eine oder andere auch einmal positiv vermerken würde, dass wir etwa beim Thema Gleichstellung wichtige Schritte vorangekommen sind. Eng abgestimmt mit den Frauenbeauftragten, deren Anliegen und Wünsche wir nahezu eins zu eins im Entwurf übernommen haben. Oder auch, dass wir die Zwangsexmatrikulation von Langzeitstudierenden komplett streichen wollen. Manche Seiten forderten die vollständige Abschaffung der Experimentierklausel oder auch, dass jede Prüfung beliebig oft wiederholt werden kann. Das nahmen wir zur Kenntnis, haben dazu aber  eine andere Position.

 

"Ohne Novelle würde die Welt nicht untergehen.
Zumal sie gar nicht im Koalitionsvertrag steht."

 

Wenn man sich dieses ganze Klein-Klein so hört, wie Sie sich mit dem Entwurf von allen Seiten Ärger einhandeln, warum lassen Sie es nicht doch einfach?

 

Klar, ohne Novelle würde die Welt nicht untergehen. Zumal sie gar nicht im Koalitionsvertrag steht. Ich sage aber auch: Wenn wir dieses Gesetz aus welchen Gründen auch immer nicht mehr in dieser Legislaturperiode beschließen, wird vermutlich ein neuer Senat einen neuen Versuch starten, und der könnte deutlich weniger behutsam ausfallen. 

 

Hand aufs Herz: Zweifeln Sie daran, dass die Reform noch kommt?

 

Ja, aber eher aus Zeitgründen als dass ich fürchte, dass wir uns am Ende nicht verständigen könnten. Es gibt wie gesagt Bereiche – Gleichstellung, Diversität, Beschäftigungsbedingungen, Teilzeitstudium – in denen ich gern noch Änderungen anstoßen würde. Wenn das aber nicht möglich sein sollte, weil andere Fragen politisch strittig sind, dann ist das eben so.  

 

Glauben Sie wirklich, dass Ihr demonstrative "Dann eben nicht" reicht, um Einigungsdruck aufzubauen?

 

Moment! Wir bewegen uns ja und nehmen die Kritik aus den Stellungnahmen der einen oder anderen Seite auf: von Studierenden genauso wie aus den Hochschulleitungen. Vor allem aber auch die Anregungen aus den Kuratorien der Hochschulen, in denen viele sehr erfahrene Wissenschaftspolitiker:innen sitzen, wie etwa Krista Sager oder Edelgard Bulmahn. 

 

Was heißt das konkret?

 

Im ersten Entwurf stand, dass im Vorfeld künftiger Hochschulvertragsverhandlungen eine Kommission eingerichtet werden soll aus Abgeordneten, aus der Senatsverwaltung und Mitgliedern der Landesrektorenkonferenz. Daran gab es massive Kritik, deshalb lassen wir den Punkt jetzt raus, und das Gesetz bleibt, wie es ist. Eine weitere Bestimmung schwächen wir ab: Bisher hatten wir geplant, dass die Hochschulen der Senatsverwaltung in Zukunft ihre Struktur- und Entwicklungspläne zur Zustimmung vorlegen müssen. Auch hier nehmen wir die Kritik aus den Hochschulen auf und passen an: Die Senatsverwaltung muss nur in Kenntnis gesetzt werden, die Entscheidung liegt aber allein bei den Gremien der jeweiligen Hochschule.  

 

"Dass die Nachbesserungen richtig sind, davon habe ich mich überzeugen lassen, und genau dafür ist ein Anhörungsverfahren auch da." 

 

Sie geben also nach, um das Gesetz doch noch durchzubekommen?

 

Ich glaube, dass beide Nachbesserungen inhaltlich richtig sind, weil ich mir nicht anmaßen würde, im Detail besser zu wissen, was in den Strukturplan einer Hochschule gehört als die universitären Gremien selbst. Davon habe ich mich überzeugen lassen, und genau dafür ist ein Anhörungsverfahren auch da. 

 

Wo liegen Ihre Grenzen?

 

Ich habe eindeutig Position bezogen und immer gesagt, was ich nicht verantworten kann, wie etwa die komplette Abschaffung der Experimentierklausel oder auch die Einführung der Viertelparität. 

 

Die Fachhochschulen fordern ein eigenes Promotionsrecht für forschungsstarke Fachbereiche, wie immer mehr Bundesländer es einführen. An der Stelle wirkt Ihr Gesetzentwurf auffällig konservativ. Kommt da noch was?

 

Wir haben dazu im Koalitionsvertrag eine klare Haltung eingenommen und diese dann in den laufenden Hochschulverträgen verankert. Es gibt aber auch Koalitionsstimmen im Abgeordnetenhaus, die über die Stärkung der kooperativen Promotion hinausgehen wollen und ich bin mir sicher, dass dieses Anliegen von den Fachhochschulen im Anhörungsverfahren weiterverfolgt wird.  

 

Wie geht es jetzt weiter?

 

Wir hoffen auf eine Beschlussfassung im Senat Anfang Juni, sonst wird es noch enger, als es eh schon ist. Und von da an haben es die Parlamentarier in der Hand, wie zügig es weitergeht.  

 

"Wir arbeiten daran, die Campus schrittweise verantwortungsvoll zu öffnen und das wird sich auch in der Landesverordnung widerspiegeln." 

 

Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler hat die Verabschiedung seiner Hochschulgesetz-Novelle schon in den Herbst verschieben müssen. Gründen Sie beide demnächst eine Selbsthilfegruppe?

 

Inhaltlich gibt es zwischen Herrn Sibler und uns ja durchaus einige Unterschiede, aber dass Hochschulgesetznovellen eine besondere Herausforderung sind, darüber dürften wir uns einig sein. Ich war Büroleiter des damaligen Berliner Wissenschaftssenators Jürgen Zöllner, als der vor zehn Jahren eine größere Reform umsetzen wollte. Dass das kein Spaziergang ist, war mir daher sehr bewusst. Es gibt aber gerade noch andere Aufgaben, die dringlicher sind, vor allem: Wie bekommen wir die Hochschulen und die gut 200.000 Studierenden in Berlin gut durch die Corona-Pandemie? Wie sichern wir in dieser extrem schwierigen Phase Studium, Lehre und Forschung ab, was müssen wir für die Beschäftigten tun? Das hat für mich weiter absolute Priorität. Und auch wenn wir uns um das Hochschulgesetz streiten mögen: An der Stelle läuft die Abstimmung mit den Hochschulleitungen hervorragend.  

 

Ihr Chef, der Regierende Bürgermeister Michael Müller, hat die Hochschulen aufgefordert, so schnell wie möglich wieder mehr Präsenzlehre anzubieten. Gibt das die Rechtslage überhaupt her? Oder planen Sie im Hintergrund gerade die nötige Öffnungs-Verordnung?

 

Wir sind am Wissenschaftsstandort Berlin bislang trotz aller Herausforderungen deshalb so gut durch die Pandemie gekommen, weil wir alle an einem Strang gezogen haben. Anfangs täglich, dann wöchentlich haben wir in der gemeinsamen Taskforce unter meiner Leitung mit staatlichen und privaten Hochschulen, Forschungsinstituten, der Charité und dem Studierendenwerk ein einheitliches und vorausschauendes Vorgehen sichern können. Das gilt auch für mögliche Öffnungsszenarien, die wir bereits in den Grundsätzen für das Sommersemester skizziert hatten, eine günstige Gesamtlage vorausgesetzt. Das wird jetzt greifbar. Wir arbeiten daran, die Campus schrittweise verantwortungsvoll zu öffnen und das wird sich auch in der Landesverordnung widerspiegeln. 

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Kommentare: 4
  • #1

    Steffen Prowe (Mittwoch, 19 Mai 2021 14:32)

    Kurze Anmerkung zu den Berufungsverfahren. Einige dauern lange, ja. Weil es teilweise sehr lange Ausschreibungsfristen benötigt und/oder nochmals erneut ausgeschrieben werden muss. In vielen Fachdisziplinen fehlt der geeignete Nachwuchs, auch weil teilweise der §100 des BerlHG an den HAW "gerissen" wird, obgleich die fachliche Prägung zT hervorragende Eignung ergäbe. Mit dem Nachziehen zu kleiner Bewerberlisten und "kleineren Fächern" oder fachspezifischen Ausschreibungen muss man sich den Elementen des Marktes stellen, dass es in manchen Branchen finanziell unattraktiv erscheint an eine Hochschule zu wechseln.
    Stringent durchgezogene Berufungsverfahren können in 6-9 Monaten erfolgreich sein, WENN dann nicht die langwierigen Abfragen zur Verbeamtung noch im Wege stehen und eine Einstellung auch kurzfristig (1-2 Monate vor Semesterstart) verhindern. Hier müssen auch die Personaleinheiten ermutigt werden, flexibel agieren zu können, damit der Schwung aus positiven Verfahren zu einer schnellen Besetzung der Listenplatz-Inhaber:innen führt. Liegt erstmal die Liste vor, ist die Senatskanzlei i.d.R. flott, die weiteren Prozesse danach dauern allerdings aus genannten Punkten des Beamtenrechtes zuweilen länger als gewünscht.

  • #2

    Th. Klein (Donnerstag, 20 Mai 2021 08:22)

    "Leider scheinen manche im Detail nicht mehr so in Erinnerung zu haben, was alles miteinander besprochen wurde, aus welchen Gründen auch immer."

    Das kann man so sehen, aber die Hochschulleitungen müssen ja auch nach innen kommunizieren (auch über externe Kanäle). Und ein "das haben wir vor Monaten mal angesprochen" genügt da eben nicht. Da muss man eben nochmal öffentlich Stellung beziehen. Alles part of the game. Zur Kenntnis nehmen, abheften.

  • #3

    Edith Riedel (Freitag, 21 Mai 2021 08:19)

    Dass der Verbeamtungsprozess lange dauert, ist unstrittig, diese Verzögerung ist jedoch die letzte im ganzen Prozess und in den häufigsten Fällen nicht diejenige, die zeitlich am stärksten zu Buche schlägt.

    Berufungsverfahren sind schon lange nicht mehr nur Berufungsverfahren, sondern auch ein probates Mittel, um Bleibeverhandlungen zu erzwingen.

    Stellen wir uns reißbrettartig eine Ausschreibung vor, in deren Zuge eine Dreier- oder Viererliste erarbeitet wurde. Kandidat*in 1 erhält die Zusage, möchte aber eigentlich gar nicht kommen, sondern mit seiner/ihrer Heimatuniversität Bleibeverhandlungen führen. Beide Universitäten machen Angebote, die Verhandlungen können sich über Monate hinziehen. Wenn Kandidat*in 1 dann schließlich absagt, wir Kandidat*in 2 auf der Liste angeschrieben, die Verhandlungen laufen wieder von vorne los. Auch diese Verhandlungen führen nicht zum Ergebnis, also weiter zu Kandidat*in 3, die inzwischen einen anderen Ruf angenommen hat, da das Verfahren sich schon so lange hinzieht. Im Fall der Dreierliste ist das Verfahren nun geplatz. Im Fall der Viererliste entbrennt nun eine wilde Diskussion in der Berufungskommission, ob Kandidat*in 4 wirklich geeignet sei, eine Aufhebung des Verfahrens wird geprüft, verworfen, etc.

    Ich plädiere dafür, im Bereich der Professurenbesetzungen in Zukunft stärker auf neue Methoden, wie z.B. ein Headhunting zu setzen. Einzelne Universitäten machen es schon vor, es klappt wunderbar und ist zeitlich schlank handhabbar. Das aktuelle Verfahren birgt schlicht und einfach zu viel Raum für Missbrauch.

  • #4

    Thomas Elbel (Mittwoch, 26 Mai 2021 10:29)

    Verbeamtung ist generell nicht das Problem. Und als Dienstrechtler kann ich auch nur dringend von Experimenten mit Professuren im zivilrechtlichen Arbeitsverhältnis abraten. Das geht letztlich auf Kosten von Qualität und Wissenschaftsfreiheit. Headhunting ist aus meiner Sicht ebenfalls keine Hilfe. Wie soll das in den verfassungs- und einfachgesetzlichen Rahmen passen. Art. 33 Abs. 2 GG schreibt nun mal eine offene Stellenvergabe vor. Natürlich kann man da auch "geheadhuntete" Kandidat:innen einschleusen, aber damit setzt man sich aus Sicht der anderen Bewerber:innen schnell dem Geruch der Befangenheit aus. Das eigentliche Problem rührt aus der Selbstersetzungsbefugnis. Denn aus ihr folgt logisch, dass die typische Berufungskommission recruiting-technisch notwendigerweise immer ein Dilletantenstadel ist. Und das ist auf dem Minenfeld des professoralen Berufungsrechts mit seiner unüberschaubaren Fülle gerichtlicher Entscheidungen tödlich. Was wäre das Fazit: Die Selbstersetzungsbefugnis hat ihre unumstößliche Berechtigung und folgt letztlich aus der Wissenschaftsfreiheit. Meine persönliche Meinung: Jede Hochschule sollte bei den Personalabteilungen die Stelle einer/eines Berufungsbeauftragten einrichten. Hierbei sollte es sich um eine berufungserfahrene Person mit juristischem Hintergrund handeln. Eine flächendeckende Begleitung jeder BK durch diese Person sollte verpflichtend sein. Im Übrigen hat nahezu jede Hochschule irgendwo auch eine/n Professor:in mit dienstrechtlicher oder hochschulrechtlicher Spezialisierung sitzen. Warum diese Kompetenz nicht praktisch fruchtbar machen? Warum nicht eine "Berufungsklinik" mit studentischer Beteiligung einrichten?