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Mehr Präsenz an den Hochschulen ab sofort!

Die geltenden Verordnungen würden mehr Präsenz auch an der Universität Hamburg  zulassen – was die Weigerung der Unileitung kafkaesk und unverhältnismäßig macht. Nach dem Hilferuf einer Studentin, der Antwort eines Professors und der Replik der Bildungssenatorin folgt ein Zwischenruf aus dem akademischen Personal: ein Gastbeitrag von Florian Muhl.

Banner auf der Demonstration für die Wiederöffnung der Universität Hamburg am 3. Juni 2020 auf dem Hamburger Salvador-Allende-Platz. Foto: Florian Muhl.

DIE MITGLIEDER der Universität Hamburg sehen sich aktuell mit einer nahezu kafkaesken Situation konfrontiert: Am 28. Mai informierte die Hamburger Landesregierung nach ihren Beratungen unter anderem darüber, dass an den Hochschulen "ab sofort mehr Formate in Präsenz" stattfinden können. Das wurde nach über einem Jahr voller erzwungener Videokonferenzen von vielen Mitgliedern der Universität mit Freude und hörbarem Aufatmen aufgenommen. 

 

Die Hamburger Wissenschaftssenatorin, Katharina Fegebank (Grüne), ergänzte und präzisierte dies am 1. Juni hier im Blog: Das kommende Wintersemester solle ein Präsenzsemester werden und "[s]chon jetzt [sind] Veranstaltungen und Präsenzlehre im Freien mit bis zu 100 Personen, in geschlossenen Räumen mit bis zu 50 Personen zulässig". Sie endete mit dem Aufruf, dass es nun an uns allen sei, "den Campus wieder mit Leben zu füllen".

 

Dieter Lenzen, Präsident der Universität, meint jedoch, die Uni weiter auf unbestimmte Zeit geschlossen halten zu können – entgegen all diesen vernünftigen Entscheidungen und gegen Einsprüche aus dem wissenschaftlichen Personalrat, den demokratisch legitimierten Gremien der Universität sowie breit getragener Aufrufe für eine Öffnung der Hochschulen in geschützter Präsenz. Laut Lenzens am 31. Mai veröffentlichten 19. Dienstanweisung soll jedoch auch künftig gelten, dass die Lehre im Sommersemester (mit wenigen Ausnahmen) "ausschließlich digital" (S. 1) stattfindet und "[s]ämtliche Veranstaltungen auf dem Außengelände der universitären Liegenschaften […] nicht gestattet [sind]" (S. 6). Auch der Zutritt zu den Gebäuden soll allen Studierenden weiterhin prinzipiell verboten sein (vgl. S. 5). 

 

Bereits seit Monaten ist den Fakultäten die Verfügung über ihre Räume entzogen und wurde in der Präsidialverwaltung konzentriert. Und bereits seit einem Jahr fordern Lehrende die Möglichkeit, Hybridlehre anbieten zu können. Natürlich auf der Grundlage der seit spätestens September 2020 (sic!) vorliegenden Hygienekonzepte und unter Verwendung der vorhandenen Infrastruktur. An solchen hybriden Lehrveranstaltungen würden Studierende vor Ort teilnehmen oder aber sie könnten sich über eine Videokonferenz zuschalten.

 

Freiheit der Lehre? Realisierung
kreativer Lösungen? Fehlanzeige!

 

Präsenzveranstaltungen stellen auch für diskursorientierte geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge – und eben nicht nur für naturwissenschaftliche Fächer (wenn diese auf Labore und Werkstätten angewiesen sind) ein zentrales Mittel für Bildungsprozesse dar. Dies zu realisieren, ist jedoch seit einem Jahr untersagt. Freiheit der Lehre? Realisierung kreativer Lösungen? Erfahrungen sammeln für kommende Semester? Fehlanzeige! 

 

Auch die studentische Interessenvertretung erhält seit Monaten vom Präsidium keine Genehmigung für die Nutzung des Campus für Vollversammlungen und muss auf angrenzende öffentliche Plätze oder andere Örtlichkeiten ausweichen. 

Wie wird dieses Agieren nun begründet? Wenn nicht versucht wird, es zur unmittelbaren Auswirkung der Corona-Pandemie bzw. des Corona-Virus selbst zu erklären, dann wird auf den Gesundheitsschutz verwiesen. Doch was bedeutet Gesundheit, und wie kann sie geschützt werden? 

 

Eine gute Orientierung bietet die Weltgesundheitsorganisation, die Gesundheit als einen "Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen" bestimmt. Gesundheit macht demnach mehr aus als die Abwesenheit einer Infektion mit dem SARS-CoV2-Virus in einer seiner Varianten. 

 

Der Frage nach der (Un-)Verhältnismäßigkeit all der Maßnahmen, mit denen in den vergangenen Monaten Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt wurden, kann an dieser Stelle nicht vertieft nachgegangen werden (vgl. dazu den Grundrechtereport 2021). Es ist jedoch festzuhalten, dass die Maßnahmen, die an der Universität im Vergleich zum Landesrecht noch in deutlich verschärfter Form erlassen wurden, massive Schäden in Bezug auf alle anderen gesundheitlichen Aspekte mit sich gebracht haben. Dies gilt auf psychosozialer und je persönlicher Ebene (siehe dazu exemplarisch Nele Steinbrecher und Virginia Gewin zur Zunahme von Burnoutfällen im akademischen Personal). Dies gilt aber auch im Hinblick auf die Institution Universität als demokratisch verfasste Einrichtung selbst. Um Bildung in gesellschaftlicher Verantwortung zu betreiben, braucht es mehr und nicht weniger Demokratie! 

 

Einen Kurswechsel braucht es nicht
erst im Oktober, sondern jetzt

 

Nicht unter den Tisch fallen sollte auch, dass die Universität als Ort der Debatte und Verständigung eine Verantwortung gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit trägt, der sie in geschlossenem Zustand nicht nachkommen kann. Im Leitbild der Universität Hamburg wird sie als "öffentlicher Raum der kulturellen, sozialen und politischen Auseinandersetzung" bestimmt. Um "zur Entwicklung einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft beitragen" zu können, braucht es angesichts der vielfältigen irrationalen Deutungen der Krise gerade heute solche Räume des rationalen und aufgeklärten Diskurses mehr denn je.

 

Dafür müssen auch an die allgemeine Öffentlichkeit gerichtete Veranstaltungen zum Bespiel des allgemeinen Vorlesungswesens, der Aktionswoche im Rahmen des Themensemesters der Sozialökonomie oder auch des studentischen Filmseminars gegen Austerität wieder auf dem Campus stattfinden können. 

 

Wenn nun in Aussicht gestellt wird, dass das Wintersemester in Präsenz geplant werden soll, dann ist das erfreulich. Einen Kurswechsel an der Universität braucht es jedoch nicht erst im Oktober, sondern sofort. Die Mitglieder der Universität haben ein Recht darauf mitzugestalten, wie die Universität zukünftig aussehen soll. Dafür müssen ihre Aussperrung und die Schließung der Universität beendet werden. Sollten die auf Landesebene beschlossenen Öffnungsschritte nicht umgehend auch an der Universität Hamburg umgesetzt werden, dann ist es erst recht an ihren Mitgliedern, den Campus und die Universität wieder nachdrücklich mit Leben zu füllen. 


Florian Muhl ist Diplompädagoge und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Lehre an der Fakultät Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, aktiv in der akademischen Selbstverwaltung der Universität Hamburg und für eine Wiederöffnung der Hochschulen auf neuem Niveau. 


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Kommentare: 8
  • #1

    hD (Sonntag, 06 Juni 2021 17:25)

    Der Beitrag zeugt leider von wenig Faktenwissen. Es gibt das Bekenntnis der Behörde, dass es jetzt eine Rückkehr zur Präsenz gibt. Die Corona-Eindämmungsverordnung sieht aber weiterhin einen Mindestabstand von 1,5m verpflichtend vor, und die Corona-Arbeitsschutzverordnung des Bundes erlaubt maximal eine Person pro 10qm. Damit können Räume nur mit gut 10% ihrer Normalkapazität genutzt werden, die meisten Seminarräume sind schlichtweg unbrauchbar, weil nur noch eine Hand voll Studierender Platz findet.
    Insofern ist es eine politische Vorgabe, dass nur ein sehr kleiner Teil der Veranstaltungen in Präsenz stattfinden kann.

  • #2

    Django (Montag, 07 Juni 2021 09:12)

    Ich muss mich hD anschließen. In Berlin kommt eine Personenobergrenze von 25 hinzu - was unter den Sollgrößen der meisten LV-Formen laut KapVO liegt. Selbst wenn diese Grenze, wie im Stufenplan vorgesehen, ab dem 18.6. auf 40 angehoben wird, wird sie sich in den meisten Lehrräumen aufgrund der Abstandsregeln nicht ausnutzen lassen.
    Und hybride Lehre ist auch kein Allheilmittel. Die technische Ausstattung wurde zwar an den meisten Hochschulen ausgebaut, so dass deutlich mehr Räume als vorher hierfür geeignet sind, aber restriktive Datenschutzbestimmungen (Recht auf "Nicht-Erscheinen" im gestreamten Bild) lassen die verfügbare Fläche wiederum schrumpfen.

  • #3

    P (Montag, 07 Juni 2021 11:17)

    Ihr Beitrag lässt m.E. wiederum hermeneutische Defizite vermuten; mindestens zielt er aber überaus erfolgreich an den zentralen Aussagen dieses "Zwischenrufs" vorbei.
    An welcher Stelle wird etwa eine 100-%-Nutzung der Räume gefordert? Etwa mit dem Verweis auf mittlerweile fast einjährige (!) Forderungen nach Möglichkeiten "hybrider" Lehre? Wohl eher nicht.
    (Und nur ganz nebenbei: Das Ausweichen der studentischen Interessenvertretung auf angrenzende Räume geschieht nach meiner Kenntnis unter strenger und erfolgreicher Einhaltung sämtlicher Bestimmungen von Eindämmungs- und Arbeitsschutzverordnung. Warum dies nicht in großen universitätseigenen Räumen - es gibt dort ja durchaus nicht nur Seminarräume - realisierbar sein sollte, entzieht sich meiner Phantasie.)
    Inwiefern ist es außerdem eine "politische Vorgabe", Überlegungen hinsichtlich vernünftiger (!) Öffnungskonzepte (etwa Arbeitsplatz- und Bibliotheksnutzung) systematisch zu blockieren oder Studierenden den Zutritt zu den Gebäuden der Universität vollständig zu untersagen? Notabene sind Studierende juristisch keineswegs allein "Kunden" der Universität - diesen könnte freilich der Zutritt untersagt werden -, sondern haben eine Doppelrolle als "Kunden" und Mitglieder. Durch fragliche, m.E. durchaus als antidemokratisch zu qualifizierende Vorgehensweisen - bspw. hinsichtlich der (digitalen) Einladungen zu eigentlich hochschul- oder fakultätsöffentlichen (!) Gremiensitzungen, die allein an die besoldeten Mitglieder ergehen - bleibt ihnen der Zugang weitestgehend strukturell verwehrt. Ist auch das eine "politische Vorgabe"?
    Oder ist es eine "politische Vorgabe", demokratisch legitimierte Organe durch eine allein vermittels Sachzwang-Verweisen instaurierte zentralistische (!) Organisationform zu substituieren?
    Ich habe da so meine Zweifel ...
    Aber vielleicht fehlt auch mir schlicht das "Faktenwissen".

  • #4

    PB (Montag, 07 Juni 2021 12:34)

    "Der Hörsaal bleibt leer".

    Einen Artikel mit diesem Titel gab es gerade bei Zeit online.

    https://www.zeit.de/hamburg/2021-06/hochschulen-corona-universitaeten-hamburg-praesenzbetrieb-oeffnung-oktober

    So heißt es dort, "Eine Rückkehr zur vollen Präsenz schließt die Uni fürs Wintersemester aus", obwohl sich die Situation durch die hohe Impfquote (>80%) bis dahin entspannen sollte.

    Wie hier und anderswo schon bemerkt wurde: A & O ist die Lockerung bzw. Streichung der Abstandsregeln (analog zu den Schulen).

  • #5

    tutnichtszursache (Montag, 07 Juni 2021 13:26)

    Herr Muhl sollte auch einmal seine KollegInnen aus dem Mittelbau fragen. Sehr viele von denen haben, selbst wenn sie schon geimpft sind, was noch nicht für alle zutrifft, nur bedingt Lust, mit ständig wechselnden, überwiegend ungeimpften Studierenden in engen und schlecht lüftbaren Räumen längere Zeit zu verbringen.
    Der Weg zur Präsenz führt über Impfungen - zuerst für Lehrende, dann aber auch für Studierende!
    Wenn die Wissenschaftsbehörde Präsenz will: Stellt sie Impfdosen für Lehrende und Studierende bereit?
    Dazu sollte man fragen: Plant die UHH über den Betriebsarztweg großflächige Impfungen?

  • #6

    j (Montag, 07 Juni 2021 16:40)

    Einladungen zu Veranstaltungen scheinen in den Fakultäten unterschiedlich verschickt zu werden.
    In der MIN ist mir nicht bekannt, dass irgendjemand nicht eingeladen wurde.
    Gibt es denn Gründe an anderen Fakultäten für dieses schlechte Verhalten der Einladenden?
    Optionen: Mediale Unkenntnisse, Nachlässigkeit, Unwillen (gezielte Ausgrenzung): Das sollte in den jeweiligen Bereichen nach über einem Jahr doch allmählich geklärt sein.

  • #7

    O. Falada (Montag, 07 Juni 2021 17:27)

    Man merkt leider sehr deutlich, dass sich der Verfasser wenig damit beschäftigt hat, wie eine Universität unter fortwährenden Pandemiebedingungen wieder öffnen kann. Richtig ist natürlich, dass sich die Mitglieder der Universität aktiv in die Gestaltung einbringen können sollten; aber Hybridlehre wäre im Wintersemester der pandemischen Lage nicht angemessen gewesen und ist in organisatorischer Hinsicht zu jedem Zeitpunkt aufwändig (das spricht nicht gegen sie, grenzt aber die Umsetzungsmöglichkeiten deutlich ein). Dass der Uni-Präsident zunächst weiterhin vorsichtig agiert und nicht einen Run auf Präsenz "auf den letzten Metern" der Lehrveranstaltungszeit des Sommersemesters auslöst, finde ich angesichts immer noch mangelnder Impfangebote angemessen. Der Sommer könnte dazu genutzt werden, kleinere Formate wieder auf den Campus zu bringen: eine Summer School, Angebote für Erstsemester, Tagungen ...

  • #8

    Florian Muhl (Mittwoch, 09 Juni 2021 21:31)

    @ tutnichtszursache:
    Selbstverständlich sind mir viele Kolleginnen und Kollegen bekannt, die es bevorzugen, die Lehre im Sommersemester digital zum Abschluss zu bringen und die nicht dazu bereit wären, spontan in Vollpräsenzlehre oder hybride Settings zu wechseln. Aber mir ist bisher noch niemand begegnet, der es befürwortet hätte, dass denjenigen, die dazu bereit wären, explizit verboten wird, es zu tun.

    @hD:
    Ihre Kritik geht fehl. Der von Ihnen angesprochene Umstand, dass gegenwärtig aufgrund von geltenden Abstandsregelungen bzw. durch die (absurde) Anwendung der Arbeitsschutzverordnung auf Studierende in Lehrveranstaltungen [1], die Raumkapazitäten noch beschränkt sind bzw. werden, wird an keiner Stelle bestritten.
    Dieser Umstand hat jedoch nichts mit dem im Artikel kritisierten weitgehenden Komplettverbot der Raumnutzung zu tun. Außerdem: Selbst wenn nur 10 % der Plätze in einem mit insgesamt 300 Sitzplätzen ausgestatteten Hörsaal genutzt werden können, ergibt das genügend Platz für ein Seminar.
    [1] In Schulen ist bislang meines Wissens noch niemand auf die Idee gekommen, 10 m² Platz pro Schüler in Klassenräumen festzulegen.

    @ O. Falada:
    Trägt ein Verbot der Nutzung des Campus für (Lehr-)Veranstaltungen unter freiem Himmel Ihres Erachtens dazu bei, "eine Universität unter fortwährenden Pandemiebedingungen wieder [zu] öffnen"?