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Große Ambitionen, große Leerstellen

Was SPD, Grüne und FDP als Sondierungsergebnisse präsentieren, liest sich wie ein bildungspolitischer Aufbruch. Dafür sind die Aussagen zur Wissenschaftspolitik von einer Einseitigkeit geprägt, die so nicht bleiben kann.

Die erste Seite des Sondierungspapiers (Screenshot).

DIE SONDIERER HABEN ihr Ergebnispapier mit einem Disclaimer versehen. Es umfasse "nur die Themen, über die die Verhandlungspartner vor Eintritt in Koalitionsverhandlungen eine Vorfestlegung erreichen wollten", steht gleich auf der ersten von 12 eng bedruckten Seiten, die SPD, Grüne und FDP am Freitagmittag veröffentlicht haben. 

 

Was lässt sich vor diesem Hintergrund daraus ablesen, dass in dem Papier jegliches Bekenntnis zur Grundlagenforschung und auch jede Erwähnung der Hochschulen fehlen? Dass es über deren Bedeutung keinerlei Dissens der Unterhändler gab? Oder haben sie nicht dran gedacht haben, eines hineinzuschreiben, weil ihr Verständnis von Forschung, das in dem Papier durchscheint, ein rein instrumentelles ist? Der zentrale Satz unter den wenigen zur Wissenschaft lautet: "Wesentlich ist eine gute Forschungslandschaft, die Innovationen hervorbringt."

 

Zum Beispiel Innovationen zum Klimaschutz, ist wohl gemeint, zur Digitalisierung und Wohlstandssicherung, zum sozialen Zusammenhalt und demografischen Wandel – den großen Buzzwords im Papier. Mehrfach finden sich Aussagen wie diese: "Neue Geschäftsmodelle und Technologien können klimaneutralen Wohlstand und gute Arbeit schaffen", denn: SPD, Grüne und Freie Demokraten "sehen, dass Deutschland einen Aufbruch braucht."

 

Nicht das Fundament des
Innovationssystems vergessen

 

Alles richtig, alles wichtig. Nur darf darüber nicht das Fundament des Innovationssystems außer Acht geraten. Sollte sich diese Warnung am Ende der jetzt folgenden Koalitionsverhandlungen als wohlfeil und überflüssig herausstellen, umso besser. 

 

Entsprechend werde die Gesichter in 24 Chefbüros aus Wissenschaft und Wirtschaft bei der Lektüre des Sondierungsergebnisses unterschiedlich lang ausfallen. Erst am Donnerstag hatten 24 Organisationen von Hochschulrektorenkonferenz über die Max-Planck-Gesellschaft bis hin zum BDI und dem Verband der Automobilindustrie ihren gemeinsamen Appell veröffentlicht, plakativer Titel: "Wissenschafts- und Innovationssystem: Die nächste Ausbaustufe zünden." 

 

Ihre Forderung nach einem 3,5-Prozentziel für Forschung und Entwicklung: steht drin im Sondierungspapier. Genau wie das Ziel einer agileren Politik und Verwaltung. Das verlangte Bekenntnis zu einer besseren Förderung von Startups und riskanten Innovationen: ebenfalls – auch wenn die mögliche Gründung einer Transfergesellschaft noch nicht ausbuchstabiert wird und es zur Agentur für Sprunginnovationen nur sehr allgemein heißt, solche "Projekte...wollen wir weiter ausbauen".  

 

Wer dagegen im Sondierungspapier Aussagen sucht zur künftigen Grundfinanzierung von Hochschulen, zur Balance zwischen allen Bereichen der Forschung, zu Wissenschaftlerkarrieren oder zur Förderung der Lehre – der findet kein Wort. Für die "umfassende Erneuerung", die die drei Parteien nach eigenen Worten erreichen wollen, fehlt es insofern forschungspolitisch noch deutlich an Unterfütterung.

 

Grundüberholung
des Föderalismus

 

Umso erfreulicher ist das Commitment für einen echten Bildungsaufbruch der Sondierer. Denn den würde es bedeuten, wenn SPD, Grüne und FDP ihre Versprechungen in der neuen Legislaturperiode wirklich umsetzen würden: ein "Kooperationsgebot", das Bund Länder und Kommunen zu einer gemeinsamen Zusammenarbeit verpflichtet, damit jedes Kind die gleichen Chancen auf Entwicklung und Verwirklichung erhält. 

 

Geplant ist demnach eine Grundüberholung des Föderalismus. Diese würde auf eine weitere Grundgesetzänderung hinauslaufen, für die die drei Parteien die Opposition bräuchten. Wenn sie dafür das richtige Narrativ anbieten, dürfte das gelingen.

 

Im Sondierungspapier fangen sie damit an: mit einem Zusammenlegen bisheriger familienpolitischen Leistungen in einem eigenen, möglichst bürokratiearmen Kindergrundsicherungsmodell. Mit einer speziellen Förderung für Schulen in benachteiligten Vierteln und Regionen, die endlich mit dem Gießkannenprinzip Schluss machen würde. Noch dazu dauerhaft durch den Bund, was fast schon sensationell wäre. Ebenso wie das Bekenntnis zu einem unbefristeten Digitalpakt 2.0, den Kultusminister und Bildungsexperten wiederholt gefordert hatten. Auch die Verlängerung des Bundesengagements für Kitas und (Ganztags-)Schulen wird versprochen, was auch immer das am Ende konkret heißen mag. Außerdem wollen die drei Parteien das BAföG erwartungsgemäß reformieren und dabei elternunabhängiger gestalten. Und dann ist da noch die Ankündigung einer Exzellenzinitative für die Berufliche Bildung, die deutlich eine FDP-Handschrift trägt. 

 

Bildung als inhaltliche Klammer
der selbst ernannten "Fortschrittskoalition"?

 

Ansonsten aber, und das ist das Bemerkenswerte, lässt sich bei den Bildungsabschnitten gar nicht so sehr die Urheberschaft einer der Parteien erkennen. Weil sie in Sachen Bildungspolitik schon in der vergangenen Legislaturperiode die wahrscheinlich größten Schnittmengen hatten. 

 

Jetzt könnte sie für die selbsternannte "Fortschrittskoalition" die wichtigste inhaltliche Klammer werden. Solange es die ebenfalls versprochen Einhaltung der Schuldenbremse – trotz eines Extrabekenntnisses zu den "nötigen Zukunftsinvestionen" – zulässt. 

 

Bildungspolitisch ist es jedenfalls ein Sondierungspapier, das große Hoffnungen und Fantasien weckt. Die drei Parteien gehen das Risiko ein, später an ihnen gemessen zu werden. Forschungspolitisch dagegen müssen SPD, Grüne und FDP dringend an der Differenzierung arbeiten.

 

Dieser Kommentar erschien heute leicht gekürzt zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.





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