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"Wir dürfen die Studierenden nicht wieder so allein lassen"

Was macht die Pandemie mit Hochschulen und Studierenden? Die Düsseldorfer Unirektorin und HRK-Vizepräsidentin Anja Steinbeck über einen größer werdenden Generationenkonflikt, die Idee der Universität, die Lobbyarbeit der Hochschulen und die "#IchbinHanna"-Initiative.

Frau Steinbeck, die Hochschulen haben drei Corona-Semester hinter sich. Vorüber ist die Pandemie auch diesen Herbst noch nicht. Können die Studierenden sich trotzdem auf die dauerhafte Rückkehr der Präsenzlehre einrichten? 

 

Die letzten drei Semester haben gezeigt, dass das direkte Miteinander im Studium nicht zu ersetzen ist durch digitale Formate. Es gibt den ganz großen Wunsch nach Präsenz, und den werden wir so weit, wie es nur irgend möglich ist, erfüllen. 

 

Was macht für Sie den Kern der Universität aus? 

 

Das Studium ist nicht die Fortsetzung der schulischen Oberstufe. Die Universität steht für den wissenschaftlichen Austausch, die Begegnung anstelle der reinen Wissenschaftsvermittlung. Dieser Austausch lebt von der Sprache, von der Mimik, von der Gestik. Das kann man nicht digital abfangen. Auf Zoom müssen die Leute ihre digitale Hand heben, wenn sie etwas sagen wollen, dann ergibt sich eine schöne Rednerliste, aber sie haben kein Gefühl für das Gegenüber. Wenn das Seminar vorbei ist, gehen sie normalerweise noch zusammen in die Cafeteria und diskutieren weiter. Online sagen alle Tschüss, und das war’s. 

 

Wenn der akademische Diskurs der Kern ist, kann man sich ja die Massenvorlesungen auch nach Corona sparen. Die empfinden viele Studierende als unproduktiv-passives Herumhocken, das sie in der Corona-Zeit nicht vermisst haben. 

 

Also, ich habe das anders erlebt! 400 Erstsemester, ein grandioser Professor oder eine grandiose Professorin, das bleibt einem doch fürs Leben in Erinnerung. Dieses Erlebnis, da mit hunderten Leuten zusammenzusitzen, und alles um einen herum ist neu, dieser Riesensaal, die Zwischenrufe, manche Leute kommen später, gehen früher. All das, was in der Schule nicht denkbar war. Das können Sie nicht ins Digitale übertragen! Nein, selbst bei der reinen Wissensvermittlung hat die große Vorlesung nicht ausgedient. 

 

Ich habe auch Professoren erlebt, die ihre eigenen Vorlesungen total spannend fanden, obwohl sie nur ihr eigenes Skript vorgelesen haben und die meisten Studierenden wegdämmerten. 

 

Sie glauben doch nicht, dass ein solcher Professor, sobald es ins Digitale geht, zum Helden der Didaktik wird. Wer im analogen Zeitalter schlecht als Lehrender war, bleibt das auch auf Zoom. 

 

Das Digitale macht die Qualitätsunterschiede in der Lehre aber transparenter, weil alle zuschauen können. Vielleicht löst das ja etwas aus. 

 

In meinem Fachbereich wusste ich auch ohne digitale Lehre, wer die uninspirierten Kolleginnen und Kollegen waren. Mir haben meine studentischen Mitarbeiter die neuesten Geschichten direkt nach der Vorlesung brühwarm berichtet. 

 

Hat die Idee von Universität also nur gelitten in den letzten anderthalb Jahren?

 

Sie hat gelitten, sie hat aber auch profitiert. Die Lehre ist endlich einmal ins Bewusstsein gerückt, ihr Stellenwert ist in den letzten drei Semestern deutlich gestiegen. Genau wie die Wertschätzung des direkten Austausches. Wissen Sie noch, wie wir vor Corona über die Anwesenheitspflicht diskutiert haben? Viele Studierende wollten nicht an die Uni kommen, haben gesagt, eine Anwesenheitspflicht verletze ihr Recht auf ein selbstständiges Studium. Und jetzt wollen sie unbedingt an die Universität. Das hat sich wirklich verkehrt. 

 

"Corona war nicht disruptiv

genug für die Universitäten"

 

Was bleibt anders nach Corona, Frau Steinbeck?

 

Womöglich weniger, als manche denken. Mein Eindruck ist, dass Corona nicht disruptiv genug war für die Universitäten. Optimistisch bin ich beim Prüfungswesen: Wir haben alle gemerkt, dass dieses stoische Multiple-Choice-Abfragen nicht der didaktischen Weisheit letzter Schluss ist. Viele sind übergegangen zu Open-Book-Klausuren, und ich kann mir vorstellen, dass von dieser Offenheit der Prüfungsformate vieles bleiben wird. Ich würde es mir jedenfalls wünschen. Auch werden viel mehr Prüfungen digital stattfinden als vor Corona: Open Book von zu Hause aus, ansonsten teilweise vor Ort, hier in der Universität, um Datenschutzprobleme zu vermeiden. Dafür werden wir technisch massiv aufrüsten. 

 

Und außer den Prüfungen?

 

Blended Learning ist ja wirklich keine neue Idee, aber ich sehe die Chance, dass sie jetzt endlich eine weitere Verbreitung findet. Wobei ich meine Zweifel habe. Letzten Endes war es ja nichts Anderes, wenn wir früher den Studierenden aufgegeben haben, zum nächsten Mal fünf Aufsätze zu lesen, damit wir im Seminar auf höherem Niveau diskutieren konnten. Haben viele dann halt nicht gemacht. 

 

Die Hoffnung ist, dass das Blended Learning mit gut gemachten digitalen Erklärvideos die Studierenden mehr packt als die einsame Lektüre von Büchern und Aufsätzen.

 

Aber Sie nennen ja schon die entscheidende Bedingung! Eine richtig gute Online-Lehre besteht nicht darin, dass ich einfach die Vorlesung abfilme, sondern das ist ein ganz anderer didaktischer Ansatz. Der kostet Zeit. Und deshalb halte ich auch nichts davon, wenn manche sagen, man könne das Wintersemester ja doppelt laufen lassen: für die, die wollen, in Präsenz, für die anderen digital. Das ist illusorisch, das ist den Lehrenden wirklich nicht zuzumuten. 

 

Sie sagen, Corona sei möglicherweise nicht disruptiv genug für die Universitäten gewesen. Fürchten Sie wirklich, dass es sich in einem Jahr so anfühlen wird, als hätte es Corona nie gegeben?   

 

Seien wir ehrlich: Die Universität als solche ist ziemlich gut durch die Krise gekommen. Ich rede nicht von den Schicksalen, dass Menschen krank geworden sind oder Angehörige verloren haben. Auch für viele Studierende waren es schlimme anderthalb Jahre, man muss sich nur ansehen, wie der psychologische Beratungsbedarf zugenommen hat. Dieser Umbruch zwischen Schule und Studium, den gibt es nur einmal im Leben, und der fand für viele mitten in der Pandemie und im Lockdown statt. Aber diese jungen Leute sind ja nicht diejenigen, die am Hebel sitzen, die an der Lehre etwas verändern können. Die Gestalter, das sind die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, alles Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, und von denen ist kaum einer dem Existenzminimum nahegekommen. 

 

Wollen Sie sagen, dass die keinen Änderungsbedarf sehen?

 

Nein, das möchte ich nicht sagen. Ich sage nur, ganz von selbst stellt sich eine Änderung nicht ein, nur weil wir drei Corona-Semester hinter uns haben. Ich kann das gerade beobachten bei der Erarbeitung unseres Hochschul-Entwicklungsplans für die nächsten fünf Jahre. Es ist nicht ganz leicht, von den Fakultäten oder Fächern eine klare Aussage zu bekommen, was ihre Vision für die digitale Lehre ist. Weil die Ansichten der Kolleginnen und Kollegen sehr auseinanderlaufen. Es gibt einige, die wirklich glauben, dass sie gar nicht mehr in den Hörsaal zurückkommen müssen. Das ist eine Minderheit. Genau wie die Minderheit derer, die das Digitale komplett verteufeln. Und mit dieser Bandbreite, mit all den Facetten dazwischen, ist es schwierig, überhaupt etwas zu ändern. Ich bin keine Kassandra, aber ich glaube nicht, dass der Satz: "Die Universität wird nach Corona eine komplett andere sein", zutreffend ist. Es wird Veränderungen geben. Aber keine Disruptionen. 

 

Ist es nicht Ihre Aufgabe als Rektorin, genau diese Veränderungsbereitschaft zu erzeugen?

 

Genau das versuchen wir als Rektorat. Unsere Botschaft ist: Macht Euch Gedanken. Ihr sagt uns, welchen didaktischen Weg ihr gehen wollt und wir machen es möglich, indem wir die Technik besorgen oder die Strukturen schaffen. Aber den Willensbildungsprozess müssen die Fakultäten selbst durchlaufen. Wollen sie zum Beispiel, wie die Juristen überlegen, einen rein digitalen Veranstaltungstag in der Woche einführen? Oder doch lieber alles in Präsenz belassen? Oder den Studierenden zusichern, dass das Studium ohne Besuch des Campus möglich ist? Da kann und werde ich nichts vorschreiben. Außer, dass es diesen Willensbildungsprozess geben muss. Und dass am Ende für die Studierenden transparent sein muss, wie das Studium künftig ablaufen wird. Damit sie wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie an die Heinrich-Heine-Universität kommen.

 

Hätten Sie sich im März 2020 vorstellen können, dass die Universität für anderthalb Jahre praktisch dichtmacht? 

 

Überhaupt nicht. Anfang März wollte ich mit einer Delegation nach Südafrika fliegen. Am Freitag sollten wir starten, am Dienstag habe ich entschieden: Ich sage ab. Weil ich merkte, dass viele Entscheidungen zu treffen sein werden. Ich wollte nicht, dass es losgeht, und dann fragt jemand: "Wo ist die Rektorin?" Und die Antwort lautet: "Die sitzt in Kapstadt". Wir haben dann den Vorlesungsbeginn um zwölf oder vierzehn Tage verschoben, auf Ende April – in dem Glauben, dann sei die Welle vorbei und wir könnten weitermachen. Unglaublich im Rückblick. 


Foto: Kay Herschelmann.

Anja Steinbeck, geboren 1966, ist seit  2014 Rektorin der Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf. Im Dezember 2020 wurde sie außerdem zur Sprecherin der Mitgliedergruppe der Universitäten in der Hochschulrektoren-konferenz (HRK) gewählt. Für die Art, wie sie ihre Universität durch die Corona-Pandemie führte, inklusive dem Aufbau einer Taskforce und Videobotschaften an die Uni-Öffentlichkeit, wurde Steinbeck vom Centrum für Hochschulent- wicklung (CHE) und der Wochenzeitung "Die Zeit" als "Hochschulmanagerin des Jahres 2020" ausgezeichnet. Steinbeck habe bei der Krisenbewältigung klar die Führungsrolle übernommen, sie "bezieht aber gleichzeitig alle Beteiligten ein und ruft in der ihr eigenen Art der vertrauensvollen Zusammenarbeit optimal die Kompetenzen der Beteiligten ab", lobte die Jury.



Was macht sie optimistisch, dass es in diesem Wintersemester anders wird als in den vergangenen drei Semestern?

 

Der Unterschied ist, dass die Studierenden jetzt überwiegend geimpft sind. Unsere Impfkampagne war sehr erfolgreich. Natürlich wäre es eine Katastrophe, wenn sich in den nächsten Wochen eine neue Variante ausbreiten würde, die resistent gegen alle Impfungen ist. Dann wäre alles wieder auf Anfang. Aber im Augenblick sehe ich das nicht. 

 

Das klingt ziemlich passiv. Die Studierenden sind aber auf klare Ansagen angewiesen, was den weiteren Verlauf des Wintersemester angeht, damit sie planen können.

 

Genau deshalb, weil die Studierenden ein Recht auf Klarheit haben, habe ich mich schon vor längerer Zeit auf Twitter festgelegt, dass es kein digitales Semester mehr geben wird. Und ich bin sicher, dass wir auch Vorlesungen bis 100 Personen dauerhaft hinbekommen werden. 

 

Sicher?

 

Ich sehe die Wahrscheinlichkeit bei 90 Prozent und die letzten zehn nehme ich auf meine Kappe. Solange die Situation so bleibt, wie sie ist, halte ich es trotz steigender Inzidenzen im Gegenteil sogar für verfassungswidrig, Geimpfte dem Nachteil einer erneut geschlossenen Universität auszusetzen – nur weil es Menschen gibt, die sich auf eigenes Risiko nicht impfen lassen wollen. Sogar 2G würde ich als Voraussetzung für das Studium künftig für nicht ausgeschlossen halten. Viel mehr Gedanken mache ich mir aber erstmal darum, wie wir das mit der Kontrolle von 3G hinbekommen. 

   

Und was ist, wenn die von Ihnen genannten zehn Prozent eintreten und doch ein weiteres Digitalsemester kommt?

 

Das wäre schlimm. Dann müssten wir uns wirklich noch einmal neu erfinden als Hochschulen, obwohl ich diesen Begriff nicht mag. Wir müssten überlegen, ob wir nicht zumindest für die Geimpften irgendwelche besonderen Angebote machen könnten. Wir dürfen die Studierenden nicht wieder so allein lassen. Manchmal frage ich mich, ob wir mit den Schließungen von Schulen und Universitäten nicht den nächsten Schritt gegangen sind zu einem immer größer werdenden Generationenkonflikt. Ob Klimakrise, Staatsverschuldung oder Rentensystem: Die ganze Zeit wirtschaften die Älteren auf Kosten der Jüngeren. Und jetzt noch Corona. Wir buchen aufs Schuldenkonto der jungen Generation und verhindern, dass sie sich auf die von uns verursachte Zukunft möglichst gut vorbereiten können. Da tut sich eine Kluft auf. Wenn das so weitergeht, knallt’s irgendwann. 

 

 Wie kam es eigentlich, dass die Hochschulen in den Corona-Beschlüssen der Regierungschefs von Bund und Ländern kaum einmal explizit vorkamen, sondern meist irgendwie als Anhängsel der Schulen verstanden wurden?

 

Auffällig war das zum Beispiel, als die Ministerpräsidentenkonferenz ab einer Inzidenz von 100 Wechselunterricht für die Schulen beschlossen hat – und die Hochschulen mit hineingenommen haben, obwohl das gar keinen Sinn ergab. Im Nachhinein hieß es, man habe zwar die Inkonsistenz bemerkt, das gesamte Beschlusspaket aber deshalb nicht noch einmal aufmachen wollen. Nach einem Brief aller Wissenschaftsminister an den Bund wurde das aber dann ja im Nachhinein noch geändert. 

 

Wer hat da gepennt? Haben die Hochschulrektorenkonferenz und andere Hochschulverbünde in ihrer Lobbyarbeit versagt?

 

Wir hätten uns sicherlich eine stärkere Fürsprache durch die zuständige Bundesministerin gewünscht, doch offenbar haben Wissenschaft und Forschung in der Bundesregierung kein ausreichendes Standing. Auch hat man wohl den Handlungsbedarf nicht gesehen – gerade weil die Hochschulen die Krise ja relativ gut gemeistert haben. Und während die anderen Lobbygruppen, die der Schulen, Künstler und Unternehmen, laut waren, haben die Hochschulen daran gearbeitet, das digitale Semester möglichst gut hinzubekommen.

 

Und haben darüber vergessen, sich selbst Gehör zu verschaffen? 

 

Vielleicht. Jedenfalls führte es dazu, dass die Landesminister zu spät dran waren mit ihren Mahnungen, was den Wechselunterricht anging.


Wie läuft das Wintersemester?
Es gibt Berichte von verschiedenen Hochschulen, dass je nach Fach kaum oder sehr wenig Präsenzlehre angeboten wird – obwohl vorher Anderes von den Hochschulen angekündigt wurde. Wie ist die Situation bei Ihnen? Schreiben Sie Ihre Erfahrungen gern unten in die Kommentarspalte.


Drohen den Hochschulen als nächstes Haushaltskürzungen wegen Corona?

 

Da mag jetzt der Wunsch Vater des Gedankens sein, doch wenn wir eines aus dieser Pandemie gelernt haben, aus der Flutkatastrophe, der Klimakrise, dann doch wohl dieses: Wir können uns nicht auf jede Eventualität vorbereiten. Die einzig verlässliche Vorbereitung ist in jedem Fall, in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Dann wird es, egal welche Krisensituation als nächstes kommt, Expertinnen und Experten geben, die damit umgehen können. Deshalb sage ich allen Politikerinnen und Politikern in allen Gesprächen, die ich führe: Jetzt an der Wissenschaft zu sparen, wäre fatal. 

 

Sie sind seit diesem Jahr Vizepräsidentin der Hochschulrektorenkonferenz. Die HRK sitzt, so scheint es, oft zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite die Hochschulverbünde von TU9 und German U15 bis zur UAS7, auf der anderen Seite der Deutsche Hochschulverband (DHV), der sich oft so geriert, als sei eigentlich er die Stimme der Hochschulen – obwohl das ja der Claim der HRK ist. Passt der überhaupt?

 

Die HRK kann und muss die Stimme der Hochschulen sein. Und ich finde, dass diese Stimme, seit Peter-André Alt HRK-Präsident ist, viel vernehmbarer geworden ist. Ich will die Fliehkräfte, die Sie da beschreiben, nicht verleugnen. Aber hat der DHV jemals im politischen Bereich durch gezielte Lobbyarbeit etwas Ernsthaftes bewegt? Der DHV spricht nicht für die Hochschulen, sondern für die Hochschullehrer. Das ist ein großer Unterschied. Und womöglich werden TU9 und U15 bald überflüssig, wenn sich die Exzellenzuniversitäten tatsächlich zu einem eigenen Club zusammenschließen würden. 

 

Würde das zu mehr Einheit führen?

 

Ich sage mal so: Zu denken, man wird stärker im Verfolgen der eigenen Interessen, wenn man sich in möglichst viele kleine Interessengruppen unterteilt, erscheint mir nicht besonders erfolgversprechend. 

 

In welche Interessengruppe ordnet sich denn die Universität Düsseldorf ein?

 

Nirgendwo, ich bin "blockfrei". Ich finde diese Blockbildung nicht gut. Ich engagiere mich lieber im Präsidium der HRK. Es spricht ja nichts dagegen, wenn sich Hochschulen mit ähnlichen Herausforderungen zusammensetzen und ihre Probleme diskutieren. Denn natürlich hat eine TU München ganz andere Fragestellungen als eine Universität in Kleinditzelsdorf. Aber das Äußern gegenüber der Politik, gegenüber den Mandatsträgern, sollte aus meiner Sicht nur von der HRK kommen. 

 

HRK und Deutsches Studentenwerk fordern in einer gemeinsamen Erklärung drei bis fünf Prozent der Mittel der Hochschulpakte für die soziale Infrastruktur. Was sagen Sie dazu?

 

Das begrüße ich, denn wenn man ein erfolgreiches Studium ermöglichen möchte, dann darf man nicht nur die Universitäten und die Qualität ihres Studienangebots in den Blick nehmen. Ebenso wichtig ist die gesicherte soziale und wirtschaftliche Basis der Studierenden während ihres Studiums - auch das hat uns Corona anschaulich vor Augen geführt. Von bezahlbarem Wohnraum und Verpflegung bis hin zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten und Kinderbetreuung bieten die Studierendenwerke ein breites Angebot, das es finanziell zu sichern gilt.

 

"Wenn jetzt an den Fachhochschulen

ein paar Menschen promovieren,

geht davon das Abendland nicht unter." 

 

Wenn man sich anschaut, wie stark die Universitäten auch in NRW gegen das Promotionsrecht für Fachhochschulen mobilgemacht haben, könnte man schon den Eindruck bekommen, auch hier gehe es mehr um Partikularinteressen als um das große Ganze.

 

Wenn jetzt an den Fachhochschulen ein paar Menschen promovieren, geht davon das Abendland nicht unter. Ein Drama wäre nur, wenn am Ende dieser Entwicklung die Fachhochschulen ihr eigenständiges Profil eingebüßt hätten. Ich halte es für den ganz falschen Weg, wenn sich beide Hochschultypen mit einer hochschulpolitischen Salamitaktik mit Blick auf ihr Profil immer mehr aufeinander zubewegen würden. Fachhochschulen und Universitäten haben unterschiedliche Aufgaben, und sie bedienen auch unterschiedliche Bedarfe auf dem Arbeitsmarkt, so dass eigentlich für uns alle genügend Platz ist. Es geht nicht um das Aufrechthalten irgendwelcher Privilegien, es geht um die unterschiedlichen Bedarfe der Studierenden. Ich habe selbst zwei Söhne, der eine ist sehr gut an der Fachhochschule aufgehoben und der andere sehr gut an der Universität.

 

Jetzt aber gönnen Sie den Fachhochschulen ihr Promotionsrecht?

 

Die Schlacht ist für die Universitäten verloren. Und so, wie es im Augenblick ist, halte ich es für nicht so kritisch. Wenn das Promotionsrecht benutzt wird, um als nächstes einen eigenen Mittelbau, eine Deputatsreduktion und mehr Labore für all die Doktoranden zu fordern, dann würde ich energisch gegenhalten, weil dadurch das System insgesamt ein anderes würde und irrsinnige Doppelstrukturen entstünden. 

 

Ein beherrschendes Thema in der Hochschulpolitik war in den vergangenen Monaten "#IchbinHanna", die Proteste gegen die überbordenden Befristungen in der Wissenschaft. Zu Recht?

 

Ich halte es in der Tat für nicht hinnehmbar, wenn Postdocs von manchen Professorinnen und Professoren so sehr mit Daueraufgaben überhäuft werden, dass sie nicht zu ihrer eigenen Qualifizierungsarbeit kommen. Diesen Postdocs dann wohlfeil zu sagen, dass sie sich halt nicht so ausnutzen lassen sollen, dass sie es selbst in der Hand haben, ignoriert die Abhängigkeiten im System. Deshalb finde ich diesen Ansatz: "Dauerstellen für Daueraufgaben" völlig richtig. 

 

Die "IchbinHanna"-Initiatoren werden sagen: Danke für die Blumen. Was aber bedeutet Ihre Zustimmung praktisch?

 

Die Diskussion hat uns dazu veranlasst, von jeder Fakultät ein Dauerstellenkonzept zu verlangen. Damit wir genau sehen: Was sind die Daueraufgaben, und was müssen wir ändern, damit sie auch von Dauerbeschäftigten erledigt werden. Ich bin zum Beispiel ein großer Freund des Berufsbildes des Wissenschaftsmanagers. Zu einem Dauerstellenkonzept gehört auch, das Qualifizierungsziel genau festzulegen und nach spätestens zwei, drei Jahren Postdoc-Phase die Frage der Anschlussbeschäftigung ernsthaft zu klären. Die jungen Menschen in dem Glauben zu lassen, es werde "schon irgendwie alles", dieses Ausbeuten darf es nicht mehr geben. Allerdings erhebe ich an einigen Stellen auch Widerspruch.

 

Zum Beispiel?

 

Ich glaube nicht, dass die Forderung, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz abzuschaffen, etwas bringt. Die Krux liegt nicht im Gesetz, sondern in seiner missbräuchlichen Anwendung, die sich noch dazu von Fach zu Fach unterscheidet. Außerdem glaube ich, dass der oft als Lösung genannte Umbau zu Department-Strukturen neue Probleme aufwerfen würde. Er würde eine geringere Zahl an Doktoranden voraussetzen, doch wollen Sie jungen Menschen die Promotion verbieten? Kurzum: Nicht alle Ideen in der Debatte sind zu Ende gedacht, aber ich glaube trotzdem, dass der Änderungsbedarf groß ist. Und hier meine ich, dass die Politik gar nicht viel tun kann. Sondern dass wir Hochschulen selbst gefordert sind.

 

Würden Sie gern als Rektorin manchmal stärker durchregieren können, Frau Steinbeck?

 

Ich würde manchmal gern an mehr Stellen sagen können: Das probieren wir jetzt einfach mal. Aber das geht nicht an einer Universität, dafür habe ich kein Weisungsrecht. Umgekehrt würde eine Universität ohne Hochschulleitung sich nie ändern, weil jeder in seinem Institut zufrieden ist so, wie es ist. Deshalb ist es die Aufgabe der Hochschulleitung, neue Ideen und strategische Visionen für alle zu entwickeln, die sie der Hochschule anbietet in der Hoffnung, möglichst viele Unterstützer für die Umsetzung zu finden. Ein guter Rektor, eine gute Rektorin schafft es, die ganze Universität von einer Idee so sehr zu überzeugen, dass alle freiwillig mitgehen. 

 

Und wo gehen Sie selbst hin, wenn in drei Jahren Ihre Zeit in Düsseldorf vorbei ist? 

 

Vielleicht gehe ich wieder auf einen Lehrstuhl. Ich kann mir aber auch vorstellen, die Universität zu verlassen und etwas ganz Anderes zu machen. Vielleicht eine Finca auf Mallorca kaufen? 

 

Oder in die Hochschulpolitik gehen?

 

Es reizt mich schon sehr, diese Chance, etwas gestalten zu können. Wenn ich aber dann sehe, in welchen engen Korsetts Politiker stecken – ich weiß nicht. I cross a bridge when I get there. 

 

Dieses Interview erschien in einer kürzeren Fassung zuerst im DSW Journal des Deutschen Studentenwerks. Für den Blog wurde es aktualisiert.



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Kommentare: 3
  • #1

    Peter (Mittwoch, 27 Oktober 2021 23:19)

    Professoren sind Unternehmer in eigener Sache: Wissenschaftsunternehmer. Ein Grund für die geringe Anzahl an Präsenzveranstaltungen im WiSe 21/22 ist der, dass die Politik und die Hochschulleitungen zu lange mit der 3G-Ansage und Hochschulöffnungen gewartet haben. Offizielles kam erst im September 2021. Viele Uni-Profs hatten zu dem Zeitpunkt schon die Vorbereitungen für das WiSe abgeschlossen. (Didaktische) Investitionen in die Lehre sind durchaus „kostenintensiv“ im Sinne der eigenen Unternehmung. Denn niemand bereitet gerne Präsenz vor und muss dann wieder zu Zoom wechseln. Auch Raum- und Vorlesungsplanungen für das WiSe laufen bereits im August an und hier war sehr viele zu lange unklar. Weil die Ansage zur Öffnung der Unis zu spät kam, entschieden sich die meisten (in der unternehmerischen Unsicherheit) für Online-Formate und die Studierenden sind wieder die Leidtragenden. Hinzu kommt, dass einige Lehrende durchaus die Situation komfortabel finden und lieber per Zoom als in Präsenz lehren. Die Konsequenz kann nur sein: Hochschulen und Politik müssen bis Ende 2021 eine klare Ansage in Richtung Rückkehr zur Präsenz für das SoSe 2022 machen. Die Vorbereitungen dafür laufen im Januar 2022 an und es muss dann eindeutige Planungssicherheit herrschen.

  • #2

    Mathematiker (Donnerstag, 28 Oktober 2021 09:08)

    @Peter: Die Aussagen zur Lehre sind vollkommen korrekt.
    Es ist einfach illusionär, daß man als Lehrender beliebig
    hybrid arbeiten kann. Eine ordentliche Präsenzlehre ist
    einfach unersetzbar. Daher ist schade, daß sich Etliche auf
    Online-Formate einrichten und vor den Studenten "flüchten". Frau Steinbeck hat da die richtige Ansage. Auch
    an der Uni Göttingen hat sich der gestern frisch gewählte Vizepräsident für Lehre und Studium da klar positioniert.

  • #3

    Noch 'ne Hanna (Sonntag, 31 Oktober 2021 11:31)

    "Der DHV spricht nicht für die Hochschulen, sondern für die Hochschullehrer. Das ist ein großer Unterschied."

    Und die HRK spricht nicht für die Hochschulen insgesamt, sondern nur für die Hochschulleitungen - andernfalls hätten sich die Mitgliedshochschulen schon längst Selbstverpflichtungen auferlegt, um das #IchBinHanna-Problem anzugehen und um politischen und ggf. überschießenden Eingriffe in die Hochschulautonomie vorzubeugen. Es ist ähnlich wie bei der Problematik "Machtmissbrauch in der Wissenschaft": Schon vor Jahren hat die HRK angekündigt, dass sie Empfehlungen formulieren möchte, um Machtmissbrauch vorzubeugen und ggf. zu ahnden, aber da es sich um ein Problem handelt, welches die Hochschulleitungen und die Professor:innen, die sie vornehmlich wählen, kaum berührt, lässt schon eine Stellungnahme dazu seit drei Jahren auf sich warten.

    https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/gegen-sexualisierte-diskriminierung-und-sexuelle-belaestigung-an-hochschulen/

    In der #IchBinHanna-Debatte beschränkt sich der Beitrag der HRK auf die Forderung nach mehr Geld von der Politik, aber Eigenverantwortung sucht man vergebens.