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"Bisschen März 2020"

Ermöglicht die Ampel den Ländern weiter Corona-Einschränkungen an den Hochschulen – während sie die pauschale Schließung von Restaurants und Bars untersagt? Auch abseits der Bundespolitik läuft die Debatte über die Präsenzlehre wieder auf Hochtouren.

Foto: Dipesh Parmar / Pixabay.

BEMERKENSWERT, wie klar die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) für offene Hochschulen eintritt – trotz der derzeit bundesweit herrschenden Rekordinzidenzen. "Präsenz-Lehre ist ein wertvolles Gut, die psycho-sozialen Folgen der Corona-Semester sind bekannt", sagte gestern HRK-Präsident Peter-André Alt. "In der politischen Diskussion allerdings dominiert die Sorge um Weihnachtsmärkte und Fußballstadien." 

 

Es gebe bislang keine Hinweise auf ein größeres Infektionsgeschehen an den Hochschulen, betont die HRK – weshalb Hochschulspezifika berücksichtigt werden müssten und es "ausreichende Spielräume" geben müsse "für flexible, der Situation an den jeweiligen Standorten angepasste Regelungen". Auf jeden Fall aber keine "Automatismen bis hin zu Hochschulschließungen".

 

Letzteres geht gegen die Ampel in spe, die den Bundesländern auch im neuen Infektionsschutzgesetz erlauben will, den Publikumsbetrieb an den Hochschulen einzuschränken. Trotz der extrem hohen Impfquote unter Studierenden, die Umfragen und Eingangstests zufolge fast überall bei über 90 Prozent liegt. Gleichzeitig wollen SPD, Grüne und FDP den Ländern aber künftig das pauschale Schließen zum Beispiel von Restaurants, Hotels oder Bars (!) untersagen. 

 

Eine seltsam bekannte
Prioritätensetzung?

 

Eine seltsame, aber aus dem bisherigen Verlauf der Pandemie zugleich seltsam bekannte Prioritätensetzung, die hier durchscheint: Vorfahrt für Wirtschaft und Vergnügen, ein Stoppschild für die Bildung. Nicht alles neu macht die Ampel?

 

Der hochschulpolitische Sprecher der FDP, Jens Brandenburg, widerspricht: Die Länder könnten zwar "bei Bedarf weiterhin Auflagen an die Fortführung des Hochschulbetriebs knüpfen. Von automatischen Schließungen kann aber keine Rede sein." Und Brandenburg betont: "Ein flächendeckender Hochschul-Lockdown darf sich nie wiederholen." Die drei Millionen Studierenden dürften in der Pandemie nicht erneut "unter die Räder geraten".

 

Wobei letzteres dann doch schon wieder weniger nach einer Versicherung klingt als nach einem Plädoyer in Richtung seiner Bundestagskollegen, die morgen über die Gesetzesänderungen abstimmen. 

 

Während FDP-Mann Brandenburg die "funktionierenden Hygienekonzepte" an den Hochschulen lobt und die HRK kein größeres Infektionsgeschehen an den Hochschulen beobachtet, berichtete zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung von immer mehr Corona-Fällen unter Studierenden und Lehrenden, in diesem Fall in der bayerischen Landeshauptstadt. 

 

2G in Erlangen-Nürnberg,
Distanzbetrieb in Ingolstadt

 

Schon vergangene Woche hatte der Studierendenverband fzs einen besseren Corona-Schutz verlangt. Dazu gehörten die Überprüfung der 3G-Regelungen oder die Möglichkeit, sich auf dem Campus weiter testen lassen zu können, "bestenfalls kostenlos." In den ersten Vorlesungswochen habe häufig Security-Personal an den Eingängen gestanden und den Status aller, die in die Gebäude wollten, überprüft. Das sei inzwischen vielerorts nicht mehr der Fall, kritisierte der fzs.

 

Kurz darauf kündigte die Universität Erlangen-Nürnberg an, nur noch genesene oder geimpfte Studierende in den Hörsaal zu lassen. Präsident Joachim Hornegger twitterte dazu heute: "Studierende und Mitarbeiter können sich impfen lassen." Es gebe kaum Kontraindikationen. "Jede:r kann sich beraten lassen und Zweitmeinungen einholen." Hornegger reagierte mit seinem Tweet auf Kritik, unter anderem vom RCDS, an der Entscheidung. 

 

Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) sagte indes, grundsätzlich sei die Einführung der 2G-Regel gesetzlich möglich, sagte Sibler. "Über die Einführung können die Hochschulen grundsätzlich in eigener Zuständigkeit entscheiden." Insbesondere die Studierbarkeit für alle Studierenden müsse aber auch bei Zugangsregeln nach dem 2G-Prinzip jederzeit gewährleistet sein. In Erlangen-Nürnberg sei das über hybride oder digitale Formate der Fall. 

 

Zugleich sprach Sibler sich dafür aus, möglichst viele Präsenzangebote aufrechtzuerhalten. Die Hochschulen im Freistaat seien "sehr geschützte Orte". Bei weit mehr als 150.000 Stichproben des G-Statuses innerhalb einer Woche habe es nur etwa 300 Beanstandungen gegeben. Die hohe Impfquote der Studierenden, betonte Sibler, unterstütze "die weitgehende Wahrnehmung des Präsenzangebots".

 

Trotzdem kündigte gestern eine andere bayerische Hochschule, die Technische Hochschule Ingolstadt (THI), eigenmächtig an, demnächst in den Online-Betrieb zu wechseln. Vom 6. Dezember an bis zur Weihnachtspause sollen alle Präsenzveranstaltungen abgesagt und in den virtuellen Raum verlegt werden, sagte THI-Präsident Walter Schober. Die hohe Impfquote von 95 Prozent rechtfertige zwar die Fortführung der Präsenzangebote. "Trotzdem kann die Umstellung auf den Digitalbetrieb drei Wochen vor Weihnachten auch über die Reduktion der Mobilität der Studierenden einen planbaren und vertretbaren Beitrag zur Pandemieeinschränkung vor Weihnachten leisten." Der Präsenzbetrieb insbesondere zur Prüfungsvorbereitung solle dann wieder am 10. Januar 2022 starten. 

 

Studentenwerk: "Die Hochschulen
müssen offen bleiben!"

 

Entsteht da gerade eine neue Schließungsdynamik? Ein Professor der RWTH Aachen kommentierte am Dienstag ebenfalls auf Twitter: "Seltsame Stimmung heute an der Uni, bisschen März 2020, das Dämmern, dass nächste Woche alles dicht ist."

 

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) mahnte hingegen heute: "Die Hochschulen müssen offen bleiben." Mit explizitem Bezug zum Präsenzlehre-Plädoyer von HRK-Präsident Alt. Denn, so das DSW, "die Hochschulen sind ein sozialer Ort. Die Studierenden benötigen den direkten, pandemiegerechten Austausch!"

 

Dieser Beitrag erschien in einer kürzen Fassung am Mittwoch zuerst in meinem Newsletter. Hinweis am 18. November: Das Statement von Wissenschaftsminister Sibler habe ich aktualisiert/ergänzt.



Transferagentur nur für die kleineren Hochschulen?

In einer weiteren Stellungnahme protestierte die Hochschulrektorenkonferenz gestern dagegen, dass die Fördergelder der neuen Transferagentur, Kürzel "DATI", womöglich nur für Hochschulen bis zu 25.000 Studierenden zugänglich sein könnten. Eine willkürlich gezogene Grenze, die ein "riesige(s) Anwendungs- und Transferpotenzial" abkoppeln würde, sagt die

HRK. Klar ist: Mit dem Wettbewerbsgedanken verträgt sich die Beschränkung tatsächlich nicht wirklich. Wobei man auch anders herum argumentieren kann: wenn auch die großen TUs wie die RWTH Aachen mitmachen dürfen, grasen sie mit ihrem professionellen Antragsmanagement das Feld ab, bevor die kleinen Hochschulen bis drei zählen können.



Nachtrag am 19. November:

Bernd Sibler äußert sich zurückhaltend zur TH Ingolstadt, 

Theresia Bauer macht eine klare Ansage an alle Professoren

 

Jetzt hat Bayerns Wissenschaftsminister Sibler sich auch zu dem Beschuss der TH Ingolstadt geäußert, vom 6. Dezember an vorübergehend den Präsenzbetrieb auszusetzen. "Unsere Hochschulen bewerten eigenverantwortlich, ob aufgrund der Dynamik der Infektionslage und der Gegebenheiten am Hochschulstandort strengere Infektionsschutzregeln eingeführt werden müssen", sagte er und fügt hinzu: "Die Umstellung auf drei Wochen reine Online-Lehre ist an der THI laut Auskunft der Hochschule aufgrund der Erfahrungen aus den letzten Semestern problemlos möglich und unterstützt damit die effektive Fortführung des Studiums." Womit er im Grunde nur die Angabe der THI referiert, ohne sich selbst festzulegen, ob er das auch so sieht. Dafür betont Sibler explizit, dass für ihn "nach wie vor" gelte: "In diesem Semester muss vor dem Hintergrund der sehr hohen Impfquote der Studierenden in Bayern die Präsenzlehre im Vordergrund stehen, bei gleichzeitig bestmöglichem Gesundheitsschutz."

 

Seine baden-württembergische Amtskollegin Theresia Bauer (Grüne) hat unterdessen einen Brief an alle staatlichen Hochschulen des Landes geschrieben. Darin stellt sie unter der Überschrift "Präsenzpflicht der Professorinnen und Professoren" klar: Ziel sei, das  erreichte Maß an Präsenz über das gesamte Semester beibehalten zu können, "wohlwissend, dass wir uns in der Warnstufe befinden und nun die Alarmstufe erreichen".

 

Diese Stufung mit den damit verbundenen Einschränkungen habe die Regierung jedoch für die Hochschulen nicht vollzogen – zum einen wegen der deutlich überdurchschnittlichen Impfquote, zum anderen weil es um die Zukunft vieler junger Menschen gehe, die nicht ein ganzes Studium durchlaufen könnten, "ohne die Hochschule auch in nennenswertem Umfang in Präsenz erlebt zu haben". 

 

Das Vorhalten paralleler Angebote in Präsenz und online, betont Bauer, sei in größerem Stil weder logistisch darstellbar noch finanzierbar. "Insoweit muss ich um Verständnis bitten", und sie appelliere an alle Hochschullehrerende und Mitarbeiter, "die selbst vielleicht vorsichtiger sind oder die unbestritten auch vorhandene Vorteile eines Onlinebetriebs zu schätzen gelernt haben, zu akzeptieren, dass wir trotz der zunehmenden Inzidenzwerte an dem jetzt erreichten Maß an Präsenz im Hochschulbereich festhalten wollen." Es sei nicht Sache des einzelnen Hochschulmitglieds, sondern vielmehr des Verordnungsgebers und der Hochschulleitung, "in einer verantwortungsvollen Gefährdungsbeurteilung und Güterabwägung zu entscheiden, was an Präsenz zu verantworten ist und welche Schutz- und Kontrollmaßnahmen hierfür erforderlich sind".

 

Nachtrag am 22. November:

Proteste in Erlangen

Die Initiative "Studenten stehen auf" hatte für Samstag zu Protesten Demonstrationen gegen die an der Universität Nürnberg-Erlangen eingeführte 2G-Regelung für die Präsenzlehre aufgerufen. Laut Presseberichten beteiligten sich zwischenzeitlich bis zu 1000 Menschen an den Protesten.

 

Die Studierendenvertretung der Universität betonte im Vorfeld, sie trage die Entscheidung der Universität mit, und distanzierte sich von der Initiative. Es handele sich um eine "Gruppierung, die der Querdenken-Bewegung nahesteht und die mutmaßlich nur wenige Mitglieder aus der FAU hat."

 

Die  Landes-ASten-Konferenz Bayern solidarisierte sich mit der Studierendenvertretung in Erlangen. Die Ankündigung der 2G-Regelung sei mit Unterstützung der Studierendenschaft getroffen worden, bei der Entscheidung seien auch Studierendenvertreter vor Ort zentral im Krisenstab eingebunden gewesen. "Diese haben einen guten Einblick, wie die Studierenden sich gerade fühlen", sagte die Sprecherin der Landes-ASten-Konferenz, Johanna Weidlich. "Dazu zählen auch die Sicherheitsbedenken von Studierenden in einer so angespannten pandemischen Situation. Keine Studierendenvertretung macht sich eine solche Entscheidung leicht."

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Msc Student (Freitag, 19 November 2021 14:09)

    Ich bin der Meinung dass die Situation sehr kompliziert ist. Nur Präsenzlehre verbessert nicht unbedingt die Studiensituation. Man darf nicht vergessen dass viele Studenten ihr Studium außerhalb der Umgebung anfangen, in der sie aufgewachsen sind. Sie kennen vielleicht keine einzige Person und man kann auch einfach Pech in der WG-Wahl haben, oder man zieht in eine kleine Wohnung. Große Vorlesungen können sehr anonym sein, viele Personen trauen sich auch nicht dort Freunde zu machen. Ich selber habe eigentlich fast nur Freunde außerhalb des "richtigen" Studienbetriebes (Vorlesungen etc.) gemacht. Allein ist es schwer den Universitätsalltag zu bestehen, ein Grundangebot an sozialen Veranstaltungen ist gerade für die Studienanfänger wichtig, besonders wenn man etwas schüchterner ist. Besonders in den ersten Semestern unterscheidet sich oft die Vorlesungen nicht von einem online-Angebot, Interaktion findet nicht statt und der Dozent spielt einfach nur sein Programm ab.

    Ich würde, falls ich Prioritäten setzen müssten, anonyme, riesige Vorlesungen ohne Interaktion in Präsenz zurück fahren und Tutorien weiter in Kleingruppen stattfinden lassen. Alles, was Interaktion hat, ist gerade für Anfänger wichtig. Aber, z.B. mit 2G+ und begrenzten Teilnehmerzahlen, sollte irgendein sozialen Angebot da sein sodass die Studienanfänger etwas Chancen haben jemanden kennen zu lernen und zumindest ein Paar Freunde zu machen. Das sollte auch nicht als erstes gekürzt werden. Man kann schon sehr einsam im Studium sein.