· 

"Wie lange bin ich für euch eigentlich noch Flüchtling?"

Wie gut gelingt internationalen Studierenden der Berufseinstieg? Haben es die Geflüchteten besonders schwer? Der Sachverständigenrat für Integration und Migration wollte es anhand von zwei DAAD-Programmen herausfinden. Ein Interview mit Studienautor Simon Morris-Lange.

Simon Morris-Lange ist Sozialwissenschaftler und seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Foto: SVR/Setzpfandt.


Herr Morris-Lange, Sie arbeiten für den Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) und haben untersucht, wie gut internationalen Studierenden in Deutschland der Sprung in den Arbeitsmarkt gelingt. 

 

In unserer Studie haben wir uns vor allem die Gruppe der Flüchtlinge angeschaut und ihre Erfahrung beim Berufseinstieg mit der anderer aus dem Ausland stammenden Studierenden verglichen. Das hat seit den Fluchtbewegungen von 2015 in dieser Form noch keiner gemacht. 

 

Tatsächlich nicht? Dabei handelt es sich doch um eine enorm große Anzahl an Studierenden, von der wir reden, oder?

 


Ja, aber wer damals Studienanfänger war, kommt erst jetzt allmählich zum Abschluss. Allein das bundesweite Hochschulprogramm Integra, das seit dem Wintersemester 2015/16 läuft, unterstützt zurzeit fast 7.500 Studierende, die ein gesamtes Studium durchlaufen. Seit 2015 reden wir sogar von insgesamt etwa 30.000 geflüchteten Studierenden. Mit anderen Worten: Ein Zehntel der internationalen Studierenden hat mittlerweile Fluchterfahrung. Syrien war als Herkunftsland dabei nie unter den Top 10 in Deutschland, jetzt liegt es auf Platz drei. 

 

"Mehr als die Hälfte der internationalen Studierenden will bleiben. Und deren Ziel ist sicher nicht, für den Rest ihres Lebens Pizza auszufahren."

 

Ein enormes Potenzial für den Arbeitsmarkt, sollte man denken. 

 

Von den Studierenden, die von außerhalb der EU zu uns gekommen sind, will mehr als die Hälfte bleiben. Und deren Ziel ist sicher nicht, für den Rest ihres Lebens Pizza auszufahren. Sie können und wollen hochqualifizierte Jobs besetzen.

 

Und wenn die richtige Unterstützung fehlt?

 

Wir wissen, dass schon im Studium die Abbruchquoten bei internationalen Studierenden sehr hoch liegen. Beim Bachelor geben knapp 50 Prozent vor dem Abschluss auf – im Vergleich zu 27 Prozent bei den Deutschen. Im Master sind es 26 Prozent im Vergleich zu 17. Und von denen, die ihr Studium schaffen und in Deutschland bleiben wollen, hat ein gutes Drittel nach einem Jahr immer noch keinen passenden Job gefunden. Bei Deutschen trifft das auf weniger als zehn Prozent zu.


Die Studie

Für ihre Studie werteten die Autoren zunächst die Antworten von Hochschulen aus, die knapp ein Jahr nach Förderbeginn den Sachstand bei Integra (71 Vorhaben) und PROFI (17 Vorhaben) wiedergaben. 

 

In einem zweiten Schritt nahmen sie eine Inhaltsanalyse von über 600 schriftlichen Kommentaren und Kurzberichten des Hochschulpersonals vor, um darauf aufbauend vertiefende Interviews mit neun Projektverantwortlichen, zehn geflüchteten Studierenden und acht Angehörigen externer Partnerorganisationen zu führen. 

 

 

Die DAAD-Programme Integra und PROFI unterstützen Hochschulen dabei, unter anderem zielgruppenorientierte Bewerbungstrainings, Mentorenprogramme und Kooperationen mit der regionalen Wirtschaft zu organisieren.

 

Die 4.233 Studierenden, die bei Integra mitmachen, absolvieren ein komplettes Studium, während die 192 Teilnehmer in den PROFI-Projekten kürzere und branchenspezifische Weiterbildungsangebote durchlaufen.



 

Und wie ist das bei Flüchtlingen?

 

Zum Studienabbruch bei Flüchtlingen fehlen uns noch die Daten, weil wir zwar seit Jahren ein neues Statistikgesetz haben, das solche Daten fordert, es aber wohl noch einmal Jahre dauert, bis tatsächlich erste Auswertungen möglich sein werden. Es spricht aber viel dafür, dass die Abbruchquoten bei Flüchtlingen ähnlich ausfallen dürften wie bei den internationalen Studierenden.

  

Nicht noch höher?

 

Das zu vermuten, wäre Kaffeesatzleserei. Was wir wissen, stammt aus unserer aktuellen Studie zu den DAAD-Programmen Integra und zu PROFI. Letzteres ist ein Unterstützungsprogramm für Menschen, die schon im Ausland einen Studienabschluss gemacht haben und jetzt in Deutschland weitere Hochschulkurse belegen, um sich weiterzubilden und bessere Bewerbungschancen für ihren Wunschberuf zu haben. Was wir herausgefunden haben: Studierende mit Fluchthintergrund haben beim Berufseinstieg mit denselben Problemen zu kämpfen wie andere internationale Studierende auch. 

 

"Viele Arbeitgeber haben unrealistische Erwartungen. Manche wünschen sich, dass ihre Neueinstellungen die regionalen Dialekte beherrschen."

 

Das hört sich fast so an, als ob das etwas Gutes sei.

 

Das bedeutet zumindest, dass sie in der Regel nicht noch schlechter gestellt sind. Mit ein paar graduellen Unterschieden.

 

Welche sind das?

  

Dazu sollte ich erst einmal sagen, mit welchen Hürden internationale Studierende insgesamt zu kämpfen haben. In erster Linie sind das sprachliche Hürden. Die meisten Absolventinnen und Absolventen können so gut Deutsch, dass sie in einem Bewerbungsgespräch einen professionellen Eindruck machen. Doch haben viele Arbeitgeber unrealistische Erwartungen. In manchen Fällen wünschen sie sich sogar, dass ihre Neueinstellungen auch die regionalen Dialekte beherrschen. Und allgemeine Praxiserfahrung reicht ihnen auch nicht. Sie wollen, dass die Studienabsolventen genauso viel fachliche relevante Praxiserfahrung in Deutschland haben wie inländische Studierende. 

 

Kommen überhaupt so viele bis zu einem Bewerbungsgespräch?

 

Das ist das nächste. Was viele internationale Studierende nach ihrem Studienabschluss in Deutschland nicht haben, sind die lokalen Netzwerke: Man kennt Leute, die wiederum mit Leuten befreundet sind, die einem mal ein Bewerbungsgespräch vermitteln können. Es sind solche Sachen wie der Stallgeruch, den viele internationale Bewerber gar nicht haben können. 

 

"Deutschland hat für internationale Studierende den roten Teppich ausgerollt, was die gesetzlichen Rahmenbedingungen angeht. Nur hilft das wenig, wenn die sozialen Rahmenbedingungen bleiben, wie sie sind."

 

Und was ist mit aufenthaltsrechtlichen Problemen?

 

Die existieren zum Glück fast gar nicht mehr. Deutschland hat für die internationalen Studierenden den roten Teppich ausgerollt, was die gesetzlichen Rahmenbedingungen angeht. Nur hilft das wenig, wenn die sozialen Rahmenbedingungen bleiben, wie sie sind. Dazu gehört übrigens auch, dass viele gar nicht den finanziellen Atem haben, um eine lange Bewerbungsphase nach dem Studium durchzuhalten – auch wenn sie aufenthaltsrechtlich gesehen die Zeit dazu hätten.

 

Vorhin haben Sie gesagt, laut Ihrer Studie sieht die Situation bei den geflüchteten Studierenden fast genauso aus?

 

Ja, wir haben einige von ihnen in unseren Interviews befragt, dazu auch das sie betreuende Hochschulpersonal. Und da zeigt sich: Die Probleme sind die gleichen – nur zum Teil noch schwerwiegender. Viele haben noch weniger finanzielle Rücklagen und ihr Aufenthaltsstatus ist mitunter prekärer – vor allem, wenn sie noch nicht voll als Flüchtlinge anerkannt sind und deshalb nicht alle Services für Flüchtlinge außerhalb der Hochschulen nutzen können. Und sie sind zum Teil auch traumatisiert und leiden stärker unter psychischen Belastungen. 

 

Was halten Sie von zusätzlichen Unterstützungsmaßnahmen für geflüchtete Studierende beim Berufseinstieg?

 

Ich bin da ambivalent. Das Ziel kann nicht sein, dass wir sie immer anders behandeln als die übrigen internationalen Studierenden, das wollen viele auch gar nicht. Einige fühlen sich schon jetzt diskriminiert und fragen: Wie lange bin ich für euch eigentlich noch Flüchtling?

 

Was ist die Alternative?

 

Was wir brauchen, sind mehr Angebote für alle internationalen Studierenden – zum Beispiel, Informationen über die Erwartungshaltung von Unternehmen. Oder über die deutsche Wirtschaftsstruktur, damit den Studierenden klar wird, wie viele Jobs es abseits der Großkonzerne gibt, bei mittelständischen Unternehmen etwa, den typischen deutschen hidden champions. Und all das am besten schon zu Beginn des Studiums, nicht am Ende. Wenn einzelne Studierende dann noch zusätzliche Hilfsmaßnahmen brauchen, dann sollten die individuell zugeschnitten sein.

 

Also gar keine gruppenspezifischen Angebote mehr für geflüchtete Studierende?

 

Wie gesagt: Ich bin da ambivalent. Die beschriebenen graduellen Unterschiede kann man ja nicht wegdiskutieren. Insofern wäre eine Stelle an jeder Hochschule, die sich besonders um Flüchtlinge kümmert, zum Beispiel um deren Zugang zum BAföG, schon sinnvoll. Das gilt aber eben in erster Linie mit Blick auf den Weg in das Studium selbst und nicht erst zum Berufseinstieg hin.  


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 0