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"Nicht mit Schlamm zurückwerfen, sondern mit Blümchen"

Nach dem Streit um eine Kandidatenliste will der Hochschulrat der TU Chemnitz die anstehende Rektorwahl neu ausschreiben. Doch der Ärger scheint damit nicht vorbei zu sein. Mittendrin: Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer.

Hauptgebäude der TU Chemnitz. Foto: User:Kolossos/Wikimedia Commons.CC-BY-SA-2.5.

DIE ÜBERSCHRIFT der Pressemitteilung las sich auf den ersten Blick so, als wäre der bundesweit beachtete Konflikt damit ausgestanden. "Hochschulrat der TU Chemnitz legt Lösung im Rektorwahlverfahren vor", stand da. Das Gremium habe "wichtige Entscheidungen" getroffen, diese stellten "die Rechtssicherheit her und sorgen durch die Neuauflage des Ausschreibungsverfahrens für eine konstruktive Lösung". Das war am 17. November.

 

An der TUC rumort es seit Monaten. Gerd Strohmeier, seit 2016 Rektor, hatte sich um eine zweite Amtszeit beworben. Doch tauchte sein Name auf der im Juni vom Hochschulrat beschlossenen Kandidatenliste nicht auf, die als Wahlvorschlag an den Senat ging. Der Senat ist bei der Rektorwahl an die Liste gebunden, beauftragte jedoch zu deren Überprüfung ein Rechtsgutachten – und wies auf dessen Grundlage am 22. September den Wahlvorschlag an den Hochschulrat zurück. 

 

Warum? Offiziell macht der Senat dazu keine detaillierten Angaben, doch das 180-seitige vertrauliche Rechtsgutachten fand seinen Weg in die Öffentlichkeit. Darin führt der Verwaltungsrechtler Klaus Herrmann von der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg aus, dass die Listenaufstellung seines Erachtens in Teilen unplausibel, ungenügend dokumentiert und dazu in der Lage gewesen sei, das Gleichbehandlungsrecht der Bewerber zu verletzen.

 

Besonders intensiv widmete sich Herrmann der Rolle des seit diesem Jahr amtierenden neuen Hochschulratsvorsitzenden, dem Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, Reimund Neugebauer. Es müsse geprüft werden, schrieb Herrmann, ob Neugebauer "Herrn Prof. Dr. Strohmeier wegen der als Rektor verantworteten Leitung der TUC persönlich als Hindernis für die ihm zweckmäßig erscheinende Zusammenarbeit zwischen TUC und Fraunhofer-Einrichtungen ansieht, also aus seinen bzw. den von ihm formulierten Interessen der Fraunhofer-Gesellschaft heraus persönlich ablehnt". Im Klartext: Hat Neugebauer als Hochschulratsvorsitzender versucht, Strohmeier durch einen ihn gewogeneren Kandidaten zu ersetzen, indem er darauf drängte, dass der Hochschulrat dem Senat eine Kandidatenliste ohne Strohmeiers Namen vorlegte?

 

Befangenheit im
Hochschulrat?

 

Neugebauer, der sich auch in seinem Amt als Fraunhofer-Präsident heftiger Kritik ausgesetzt sieht, bestritt die Vorwürfe. Das in den Medien "als Gutachten bezeichnete Dokument" sei eine "Stellungnahme, die vom Vertreter des Rektors als interimistischer Senatsvorsitzender bei einem Rechtsanwalt in Auftrag gegeben wurde". Es sei unter Verletzung der für das Verfahren geltenden Regeln nach außen gegeben worden. Der Hochschulrat als Ganzes wies "die gegenüber Herrn Professor Neugebauer erhobene Behauptung der Befangenheit" zurück und betonte, er habe sich bei der Auswahl und Beurteilung der Bewerber "ausschließlich vom Grundsatz der Bestenauslese leiten lassen".



Doch war der Ärger damit nicht erledigt. Ende Oktober schaltete sich auch der Deutsche Hochschulverband (DHV) ein, wegen der "schwerwiegenden Befangenheitsvorwürfe". DHV-Präsident Bernhard Kempen sprach von einem "dunklen Schatten", der "auf das Auswahlverfahren an der TU Chemnitz" falle. Dass der Hochschulrat einen Amtsinhaber von der Wiederwahl ausschließe, sei ein "erklärungsbedürftiger Vorgang". Um weiteren Schaden von der TUC abzuwenden, solle Neugebauer sein Amt als Hochschulratsvorsitzender ruhen lassen, so Kempen, "bis die im Raum stehenden Befangenheitsvorwürfe vollständig geklärt und ausgeräumt worden sind".

 

Woraufhin der Hochschulrat am 17. November die anfangs erwähnte Pressemitteilung verschickte und die Neuausschreibung des Verfahrens ankündigte. "Wie vom DHV gefordert", kommentierte der Vorsitzende des DHV-Landesverbandes Sachsen, Michael Schreiber, der zugleich Physikprofessor an der TUC ist.

 

Doch der Hochschulrat betonte: Seine Entscheidung beruhe auf einem zweiten, diesmal vom TUC-Kanzler beauftragten Gutachten "des bekannten Dresdner Verwaltungsrechtlers Dr. Georg Brüggen", das "methodische Schwächen und fachliche Fehler" der ersten "Stellungnahme" erkannt habe, ihr in 27 Punkten widerspreche und diese "klarstelle".

 

Die Pressemitteilungen des Hochschulrats verschickt
eine auf Rechtsstreitigkeiten spezialisierte Agentur

 

Versäumnisse des Hochschulrates? Werden in dessen Pressemitteilung nicht erwähnt. Dafür die Versäumnisse von anderen: Das neue Verfahren "sei geboten, da sich nur so die begangenen Indiskretionen und Datenschutzverletzungen weitgehend egalisieren lassen und ein ordnungsgemäßes und rechtssicheres Verfahren gewährleistet ist".

 

Wie tiefgreifend der Konflikt an der TUC weiter ist, lässt sich auch daran erkennen, dass auch diese Pressemitteilung des Hochschulrats  nicht von der Uni-Pressestelle verschickt wurde, sondern von "Sieber Senior Advisors", eine nach Selbstbeschreibung "auf Rechtsstreitigkeiten spezialisierte Kommunikationsberatung". Als Ansprechpartner wird unter der Pressemitteilung nicht der Hochschulratsvorsitzende Neugebauer genannt, sondern der Software-Unternehmer Rainer Gläß, "Mitglied des Hochulrats, vertreten durch Steffen Fritzsche" – der wiederum Partner bei Sieber Senior Advisors ist. 

 

Was auf den ersten Blick wie ein Friedensangebot an die Universität und ihren Senat wirkt, wurde dort spätestens beim zweiten Lesen nicht mehr so wahrgenommen: Nur wenige Tage später meldeten sich die Dekane aller acht TUC-Fakultäten in einer breit gestreuten Stellungnahme zu Wort und kritisierten, dass sie erst durch die Pressemitteilung von der beabsichtigten Neuausschreibung erfahren hätten. Dies zeige einmal mehr, "dass das konstruktive Miteinander von Universität und Hochschulrat derzeit nicht in der nötigen Weise gewährleistet ist". 

 

Die in der Pressemitteilung enthaltene Formulierung, mit der Neuausschreibung sei "nun der Weg frei für eine Neubesetzung des Rektorats", signalisiere eine Vorab-Richtungsentscheidung des Hochschulrates und sei dem vertrauensvollen Miteinander abträglich, betonten die Dekane und fügten hinzu, sie unterstützten jegliche Schritte, die zu einem konstruktiven Fortgang der aktuellen Situation und zu einem gemeinsamen Weg von Senat und Hochschulrat beitrügen.

 

An der Universität kursiert ein anonymes
Schreiben mit Vorwürfen gegen den Rektor

 

Der Hochschulrat wolle die Neuausschreibung nutzen, um die Auswahlkriterien so zu definieren, dass der aktuelle Rektor von vornherein ausgebootet werde, wird von innerhalb der Universität kolportiert.

 

Die Dekane belassen es in ihrer Stellungnahme indes bei der Bemerkung, ein Neustart des Verfahrens sei in diesem Zusammenhang "ein möglicher Weg". Doch solle auch "von allen Beteiligten" kritisch reflektiert werden, "wie ein solcher Neustart tatsächlich unbelastet erfolgen kann". Ein Satz, in dem einige Beobachter die verklausulierte Aufforderung an alle Hochschulratsmitglieder und auch an Neugebauer sehen, von ihren Ämtern zurückzutreten.

 

Der Hochschulrat umfasst normalerweise sieben Mitglieder, davon fünf externe. Ein Mitglied jedoch, der Leiter des Siemens-Werkes für Kombinationstechnik in Chemnitz, Nils Kroemer, hatte das Gremium zuletzt verlassen. Der Freien Presse hatte Kroemer mitgeteilt, dass sein Austritt im Zusammenhang mit dem Rektor­wahlverfahren stehe, wollte aber keine Details nennen.

 

An der Universität wiederum kursierte in den vergangenen Wochen ein anonymes Schreiben, das Rektor Strohmeier Defizite in der Amtsführung vorwarf.

 

Wohl auch deshalb sprechen sich die Dekane in ihrer Stellungnahme "für ein professionelles, wertschätzendes Miteinander" ein und wenden sich "gegen Spaltungsversuche und gegen den Versuch der Beschädigung von Personen bzw. der Universität". Man werde als Dekane eine Initiative starten und kurzfristig das Gespräch mit dem Hochschulrat suchen, um damit den Dialog zwischen den Gremien zu ermöglichen.

 

Hat der Hochschulrat den Rektor bislang nicht
über den Stand des Verfahrens informiert?

 

Der DHV-Landesvorsitzende Schreiber verfasste kurz darauf einen Rundbrief an die Chemnitzer DHV-Mitglieder. Die anonymen Vorwürfe gegen Strohmeier seien seines Erachtens "unzutreffend, ungerecht und verzerren Tatsachen". In seinem Rundbrief solle deshalb "nicht mit Schlamm zurückgeworfen werden, sondern mit Blümchen." Und das tut Schreiber: Auf drei Seiten listet er "Leistungen des gegenwärtigen Rektorats" auf, an der Zusammenstellung seien Mitglieder aus vier verschiedenen Statusgruppen der TUC beteiligt gewesen. "Ergänzungen sind willkommen."

 

Was sagen zu all dem eigentlich die beiden Hauptpersonen, der amtierende Rektor Strohmeier und der amtierende Hochschulratsvorsitzende Neugebauer?

 

Letzterer äußert sich nicht persönlich, dafür aber Steffen Fritzsche von der durch den Hochschulrat beauftragten Agentur. Es sei Neugebauer gewesen, der vorgeschlagen habe, dass "entgegen der Handhabung des bis Ende 2020 amtierenden Hochschulrates" (dem Neugebauer noch nicht angehörte, JMW) nicht mehr der Hochschulrat allein die Ausschreibung gestalte, sondern die Auswahlkommission. "Diese besteht aus zwei Vertretern des Hochschulrats und zwei Vertretern des Senats. Von einer Vorab-Richtungsentscheidung des Hochschulrats kann daher nicht die Rede sein."  

 

Auch vom amtierenden Rektor kein persönliches Wort. Strohmeier könne sich zur Wahl "der Rektorin bzw. des Rektors der Technischen Universität Chemnitz" aktuell nicht äußern, da es sich derzeit um ein internes, nicht-öffentliches Verfahren handele, sagt TUC-Pressesprecher Mario Steinebach. "Zudem wurde der Rektor bisher nicht persönlich als am Wahlverfahren Beteiligter vom Hochschulrat über den aktuellen Stand des Verfahrens informiert."

 

Die Eiszeit in Chemnitz ist offenbar noch nicht vorüber.



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Kommentare: 2
  • #1

    Roman Möhlmann (Mittwoch, 01 Dezember 2021 10:08)

    Nun ja, der "Befangenheitsvorwurf" wurde halt bereits vom Hochschulrat behandelt und doch ebenso längst zurückgewiesen wie auch die Vorwürfe gegen den Fraunhofer-Präsidenten ausführlich untersucht und im Fraunhofer-Senat debattiert - und als haltlos entsprechend ausgeräumt - wurden. Darüber haben Sie ja selbst bereits ausführlich und teils mehrfach berichtet. :) So oder so ist es doch eine gute Nachricht, wenn das Verfahren an der TU Chemnitz konstruktiv voranschreitet.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 01 Dezember 2021 10:10)

    Lieber Herr Möhlmann,
    der Vorwurf in Chemnitz ist Teil der Geschichte – auch um die aktuelle Entwicklung zu verstehen, die ich erzähle. Die Reaktion des Hochschulrats wird ebenfalls ausführlichst beschrieben. Und wie Sie wissen, sind die Vorwürfe bei Fraunhofer nicht automatisch dadurch ausgeräumt, dass dem Senat eine Untersuchung durch die Fraunhofer-interne Revision reicht. Dem Bundesrechnungshof liegt meines Wissens immer noch eine Prüfbitte vor. Im Übrigen habe ich die Position des Fraunhofer-Senats sehr prominent im Artikel verlinkt.

    Viele Grüße in die Fraunhofer-Kommunikationsabteilung!
    Ihr J-M Wiarda