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"Bettina Stark-Watzinger, übernehmen Sie!"

Der "#FactoryWisskomm"-Prozess war wichtig für die Zukunft
der Wissenschaftskommunikation. Die neue Bundesregierung
sollte ihn fortsetzen. Der Wissenschaftsrat und die Versprechungen
im Koalitionsvertrag setzen dafür den Ton. Ein Gastbeitrag
von Ernst Dieter Rossmann.

Das Haus der Zukunft in Berlin. Foto: falco/Pixabay

WENN DAS KEIN FORTSCHRITT IST – in gute Worte gefasst und zur politischen Absicht erklärt. 

 

Erinnern wir uns:  Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2018 fand sich im Kapitel Forschung und Innovation der Ankersatz: "Wir wollen…die Wissenschaftskommunikation stärken". Der im Folgenden konkretisiert wurde mit der Feststellung: "Forschungsmuseen leisten einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation"

 

Immerhin besser als gar nichts. Und tatsächlich ist Wissenschaftskommunikation zwischen 2018 und 2021 populär geworden, im politischen Feld, parlamentarisch, exekutiv und öffentlich – bis hin zu Parlamentsbeschlüssen und der "#FactoryWisskom" mit ihrem breiten Kranz an Vorhaben und Empfehlungen. 

 

Dass hier eine breite Basis über die klassischen Trennlinien von Regierungs- und Oppositionsfraktionen hinaus im Wachsen war, hatte sich schon 2019 bei den Beratungen zum Parlamentsantrag von CDU/CSU und SPD gezeigt. Es war der einzige Antrag in vier Jahren Arbeit im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Technikfolgenabschätzung, bei dem die Regierungsfraktionen sehr konkrete Passagen aus den Oppositionsvorschlägen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit übernommen hatten. Der Antrag selbst bekam dann in den Abstimmungen nur Gegenstimmen aus der AfD, während bei den übrigen Fraktionen viel Übereinstimmung in der Sache zu registrieren war. Das Thema war spätestens in diesem Augenblick in der Mitte des Parlaments angekommen und für die Zukunft gesetzt. 


Ernst Dieter Rossmann war 23 Jahre lang SPD-Bundestagsabgeordneter und in der vergangenen Legislaturperiode Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Foto: Susie Knoll.


Und jetzt der neue Koalitionsvertrag. Er bildet Wissenschaftskommunika-tion als wissenschaftspolitische Perspektive umfassender und konkreter ab denn je. Welch ein Fortschritt einer Bundesregierung in neuer Konstellation.

 

Und weil die von der "Fortschritts – Koalition" gemachten Ansagen so weit über den allgemeinen guten Vorsatz der Vorgänger-Regierung hinausgehen, möchte ich den gesamten Abschnitt mit der Überschrift "Wissenschaftskommuni-


kation und Partizipation" hier wörtlich zitieren: "Wissenschaft ist kein abgeschlossenes System, sondern lebt vom Austausch und der Kommunikation mit der Gesellschaft. Wir wollen Wissenschaftskommunikation systematisch auf allen Karrierestufen und bei der Bewilligung von Fördermitteln verankern. Wir setzen uns für die Förderung des Wissenschaftsjournalismus durch eine unabhängige Stiftung, Weiterbildung für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, analoge und digitale Orte – von Forschungsmuseen bis Dashboards – ein. Wir werden mit Citizen Science und Bürgerwissenschaften Perspektiven aus der Zivilgesellschaft stärker in die Forschung einbeziehen. Open Access und Open Science wollen wir stärken."

 

Eine wirklich
starke Ansage

 

Für die Förderung der Wissenschaftskommunikation ist dieses eine wirklich starke Ansage. Sie entwickelt die Parlamentsinitiative der Großen Koalition mit klaren Vorhaben entscheidend weiter. Sie knüpft in der Substanz an den "#FactoryWisskomm"-Prozess der letzten Regierung an und gibt der Wissenschaftskommunikation in der Gesamtagenda von Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung ein ganz eigenes Gewicht. 

 

Die Fraktionen der Großen Koalition hatten die explizite Förderung des Wissenschaftsjournalismus in der vergangenen Legislaturperiode immerhin als Prüfauftrag in ihren Parlamentsbeschluss eingefügt – ein Kompromiss, zu dem Ministerin Karliczek allerdings auf großen Abstand gegangen war. Im Ampel- Koalitionsvertrag ist das Modell einer unabhängigen Stiftung jetzt zur klaren Absicht geworden. Hieran werden sich sehr große Erwartungen knüpfen, weil die Macher der Szene und die konkret Betroffenen lange dafür gekämpft haben und sich auch nicht durch Zögerlichkeit frustrieren ließen.

 

In ihrem Parlamentsantrag hatte die FDP im März 2020 in interessanter Weise das Spannungsfeld von Elitenwirkung und Breitenwirkung der Wissenschaftskommunikation herausgearbeitet. Ein Kernsatz lautete: "Eine entscheidende Aufgabe der Wissenschaftskommunikation ist es…, diejenigen zu erreichen, die nicht von sich aus auf die Informationsquellen zugehen." Die im Koalitionsvertrag angesprochene "Weiterbildung der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger" kann, muss aber nicht auf diesen Punkt zielen, dafür ist diese Adressierung sicherlich zu sperrig (wer ist letztlich gemeint) und die gute Absicht noch zu unbestimmt. 

 

Umso wichtiger wird es sein, dass die neue Regierungsmehrheit den Prozess fortsetzt, den zu erwähnen sie tunlichst im Koalitionsvertrag unterlassen hat: die "#FactoryWisskomm". Obwohl sie sich keinen Zacken aus der Krone gebrochen hätten. Zumal dieser Prozess, so lange er gedauert hat, keineswegs ohne Ergebnis und ohne Perspektive geblieben ist. Gerade wenn jetzt die Wissenschaftskommunikation im Regierungshandeln und im Parlament einen deutlich höheren Stellenwert bekommen soll, muss die breite Basis der Community weiter beteiligt werden, ihr Sachverstand und Engagement dürfen nicht abgehakt werden. Man möchte der neuen Ministerin nicht nur herzlich gratulieren und alles Gute wünschen, sondern auch fröhlich zurufen: "Frau Bettina Stark-Watzinger, bitte übernehmen Sie!"



Hochrangige Vorschläge zum Handeln liegen wirklich ausreichend vor und sollten aufgegriffen werden. So auch das Positionspapier des Wissenschaftsrates (WR), dieses bedeutendsten Beratungsgremiums von hochrangigen und hochkompetenten Akteuren von Bund und Ländern und Wissenschaft und Forschung, das just in time und fast fast tagesaktuell fertig wurde. 

 

Wegweisende Lektüre in diesen Monaten
der politischen Neuorientierung

 

Verabschiedet am 29. Oktober in Kiel, hat es die Stellungnahme jedenfalls in sich, ist wegweisend und darf in der Fülle von Papieren und Konzepten in diesen Monaten der politischen Neuorientierung nicht übersehen werden. Im Gegenteil!  Es ist ein weiterer gewichtiger Trittstein in der Gesamtstrategie des Wissenschaftsrates, sich über fortlaufende grundsätzliche Stellungnahmen in die Öffnung von Wissenschaft und Forschung in die Gesellschaft hinein einzuschalten und einen tragfähigen Rahmen mit konkreten Handlungsempfehlungen an alle Partner von Wissenschaft und Forschung zu entwickeln, die externen wie die internen, die institutionellen wie die individuellen, die politischen wie die medialen. 

 

Auf 22 Seiten findet sich zunächst eine lose, gleichwohl hoch interessante Übersicht über Einrichtungen, Angebote und Initiativen auf dem Feld der Wissenschaftskommunikation, des Wissenschaftsjournalismus und der Wissenschaftskommunikationsforschung, ohne dass der WR den Anspruch einer systematischen Bestandaufnahme erhebt.

 

Eine solche könnte allerdings sehr hilfreich sein in einem Feld, das an Bedeutung und der Zahl der Akteure derart wächst und sich an den Verbindungs- und Bruchstellen von Wissenschaft und Forschung, Gesellschaft und Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft befindet. In Form einer strukturierten Dokumentation zum Beispiel, als Monitoring über Entwicklungsprozesse, als Evaluation und Handreichung für Entscheidungen in den Systemen von Wissenschaft, Medien, Politik und ihrer Vernetzung. 

 

Und wenn sich der Wissenschaftsrat selbst nicht dieser Aufgabe stellen will und kann, mögen diese Dokumentation und dieses Monitoring schon beispielhaft zu den Aufgaben der von allen Seiten geforderten stärkeren Forschung zu Wissenschaftskommunikation gehören. Worauf sich dann der WR in seiner Tradition der regelmäßig fortschreitenden Positionierungen wiederum beziehen könnte. So nutzt er die Dokumentation in der beeindruckenden Breite und Vielfalt der Wissenschaftskommunikation schon jetzt, um die Wissenschaft und Forschung gegenüber falschen Vorwürfen des ungenügenden Interesses an ihrer Vermittlung zu schützen. Und auch, um auf Schwachstellen und Handlungserfordernisse hinzuweisen, die schließlich zu 23 konkreten Positionierungen und Empfehlungen zusammengeführt werden. 

 

Sieben Punkte, die besonders
bemerkenswert sind

 

1. Wissenschaftskommunikation hat die Aufgabe, das Verständnis von Wissenschaft – ihrer Methoden, Grenzen, Erkenntnisse und Projekte – breit in der Gesellschaft und Politik zu verankern. Deshalb braucht sie eine besondere Qualität und kommunikative Integrität, institutionell wie individuell, im Grundsätzlichen wie in der Krise. Sei es eine aktuelle wie die Pandemie oder eine schleichende wie der Klimawandel.  Hier plädiert der WR für verbesserte Standards, institutionelle Implementationen und geklärte Verantwortungen. Wissenschaftliche Integrität und kommunikative Integrität müssen zusammengebracht werden. Das wird eine große Aufgabe.  

 

2. Nicht alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen, können und müssen sich persönlich und aktiv in der Wissenschaftskommunikation engagieren. Aber ein Wissen über Grundmechanismen und Anforderungen an Wissenschaftskommunikation ist für alle unverzichtbar. Hierzu gibt der WR Empfehlungen für ein System von verschiedenen Qualifikationsstufen für Wissenschaftskommunikation: vom Studium über die Promotion bis zur Postdoc-Phase. Empfehlungen, wie es sie in dieser Prägnanz und Verbindlichkeit noch nicht gegeben hat. Man darf gespannt sein, wie die Hochschulpolitik und die Hochschulen selbst hiermit umgehen. 

 

3. Wissenschaftskommunikation ist eine Leistung und eine gesellschaftlich wichtige, gemeinwohlorientierte Aufgabe. Sie muss im Wissenschaftssystem eine größere Beachtung finden, grundsätzlich gleichrangig zu anderen freiwilligen Aufgaben sein und entsprechende Anerkennung bekommen, zum Beispiel als Teil der akademischen Leistung, in der Arbeitszeit, bei Berufungsverfahren. Der WR spricht sich hier gegen die Etablierung eines allgemeinen Anreizsystems aus, weil er Fehlanreize fürchtet. Sehr wohl aber plädiert er für eine Selbstverpflichtung aller wissenschaftlichen Einrichtungen, aus den Vorschlägen der "#FactoryWissKomm" die geeigneten umzusetzen. Eine Selbstverpflichtung "null" darf es dann allerdings nicht geben. 

 

4. Was in der "#FactoryWisskomm" eher am Rande thematisiert wurde, stellt der WR im Lichte der konkreten Erfahrungen der Corona-Pandemie stärker heraus: die Angriffe gegen die Wissenschaft und die Wissenschaftler selbst. Der Bedeutungszuwachs von Wissenschaft bringt den Effekt mit sich, dass Zustimmung und Abwehr aus den öffentlichen Debatten radikaler, ja brachialer und persönlicher als früher in die Wissenschaft hineingetragen werden. Hierauf sieht der WR das System selbst, die Institutionen und vor allen Dingen die einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht immer ausreichend vorbereitet. Mit Recht fordert er deshalb mehr Fortbildung zur Vorbereitung, zum Handling und zum persönlichen Schutz bei Anfeindungen – und institutionelle Krisenrektionspläne. Der aktuelle Protest der Allianz der Wissenschaftsorganisation zur Meinungsmache der BILD-Zeitung gegen drei Corona-Forscher hat gut getan. 

 

5. Eine Unterstützung für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung wird mit Recht auch aus der Politik erwartet. Es gilt, Hassreden und Drohungen im Internet einzudämmen, Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit zu fördern, die Wissenschaft in allen Rundfunkräten der Rundfunkanstalten zu beteiligen und den Wissenschaftsjournalismus wirtschaftlich zu unterstützen, damit er seine Qualität erhalten, neue Formate entwickeln und größere Reichweiten erzielen kann. 

 

6. Kritisch auffallen muss die Zurückhaltung des Wissenschaftsrates bei Vorschlägen oder gar Forderungen an das politische Personal selbst. Hält der Wissenschaftsrat die Durchdringung von Wissenschaft und Forschung in Methodik, Aussagekraft von Erkenntnissen und Zukunftsperspektiven durch die politisch Verantwortlichen in Parlamente und Ministerien wirklich schon für ausreichend? Oder gibt es hier in der Wissenschaft eine bewusst gewählte Distanz und Angst vor Vereinnahmung? Hier wären auch Überlegungen zu mehr Seitenwechsel von Politik und Wissenschaft, von Wissenschaftsberatung beim politischen Personal und Politikberatung beim wissenschaftlichen Personal sowie zur Repräsentanz von Wissenschaft in Regierungen und Parlamenten selbst von Interesse. Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat hier schon Anregungen gegeben, die unbedingt aufgegriffen werden sollten. 

 

7. Zur andauernden Streitfrage von Förderstrukturen für den Wissenschaftsjournalismus belässt es der WR bei Prüfaussagen und Verweisen auf Anregungen aus den Akademien. Hier sind die politischen Ankündigungen der Ampel-Koalitionspartner, siehe oben, deutlich klarer und entschiedener. Ob die Idee einer unabhängigen Stiftung Substanz bekommt und trägt, wird sich nicht zuletzt an den Finanzmitteln entscheiden, die hierfür aufgebracht werden. 

 

In dieser Frage sind sich dann Koalitionsparteien und Wissenschaftsrat wieder ganz nahe: Über Geld wird von beiden Seiten aus nicht gesprochen. Nur deshalb nicht, bleibt zu hoffen, weil genügend eingeplant ist?  

 

Zu den Ansagen der neuen Regierung und den Positionierungen des Wissenschaftsrates sollte es jedenfalls eine breite Debatte und eine klare Umsetzungsstrategie geben. Beide haben es verdient. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Unruhiger Wissenschaftler (Donnerstag, 09 Dezember 2021 09:37)

    Die Überlegungen mögen sicher wichtig sein, v.a. ist der neuen Ministerin und ihren beiden Staatssekretären eine gute Hand zu wünschen, Allein der sperrige Begriff der
    "FactoryWisskom" ist regelrecht störend. Gibt es in diesem
    Land keine Person, die diesen Begriff in ein gutes und griffiges Deutsch übersetzen kann. Fängt hier nicht gute Kommunikation in der Wissenschaft schon an?

  • #2

    Master Student (Donnerstag, 09 Dezember 2021 15:37)

    An den unruhigen Wissenschaftler: Diese ewige Diskussion um englische Begriffe in deutscher Sprache kann ich nicht nachvollziehen. Ich glaube das hat, in Maßen verwendet, überhaupt nichts mit guter oder schlechter Wissenschaftskommunikation zu tun. Die Benutzung englischer Begriffe spiegelt die allgemeine Lebensrealität wieder und das Kritisieren ob das jetzt echtes Deutsch ist oder nicht lenkt vom Kern der Sache ab. Wenn Wissenschaftskommunikation nicht nur in einem gekünstelten Deutsch, sondern auch in echter Umgangssprache stattfinden soll (wie z.B. bei Science-Slam oder was auch immer) wird man da nicht drum herum kommen.