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Die Millionenlücke

Die Energiekrise erwischt auch die Hochschulen heftig. Drohen im Herbst geschlossene Hörsäle, Distanzlehre und abgeblasene Experimente? Klar ist: Auch die Hochschulen brauchen Unterstützung.

Foto: ChNPPCC BY-SA 3.0.

DAS DEUTSCHE STUDENTENWERK (DSW) hat vergangene Woche Alarm geschlagen: Die Studierendenwerke, deren Dachverband das DSW ist, könnten die explodierenden Energie- und Lebensmittelkosten nicht mehr aus eigenen Mitteln kompensieren. Steigende Mensa- oder Wohnheimpreise für Studierende wären aber Gift für die Chancengleichheit, warnt DSW-Generalsekretär Matthias Anbuhl.

 

Von den Hochschulen und ihrer Bundesvertretung, der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), war zu den Folgen der Energie-Inflation dagegen bislang wenig Lautstarkes zu hören. Vielleicht weil sich in der öffentlichen Debatte gerade vieles um "#IchBinHanna" dreht. Im Hintergrund allerdings ist die Aufruhr in den Rektoraten groß. Und die Sorgen sind gewaltig. Denn die drohenden Lücken sind es auch.

 

Zum Beispiel an der RWTH Aachen: Deutschlands größte technische Universität hat vergangenes Jahr knapp 30 Millionen Euro für Strom, Gas und Fernwärme ausgegeben. Seitdem sind die Verbraucherpreise für Gas auf fast das Dreifache gestiegen, die für Strom um rund ein Fünftel, und die Schwankungen an den Strombörsen sind enorm. Keiner kann sagen, was noch kommt, aber eine Verdopplung der Gesamt-Energierechnung bis nächstes Jahr scheint eher wahrscheinlich als ausgeschlossen.

 

30 Millionen zusätzlich für Energie: Das entspricht fast fünf Prozent des Grundhaushaltes der RWTH und drei Prozent ihrer Gesamtausgaben. Die wären auf einen Schlag zusätzlich weg, während auch die sonstigen Preise drastisch steigen.

 

Nicht-technische Hochschulen verbrauchen pro Kopf weniger Energie, weil sie nicht so viele aufwändige Experimente und Anlagen in Betrieb halten müssen. Aber auch deren Rektoren fragen sich, wie sie im Winter die Heizkosten bezahlen sollen. Die Antwort aus den Landesministerien lautet in den meisten Fällen bislang: Bitte mit Eurem Geld. Denn natürlich sind auch die Landeshaushalte gebeutelt durch Corona-, Ukraine- und Energiekrise.

 

Jetzt rächt sich der jahrzehntelange
Sanierungsstau gleich nochmal

 

Aber wo sollen die Hochschulen das Geld aus ihren Haushalten schneiden? Beim Personal? Bei ihren Investitionen in Geräte und Gebäude? Das wäre  an sich schon dramatisch, so kurzfristig ist es noch dazu kaum umsetzbar.

 

Für die Hochschulen rächt sich derzeit noch einmal, dass die Politik sie durch jahrzehntelange Vernachlässigung der Bausubstanz einem geschätzt 35 bis 60 Milliarden Euro schweren Sanierungsstau preisgegeben hat. Einfach-Fenstern in den Räumen und Dämmstandards aus den 70ern – das ist nicht selten die Realität. 

 

Je nachdem, wie stark sich die Energiekrise weiter zuspitzt, könnte es im Wintersemester sogar wieder Distanzlehre geben – nicht wegen Corona, sondern weil Hochschulgebäude kalt bleiben müssen. Das befürchten Hochschulleitungen (bislang) hinter vorgehaltener Hand. Auch Hochenergie-Experimente müssten dann gestoppt werden.

 

Noch sind das Schreckensszenarien. Aber wer sie nicht jetzt diskutiert, könnte im Winter eine schlimme Überraschung an den Hochschulen erleben. Das Deutsche Studentenwerk fordert, die Studierendenwerke an möglichen Energie-Wirtschaftshilfen für Unternehmen zu beteiligen. Klar ist: Die Hochschulen müssen dann auch dabei sein. Es sei denn, nachdem sie schon bei den Corona-Öffnungen meist hinten kamen oder gar vergessen wurden, wollte die Politik die Botschaft senden: Bildung und Wissenschaft sind nicht systemrelevant.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.



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Kommentare: 3
  • #1

    Michael (Mittwoch, 13 Juli 2022 11:05)

    Vermutlich werden im Herbst unter dem Argument der Covid-Pandemie wieder die Hochschulen geschlossen, um in Wirklichkeit Energie zu sparen. Die höheren Energiekosten werden dann auf die Mitarbeitenden und Studierenden abgewälzt, die zu Hause arbeiten bzw. studieren.

  • #2

    Jana (Donnerstag, 14 Juli 2022 10:04)

    Oder umgekehrt. Die Energieknappheit nutzen, um den Studierenden doch wieder die Präsenz zu verbieten, um es nicht mit Corona begründen zu müssen, weil sich die Umstände diesbezüglich geändert haben, und sie dann aber auf deren eigene Kosten in ihre Wohnungen mit teuren Heiz- und Stromkosten zu treiben, ohne die finanziellen Mittel dafür zu haben (befürchte das auch wieder für Büroangestellte). Eigentlich müssten aufgrund der finanzieller Ressourcen Studierender vor allem die Hochschulen offen bleiben mit Hilfe der Länder bezüglich der Energiekosten.
    Ich werde das Gefühl nicht los, dass egal ist, ob Corona oder Energieknappheit. Hauptsache der Digitalzug kommt endlich in Schwung. Das scheint über allem zu stehen (auch erkennbar bei den Schulen, wo es die gleiche Diskussion geben wird). Das kostet übrigens auch immense Energie für Rechenzentren und Nutzung der Endgeräte. Egal, wie energieeffizient geplant. Die Einsparung je Rechenzentrum wird durch die zusätzlich benötigten Rechenzentren wieder aufgelöst bzw. sogar ins Gegenteil verkehrt. Und der Bau dieser nimmt an den Hochschulen gerade richtig Fahrt auf.

  • #3

    Jana (Donnerstag, 14 Juli 2022 10:24)

    Und die Einschätzung von Herrn Wiarda bezüglich des sich jetzt rächenden Sanierungsstaus kann ich nur bestätigen. Man kann bei mehr als 70% der Hochschulgebäude davon ausgehen, dass diese vor 1970 errichtet wurde und ein großer Teil davon seit dem keine umfassende Sanierung erfahren hat, die die energiewirksamen Bauteile einbezogen hätte (Dach, Fassade, Fenster, Heizungsanlage). Diese hätten aber sukzessive seit Beginn der 2000er Jahre erfolgen müssen. Die zur Verfügung stehenden Investitionsmittel flossen stattdessen jedoch überwiegend in zusätzliche Flächen, die ohne Zweifel auch benötigt wurden. Aber Augen zudrücken gegenüber dem Erhalt der Bestandsbauten hilft auch nicht. Wir haben jetzt 2 Probleme: Sicherheit in den Gebäuden lässt nach und sie verbrauchten seit 20 Jahren mehr Energie, als nötig wäre und tun es weiterhin.