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Hängepartie bis 2023

Die Forschungsförderung im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich sei "in reduziertem Umfang" sichergestellt, verkündete Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger Ende Juli. Doch noch immer wissen nicht alle Projekte, ob und wann sie vom BMBF eine Zusage erhalten.

Screenshot der Digitalen Ausstellung des Forschungsprojekts "DisHistüber Menschen mit Behinderungen in der DDR. 

NACH DER GROSSEN AUFREGUNG um die BMBF-Sparmaßnahmen in der Forschungsförderung war es in den vergangenen Wochen etwas ruhiger geworden. Was indes eher mit der Urlaubszeit zusammenhängen dürfte als mit den Ansagen von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Diese hatte nach wochenlanger Hängepartie Ende Juli zwar entschieden, für welche Förderlinien es künftig wieviel Geld gibt und ab wann.

 

Allerdings mischte sich in die Erleichterung derjenigen, die ihre Projekte (obgleich in vielen Fällen verzögert und gekürzt) jetzt doch starten oder verlängern dürfen, der Frust der anderen, die leer ausgingen, obwohl sie von den Gutachtern ebenfalls eine Förderempfehlung und vom Projektträger teilweise bereits mündliche Zusagen erhalten hatten. Hinzu kam neuer Ärger, denn plötzlich drückte das eben noch abgetauchte Ministerium aufs Tempo: Die bewilligten, aber gekürzten Projekte erhielten die Aufforderung, teilweise innerhalb von zwei Wochen angepasste Budgets und Zeitpläne vorzulegen, und das, siehe oben, mitten in der Urlaubszeit. 

 

Es brodelt auch deshalb weiter, weil das BMBF längst noch nicht überall Klarheit geschaffen hat. Ein besonders eindrückliches Beispiel für aktuellen Forscherfrust bietet ein Projekt aus der Förderlinie zur DDR-Forschung. Es heißt DisHist, Wissenschaftler der Universität Kiel erforschen zusammen mit Münchner Verbundpartnern die Alltags- und Kulturgeschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR. "Ich bin sehr enttäuscht", sagt DisHist-Projektleiter Sebastian Barsch, Professor für die Didaktik der Geschichte in Kiel, und erzählt von seinen Erfahrungen mit dem Projektträger DLR und dem BMBF.

 

DisHist war das allererste Forschungsprojekt seiner Förderlinie, insofern endete auch seine dreijährige erste Förderphase zuerst. So dass Barsch und seine Kollegen in Absprache mit dem DLR bereits Anfang 2022 eine Verlängerung beantragt hatten. "Das DLR teilte uns im Februar mit, dass wir den Antrag für die zweite Förderphase bis zum 1. März einreichen sollten, was wir getan haben." Das DLR habe es offensichtlich eilig gehabt, "da wir als erster Verbund in der DDR-Förderlinie eine Prototypfunktion haben sollten."

 

Immer neue Bitten
um Geduld

 

Schon am 7. April kam vom Projektträger dann die erfreuliche Nachricht, die Antragsskizze sei positiv begutachtet worden, der formelle Antrag könne nun gestellt werden. "Was wir ebenfalls getan haben. Wir begannen daraufhin mit den Personalverfahren, um die zweite Förderphase beginnen zu können", sagt Barsch, zumal das DLR am 2. Mai per Mail mitteilte: Die Mittel für DisHist seien "bereits in den Haushalt eingeplant, mit Beginn 01.09.2022".

 

Doch irgendwann danach geriet der Prozess ins Stocken. Auf eine Nachfrage Mitte Mai hieß es, es bleibe vorerst beim geplanten Laufzeitbeginn, doch: "Wir können zur Zeit leider keine verlässlichen Auskünfte zum Zeitplan geben, da wir einen hohen Eingang an Bewilligungsanträgen zu verzeichnen haben. Erschwerend kommt hinzu, dass in NRW die Sommerferien bereits im Juni beginnen."

 

Noch am 26. Juli, dem Tag, an dem Stark-Watzinger, siehe oben, für viele andere Projekte Klarheit schaffte, schrieb der zuständige BMBF-Abteilungsleiter an die DisHist-Projektleitung und bat um weitere Geduld. "Die Frage, ob eine anschließende Förderung auf Basis einer positiven Evaluation gewährt werden kann, wird derzeit geprüft." Es folgt der Verweis auf die "besonderen Herausforderungen", vor denen die Bundesregierung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stehe. "Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, die die Politik der Bundesregierung und die Haushaltsaufstellung erheblich beeinflusst. Davon ist auch ihr Projekt betroffen." Trotzdem werde man "alles unternehmen", um die zweite Förderphase zu ermöglichen, und bitte um Verständnis, "dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine abschließende Aussage treffen können".

 

Viel Verständnis hatten die DisHist-Wissenschaftler freilich inzwischen nicht mehr, denn bis zu 1. September waren es keine sechs Wochen mehr. "Natürlich mussten wir bereits mit der Personalauswahl beginnen, da sonst der Projektbeginn nicht zu halten gewesen wäre", sagt Barsch. Drei wissenschaftlichen Mitarbeitern, jeweils auf einer 0,65-Stelle, wurde ein Arbeitsvertrag in Aussicht gestellt.

 

Jetzt schaffen die betroffenen Wissenschaftler nicht 
einmal die fristgerechte Arbeitslos-Meldung

 

Am 15. August bekam DisHist dann erneut Post aus dem Ministerium: Die Möglichkeit einer zweiten Förderphase für die Vorhaben der DDR-Forschung werde weiter geprüft. Doch: "In jedem Fall ist gegenwärtig bereits klar, dass eine mögliche zweite Förderphase aus haushalterischen Gründen frühestens im Jahr 2023 beginnen kann."

 

Gute zwei Wochen vor dem versprochenen Förderbeginn also die vorläufige Absage. Garniert mit dem Hinweis, eine Zusage für die zweite Förderphase sei durch die E-Mail des DLR-Projektträgers nicht erteilt worden. 

 

Sebastian Barsch sagt: "Alles in allem bedeutet dies, dass drei Personen nun arbeitslos werden, die bereits fest damit gerechnet hatten, zum Herbst Arbeit zu haben, da uns mehrfach mitgeteilt wurde, dass diese zweite Projektphase beginnen würde und wir schlicht auch angesichts der zeitlichen Enge schon Personen für die Stellen finden mussten." Und wegen der späten Ansage aus dem BMBF könnten die drei mit ihrer Arbeitslos-Meldung jetzt nicht einmal mehr die obligatorische 6-Wochen-Frist einhalten. "Das ist aus unserer Perspektive unverantwortlich, zumal sich auch inhaltlich kaum begründen lässt, warum Diktaturforschung aufgrund des aktuellen Angriffskrieges ausgesetzt werden muss."

 

Das BMBF bestätigt die Darstellung der Abläufe im Kern, betont jedoch, mit den Zeitfristen bei der Antragstellung habe man DisHist entgegenkommen wollen, "um den Zeitraum zur Anschlussförderung möglichst kurz zu halten". Zusammen mit der Aufforderung zur Vollantragstellung am 7. April habe das DLR den Verbund darauf hingewiesen, "dass aus der positiven Begutachtung noch kein Anspruch auf eine Förderung resultiert. Demgemäß ist DisHist nicht dazu gedrängt worden, mit dem Personalauswahlverfahren zu beginnen. Vielmehr werden die Antragstellenden seitens des Projektträgers stets dahingehend beraten, für alle Maßnahmen, die das Projekt betreffen, den Zuwendungsbescheid abzuwarten." DisHist habe auch keine Prototypfunktion, es sei nur deshalb früher als andere Projekte ausgelaufen, weil der Verbund statt der möglichen vier Jahre nur drei Jahre für die erste Förderung beantragt hatte. 

 

Recycelte 
Ministerinnen-Zitate
 

 

Was das BMBF nicht sagt: Neben DisHist gibt es noch einen weiteren Verbund, der nur drei Jahre beantragt hatte, wenige Monate später gestartet war und derzeit noch davon ausgeht, am 1. Januar 2023 in die zweite Förderphase starten zu können. 

 

Auf die Nachfrage, ob die Kommunikation von BMBF und DLR mit DisHist an irgendeiner Stelle anders hätte laufen können oder sollen, recycelt die Pressestelle des Ministeriums kurzerhand Zitate aus Interviews, die die Ministerin seit Ende Juli gegeben hat: Sie könne "gut nachvollziehen, dass Forscherinnen und Forscher nun enttäuscht sind, wenn sich die Bewilligung von Anschlussprojekten verzögert oder nicht in jedem Fall erfolgen kann." Natürlich wolle das BMBF so viel Planungssicherheit wie möglich bieten.

 

Und: "Ich möchte aber betonen, dass die Kommunikation in unserem Haus dazu immer klar war: Es gilt der formale schriftliche Förderbescheid. Wenn im Einzelfall der Eindruck entstanden ist, dass Finanzierungen bereits zugesagt wurden, ist das bedauerlich."

 

Letzteres hatte Stark-Watzinger wortwörtlich bereits am 13. August der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt – bezogen auf ihre Entscheidungen Ende Juli. Doch meint man in der BMBF-Pressestelle offenbar, dass die Ansage auf die jetzigen Erfahrungen der DDR-Forscher noch genauso gut passt.

 

DisHist-Projektleiter Barsch nennt die Argumentation des BMBF indes "äußerst realitätsfremd". Allen in der Wissenschaft Tätigen sei bewusst, dass an Universitäten nicht kurzfristig Stellen administrativ eingerichtet werden könnten. "Es bedarf da immer eines Vorlaufs. Es wäre für uns also gar nicht anders möglich gewesen, als bereits mit den als bereits mit den Einstellungsverfahren zu beginnen." Man habe sogar beim DLR angefragt, ob man nicht später beginnen könne, zum Oktober oder November, "doch da hieß es, das könne schwierig sein, weil der Start ja haushälterisch für den 1. September geplant sei." Jetzt geht die Hängepartie für DisHist bis ins Jahr 2023 hinein.

 

An anderer Stelle muss das BMBF früher liefern. Anfang nächster Woche ist die Antwort auf den 71 Fragen umfassenden Katalog der Unionsfraktion zu Stark-Watzingers Forschungs- und Innovationspolitik fällig. CDU und CSU wollen wissen, warum und nach welchen Kriterien welche Programmreihen und Projekte kein Geld mehr erhalten. Fest steht: Auch Sebastian Barsch wird die Ausführungen aus dem Ministerium genau lesen.



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Kommentare: 3
  • #1

    Th. Klein (Freitag, 26 August 2022 12:29)

    << Sebastian Barsch sagt: "Alles in allem bedeutet dies, dass drei Personen nun arbeitslos werden, die bereits fest damit gerechnet hatten, zum Herbst Arbeit zu haben, [...]." Und wegen der späten Ansage aus dem BMBF könnten die drei mit ihrer Arbeitslos-Meldung jetzt nicht einmal mehr die obligatorische 6-Wochen-Frist einhalten. "Das ist aus unserer Perspektive unverantwortlich [...]" >>

    Die Situation ist misslich. Aber man kann auch der Universität und den betroffenen Personen unverantwortliches Handeln vorwerfen. Die drei Personen hätten sich schlicht sicherheitshalber arbeitslos melden müssen. Das ist zeitraubend und umständlich, aber in vielen anderen Fällen, in denen es um Vertragsverlängerungen geht, üblich. Hier fehlt mir Selbstkritik.

    Manchmal wirkt es hinderlich, aber meine Hochschule lässt keine Ausschreibungen und Personalbesetzungsverfahren zu, ohne dass der positive Förderbescheid vorliegt.

  • #2

    Forschungsreferent (Mittwoch, 31 August 2022 15:45)

    Don't shoot the messenger! Der Projekträger DLR und die Projektträger allgemein sind vermutlich nicht schuld. Die hängen ja nur am BMBF bzw. den anderen Bundesministerien dran.

    Im Gegenteil: Die Projektträger und deren Mitarbeitenden sind schon fast in einer bemitleidenswerten Position. Auch wenn ihr Agieren oft nervt oder extrem bürokratisch ist. Doch ich vermute, da stecken die Ministerien dahinter.

    Das Problem mit der Personaleinstellung und den fehlenden Zuwendungsbescheiden ist allgemein bekannt, doch gilt:

    #1 Man hat nichts in der Hand, bis man den Zuwendungsbescheid in der Hand hat.

    #2 Keine Stellenbesetzung ohne Zuwendungsbescheid, darauf müssen sich alle Beteiligten einstellen und entsprechende Vorkehrungen treffen. Das Risiko geht unsere Hochschule auch nicht ein. Vorbereitungen kann man treffen, Sicherheit gibt es keine bis #1 gilt.

    All das soll aber das BMBF nicht aus der Verantwortung nehmen. Was da passiert ist, ist einfach kein guter Stil.

  • #3

    Ehm. Projektträger-Mitarbeiter (Donnerstag, 08 September 2022 12:28)

    Ich finde den vorherigen Kommentar von Forschungsreferent wichtig, die Mitarbeitenden bei den Projektträgern sind häufig in der schwierigen Lage, dass sie den enormen Druck bei den Antragsstellenden spüren, aber keine verbindlichen Zusagen geben können. Und selbst wenn sie es tun, weil die Dinge klar erscheinen, dann gibt es manchmal Wendungen bei Zuwendungsgeber, die auch wirklich keiner hat kommen sehen und dann können Projekte eben doch nicht wie geplant bewilligt werden.

    Dass dies für die Betroffenen häufig sehr enttäuschend und persönlich auch schlimm ist, ist dann nach meiner Erfahrung auch den allermeisten Mitarbeitenden bei Projektträger klar. Und auch in den Ministerien gibt es Verständnis dafür und auch ein Herz für die Projekte und Mitarbeitenden. Es ist vermutlich nie befriedigend, aber man muss feststellen: Das System ist komplex und es agieren viele Menschen in langen Informationsketten - es ist daher nicht verwunderlich, dass es zu solchen Fällen kommt. Es ist richtig diese zu benennen, zu kritisieren und aufzuarbeiten, aber man muss dabei auch sehen, dass jedes Jahr tausende von Projekten gut und gemeinsam von allen Beteiligten auf die Schiene gesetzt werden.

    Einen Kritikpunkt würde ich aus der Praxis sehen: Es gibt bei Zuwendungsgebern natürlich einzelne Akteure, die sich dann auf das Formale zurückziehen (Rechtsverbindlichkeit von Aussagen vs. Förderbescheid usw.) und/oder auch mal nach unten – sprich auf die Fehler der Projektträger verweisen. Das finde ich aus zwei Gründen problematisch: 1. Diejenigen, die die Förderung administrativ auf den Weg bringen: Zuwendungsgeber + eventuelle Projektträger, sollten gemeinsam Verantwortung übernehmen, gemeinsam intern Fehler aufarbeiten und dann transparent nach Außen kommunizieren. Betroffene mag dies nicht immer sofort beruhigen, aber es ist aus meiner Sicht dann die angemessene Transparenz und der Versuch die Dinge zu erklären – dort wo gearbeitet wird, passieren Fehler und diese Fehlerkultur und -toleranz muss es auch hier für die „Verwaltung“ geben. 2. Das Problem ist, wenn es diese Fehlerkultur nicht gibt, dann erstarren einige Mitarbeitende bei Projektträgern vor Angst. Dann wird Kommunikation reduziert oder ganz eingestellt, dann werden alle Prozesse schwerfälliger und dann werden ggf. auch Ermessensspielräume nicht mehr genutzt. Nach meiner Wahrnehmung sind die allermeisten Projektträger sehr motiviert Projekte zu ermöglichen und Ermessensspielräume zu nutzen, auch wenn wiederum viele rechtliche Vorgaben absurd eng gefasst werden. Wenn Zuwendungsgeber, Projektträger und Zuwendungsempfänger sich gegenseitig Vorwürfe machen, dann kommt hinten sicher nichts Gutes mehr raus. Distanz auf Armlänge und Kontrolle ist unabdingbar, aber ein Miteinander braucht es auch – auch bei dem Verständnis für Fehler.