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Kinder haben häufiger Corona-Antikörper im Blut

Heißt das, sie haben sich häufiger infiziert als Erwachsene? Und was bedeutet das für ihre Gefährdung durch die Pandemie? Ein Blick auf die Daten der Immunebridge-Studie.

ZUM ERSTEN MAL in der Corona-Pandemie gibt es jetzt repräsentative Erkenntnisse zum Immunisierungsgrad der gesamten deutschen Bevölkerung über alle Altersgruppen hinweg, inklusive der Kinder und Jugendlichen unter 14. Am Donnerstag wurden sie als Zwischenergebnis der Immunebridge-Studie vorgestellt, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Enthalten sind die Daten von mehr als 25.600 Teilnehmern aus acht Studien. Die Befragungen und Untersuchungen fanden zwischen Mai und September 2022 statt.

 

Dass 95 Prozent der Deutschen Antikörper haben, die sie entweder per Infektion oder per Impfung erworben haben, war seit gestern die Hauptmeldung. "Dies bedeutet in der Pandemie-Bekämpfung, dass Infektionszahlen nicht mehr in erster Linie ausschlaggebend sind, sondern wie viele Patienten im Krankenhaus ‚mit‘ Corona behandelt werden", sagte Immunebridge-Sprecher Hendrik Streeck, Virologe an der Universität Bonn. Die Daten zeigten aber auch, dass es eine deutliche Immunitätslücke in den Risikogruppen gebe und dass Impfkampagnen bei über 70-Jährigen dringend notwendig seien.

 

Die 95 Prozent Seroprävalenz deckt sich mit den Ergebnissen der SOEP-RKI-Studie, die Ende 2021, allerdings nur erhoben für die Bevölkerung ab 14 Jahren, 92 Prozent ermittelt hatte. Was insofern erstaunlich ist, weil demzufolge der Anteil der Personen mit Antikörpern seitdem nur leicht gestiegen ist.

 

Was bislang wenig berichtet wurde: Erstmals lässt sich auch einschätzen, ob Kinder und Jugendliche überdurchschnittlich häufig von Infektionen betroffen waren oder nicht. Die einheitliche Erhebungsmethodik macht es möglich. Und hier zeigt sich: In keiner Altersgruppe ist der Anteil von Personen mit sogenannten Antikörpern gegen das sogenannte N-Antigen höher als bei den 1- bis 17-Jährigen: 65,6 Prozent.

 

Sind bei Kindern besonders viele Infektionen
unentdeckt geblieben? Kann sein – oder auch nicht

 

Was darauf hinweist, dass Kinder und Jugendlichen häufiger eine Infektion durchgemacht haben könnten als der Bevölkerungsschnitt (48,9 Prozent mit Antikörpern gegen das N-Antigen). Während der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die selbst über eine Infektion berichtet, mit 42 Prozent ähnlich hoch liegt wie bei den Erwachsenen.

 

Grundsätzlich nimmt der Anteil von Personen mit Antikörpern gegen das N-Antigen mit zunehmendem Alter in der Bevölkerung ab, bei den über 80-Jährigen liegt er 27,4 Prozent. 

 

Sind bei Kindern also besonders viele Infektionen unentdeckt geblieben? Die Forscher halten dies für möglich und verweisen auf eine mögliche geringere Testwahrscheinlichkeit bei Kindern bei einer Infektion insbesondere in den ersten Phasen der Pandemie oder auf mehr asymptomatische Infektionsverläufen. Es könne aber auch sein, dass die Immunantwort bei Kindern und Jugendlichen länger messbar bleibe oder in dieser Altersgruppe besonders viele Infektionen erst in den kürzer zurückliegende Wellen stattgefunden hätten. Die letzten beiden Szenarien würden den höheren Anteil der 1- bis 17-Jährigen mit Antikörpern gegen das N-Antigen wiederum relativieren.

 

In jedem Fall sind die 65,6 Prozent eine Untergrenze. Mindesten so viele Kinder und Jugendliche hatten bis September 2022 eine Infektion durchgemacht. Woraus sich zweierlei ableiten lässt.

 

Noch seltener schwere Verläufe
bei Kindern als gedacht

 

Erstens: Die Wahrscheinlichkeit, mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt zu werden, war bei Kindern und Jugendlichen noch geringer als gedacht. Geht man anhand der Immunbridge-Ergebnisse davon aus, dass inzwischen rund zwei Drittel der 13,8 Millionen der unter 15-Jährigen eine Infektion durchgemacht haben, ergibt das 9,2 Millionen Fälle. Gleichzeitig verzeichnet die Einweisungsstatistik der Robert-Koch-Instituts bislang 26.080 Corona-positive Krankenhauspatienten zwischen 0 und 14. Also pro 352 Infektionen eine Krankenhauseinweisung. Anhand der offiziell registrierten Infektionsdaten konnte man bislang etwa von 1 zu 205 ausgehen. 

 

Zweitens: Die hohe Zahl durchgemachter Infektionen bedeutet freilich nicht, dass sich nicht auch Kinder und Jugendliche weiter in großen Zahlen anstecken werden. Wie es in der Studie heißt: Die hohe Verbreitung von Antikörpern gegen S- und N-Antigen in der Bevölkerung scheine nur einen geringen Schutz der Bevölkerung gegen Infektion mit neuen Corona-Varianten bieten, "wie die stattgefundene Sommerwelle und die wieder ansteigenden Fallzahlen ab Ende September zeigen. Dies bedeutet, dass bei entsprechend veränderten SARS-CoV-2- Varianten auch weitere Infektionswellen mit relevanter Morbidität auftreten können."

 

Erstmals im Februar hatte die damals frisch ins Amt gekommene Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) angekündigt, ihr Ministerium werde sich an repräsentativen Bevölkerungsstudien zu Corona beteiligen. Sie sei davon überzeugt, dass die dadurch erhobenen Daten zusätzlich zu den Meldungen von Krankenhäusern, Arztpraxen und Gesundheitsämtern  nötig seien, sagte sie damals. "Deshalb möchte ich darüber mit Wissenschaftlern ins Gespräch kommen." Im Juni teilte sie dann mit, ihr Ministerium werde Immunbridge finanzieren, erste Ergebnisse würden im Frühherbst vorliegen.

 

Stark-Watzinger und das Immunbridge-Konsortium haben Wort gehalten. Auch wenn die Studie als Blick zurück den Blick nach vorn nicht ersetzt: die Notwendigkeit eines aktuellen und repräsentativem Infektions-Panels, wie Länder wie Großbritannien es die Pandemie hindurch hatten. 

 

Doch hatte das Bundesgesundheitsministerium wiederholt deutlich gemacht, dass es dafür keine Notwendigkeit und keinen Anlass sehe. Das blieb auch so, nachdem Karl Lauterbach (SPD) ins Amt kam. Was angesichts der ohne repräsentative Daten schwierigen Evaluation vergangener und künftiger Maßnahmen vielen Experten kaum nachvollziehbar erschien.Vielleicht kann Immunebridge nun der Anfang eines neuen Pandemie-Monitorings werden. Zu wünschen wäre es. 


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