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Eine neue Normalität – vor allem für Kinder und Jugendliche

Die jüngste Corona-Welle geht auch ohne Maßnahmen zurück. Ist damit der endemische Zustand erreicht, wie STIKO-Chef Mertens sagt? Und was folgt daraus für das Pandemie-Management?

IST ES NUR EIN ZWISCHENTIEF, oder ist die Corona-Herbstwelle endgültig gebrochen? Fest steht: Heute Morgen meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) mit 464 eine bundesweite 7-Tages-Inzidenz, die um 180 Punkte bzw. 28 Prozent niedriger lag als vergangenen Freitag. Und der Rückgang geht durch alle Länder. Übrigens unabhängig davon, wann Herbstferien waren oder sind.

 

So wie auch sonst festzuhalten ist: Kein Bundesland hat einschneidende Maßnahmen verhängt, um die Neuinfektionen zu begrenzen, und trotzdem sinken diese. Wie auch, wie immer mit einer gewissen Verzögerung, die Zahl der Patienten mit Corona-Infektionen in Krankenhäusern und auf den Intensivstationen. 

 

Was auch bedeutet: In der zweifellos bald kommenden nächsten Welle wird Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)mit Sicherheit seine Appelle, etwa in Innenräumen eine Maskenpflicht zu verhängen, vermutlich wiederholen. Doch er wird damit noch weniger durchdringen.

 

Ist die Pandemie
damit vorüber?

 

Markiert das endgültig den Übergang zur neuen Normalität mit der Pandemie? Oder ist die womöglich schon vorüber? Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko) sagte dem Bayerischen Rundfunk, bei Corona handele es sich mittlerweile um eine endemische Virusinfektion, und die wird uns erhalten bleiben, über die Generationen". 

 

Natürlich weiß keiner, ob nicht eine neue Virusvariante doch irgendwann nicht nur neue Wellen und mehr Ansteckungen, sondern auch wieder mehr schwere Verläufe bringt. Auf diese Möglichkeit müssen Politik und Gesellschaft vorbereitet sein – so wie auf die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten eine neue Pandemie kommen kann.

 

Noch einmal so auf dem falschen Fuß erwischt zu werden wie im Frühjahr 2020, das darf der Welt nicht passieren. Und Deutschland erst recht nicht, auch wenn entscheidende Lektionen in Public Health und repräsentativem Monitoring bis heute nicht gelernt zu sein scheinen. Das ist die Stelle, an der man ich auch auf Seiten von Gesundheitsminister Lauterbach viel energischere Anstrengungen wünschen würde, als sie derzeit zu sehen sind.

 

Nur rechtfertigt die Aussicht auf irgendwann eintretende Verschlechterungen der Gesundheitslage im Jetzt nicht mehr das präventive Verhängen von Freiheitseinschränkungen für alle. Und am wenigsten für die junge Generation, die – obwohl selbst am seltensten betroffen von schweren Krankheitsverläufen – lange die empfindlichsten Einbußen hat hinnehmen müssen. Weil sie entwicklungsbedingt auf Sozialkontakte und gesellschaftliche Teilhabe besonders angewiesen ist – und weil ihr trotzdem, etwa in Form teilweise oder komplett geschlossener Kitas, Schulen und Hochschulen, besonders viel davon versagt worden ist. 

 

Eine Leitlinie für die Schulen,
die folgerichtig ist

 

Insofern ist es nur folgerichtig, dass die aktualisierte Version der sogenannten "S3-Leitlinie" zu Corona-Maßnahmen in Schulen genau diesen Übergang zur neuen Normalität für die Kinder und Jugendlichen in aller Deutlichkeit vollzogen hat. Im September von wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Ärzteverbände und Repräsentanten des schulischen Lebens gemeinsam verabschiedet, legt sie fest: Masken und Tests soll es in Schulen verpflichtend nicht mehr geben. Es sei denn, es kommt eine neue Virusvariante mit den oben beschriebenen Eigenschaften. Als erstes Ziel nennt die neu formulierte Leitlinie, den Präsenzbetrieb in Schulen möglichst aufrechtzuerhalten "und ein möglichst normales Kontaktverhalten" unter allen Menschen in der Schule beizubehalten. 

 

Auch geteilte Klassen oder die Aufteilung in einzelne Kohorten, die sich möglichst nicht begegnen, sollen nur noch erwogen werden, "wenn durch andere, weniger eingreifende Maßnahmen keine ausreichende Reduktion der Risiken für die Schüler*innen, Lehrkräfte, weitere in der Schule tätige Personen und Haushaltsbeteiligte erzielt werden konnte". Soll heißen: Es kommt hier nicht mehr auf die Gesellschaft als Ganzes an, sondern auf die Situation an der einzelnen Schule. Also keine landes- oder gar bundesweiten Beschlüsse mehr. 

 

Übrigens sind die Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen unterdurchschnittlich, seit sie nicht mehr als einzige Altersgruppe generell pflichtgetestet werden. Und seitdem ist auch (abgesehen von einigen Twitter-Ecken) die Debatte weg zu der Frage, ob sie nun besonders viel zur Pandemie-Dynamik beitragen oder nicht. Zum Glück. Auch das gehört zu der Normalität, die die junge Generation verdient hat. 



Das erwartbare Ende der Luftfilter

S3-Leitlinien sollen stets möglichst viele Akteure einbeziehen und zugleich konsens- und evidenzbasiert sein. Insofern ist bemerkenswert, in welcher Deutlichkeit die Akteure (19 Ja-, 4 Nein-Stimmen) dafür plädieren, auf den Einsatz von Luftreinigern zu verzichten.

 

Sie erinnern sich an die großen Debatten darüber vor allem im Sommer 2021, den enormen politischen Druck auf die Kultusminister, sie anzuschaffen – trotz der schon damals vorhandenen erheblichen Zweifel an ihrer flächendeckenden Sinnhaftigkeit?

 

Jetzt heißt es in der S3-Leitlinie: "Für alle betrachteten Wirkungen ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz sehr niedrig." Und weiter: "Wahrscheinlich" hätten sie eine "positive Wirkung auf den Infektionsschutz", doch wie groß, wird nicht spezifiziert. 

Dafür werden die Nachteile umso ausführlicher benannt: "die Beeinträchtigungen von Lehrqualität und Bildungserfolg sowie der Gesundheit durch Lärm" etwa, die Unfall- und Stolpergefahr durch die nötigen Kabel – und hohe Kosten für Anschaffung und für die Umwelt (durch den massiven Energieverbrauch).

 

In den Schulen, die Geräte geliefert bekamen, standen sie vielfach von Anfang an kaum genutzt herum. Anderswo sollen sie angesichts der Energiekrise jetzt ausdrücklich nicht mehr genutzt werden. Ein Jahr alter Energieschrott.

 

So bleibt der Eindruck: Hier hat sich eine Industrie, fußend auf den Ängsten einer sehr aktiven Gruppe von Eltern, gesund gestoßen. Mit vielen Millionen, die den Schulen jetzt anderswo fehlen werden.  



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Kommentare: 4
  • #1

    JW (Freitag, 28 Oktober 2022 14:31)

    Vielen Dank für den Beitrag und insbesondere den Kommentar zu den Luftfiltern, dessen Fazit ich vollumfänglich teile.

  • #2

    D. B. (Sonntag, 30 Oktober 2022 10:02)

    Es ist bedauerlich, wie wenig wissenschaftsbasiert insbesondere der Abschnitt zu Luftfiltern ist. Sind Kinder uns so wenig wert, dass wir nicht nur zu wenig in ihre Bildung, sondern auch in ihren Schutz investieren?

  • #3

    BK (Mittwoch, 02 November 2022 11:05)

    Eine Industrie hat sich aufgrund von Ängsten gesundgestoßen..... diese Aussage unterschreibe ich sofort und nicht nur für den Bereich der Luftfilter in den Schulen !

  • #4

    Datenmüll (Mittwoch, 02 November 2022 13:03)

    Die Zahlen des RKI können meines Erachtens zur Einschätzung der pandemischen Lage nicht wirklich herangezogen werden. Die Dunkelziffer der Infektionen ist inzwischen exorbitant hoch, der Rückgang der Inzidenzen zeigt allenfalls an, dass, frei nach Trump, einfach immer weniger getestet wird, dann hat man auch weniger Fälle. PCR-Tests stehen kaum mehr zur Verfügung, wer einen positiven Selbsttest hat, bleibt halt "mit Corona zu Hause". Ja, Kinder leiden extrem unter Isolation, aber Kinder sind eben auch Infektionsträger und stecken in absolut nicht hygienekonform gestalteten schulischen Räumlichkeiten Lehrer*innen und dann zu Hause ihre Eltern und Großeltern an. Zumindest eine Maskenpflicht wäre hier sinnvoll, aber dem deutschen Michel ist selbst das zu viel...