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Verfeuert für die eigene Imagerettung

Endlich mal ein Aufschlag von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger: Sie will eine Offensive für neue Technologien. An sich richtig, doch der Vorstoß kommt viel zu spät – und weckt eine Befürchtung.

Bettina Stark-Watzinger auf der re:publica 2024 in Berlin. Foto: Kritzolina, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.

EINE "OFFENSIVE FÜR TECHNOLOGIEOFFENHEIT" will Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mit einem Impulspapier einläuten, das sie zuerst über die FAZ-Wirtschaftsredaktion lancierte. Endlich ein strategisch-konzeptioneller Aufschlag einer Ministerin, die sonst vor allem durch plakative Zeitungsinterviews zu Themen auffällt, für die sie gar nicht zuständig ist, und vielen ihrer Verhandlungspartner in Bund und Ländern Rätsel aufgibt, wo sie politisch überhaupt hinwill.

 

Das wiederum sagt der als "BMBF-Diskussionsbeitrag" titulierte Siebenseiter erfreulich deutlich und erfreulich streitbar. Es ist ein starkes Papier. Umso bedauerlicher, dass es in der politischen Debatte keinerlei Durchschlagskraft entwickeln wird. Was wiederum an der Ministerin liegt.

 

Der Reihe nach. Unter den Vorschlägen, die das BMBF macht, sticht einer hervor: "Wir schlagen vor, das Innovationsprinzip in der Gesetzgebung und der Verwaltungspraxis zu verankern." Und zwar gleichberechtigt neben das geltende Vorsorgeprinzip, da derzeit bei der Gesetzesfolgenabschätzung der Fokus vor allem auf Risiken und Bedenken liege, während die Chancen und Perspektiven "höchstens eine Nebenrolle" spielten.

 

"German Angst" als Inbegriff
behördlichen Handelns

 

Treffender kann man die Innovationskrise in Deutschland nicht auf den Punkt bringen, bei der es sich in Wirklichkeit um eine gesellschaftliche, eine kulturelle Krise handelt. "German Angst" als Inbegriff behördlichen Handelns, das auch und gerade Wissenschaft und Innovationssystem behindert.

 

Entsprechend fordert das Papier zügig ein Reallabore-Gesetz zur Erprobung innovativer Technologien, das Experimentierklauseln abseits der sonst üblichen Regeln erlaubt. Außerdem eine Entschlackung des Vergaberechts sowie eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Energieinnovationen wie dem Grünen Wasserstoff.

 

Und ein "Technologieoffenheitsgebot" als Grundsatz für öffentliche Fördermaßnahmen. Das freilich klänge noch schöner, wäre der Begriff in parteipolitischen Debatten nicht diskreditiert worden als Schlachtruf gegen den klimapolitisch notwendigen Umbau der Wirtschaft. Wie auch sonst manch populistischer Unterton im Papier stört, wenn etwa die EU wiederholt als Urheber aus der Zeit gefallener Bürokratismen dargestellt und ein EU-Bürokratie-Belastungsmoratorium gefordert wird.

 

Doch an den meisten Stellen trifft das Papier mit seinen Analysen und den daraus abgeleiteten Forderungen ins Schwarze: Ja, die Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO₂ ist eine riesige Chance, die Gesetzgebung sollte dem rasch folgen. Ja, die Forschung mit frühen humanen Embryonen und embryonalen Stammzellen bietet medizinisch ein enormes Potenzial, an dem Deutschlands Wissenschaft aber aufgrund der zu rigiden Gesetzgebung zu wenig teilhaben kann und zurückzufallen droht.

 

Ja, die Künstliche Intelligenz ist der Treiber von Innovationen und Wirtschaftswachstum von morgen, sie braucht bürokratische Freiräume zur Entfaltung. So wie die Wissenschaft weit über die KI-Forschung hinaus einen besseren Zugang zu Daten braucht, die noch dazu besser miteinander verknüpft werden müssen.

 

Und ja, es braucht den neuen Rechtsrahmen zu neuen Züchtungstechniken, auf den die EU-Kommission hinwirkt. Ob freilich die Fusionsforschung schon die heiße Zukunftstechnologie kurz vor dem Durchbruch ist, als die Stark-Watzinger sie wiederholt gehypt hat, darf man getrost bezweifeln – dass sie einen klaren und Rechtsrahmen auch für private Investitionen braucht, stimmt in jedem Fall.

 

Zu Beginn der Legislaturperiode wäre
das Papier eine Ansage gewesen, ein Programm

 

Was nicht stimmt, auch wenn das BMBF-Papier wortreich genau das behauptet: Nein, die geforderte Offensive für Technologie ist nicht "gerade jetzt" notwendig. Tatsächlich kommt Stark-Watzingers Aufschlag, so stark er auch ist, mindestens zwei Jahre zu spät. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hätte er der konzeptionelle Beitrag des BMBF zur Zeitenwende sein können. Zu Beginn der Legislaturperiode wäre er zudem eine Ansage gewesen, das Programm, die forschungspolitische Handschrift Bettina Stark-Watzingers, die sie in der Klarheit bis heute schuldig geblieben ist.

 

Jetzt wird das Papier von einer Ministerin präsentiert, die keine wissenschaftspolitischen Debatten mehr anstoßen kann, weil sie im Zuge der Fördermittelaffäre große Teile der Wissenschaft gegen sich aufgebracht hat. Der deshalb viele sofort unterstellt haben, die sieben Seiten dienten nicht wie vom BMBF dargestellt als "erster Impuls" für den "angestrebten Diskussionsprozess", sondern als Versuch, die Sommerpause zu nutzen, um von den Vorwürfen und offenen Fragen in der Affäre abzulenken.

 

Und tatsächlich: Wer glaubt ernsthaft, dass Anfang August, wenn so viele in Urlaub sind, der richtige Zeitpunkt sein soll, um erfolgreich eine forschungspolitische Grundsatzdebatte anzustoßen? Verschickt an die Allianz der Wissenschaftsorganisationen mit Bitte um Rückmeldung bis Ende August und öffentlich lanciert über eine Wirtschaftsredaktion?

 

So mischt sich in die Anerkennung eine Befürchtung: Es wäre schade, hätte Stark-Watzinger all die gute Arbeit, die man sich in ihrem Ministerium gemacht hat, verfeuert für ihre eigene Imagerettung.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tagesspiegel.



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Kommentare: 5
  • #1

    Aspergillus (Donnerstag, 08 August 2024 16:18)

    Ist das Papier öffentlich zugänglich, und wenn ja, wo?

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 08 August 2024 18:43)

    Table.Media hat das Papier online gestellt, Sie finden es hier:
    https://table.media/wp-content/uploads/2024/08/05151352/Impulspapier_BMBF_zur_Staerkung_der_Innovationskraefte.pdf

  • #3

    Nikolaus Bourdos (Dienstag, 13 August 2024 17:26)

    Interessantes Papier, steht einiges drin, das schön und richtig ist, aber auch der alltägliche FDP-Firlefanz:

    - Synthetische Kraftstoffe: die wird Herr Lindner vermutlich als einziger in Deutschland in seinen Porsche tanken, während der Rest der Welt locker weiterzieht mit seinen E-Auto-Innovationen und steigenden Marktanteilen

    - Fusionsenergie: Nicht totzukriegen, als ob in den nächsten 20 Jahren die Technologie so weit wäre, dass irgendwo ein Fusionskraftwerk ans Netz gehen würde.

    Abschließend auf die europäische Bürokratie als Innovationshemmnis zu verweisen, ist wohlfeil; da sollte man den Blicke mindestens genauso sehr auf die landeseigene Bürokratie lenken.

    Und jetzt? Sie haben völlig Recht, Herr Wiarda: Das Papier kommt viel zu spät und verhallt mitten in der Sommerpause im leeren politischen Raum.

  • #4

    Benita Wohlers (Dienstag, 13 August 2024 22:17)

    Klasse! Batterieforschung hat nicht gut funktioniert, weil andere Länder und Industrien schneller und innovativer sind. Und jetzt soll es die KI richten, wo u.a. die USA und Taiwan meilenweit voraus sind.
    Und zwar in Forschung, Entwicklung und industrieller Umsetzung. Ähnliches gilt für Kernfusion und Pflanzenzüchtung.
    Macht doch erst mal eines vernünftig, wie bspw. Wasserstofftechnologien „Innovation Made in Germany“ und nicht ständig neue Spielwiesen.
    Wie naiv ist Stark-Watzinger eigentlich? Deutsche Forschung rennt weiter immer wieder hinterher…

  • #5

    Sapientia (Samstag, 17 August 2024 12:00)

    Über die Bürokratie der EU zu schimpfen, ist immer wohlfeil. Im eigenen Haus gibt es aber inzwischen schon eine Dystopie:

    Bei EU-Anträgen erhält man selbst im Falle einer Ablehnung eine substantielle schriftliche Begründung; bei BMBF-Anträgen gibt es das nicht. Auf telefonische Nachfrage gibt es gelegentlich in der Regel nicht besonders hilfreiche Informationen.

    KollegInnen haben sogar schon erste Erfahrungen dahingehend gemacht, dass sogar die formelle Ablehnung eines BMBF-Antrags nur telefonisch gemacht worden sind.

    Insgesamt wirkt das BMBF deshalb nach außen hin inzwischen wie eine Dystopie.