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Das Ende der Solidarität?

Die Erhöhung der Kosten für das Deutschlandticket hat auch für Studierende und Auszubildende Folgen. Und dann auch noch völlig unterschiedliche in ganz Deutschland. Ein Kommentar.

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Artikelbild: Das Ende der Solidarität?

Bild: 200 degrees / Pixabay.

DAS DEUTSCHLAND-TICKET soll vom nächsten Jahr an 58 Euro pro Monat kosten, neun Euro mehr als bislang, haben die Verkehrsminister der Länder beschlossen. Was das für die Popularität des Angebots bedeutet, lässt sich anhand einer Google-Suche vermuten: Wenn man "Deutschlandticket" eingibt, schlägt das System nach "kaufen" direkt "kündigen" vor.

Was in den ersten Berichten zur geplanten Erhöhung allerdings meist unerwähnt blieb, sind die Folgen für Studierende und Azubis. Nach langem Hin und Her und erst seit dem Sommersemester 2024 gibt es das vergünstigte Deutschland-Ticket für Studierende, das an vielen Hochschulen die früheren Semestertickets abgelöst hat und genau wie diese als "Solidarmodell" funktioniert: Entscheidet sich die Mehrheit der Studierenden dafür, gilt es für alle, und alle müssen zahlen unabhängig von ihrer Nutzung. Dafür kostet es aber auch nur exakt 60 Prozent des normalen "D-Ticket"-Preises, bislang 29,40 Euro pro Monat. Und demnächst, wenn es bei der Formel bliebe, 34,80 Euro.

Nun kann man darüber streiten, ob diese fünf Euro mehr tatsächlich zum Überschreiten der "Schmerzgrenze für viele Studierende" führt und ihr "auf Kante" genähtes Budget zum Reißen bringt, wie das Deutsche Studierendenwerk es formuliert. Die exorbitant hohen Wohnkosten an zahlreichen Studienorten dürften da deutlich schwerer wiegen, aber klar: Am Ende ist es die Kombination vieler Faktoren.

Hinzu kommt ein hochschulpolitisches Problem: Demnächst könnte das "D-Ticket" für Studierende in vielen Regionen mehr kosten als die früher dort geltenden Semestertickets, die mit den einzelnen Verkehrsunternehmen verhandelt worden waren.

Aber die Semestertickets gibt es eben oft nicht mehr. Sie wurden, wie Jonathan Dreusch, Geschäftsführer des Studierendenverbands fzs, sagt, von zahlreichen Studierendenschaften schon deshalb gekündigt, weil fraglich war, ob die Semestertickets rechtlich weiter als verpflichtende Vollsolidarmodelle zulässig gewesen wären, "wenn ein freiwilliges Angebot wie das 49-Euro-Ticket nur minimal teurer ist".

Und jetzt? "Für uns stellt sich nicht nur die Frage eines Endes eines bundesweiten Tickets für Studierende, sondern, ob es mittelfristig überhaupt noch flächendeckend Studierendentarife geben wird", sagt Dreusch. Denn: "Wir befürchten, dass an einigen Orten die Verkehrsunternehmen nicht willens sein werden, neue Semestertickets zu verhandeln, gleichzeitig aber die D-Tickets zu teuer werden."

Gut möglich, dass sich bald all jene Studierendenschaften glücklich schätzen, die nie das "D-Ticket" für Studierende eingeführt haben – weil sie nie ein Semesterticket hatten, weil ihr Semesterticket trotzdem noch günstiger war oder weil die Mehrheit der Studierenden den Wechsel schlicht nicht wollte.

In jedem Fall dürfte der bundesweite Flickenteppich bei der studentischen Mobilität noch kleinteiliger werden: von den speziellen Ländertarifen in Bayern und Baden-Württemberg, auf die die D-Ticket-Erhöhung auch Auswirkungen haben dürfte, über die alten Semestertickets bis hin zu Standorten ganz ohne spezielle Studierendentarife und den neuen D-Ticket-Solidarmodellen, die womöglich demnächst schon wieder in Frage stehen. Noch komplexer wird die Angelegenheit dadurch, dass die sogenannte "Upgrade-Lösung" zum Wintersemester 2024/25 abgeschafft wird. Was dazu führt, dass demnächst zu den regional verpflichtenden Semestertickets das 58-Euro-Ticket für die bundesweite Nutzung komplett dazugekauft werden müsste.

Ob die Verkehrsminister all dies mitbedacht haben bei ihrem jüngsten Beschluss?

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Kommentare

#1 -

Th. Klein | Do., 26.09.2024 - 15:26
Es ist schon etwas widersprüchlich, dass das D-Ticket die Sache mit dem ÖPNV vereinfachen sollte und dafür es bei des Semestertickets zumindest im deutschlandweiten Vergleich komplizierter wurde.

Bei allem Verständnis für die finanzielle Situation der Studierenden, war ich ursprünglich davon ausgegangen, dass es einfach deutschlandweit nirgendwo mehr ein Semesterticket gibt, weil über das relativ günstige D-Ticket es einfach obsolet wurde. Schon die Extra-Vergünstigungen wie bspw. in Bayern habe ich nicht verstanden (außer als Lobbyarbeit oder deren Ergebnis). Das hat es wieder kompliziert gemacht. Für die Verkehrsbetreiber wäre es ja eine einfache Lösung gewesen, indem man keinen Extra-Aufwand mehr mit den Semestertickets hat. Deshalb habe ich viel Verständnis dafür, wenn verstärkt dieser Weg eingeschlagen wird.

Zusatzeffekt wäre, dass die sachfremde Immatrikulation wegen solchen Vergünstigungen mal ein Ende hätte oder zumindest eingedämmt würde.

#2 -

Django | Do., 26.09.2024 - 18:44
Anhand des Deutschlandticket und seinr diversen "Ableger" für Studierende werden ein paar Schieflagen in der Verkehrspolitik deutlich.

Bund und Länder zahlen aktuell ca. 1,5 Mrd € pro Jahr als Verlustausgleich an die Verkehrsunternehmen. Das ist sicherlich viel Geld, und die Preiserhöhung soll verhindern, dass dieser Betrag angehoben werden muss.

Gleichzeitig entsteht im Osten Berlins ein 3,2 km langer Autobahnabschnitt (16. Bauabschnitt der A 100), dafür wird nach aktuellen Schätzungen knapp die Hälfte des jährlichen Deutschland-Ticket-Zuschusses fällig.

Fazit: Geld für neue Autobahnen ist immer da. Müssen die anderen halt zurückstecken.

#3 -

David J. Green | Mo., 30.09.2024 - 00:30
Zu den Azubis: Ja, sie werden einmal zu Beginn kurz als Mit-Betroffene erwähnt, kommen aber dann nicht weiter vor. Was ziemlich schade ist, denn deren Flickenteppich ist noch viel dürftiger und kleinteiliger, sofern ich erkennen kann. Dabei wäre es vielleicht an der Zeit, die Azubis und die Studis in möglichst vielen Hinsichten gleichzusetzen.

Zum Deutschland-Ticket: Mir ist immer noch nicht klar, welches Ziel mit ihm verfolgt wird. Wenn es doch der möglichst umfangreiche Umstieg von PKW auf ÖPNV sein sollte, dann mag der Flickenteppich an weiteren Begünstigungen populär sein, eventuell sogar solidarisch: zweckmäßiger wäre es aber, die hierfür verwendeten Gelder eher in Angebotssicherung und -ausbau zu stecken, auch und gerade aufs Land.

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